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Vorwort

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Der erste Brief kam, bevor mein Buch überhaupt erschienen war. Andrea N. schrieb mir im Dezember 2003, als ich gerade an den letzten Kapiteln von »Lass mich die Nacht überleben - Mein Leben als Journalist und Junkie« schrieb. Mein erstes Buch, in dem ich meine eigene Drogengeschichte erzählt habe, von den Anfängen in Erkelenz, einer Kleinstadt nahe der holländischen Grenze, bis hin zu den letzten Jahren, in denen ich schwer heroinabhängig war und gleichzeitig in Hamburg als Journalist gearbeitet habe, unter anderem für »Spiegel« und »Zeit«. Da Andrea N. Inhaberin eines kleinen Buchladens ist, hatte sie durch die Ankündigung des Verlages schon Monate vor der Veröffentlichung von meinem Buch erfahren. »Gratulation, dass Sie zu dieser Aufarbeitung fähig waren und noch mehr, dass Sie jetzt ein Leben ohne Sucht führen«, hieß es in ihrem Brief. »Ich habe viele Jahre geglaubt, dass es auch mein Mann schaffen würde. Leider vergebens. Er hat diese Nächte nicht überlebt.«

Nachdem dann im Frühjahr 2004 »Lass mich die Nacht überleben« erschienen war, haben mir dutzende von Lesern ihre Erfahrungen mit Drogen und Sucht erzählt, in Briefen, E-Mails, privaten Gesprächen und auf Lesungen im ganzen Land. Menschen aller Altersgruppen, aus allen Schichten und Regionen haben mir von ihrer eigenen Abhängigkeit oder der ihrer Angehörigen berichtet, von Alkoholismus, Essstörung, Drogensucht oder Selbstverletzung.

Drogen und Sucht schienen mir mit einem Mal wieder allgegenwärtig. Mein türkischer Gemüsehändler in Hamburg erzählte mir von seinen Erfahrungen mit Heroin, ein Taxifahrer in Wien, der mich vom Flughafen zu meinem Hotel fuhr, von seinem Opiumkonsum. Und der Trainer in dem Fitnessstudio, in dem ich seit mehr als einem Jahrzehnt trainiere, eröffnete mir, dass er, Anfang fünfzig und Familienvater, seit ungefähr dreißig Jahren jeden Abend kifft. Ich traf Kollegen aus den Medien und der Werbung, sogar einen ehemaligen Bundesminister, die mir alle von ihren Erfahrungen mit Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und süchtigen Familienmitgliedern oder Freunden berichteten. Der Theaterregisseur, der mein Buch für die Bühne adaptierte, der junge Schauspieler, der das Hörbuch las - auch sie haben ihre persönliche Geschichte von Rausch und Sucht. Es sind Erfahrungen, die ihr Leben noch heute beeinflussen. Sucht beginnt weder mit dem ersten Konsum der Droge, noch endet sie nach dem letzten Druck, dem letzen Schluck.

Zwei Jahrzehnte hat meine eigene Heroinabhängigkeit mein Leben geprägt, trotzdem war ich überrascht, wie sehr die Sucht den Alltag vieler Menschen in diesem Land bestimmt, wie häufig das damit verbundene Leid und die Verzweiflung schamhaft verborgen werden müssen und wie schwer es für die Betroffenen ist, sich offen mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Sogar diejenigen, die in Lesungen das Gespräch gesucht haben, häufig Eltern, Lehrer oder Freunde von Drogenkonsumenten, haben oft ihr Unverständnis und ihre Hilflosigkeit geäußert und waren in ihrem Denken und Reden über Rausch und Sucht häufig von Vorurteilen und Klischees geprägt.

»Sucht hat immer eine Geschichte« lautet ein Leitsatz der Suchtprophylaxe. In diesem Buch habe ich versucht, einige dieser Suchtgeschichten zu erzählen, unterschiedliche Wege in die Sucht - und manchmal auch wieder heraus. Es wurde eine Reise durch ein suchendes und oftmals süchtiges Land.

Dr. Henrik Jungaberle, Wissenschaftler und Therapeut am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg, hat als Koordinator der RISA-Studie über vier Jahre die Konsummuster von Benutzern psychoaktiver Substanzen erforscht. Er ist zu sehr differenzierten Ergebnissen gelangt und hat alternative Konzepte für den Umgang mit Konsumenten, für Prävention und Therapie entwickelt. Er hat die Aufgabe übernommen, die geschilderten Einzelschicksale im Gespräch mit mir in einen größeren Zusammenhang zu stellen und die Mechanismen von Rauschmittelkonsum und Abhängigkeit sowie generelle Merkmale von süchtigem Verhalten an diesen Beispielen zu verdeutlichen.

Jörg Böckem

Dezember 2005

Danach war alles anders

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