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Mann mit zugeknöpften Taschen,

dir tut niemand was zulieb.

Hand wird nur von Hand gewaschen.

Wenn du nehmen willst, so gib.

Goethe: Wie du mir, so ich dir.

Erstes Kapitel

Exitus, dachte Eddie Jablonski und starrte ungläubig auf die Ölpfütze, die sich, groß wie ein Leichentuch, über den Beton des Werkstattbodens ausbreitete und nur durch eine Handvoll Sägespäne daran gehindert wurde, auf ihn zuzufließen. Der blutige Auswurf eines waidwunden Tieres. Resigniert blickte er auf den Motorblock der Giulietta, den er mit ausgestreckten Armen gerade noch erreichen konnte, und zog heftig an seinem Glimmstengel, bevor er sich umdrehte und die Kippe durch das geöffnete Tor in den Innenhof der Werkstatt schnippte, in dem eine Ansammlung vergammelter Rostlauben auf einen vertrauensseligen Käufer wartete.

»Soll ich ihn wieder runterlassen?« fragte Fred, ein bleicher, hagerer Kerl in einem roten, dreckverschmierten Overall, und schickte sich an, einen Elektromotor in Gang zu setzen, der das Autowrack wieder auf den Hallenboden befördern sollte.

»Nee, laß mal, du solltest mir lieber die Löcher im Bodenblech zeigen«, entgegnete Eddie und vergrub seine Hände in den weiten Taschen seines Trenchcoats.

Fred nickte. An den schwarzen Ringen unter seinen Augen hätte man bequem eine Gardinenstange aufhängen können. In seinem ansonsten leichenblassen Gesicht regte sich keine Miene. »Der is’ total im Eimer, den kannste echt vergessen«, erwiderte er und stocherte wie zur Bestätigung des soeben gesprochenen Todesurteils mit einem langen Schraubendreher in den Eingeweiden der Giulietta herum. Ein feiner Regen aus Hundekot, Rostplacken und Farbresten prasselte auf ihn nieder. Fred hustete trocken, klopfte den Dreck von seinem Drillich und warf den Schraubendreher mit routinierter Zielgenauigkeit in den Werkzeugkasten, der neben der Hebebühne auf einem wackligen Holzstuhl stand.

»Ein Künstler wie du …«, begann Eddie hoffnungsvoll und ließ seinen Blick über die kantige Form der feuerroten Karosserie schweifen.

»Geschenkt«, unterbrach ihn Fred. »Das Ding ist eine Sparbüchse ohne Boden. Da drüben der Spider, ein Schnäppchen, nur zehn Mille, das wär was für dich. Geht in zwei Tagen durch den TÜV.«

»Bin ich Krösus? Meine pekuniäre Situation ist im Moment etwas angespannt …«, entgegnete Eddie mit einem Achselzucken. Ein Schicksal, das ich wahrscheinlich mit neunzig Prozent seiner Kunden teile, überlegte er noch, begann dann aber, fieberhaft zu rechnen: Zehn Riesen Kredit zu fünfzehn Prozent jährlich plus Steuern und Versicherung, das macht … Ein Schuldengebirge von ungeahnten Ausmaßen türmte sich vor seinem geistigen Auge. Der Spider würde das Zeitliche segnen, noch bevor er die Kiste abgestottert hatte.

»Und deine Frau? Die verdient doch auch ganz gut«, warf Fred ein, als er merkte, daß ihm das Geschäft seines Lebens durch die Lappen zu gehen drohte.

»Na ja, lange nicht gesehen, würde ich sagen …«, erwiderte Eddie, wobei er mit der Stiefelspitze einen Halbkreis in das Sägemehl zeichnete.

»Das ist kein Fehler!« lachte der hagere Mechaniker, der schon seit Jahren nicht mehr mit einem weiblichen Wesen an seiner Seite gesichtet worden war und in einer schlecht gelüfteten Kammer neben der Werkstatt wohnte. »Wie wär’s mit einem kosmischen Dieselbenz, zwei Mille, weil du es bist. Den Schrott da oben auf der Bühne nehme ich als Anzahlung.« Er deutete mit seinem ölverschmierten Daumen über seine Schulter.

»Wieso, ist der auch im Eimer?«

»Quatsch, ich bin eben ein Vollidiot und hab ein Herz für mittellose Penner«, feixte Fred. »Gib mir ’ne Zigarette und verschwinde, ehe ich mir’s anders überlege. Hier sind die Schlüssel!«

Jablonski nestelte eine Packung Roth Händle aus seiner Brusttasche und klickte mit dem Feuerzeug.

»Die Papiere sind im Handschuhfach«, ergänzte Fred zwischen zwei Lungenzügen, wandte sich grußlos um und stapfte mit hochgezogenen Schultern, dicke Rauchwolken hinter sich herziehend, eine Eisenstiege hinauf, die zu einem kleinen fensterlosen Büro im Dachgeschoß der Halle führte.

Der pechschwarze Benz hatte Heckflossen wie ein Haifisch und parkte neben einem Stapel abgewetzter Autoreifen unter einer baufälligen Pergola. Nur ein Kenner hätte dieses Kleinod automobilistischer Baukunst für fahrbereit erklärt. Wider Erwarten ließ sich die Fahrertür gewaltlos öffnen. Der abgestandene Geruch nach Schweiß, kaltem Zigarettenrauch und altem Maschinenöl, der ihm aus dem Wageninnern entgegenschlug, raubte Eddie fast den Atem. Dennoch schwang er sich beherzt hinter das wuchtige Lenkrad und ließ sich in die speckigen Lederpolster plumpsen. Er glühte den Motor vor, der, nach zwei vergeblichen Startversuchen, schließlich doch noch zum Leben erwachte. Direkt hinter dem verchromten Hebel der Lenkradschaltung erhob sich der kastenförmige Dom des Armaturenbretts. Dreiviertelvoll, registrierte Eddie befriedigt den Stand des Spritanzeigers. Mit einem asthmatischen Stöhnen verschwand die Seitenscheibe in einer Versenkung, als Jablonski die zierliche Kurbel drehte. Vorsichtig bugsierte er den Koloß auf den ungeteerten Feldweg und rumpelte im Schrittempo auf einen Bahnübergang zu, dessen Schranke geschlossen war. Das letzte Fossil einer aussterbenden Gattung ölfressender Dinosaurier, diagnostizierte Eddie seinen fahrenden Untersatz. Mit sich und der Welt im reinen, fingerte er einen Glimmstengel aus der zerknitterten Packung, zerrte den überquellenden Aschenbecher aus seiner Halterung und kippte den Inhalt achtlos auf die Straße. Ein laues Frühjahrslüftchen rieselte durch die Fensteröffnung und ließ ihn kräftig durchatmen. Er steckte die Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch in den klaren, blauen Aprilmorgen. Nach zwei weiteren Lungenzügen widmete er sich dem Handschuhfach. Neben einer Rolle Blumendraht, zwei Biluxbirnen und einer vergammelten Packung Kondomen, Marke London superfeucht, deren Verfallsdatum vermutlich seit Jahren überschritten war, lagen, wie Fred versprochen hatte, die Fahrzeugpapiere.

Jablonski ließ die Gummis links liegen und kramte statt dessen die Geburtsurkunde des Benz hervor. Baujahr 68, vier Zylinder, 55 PS. Nicht die Welt, aber genug Kraft, um die Kiste jeden Berg hinaufzuziehen. Der erste Besitzer, ein Metzgermeister aus Wattenscheid, hatte seine Wurstfinger acht Jahre lang um das schwarze Lenkrad mit dem riesigen Hupenring gekrallt, bevor er den Benz an eine dieser Vorstadtmuttis übergab, die damit vermutlich ihre mißratenen Sprößlinge zur Schule brachte. Schließlich und endlich hatte Fred die Dieselkutsche übernommen und sie in einen fahrenden Dreckstall verwandelt, in dem er seine ramponierten Kotflügel, leckenden Öldosen und verbogenen Kurbelwellen zum Schrottplatz karrte. Dennoch erschien es Eddie, als habe ihm der Mechaniker seine liebste Freundin zum Geschenk gemacht.

Jablonski entschloß sich deshalb, den Kuhhandel mit einem ordentlichen Schluck Bier und einem doppelten Cognac zu begießen. Zu diesem Zweck steuerte er das Treibhaus an, ein Schicki-Micki- Lokal im Jugendstil, das sich die Bochumer Journaille neuerdings als Treffpunkt auserkoren hatte. Eddie parkte den Benz neben einem knallroten Ford Camarro, auf dessen Motorhaube ein überdimensionaler weißer Playboyhase mit gewaltigen Schlappohren prangte. Die Chromfelgen mit den hyperbreiten Reifen blitzten im Sonnenlicht und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Besitzer Dauerkunde in einem dieser Geschäfte für potenzsteigerndes Autozubehör war, die sich gewöhnlich neben einem Bodyshop für Supermänner breitmachten.

Der Kerl, der gerade dem Sportflitzer entstieg, trug einen weißen Leinenanzug und weiche italienische Sportslipper. Die obersten Knöpfe seines fliederfarbenen Seidenhemds waren geöffnet und gaben den Blick auf ein schmales Goldkettchen frei. Der Mann nahm die schwarze Ray-Ban- Sonnenbrille ab und ließ sie an dem Lederbändchen baumeln, das er sich um den Hals gehängt hatte. »Winkelmann, altes Trüffelschwein!« begrüßte ihn Eddie, der ebenfalls ausgestiegen war und nun neben dem Camarro stand. »Gehört der etwa der Bank?« grinste Eddie, während er einen Blick in das Cockpit des Flitzers warf und belustigt die Augenbrauen hob.

»Hey Eddie, der Dichter fürs Lokale, kein Hemd in der Hose, aber La Paloma pfeifen!« erwiderte Winkelmann etwas aufgebracht mit einem abschätzigen Blick auf den Benz. »Nachtanken?« fügte er hinzu.

»Und du?«

»Mal sehen«, schloß Winkelmann die Begrüßungsrunde. Sie setzten sich an den runden Tisch unter dem bunten Glasfenster, der immer für sie reserviert war, kramten nach ihren Zigaretten, ließen die Feuerzeuge wie Pistolen klicken und pafften einige Züge, bis Winkelmann das Duell wieder aufnahm.

»Hast du diesen Mist verzapft?«

»Welchen?«

»Na hier!« Winkelmann deutete auf einen Artikel in einer Zeitung, die er aus der Seitentasche seines Sakkos gefischt hatte.

»Laß mal sehen!«

»Warte, ich les dir das mal eben vor: ›Bochumer Publizistikprofessor bricht Lanze für den kritischen Journalismus. Neue Medien, wie Lokalfunk und Kabelfernsehen müssen sich besonders den Sorgen und Nöten des Bürgers widmen …‹ Und hier: ›Gegen Hofberichterstattung zum Wohle der etablierten Parteien …‹ Jetzt kommt’s, Eddie: ›Studenten schreiben ihre Semesterarbeiten über heiße Themen aus der Region …‹ Wo sollen die denn herkommen? Da suchen doch schon Profis völlig vergebens«, schloß Winkelmann und biß die Zähne zusammen, so daß sich die Haut in seinem glattrasierten Gesicht fast zum Zerreißen spannte.

Eddie schwieg. Er wartete, bis Luigi, der Wirt, einen doppelten Cognac und zwei Pils gebracht hatte. Er kippte den Weinbrand in einem Zug hinunter und widmete sich dann genüßlich seinem Bier, bevor er antwortete. »Wieso, heiße Themen gibt’s wie Sand am Meer, bloß die Finger will sich keiner verbrennen!«

»Kritischer Journalismus, wenn ich das schon höre, da lachen ja die Hühner … Sex and Drugs and Rock ‘n’ Roll, daß ist es, was die Leute interessiert.«

»Na ja, Titten gibt es doch reichlich auf Kanal 3 zu sehen!« sagte Eddie und gönnte sich einen großen Schluck Bier, von dem er leise rülpste.

»Und wenn schon, dafür sind die Wortbeiträge auch nicht von Pappe!«

»Meinst du etwa deine eigenen?«

»Ach Quatsch … Klischees verkaufen sich eben gut, das weißt du selbst am besten! Jeder bekommt das, was er bestellt hat. Bezahlt wird später! Eddie, ist es nicht so? Du lebst doch auch vom großen Kuchen, gib’s doch zu. Aber nein, du spielst den großen Rührmichnichtan!« erregte sich Winkelmann, wobei seine Unterkiefer angriffslustig hervortraten.

»Winkelmann, du nervst mich!« Eddie hob das Pilsglas und leerte es. »Ich hab noch einen Termin, also bis dann …«, verabschiedete er sich und verließ das Lokal. Erst auf der Straße fiel ihm ein, daß er nicht bezahlt hatte.

Schrebergarten Blues

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