Читать книгу Schrebergarten Blues - Jost Baum - Страница 7

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Ach! Sie neigt das Haupt, die holde Knospe.

Wer gießet eilig erquickendes Naß

neben die Wurzel ihr hin, daß sie

froh sich entfalte, die schönen

Stunden der Blüte nicht zu früh

vergehen, endlich auch reife die

Frucht?

Aber auch mir, mir sinket das Haupt

von Sorgen und Mühe.

Liebes Mädchen!

Ein Glas schäumenden Weines herbei.

Goethe: Epigramme

Drittes Kapitel

Einige Tage später, an einem Mittwochabend, hockte Jablonski vor seinem dritten Bier und starrte auf das Podium, das mitten in der Kneipe aufgestellt war. Er betrachtete neugierig die Prinzengarde, die nervös wie die Teenager vor dem Abschlußball ihre Mikrofone testete. Jablonski kannte einen der Herren, der wie ein cleverer Geschäftsmann wirkte. Dr. Müller trug ein weißes Seidenhemd und hatte sich einen dieser schwarzen Propeller umgebunden, die der Mann von Welt immer dann wählt, wenn ein kulturelles Ereignis ins Haus steht. Er würde sich vermutlich spätestens nach einer halben Stunde verabschieden und sich in die Oper verdrücken. In seiner blankpolierten Halbglatze spiegelte sich das trübe Licht des Scheinwerfers, der auf das Podest gerichtet war.

Der fahrige kleine Dicke, der neben ihm einen Packen Papiere ordnete, mußte Tommicek, der Vorsitzende des Kleingartenvereins sein. Jablonski steckte sich eine Zigarette an und trank genüßlich einen großen Schluck Bier. Die beiden andern, vermutlich der erste Kassierer und einer von Müllers Kofferträgern, die rechts und links der beiden Hauptdarsteller auf ihren Einsatz warteten, interessierten ihn nicht im geringsten.

Die Stimmung im Saal war gereizt. Einige hemdsärmelige Kleingärtner, die die Jacketts ihrer Sonntagsausgehanzüge ausgezogen hatten, die frisch frisierten Gattinnen neben sich, hatten sich bereits mit ein paar Bieren Mut angetrunken und äußerten lautstark ihren Ärger über die möglicherweise bevorstehende Schließung ihrer Parzellen. Einer der Typen, ein stämmiger Mittvierziger mit von der Hitze und der Aufregung gerötetem Gesicht, verlangte lautstark, daß der Spaß nun endlich beginnen solle, wobei sich seine Stimme überschlug. Die Ehefrauen, sie trugen einfarbige, meist beigefarbene Röcke und darüber selbstgestrickte Pullover, füllig und ein wenig aufgegangen wie Hefekuchen, hatten kleine Likörgläser vor sich stehen, an denen sie von Zeit zu Zeit nippten. Sie zerrten an ihren Männern, sobald sich diese zu sehr aufregten und mit ihrem Nachbarn gestikulierten. Schließlich ergriff Tommicek den Schwanenhals des Mikrofons und bat um Ruhe.

Er begrüßte die Versammlung und stellte Dr. Müller als Leiter des städtischen Planungsamtes vor. Die Kleingärtner antworteten ihm mit lauten Pfiffen und Buhrufen. Der Tumult erinnerte Jablonski an seine ersten Mathestunden nach den großen Ferien, die er als Schüler eines Kleinstadtgymnasiums genossen hatte. »Wenn Sie sich nicht mäßigen, werde ich sofort den Saal verlassen …«, entrüstete sich Müller und erhob sich von seinem Sitz.

Der Lärm verebbte langsam, und als endlich Ruhe eingekehrt war, ergriff Müller erneut das Mikrofon. Er begann, eine ganze Liste von Rechtfertigungen für die geplante Golfanlage vorzulesen, nicht ohne die Vorteile des Greens für das Stadtsäckel über alle Maßen zu loben. Er versprach die Erhöhung des Gewerbesteuereinkommens, einige Hundert neugeschaffene Arbeitsplätze und bot den Kleingärtnern als Ersatz scheinbar prachtvoll gelegene Parzellen an einer anderen Stelle an. Das Publikum hingegen tobte. Lautstark forderte es den Erhalt der Schrebergärten. Vor allen Dingen aber schien ihm der Anschluß der Parzellen an die Kanalisation am Herzen zu liegen, ein Verlangen, das Jablonski verständlich fand, denn er hätte auch etwas dagegen gehabt, vierzig Jahre lang in eine Sickergrube zu pinkeln. Der Widerspruch prallte an der geschliffenen Rede Müllers ab.

Schließlich wurde Eddie hellhörig, als Müller erwähnte, daß das Land und die Stadt den Bau der Anlage bezuschussen und dafür vermutlich jeweils einen Sitz im Aufsichtsgremium der Betreibergesellschaft kassieren würde. Sonnenklar, daß Müller auf diesen Posten spekulierte. Nach gut zwanzig Minuten war die Vorstellung beendet. Müller stand auf, verabschiedete sich hastig und drängelte so eilig zum Ausgang, daß der Kofferträger Mühe hatte, ihm zu folgen. Seine Flucht wurde von einem Pfeifkonzert der Gärtner begleitet. Während er hinauseilte, schüttelte er den Kopf, als würde er von einer Fliege belästigt, die er nun zu vertreiben suchte.

Eddie hatte sich ein paar Notizen gemacht, doch die waren das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Gerade als er sich zum Tresen schieben wollte, um sich noch ein Abschiedsbier zu gönnen, sprach ihn ein Mädchen von der Seite an. Sie war Mitte zwanzig, klein, zierlich, mit einer knabenhaften Figur, und trug einen blonden Pagenschnitt. Die Jackenärmel ihres Jeansanzuges hatte sie tatkräftig aufgekrempelt.

»Eddie Jablonski?« fragte sie und zog dabei die Augenbrauen hoch.

»Was gibt’s?« nickte der irritiert.

»Ich bin Carla, Rudis Enkelin. Er sagte mir, daß ich Sie hier treffen würde.«

»Meine Freunde nennen mich Eddie … Trinkst du ein Bier mit?«

»Ein Kaffee wär mir lieber«, antwortete sie mit leicht angewidertem Blick, während sie sich auf einen der Barhocker vor dem Tresen schwang. So ein hübsches Kind, dachte Jablonski und betrachtete Carlas ebenmäßige Gesichtszüge, die durch die hochstehenden Wangenknochen noch unterstrichen wurden. Sie war dezent geschminkt. Ihre Augen hielten dem Blick stand, mit dem Eddie sie musterte.

»Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht, als ihr diesen Irrsinn mit dem Hungerstreik ausgeheckt habt?« fragte er, nachdem er einen großen Schluck Bier aus dem Glas genommen hatte, daß ihm der Wirt kommentarlos hinstellte.

»Du siehst doch, wie dieser Müller auf uns reagiert. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, oder bist du etwa anderer Ansicht?« entgegnete sie angriffslustig.

»Pah, daß ich nicht lache! Ihr erreicht gar nichts«, erwiderte Eddie. Er merkte, wie ihm der Alkohol langsam zu Kopf stieg. Er hatte seit einem hastigen Frühstück in der Verlagskantine nichts mehr gegessen. Gewöhnlich machten ihm ein paar Gläser Bier und Cognac wenig aus. Aber seit einigen Tagen fühlte er sich nicht richtig auf dem Damm. Er schob seine Unpäßlichkeit auf das launige Aprilwetter, dem ein ungewöhnlich heißer Mai gefolgt war und ihm einen Schnupfen eingebracht hatte, der von leichten Fieberschauern begleitet wurde.

Dann wieder schien es ihm eher, als habe er die Trennung von Uschi noch nicht ganz verdaut und als führten seine trüben Gedanken dazu, daß er sich auch körperlich unwohl fühlte. Dieses ganze Gespräch war ihm zuwider, und er hoffte, daß er Carla bald abwimmeln könnte.

»Noch nie etwas von Ghandi gehört, gewaltfreier Widerstand und so?« rechtfertigte sich Carla mit gereiztem Unterton.

»Ghandi, dieser bartlose Volltrottel mit Nickelbrille, eingewickelt in Badetücher«, hustete Eddie trocken und nahm noch schnell einen Schluck Bier, um seine Kehle anzufeuchten.

»Sag mal, was bist du nur für ein arrogantes Arschloch. Opa Rudi hat mir erzählt, man könne sich auf dich verlassen! Also, was ist, machst du mit?«

»Ich weiß nicht«, zögerte Eddie. Wenn sie sich schon nicht mit ein paar Floskeln abspeisen ließ, sollte sie wenigstens ein paar überzeugende Argumente bringen. Urplötzlich erinnerte ihn Carla an seine Frau. Er mochte diese etwas herben, sportlichen Frauen, die wußten, was sie wollten, und die Dinge anpackten, anstatt sie liegenzulassen. Schließlich hatte ihm gerade das in der Zeit, in der er mit Uschi zusammenwohnte, eine Menge Ärger mit den Unannehmlichkeiten des Alltags erspart. Er war sich in diesem Moment nicht sicher, ob er den Tribut einfordern konnte, den die Story möglicherweise bot.

»Was heißt das?« fragte Carla mißmutig.

»Mir kommt das reichlich absurd vor, was ihr da vorhabt«, winkte Jablonski müde ab und stierte, von seiner Erkältung, den Erinnerungen und dem Bier angeschlagen wie ein Preisboxer, in sein Glas.

»Und wenn schon. Es ist unsere letzte Chance! Paß auf, wir fahren jetzt zu Rudi und sprechen alles durch. Du schreibst den entsprechenden Artikel, und dann sehen wir weiter. Okay?«

Na, das kann ja heiter werden, dachte Eddie. Um Zeit zu gewinnen, bestellte er noch einen doppelten Cognac und steckte sich eine Zigarette an. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er sich auf diese Geschichte einlassen sollte. Einerseits waren diese Querelen, die die Kleingärtner mit der Stadt ausfochten, ein gefundenes Fressen für einen Lokalredakteur, andererseits hatte er jedoch nicht die geringste Lust, zwischen die Fronten zu geraten und sich als billiges Sprachrohr mißbrauchen zu lassen.

»Los komm schon«, drängte Carla energisch. »Wir fahren zu mir nach Hause und entwerfen einen Schlachtplan!« Sie sah nicht so aus, als wollte sie dazu etwas anderes als ihren Kopf gebrauchen. Eddie drückte die Kippe in dem überquellenden Aschenbecher aus und zahlte seine Zeche, nachdem er den Cognac in einem Zug runtergekippt hatte. Himmel, war ihm jetzt flau. Ihm war, als habe sich eine unsichtbare dicke Glaswand zwischen ihn und das Mädchen geschoben. Alles schien weit weg und damit völlig belanglos. Dennoch tastete er sich zu seinem Wagen.

Carla war ihm gefolgt. »Laß mich fahren!« protestierte sie heftig, als sich Eddie hinter das Lenkrad des Benz klemmen wollte.

Jablonski murrte. Doch nachdem er in sich hineingehorcht und dort nichts weiter als ein saures Aufstoßen entdeckt hatte, willigte er schließlich ein. Er wollte endlich seine Ruhe haben und, wenn es sich einrichten ließ, noch ein paar Bier hinter die Binde gießen.

Sie hatte keine Schwierigkeiten, den Diesel zu ihrer Wohnung zu kutschieren. Eddie nickte auf dem Beifahrersitz ein. Er hatte sich den Trenchcoat enger um die Schultern gezogen, während sein Kopf auf die Brust sank.

Als Carla den Motor abstellte, schreckte Jablonski aus seinem Halbschlaf hoch. Eddie gähnte. Angewidert zog er die Augenbrauen hoch, als er entdeckte, daß er vor einer dieser Mietskasernen gestrandet war, die eifrige Stadtväter in den fünfziger Jahren mit viel Beton und wenig Mörtel in die Innenstädte klotzen ließen. Er wehrte sich nicht, als ihn das Mädchen unterhakte und die drei Treppen zu ihrer Wohnung hinaufschleppte. Nur mit allergrößter Mühe gelang es ihm, sich auf die Stufen zu konzentrieren. Für einen kurzen Moment schwanden ihm die Sinne, ihm war, als habe jemand in einer rasenden U-Bahn das Licht ausgeknipst. Sein Magen hatte sich zwar etwas beruhigt, dafür fuhren in seinem Kopf die Gedanken Achterbahn. Er sah und hörte eine Horde wild gewordener Gartenzwerge, die miteinander kopulierten, kicherten, laut gröhlten und sich gegenseitig Zoten erzählten. Jablonski nahm die Umrisse der Möbel und die Form des Zimmers, in das ihn Carla gebracht hatte, nur schemenhaft war. Das Mädchen bugsierte ihn zu einer Couch, nachdem sie ihm geholfen hatte, seinen Trenchcoat auszuziehen.

»Ein Bier«, rülpste Eddie aus der Horizontalen, während er die Schuhe von seinen Füßen streifte und sich der Länge nach auf der Chaiselongue ausstreckte.

»Jablonski, bitte, reiß dich zusammen, wir wollten doch noch über den Artikel …«

»Später …«, murmelte Eddie, kniff die Augen zusammen und fixierte einen imaginären Punkt an der Zimmerdecke.

»Das ist ja wohl das Letzte!« wütete Carla, eilte in die Küche und kam bald darauf mit einem Pils zurück, das sie ihm angewidert entgegenstreckte. Sie hockte sich auf einen Sessel und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Jablonski trank in langen gierigen Schlucken, bölkte laut und deutlich, bevor er sich auf die Seite rollte und die Augen schloß.

»Mistkerl!« zischte Carla zornig, ballte die Fäuste, sprang auf und stampfte mit den Füßen auf den Boden und verließ wütend das Zimmer.

Schrebergarten Blues

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