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1. Zwischen Glaube und Halbherzigkeit
Оглавление(1. Mose 12, 1-9)
Ich möchte Sie einladen auf eine Reise durch Raum und Zeit.
Eine Reise durch den Raum: etwa 4000 Kilometer in südöstlicher Richtung – damit befinden wir uns im heutigen Irak – und eine Reise durch die Zeit: etwa 4000 Jahre rückwärts, mitten hinein in das Reich der alten Sumerer.
Unser Ziel ist die Stadt Ur, eine der Hauptstädte des Reiches. Sie liegt an den Ufern des Euphrats und war die Stätte einer frühen Hochkultur. Hier wurden das Rad und der Pflug erfunden, hier wurden hohe Türme gebaut, die dazu dienten, die Sterne zu beobachten und die Götter des Himmels zu verehren, besonders den Gott des Mondes. Hier steht die Wiege der Astrologie, des Glaubens an die Macht der Sterne, der auch noch in unserer Zeit viele Menschen anspricht.
In dieser Umgebung treffen wir auf einen Mann, der viel später als der „Vater des Glaubens“ bezeichnet werden soll. Die Rede ist von Abraham, auf den sich immerhin drei Religionen beziehen, das Judentum, das Christentum und auch der Islam. Sie alle sehen Abraham als einen geistigen Vater an.
Vielleicht erinnern Sie sich: Vor einiger Zeit haben wir für ein Projekt in Israel gesammelt, das den Namen „Abrahams Herberge“ trägt. Dort kommen jüdische, christliche und muslimische Jugendliche zusammen. Der Name ist bewusst gewählt, denn Abraham ist etwas, das diese drei Religionen gemeinsam haben.
Wer war dieser Abraham, was wissen wir von ihm, und vor allem, was können wir für unser eigenes Glaubensleben von ihm lernen?
Diesen Fragen möchte ich in einer neuen Predigtreihe nachgehen, die heute beginnen soll. Wir wollen den biblischen Berichten über Abraham und seinen Abenteuern nachspüren und dabei die Spuren Gottes in unserem eigenen Leben entdecken. Die dazugehörigen Texte finden Sie im ersten Buch der Bibel, genannt „Genesis“ oder einfach „1. Buch Mose“; in den Kapiteln 12-18.
Abraham kam etwa 2000 Jahre vor Christi Geburt in der Stadt Ur, im heutigen Irak, zur Welt. Über die genaue Datierung streiten sich die Gelehrten; für unser Thema tut sie nichts zur Sache.
Sein ursprünglicher Name lautete „Abram“ – das heißt etwas flapsig übersetzt: „Vater ist der Beste“, genauer „Vater ist hoch“. Vielleicht hat es sein Vater genossen, wenn er nach einem langen Tag den Sohn zum Essen gerufen hat mit den Worten: „Vater ist der Beste!“
Dieser Vater, dem Abram seinen Namen verdankt, hieß selbst Terach und hatte noch zwei weitere Söhne. Aus irgendeinem Grund brach er eines Tages mit seiner ganzen Sippschaft von Ur auf, um ins Land Kanaan zu ziehen. Es wird nicht ganz klar, was ihn zu dieser einschneidenden Entscheidung veranlasst, aber an zwei Stellen (1. Mose 15, 7 und Apostelgeschichte 7, 2) berichtet die Bibel, dass Gott in Ur zu Abraham gesprochen und ihn auf die Reise geschickt hat. Vielleicht lässt sich es sich so zusammenreimen, dass Abram seinen Vater mit Erfolg dazu überredet hat, Ur zu verlassen – wir wissen es nicht genau.
Auf jeden Fall beschließt Terach, als das Sippenoberhaupt, mit seiner ganzen Familie nach Kanaan umzusiedeln. Das war ein anspruchsvoller Plan, denn es galt, gut tausend Kilometer Luftlinie zu überbrücken. Da Terach nicht mit Sack und Pack die arabische Wüste durchqueren wollte, folgte er einer der alten Handelsstraßen, die am Ufer des Tigris entlang führten.
Dieser Weg war zwar wesentlich länger, aber dafür sehr viel angenehmer und ungefährlicher.
Die Bibel erzählt uns, dass ihre Reise sie bis nach Haran führte. Das liegt im Süden der heutigen Türkei. Dort blieb die Sippe dann irgendwie hängen.
Es war nicht so, dass sie nicht mehr weiterkonnten, weil sie einen Unfall gehabt hätten oder zu schwach für die Weiterreise waren, sondern sie haben es anscheinend einfach aufgegeben, ihr Ziel weiter zu verfolgen. Stattdessen richteten sie sich in Haran häuslich ein – und es lässt sich erschließen, dass es ihnen dort ganz gut gegangen ist. Sie brachten es zu Ansehen und Wohlstand.
Für mich steckt darin eine handfeste Symbolik.
Kanaan, das ist das Land des Glaubens. Ur in Chaldäa ist die Hochburg des Heidentums. Nun spricht Gott einen Menschen an, der im Bannkreis des Aberglaubens lebt. Er sagt ihm: „Trenne dich von diesen Dingen und leb mit mir, dann wirst du es viel besser haben!“ Und tatsächlich setzt sich der Mensch in Bewegung. Er wagt einen gewaltigen Schritt. Er lässt alles hinter sich, was sein Leben bislang geprägt hat und geht los. Aber dann, etwa auf der Hälfte der Reise, erlahmen die Kräfte, die Begeisterung lässt nach. Er verliert das Ziel aus den Augen, sagt, „ach, was soll ich noch weiter gehen, hier ist es doch auch ganz nett“ – und richtet sich häuslich ein in Haran, im Lande der Halbherzigkeit.
Manch einer lässt sich ansprechen von Jesus. Er öffnet ihm sein Herz, sagt: „Ja, ich will es wagen, ich will zu Jesus gehören, ich will als Christ in dieser Welt leben“, und geht los. Er verlässt das Land des Heidentums. Er sagt sich los vom Aberglauben, er wirft seinen Talisman weg und die Tarotkarten und die Musik, von der er weiß, dass sie den Satan verherrlichen will; er trennt sich von alten Freunden, die mit Drogen und Geisterbeschwörungen zu tun haben, er lässt all diese Dinge hinter sich, die vorher sein Leben bestimmt haben und macht sich auf den Weg in das Land des Glaubens.
Anfangs läuft alles prima, er engagiert sich in der Gemeinde, er macht tolle Erfahrungen mit Gott, er erlebt, dass Gebete erhört werden – aber irgendwann erlahmt sein Schwung.
Die Wüstenzeit fängt an. Das ist oft so im Glauben. Nach einer anfänglichen Hoch-Zeit kommt unweigerlich eine Wüstenzeit, in der es darum geht, Geduld zu lernen. Gott prüft uns: „Was ist dir wichtiger, die Beziehung zu mir oder meine Geschenke? Bleibst du mir auch dann noch treu, wenn die Dinge schwieriger werden?“
Das ist hart, Gott scheint weit weg zu sein, nichts bewegt sich so recht und man beginnt sich zu fragen, ob man nicht einem gewaltigen Irrtum erlegen ist, als man beschlossen hat, Jesus zu folgen.
Gut, wenn man in solchen Zeiten eine Gemeinschaft hat, die einen trägt. Christliche Freunde oder ein Hauskreis oder erfahrene Christen, die einen ermutigen und immer wieder sagen: „Bleib dran, es lohnt sich, Wüstenzeiten gehen auch wieder vorbei!“
Die große Versuchung in solchen Zeiten besteht darin, sich in Haran niederzulassen, im Lande der Halbherzigkeit, und zu sagen: „Ach was soll’s, ich bin doch getauft und konfirmiert und sogar bekehrt, das können nicht viele von sich sagen, warum soll ich mich weiter abmühen? Es gibt noch andere schöne Dinge im Leben als den Glauben, auf die will ich mich jetzt konzentrieren.“ Oft sieht man in solcher Lage dann ein wenig herab auf die jungen Christen, die noch voller Begeisterung stecken: „Ja, ja, so war ich auch mal – aber glaubt mir, das gibt sich mit den Jahren!“
Haran ist ein gefährlicher Ort. Gerade weil es sich dort nett und bequem leben lässt. Es ist der Ort der Gleichgültigkeit, der Ort der Selbstrechtfertigung. Wer dort lebt, ist nicht Fisch und nicht Fleisch, ist nicht heiß und nicht kalt, er ist lau. Ungenießbar.
Abram hängt fest in Haran, wo sein Vater, das Oberhaupt der Sippe, die Reise zu Ende gehen ließ. Es geht ihm gut dort. Viele Jahre haben er und seine Familie an diesem Ort gelebt, haben sich eingewurzelt, nette Nachbarn gefunden und es zu Ansehen und Reichtum gebracht. Aber schließlich kommt der Tag, an dem Terach stirbt.
Kurze Zeit später hört Abram die Stimme Gottes: „Geh Abraham. Verlass deine Heimat und deine Verwandtschaft und geh in das Land, das ich dir zeigen werde!“
Dieser Auftrag ist die totale Zumutung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Abram gleich begeistert davon war. Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, hätte ich vermutlich erst einmal versucht, mit Gott zu diskutieren:
„Gott, das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Doch, das ist mein Ernst!“
„Woher weiß ich denn, dass es wirklich von dir kommt und nicht bloß meine eigene Einbildung ist?“
„Du weißt, dass es von mir kommt.“
„Aber wieso sollte ich das hier aufgeben? Alles was ich habe, sind Geschenke von dir, das kann doch nicht plötzlich alles schlecht sein!“
„Das ist auch nicht schlecht, aber jetzt sollst du es loslassen.“
„Aber es wäre die pure Verschwendung, alles aufzugeben, das kannst du doch nicht wollen!“
„Was ist dir wichtiger: ich oder meine Geschenke?“
„Dann sag mir wenigstens, wohin die Reise gehen soll!“
„Das wirst du noch früh genug erfahren. Fürs Erste möchte ich, dass du einfach die Schritte tust, die ich dir zeigen werde. Sieh nicht auf das, was du zurücklassen musst. Sieh auf meine Verheißungen!“
„Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“
(1. Mose 12, 2-3)
Gott verspricht Abram nichts weniger, als dass er zu einer Schlüsselfigur der Heilsgeschichte werden soll. Und wir können zweifelsfrei feststellen, dass dies auch eingetroffen ist. Noch 4000 Jahre später kennen Milliarden von Menschen den Namen Abrahams – während die Könige und Fürsten seiner Zeit, die sich für große Leute gehalten haben, längst vergessen sind. Oder kennen Sie den Namen eines sumerischen Potentaten?
Noch konnte Abram das nicht wissen. Er hatte nichts als das Versprechen, das Gott ihm gegeben hatte, und konnte nur hoffen, dass dieser sein Wort auch halten würde.
Er wusste nichts über Gott. Die Bibel war ja noch nicht geschrieben. Alles was Abram kannte, waren die heidnischen Kulte seiner Umwelt. In Ur und in Haran wurde der Gott des Mondes verehrt. Aber Abram spürte, dass die Stimme, die er hörte, mit diesen Dingen nichts zu tun hatte. Dies war etwas anderes. Hier ging es nicht um irgendeinen stummen, fernen Götzen, dem man Opfer brachte und anschließend auf sein Wohlwollen hoffte. Dieser Gott war lebendig und schien ihn genau zu kennen. Er hatte zu ihm geredet und dabei an einem wunden Punkt in seinem Leben gerührt. Hatte er nicht gesagt: „Ich will dich zu einem großen Volk machen“?
Der sehnlichste Wunsch von Abram und seiner Frau Sarai war es, ein Kind zu bekommen. Im Grunde hatten sie die Hoffnung schon lange aufgegeben. Sarai war unfruchtbar, damit hatten sie sich abgefunden. Aber der Stachel war geblieben. Es tat weh, mitzuerleben, wie die Kinder ihrer Freunde heranwuchsen und sie selbst allein blieben. Es tat weh – zumal in einer Gesellschaft, in der die Altersversorgung ausschließlich über die Nachkommen erfolgte und in der die Ehre eines Mannes von der Anzahl seiner Söhne abhing.
Nur Gott kannte die vielen Gebete, die Abram und seine Frau in dieser Sache gesprochen hatten, nur er wusste um die heimlichen Gedanken Abrams, in denen er sich fragte, ob er für irgendetwas bestraft werden sollte.
Und nun hatte Gott zu ihm gesprochen und ihm eine persönliche Verheißung gegeben! Abram entschloss sich, dem Ruf zu folgen. Er packte seine Sachen und zog los. Mit ihm kamen Sarai, seine Frau, Lot, sein Neffe, und ein ganzer Schwung Knechte und Mägde.
Nach langer Reise erreichten sie endlich das Land Kanaan. Gespannt warteten sie darauf, dass Gott ihnen weitere Anweisungen gab. Aber es passierte – gar nichts. Kreuz und quer durchzog Abram das Land und wartete auf Gottes Reden. Nichts. Immer wieder vertröstete er seine Leute, die zunehmend ungeduldiger wurden: „Wartet es ab, Gott wird sich schon melden, er wird uns schon sagen, wie es weitergeht!“
Ich bewundere diese Geduld. Sie zeigt, wie tief der Glaube Abrams war.
Warten müssen auf Gott ist alles andere als einfach. Es ist eine Prüfung. Und viele Menschen bestehen diese Prüfung nicht. Sie fangen an zu zweifeln, werden ungeduldig, und werfen irgendwann ihren Glauben weg nach dem Motto: „Das hat alles keinen Zweck. Es passiert ja doch nichts, wenn ich bete.“
Wie wir noch sehen werden, hat Abram in seinem Leben häufiger lange Wartezeiten, lange Prüfungszeiten durchstehen müssen. Nur so konnte er zum Vater des Glaubens heranreifen. Doch als es an der Zeit war, durfte Abram die Früchte seiner Geduld ernten. Ihm wurde etwas zuteil, was nur wenige Menschen zu Lebzeiten erfahren dürfen. Gott zeigte sich ihm:
„Da erschien der HERR dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben. Und er baute dort einen Altar dem HERRN, der ihm erschienen war.“
(1. Mose 12, 7)
Abram steckt mittendrin in einem großen Abenteuer. Sein Leben hätte in Haran ruhig und friedlich weitergehen können, er hatte es zu etwas gebracht, hatte Wohlstand und Ansehen erreicht. Aber als Gott in sein Leben hineinkam, tat sich eine neue Dimension auf. Jetzt begriff Abram, dass diese Dinge gar nicht so wichtig sind. Nun erlebte er die Erfüllung und Befriedigung, die nur der lebendige Gott schenken kann – und nicht für alles Gold der Welt hätte er diese Erfahrung eintauschen mögen.
Diese Erfahrung wünsche ich uns für diese Predigtreihe. Ich wünsche uns, dass wir bei Abram ganz neu den Glauben kennenlernen, dass wir uns neu auf den Weg machen ins Land des Glaubens, dass wir nicht hängenbleiben im Lande der Halbherzigkeit sondern aufbrechen und Abenteuer erleben!
Amen.