Читать книгу Achtsam führen (E-Book) - Jörg Krissler - Страница 7

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Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen

Herausforderung des Marktes

Schnelle und tiefgreifende Veränderungen bewegen die Wirtschaft. Das Arbeitsumfeld ist zunehmend geprägt von Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit. Die Menschen unterscheiden kaum mehr zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen. Entsprechend verschmelzen die Bereiche miteinander. Bislang markierten Arbeit (Work) und Freizeit (Life) zwei Pole, zwischen denen es die Balance zu halten galt. Diese klare Dualität löst sich in eine Multidimensionalität auf, die alles möglich macht und uns gerade dadurch überfordert. In allem und jedem die Wahl zu haben, kann Menschen befriedigen und sie in ihrem Selbst bestätigen. Viele verlieren sich aber in der Gesamtheit der Optionen; sie sehnen sich nach einer einfachen Ordnung, die sie verstehen.

Die Bedeutung von Arbeit hat sich stark gewandelt und damit auch die Erwartung an Arbeitgeber, die Unternehmen. In Branchen mit Fachkräftemangel buhlen Arbeitgeber ideenreich um die verfügbaren Talente, und zwar um neue Mitarbeitende wie auch um Führungspersonen. Den Slogan «We like to entertain you» kennen wir aus der Unterhaltungsbranche. Firmen, die diese Haltung übernehmen, werden es leichter haben, vor allem junge Menschen für eine Zusammenarbeit zu begeistern. Das versprochene Entertainment wird in Form einer außergewöhnlichen Beziehungskultur, eines ausgeprägt attraktiven Arbeitsplatzes, besonders flexibler Zeitmodelle oder spezifischer individueller Rahmenbedingungen eingelöst. Der Kreativität sind diesbezüglich kaum Grenzen gesetzt. Der Arbeitsplatz wird zu einer Dienstleistungsdrehscheibe der Selbstverwirklichung – für jene, die es verstehen, aufzuspringen und sich dem Tempo anzupassen. Dem gegenüber berufen sich vor allem ältere Arbeitnehmende eher auf Stabilität und Kontinuität, was ebenfalls eine wichtige Qualität darstellt. Das Nebeneinander von Modellen, Kulturen und Anschauungen am Arbeitsplatz ist die große Herausforderung unserer Zeit. Es ist nicht einfach, so viele unterschiedliche Energien in Einklang zu bringen.

Dessen müssen sich Menschen, die die Führung eines Unternehmensbereichs übernehmen möchten, gewiss sein. Sie sollten sich auf die Pluralität einlassen und die individuellen Bedürfnisse der Angestellten befriedigen oder zumindest darauf eingehen können. Sie müssen einigen Mitarbeitenden klare Strukturen bieten, anderen maximale gestalterische Freiheit lassen, damit sie ihre volle Leistung erbringen können. Es wollen alle in ihrer Persönlichkeit abgeholt werden, den Sinn ihrer Arbeit erkennen und dabei möglichst Spaß erleben. Fun wird für Unternehmen zum bedeutenden Wettbewerbsfaktor. Zudem kommen der Wertegestaltung und der Klärung des höheren Unternehmenszwecks, des Purpose, in den Firmen eine immer größere Bedeutung zu. Arbeitnehmende können in einem transparenten Markt klären, welche Rahmenbedingungen ihren Interessen am meisten entsprechen und bei wem sie sich am ehesten in ihrem Sinn entfalten. Neben dem, dass Führungsverantwortliche ihre Angestellten für eine gemeinsame Unternehmensidee begeistern müssen, sollten sie auch den eigenen Ansprüchen genügen und einen haushälterischen Umgang mit ihren Energieressourcen finden.

Die langjährige Firmentreue hat in den meisten Fällen ausgedient. Sie hält so lange, wie sie den subjektiven Interessen nutzt. Aufgrund der komfortablen Marktsituation und veränderter Wertevorstellungen können Mitarbeitende diese Überprüfung laufend neu vornehmen.

Die zunehmende Komplexität des Marktes hat zur Folge, dass Hierarchien weiter abflachen und die Steuerbarkeit von oben durch die Führung an Bedeutung verlieren wird. Ansätze der detailorientierten Regulierung als Versuch, das Chaos zu beherrschen, sind oft gut gemeint, können den Anforderungen des Marktes und seiner Player aber nicht gerecht werden. Hierarchie könne nicht mit Komplexität umgehen, sagt der Wirtschaftsphilosoph Frederic Laloux.1 Er appelliert stattdessen an die kollektive Intelligenz. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Sinnhaftigkeit. Laloux rät Führungspersonen, die innere Stimme (und die innere Stimmigkeit) als Kompass zu nutzen. Sie müssen zunehmend lernen, mit Unsicherheiten umzugehen und hierfür vorhandene Ressourcen zu nutzen. So entwickeln sich Flexibilität, Agilität, Ambiguitätstoleranz zu zentralen Führungsqualitäten. Solange ein klarer Unternehmenszweck formuliert ist, also eine übergeordnete Ordnung zur Verfügung steht, lässt sich viel Ungewisses aushalten. Sinnhaftigkeit hilft über Verunsicherung hinweg.

Intuition und Kreativität rücken in den Vordergrund, und zwar am besten ausgeweitet auf ganze Organisationseinheiten unter zutrauendem Einbezug jeglicher Kompetenzen aller Mitgestalterinnen und Mitgestalter. Menschen wollen Wirkung erzielen. Dafür sind aktuell die besten Voraussetzungen gegeben, insbesondere wenn die individuellen Bedürfnisse respektvoll berücksichtigt und in Balance mit den Unternehmensinteressen gebracht werden.

Die Megatrends der letzten Jahre beeinflussen den Markt maßgeblich, sie sind umfassend und wälzen so ziemlich alles um. Entsprechend ändern sich die Anforderungen an Führungspersonen. Zu diesen Megatrends zählen die Digitalisierung sowie die Individualisierung und Konnektivität.

Digitalisierung

Mit der Digitalisierung erleben wir einen der fundamentalsten Megatrends der Gegenwart. Orientierten wir uns früher an topografischen Gegebenheiten und den Grenzen körperlicher Leistungsfähigkeit, so scheinen durch digitale Systeme und die durch sie simulierte Gleichzeitigkeit die Grundstruktur unseres Daseins – Raum und Zeit – quasi überwunden. Das bedeutet, dass unsere Eigenverantwortlichkeit exponentiell steigt.

Was das für welche Branchen konkret bedeutet, wird sich erst noch zeigen. Einige Unternehmen oder Unternehmensbereiche befinden sich in einer (Teil-)Transformation in Richtung künstlicher Intelligenz. Prozesse werden schlanker, bei konstant höchster Qualität des dadurch erzielten Produkts, wohlverstanden. Cloud-Computing macht die eigenen Prozesse permanent vergleich- und messbar. Maschinen haben einst unsere manuelle Arbeitskraft ersetzt, nun haben es die künstlich intelligenten Roboter auf unser Hirn abgesehen. Das gleicht einem Frontalangriff auf unser Denken, auf ein zentrales Merkmal menschlichen Seins. «Ich denke, also bin ich», das wissen wir seit Descartes. Hat das noch Gültigkeit, wenn künftig auch Maschinen denken können? Unser übergeordnetes Verständnis des Menschseins wird arg infrage gestellt. Was außer der Denkfähigkeit definiert uns noch als Menschen? Auf diesem Hintergrund ist das Bedürfnis nach dem, was urmenschlich und deshalb einzigartig ist, umso größer. Was zählt, sind Individualität und eine kreative Entwicklungskultur, die sich nicht an bisherigen Idealen oder Erfahrungen der Vergangenheit orientieren will. Möglichst anders sein als die anderen, so lautet das Credo. Organisationen, die dem gerecht werden, in denen Mitarbeitende zu Mitgestaltern werden, sind solche, in denen Fehler zuweilen passieren müssen, um weiterzukommen. Was aber falsch ist und was kreativ, ist immer wieder neu zu klären. Hier einen Weg – die Balance – zu finden, gelingt nur durch einen engen Kontakt der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden.

Der Gegenentwurf ist die Kopie der unfehlbaren Maschine wie der Produktionsroboter, an den keine menschliche Leistung heranreicht. Dazwischen liegt das aus dem Spitzensport bekannte Modell. Computer ermitteln für Schwimmerinnen und Skispringer individuell die perfekte Bewegungsabfolge und Schwimm- beziehungsweise Fluglage. Hier muss der Mensch zwar maschinenähnlich werden, wenn er Erfolge erzielen will, aber letztlich ist es doch seine Eigenheit, durch die sich das Individuum von anderen abhebt. Niemand würde vor dem Fernseher sitzen wollen, um Maschinen sich im Wettkampf messen zu sehen.

Für die Wirtschaft ergeben sich drei mögliche Varianten von Zielzuständen.

1.Mitarbeitende werden als Menschen anerkannt. Sie denken mit und handeln individuell. Fehler sind erlaubt und werden sogar ermöglicht. Der Prozess und das Erreichte werden evaluiert, damit sich Schlüsse ziehen lassen. Hier sprechen wir von einer lernenden Organisation.

2.Fehler sind möglichst zu vermeiden, individuelle Entscheidungen höchstens geduldet. Die Mitarbeitenden funktionieren weitgehend wie Maschinen und sind deshalb in ihrer Position durch digitale Technologien zunehmend bedroht.

3.Gefragt ist rein rationales, fehlerfreies Handeln, das konstante Resultate erzielt. Darin sind Maschinen zuverlässiger als Menschen, die deshalb durch die voranschreitende Digitalisierung bald ersetzt werden.

In einem ersten Schritt mag es einfacher sein, sich an Erprobtem und Bewährtem zu orientieren. Wer es wagt, sich davon zu lösen, ermöglicht neue, kreative Gedanken und Ideen. Eine humane Führung setzt auf die Innovationskraft von (fehlbaren) Menschen. Je nach Geschäftssituation kann es natürlich sinnvoll sein, auf die zweite oder dritte der aufgezählten Varianten zu setzen. Es erfordert einige Klarheit von Vorgesetzten, dies zu erkennen und innerhalb eines strategischen Prozesses beziehungsweise im Sinne von einzelnen operativen Entscheidungen anzuwenden. Erfahrene Führungskräfte klären immer wieder neu, wo es zuverlässiger Präzision bedarf oder wann neue Denkansätze out of the box einen Mehrwert bringen. Grundsätzlich bestehen jene Unternehmen auf dem Markt, die Individualität vorziehen und repetitive Aufgaben der Technologie überlassen, weil sie dies innovativ und für die heutigen Verhältnisse agil genug macht.

Leitfragen und Notizen

Worin unterstützen mich digitale Technologien besonders?

Wie gut gelingt es mir, die Möglichkeiten der Digitalisierung maßvoll zu nutzen?

Wo möchte ich ganz bewusst «analog» handeln?

Individualisierung und Konnektivität

Wenn sich Kulturen zueinander hinbewegen, entsteht, sobald zu große Unterschiede aufeinanderprallen, das Bedürfnis nach Abgrenzung und Individualität. Megatrends wie Individualisierung und Konnektivität stehen öfter in Konkurrenz zueinander, können sich aber auch ergänzen.

Individualität ist die Freiheit, für sich selbst zu wählen und Sinn zu stiften. Der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl formuliert das so:

Nun, wovon der Mensch zutiefst und zuletzt durchdrungen ist, ist weder der Wille zur Macht noch ein Wille zur Lust, sondern ein Wille zum Sinn. Und auf Grund eben dieses seines Willens zum Sinn ist der Mensch darauf aus, Sinn zu finden und zu erfüllen, aber auch anderem menschlichen Sein in Form eines Du zu begegnen, es zu lieben. Beides, Erfüllung und Begegnung, gibt dem Menschen einen Grund zum Glück und zur Lust. (…) Zur Ausbildung des Willens zur Lust beziehungsweise des Willens zur Macht kommt es jeweils erst dann, wenn der Wille zum Sinn frustriert wird … 2

Jüngeren Generationen stehen heute Angebote zur Verfügung, die an das Prinzip des permanent sich expandierenden Universums erinnern. Abwechslung und Spaß werden zu vordergründigen Resonanzkörpern in einer unübersichtlichen Welt. Verantwortung zu übernehmen, ist in Ordnung, aber nicht um jeden Preis. Diese wird sehr gerne delegiert. Dem Drang nach individuellem Sinnerleben steht mit der Konnektivität eine Herausforderung gegenüber, die ohne Verantwortungsübernahme nicht gelingen kann. Der nach innen wie auch nach außen gerichteten Sinnhaftigkeit kommt eine Schlüsselqualität zu, weil durch sie das eigene Erleben mit dem übergeordneten System abgeglichen wird. Aus Sicht der Unternehmung schafft die Sinnhaftigkeit eine Metaordnung, die stabilisiert, motiviert und zudem einen wirtschaftlichen Nutzen generieren kann. Die Work-Life-Balance ist zum geläufigen Begriff geworden. Die ihm implizite Polarität ist allerdings irreführend. Als ob es eine Arbeit ohne Leben, ein Leben ohne Arbeit geben würde. Die Pole haben sich längst in einer Multidimensionalität von Aktivitäten aufgelöst. Darin zeigen sich unter anderem die veränderten Werte und Bedürfnisse jüngerer Generationen. Es ist zur Herausforderung geworden, dem stetig zunehmenden Angebot gewachsen zu sein. Die permanente Abrufbarkeit hängt stark mit der allgegenwärtigen Vernetzung zusammen.

Die Konnektivität bietet zweifelsohne Vorteile, weil sie Auseinandersetzung von Einzelnen in der regionalen bis globalen Gemeinsamkeit ermöglicht. Erst dadurch erhält das eigene Erleben die nötige Resonanz und erfährt Bestärkung oder Widerstand. Meinungen können gespiegelt und kontrovers diskutiert werden. So geschieht Entwicklung, also auch das moderne Lernen.

Aber es besteht ein großer Druck, dem Vergleich mit den Kolleginnen und Kollegen standhalten zu können. Multitasking ist in. Das ist im Freizeitverhalten wie in beruflichen Kontexten problematisch. Beunruhigend, dass Menschen, die chronisch Multitasking betreiben, annehmen, sie seien gut darin.3 Erwiesenermaßen steigt nämlich die Fehlerquote bei der gleichzeitigen Konzentration auf mehrere Dinge deutlich, und für die einzelnen Arbeiten braucht es mehr Zeit. Wie die möglichen Konsequenzen in Freizeit und Beruf aussehen, können wir uns ausmalen. Es würde sich in jeder Hinsicht lohnen, etwas mehr Ruhe in die Sache zu bringen, konsequenterweise auch in der Freizeit. Schmidt-Tanger schreibt:

Zielstrebigkeit, Tatkraft und Schnelligkeit haben wir genug. Was wir brauchen, sind Vorbilder für verlorene Dimensionen unseres Daseins: Zeit haben, loslassen, sich der Welt überlassen, sich vertiefen, Ruhe, Sammlung und Empfänglichkeit. Nicht umsonst ist das Kloster ein beliebter Urlaubsort für Manager! Entziehen Sie sich der Droge des dauernden Tätigseins, eignen Sie sich das Leben wieder an. Ihre daraus resultierende Anziehungskraft für andere wird Sie überraschen. Dann würde man Ihnen ansehen, dass Sie gerne Leben und Ihr Vermögen aus Zeit und Zufriedenheit besteht.4

«Halbe Kraft voraus» lautet ein Artikel in der Wirtschaftszeitung «Bilanz». Darin steht: «Wenig Stress, viel Freizeit, Aufstieg nicht um jeden Preis: Der Schweizer Nachwuchs stellt hohe Ansprüche an den Job. Zu hohe, meinen viele. Wird die Wohlstandsinsel Schweiz zum Wettbewerbsnachteil?»5 Heißt: zuerst die Freizeit, die Life Balance. «Klar will ich gut verdienen. Oberste Priorität hat aber meine Gesundheit», wird in der «Bilanz» eine junge Studentin aus dem Bereich Business Communication in Bern zitiert.6

Das Geld allein bewegt heute in der Wirtschaft kaum jemanden mehr. Es rücken Werte, persönliche Beweggründe und Bedürfnisse in den Vordergrund. Diese sollten erkannt und akzeptiert werden, damit sich bei gewahrter Individualität ein Gefühl von Verbundenheit einstellt. Führungskräfte müssen alle Mitarbeitenden auf fachlicher wie auf persönlicher Ebene achten und schätzen. Menschen, die sich mit ihren Vorgesetzten und in ihrem Team wohlfühlen, fühlen sich in der Regel auch mit ihrer Arbeit wohl.

Leitfragen und Notizen

Wo nutze ich die Möglichkeiten der Individualisierung im Alltag?

Wo stehe ich eher für lokale Vernetzungen ein?

Wie ermögliche ich Individualisierung und Konnektivität?

Rahmenbedingungen der Unternehmung

Die strategische, strukturelle und kulturelle Ausrichtung einer Organisation ist für alle Mitarbeitenden, egal welcher Charge, wegweisend. An ihnen gilt es, die eigene Passung zu überprüfen und sich in der Folge, daran zu orientieren. Bei Verantwortungsträgerinnen und -trägern ist es unumgänglich, dass sie die Ausrichtung einer Unternehmung bejahen und mittragen. Vor allem aber muss die Kultur gelebt werden und im Umgang miteinander spürbar sein. Das beeinflusst wesentlich, ob sich Menschen in ihrem Berufsumfeld wohlfühlen, beste Leistung abrufen können und dem Unternehmen über längere Zeit erhalten bleiben. Diesbezüglich gibt es kaum Kompromisse. Zu glauben, spürbare Ungereimtheiten seien ja nicht so schlimm und aushaltbar oder ein Zustand, der sich irgendwie von selbst ändern werde, ist falsch. Man hört förmlich die Zeitbombe ticken. Es ist bekannt, dass sich viel zu viele unzufriedene Menschen durch den beruflichen Alltag quälen. Wie entsteht eine solche Unzufriedenheit?

Der «Fehlzeiten-Report» der Gesundheitskasse AOK, für den über zweitausend Beschäftige befragt wurden, zeigt den Zusammenhang zwischen dem Grad des eigenen Sinnerlebens und den krankheitsbedingten Abwesenheiten am Arbeitsplatz auf. Dort, wo sich das erlebte Betriebsklima deutlich von der persönlichen Wunschvorstellung unterscheidet, zeigen sich bei den Betroffenen mehr als doppelt so viele Fehltage wie bei jenen, die größere Sinnhaftigkeit erleben.7

Für die Betriebe heißt es, ein konstruktives Arbeitsklima zu schaffen, in dem ein gesundes Arbeiten über lange Zeit möglich ist. Punktuelle Angebote, zum Beispiel im Wellness- oder Fitnessbereich, sind gut gemeint, greifen aber häufig zu kurz. «Friendly Work Space», das Label der Gesundheitsförderung Schweiz, ist ein Qualitätssiegel, das Unternehmen auszeichnet, die erfolgreich ein betriebliches Gesundheitsmanagement realisieren und sich systematisch für gute Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden engagieren. Die Initiantin garantiert: «Unternehmen mit dem Label Friendly Work Space bieten ein respektvolles und wertschätzendes Arbeitsumfeld. Label-Betriebe engagieren sich für ein ganzheitliches Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden. Von den guten Arbeitsbedingungen profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch Firmeninhaber und Führungskräfte.»8

Eine Kultur ändert sich innerhalb eines bestehenden Systems nur langsam. Erst bei Führungswechseln auf oberster Ebene sind ruckartige Transformationen möglich, die es dann wieder mit den individuellen Werten abzustimmen gilt. Mitarbeitende überprüfen laufend, ob sie sich weiterhin für die Verantwortungsträger und die Unternehmensidee engagieren wollen. Durch eine stete, ehrliche Aufmerksamkeit ihnen gegenüber können sie und ihre Leidenschaft für die Unternehmung erhalten bleiben.

Strategie und Leitbild

Strategien werden durch die Unternehmensleitungen vertraulich entwickelt. Sie sind nicht für fremde Augen und Ohren bestimmt. Ungünstig, wenn die Konkurrenz zu früh von den eigenen Absichten erfährt. Wie aber steht es mit den Mitarbeitenden? Ab welcher Verantwortungsstufe ist es angebracht, sie mit einzubeziehen oder mindestens zu informieren? Anders betrachtet: Bis zu welcher Stufe ist es zu risikoreich, den Inhalt von wichtigen Papieren offenzulegen? Oft sind nur die obersten Kader in strategische Überlegungen involviert und verfügen auf diese Weise über die relevanten Angaben zu längerfristigen Absichten der Unternehmensleitung. Das ist ein Fehler. Mitarbeitende gehören, maßgeschneidert auf ihren Verantwortungsbereich, informiert. Innerhalb eines umsichtigen Rekrutierungsprozesses sollten die Verantwortlichen sehr konsequent, kritisch und streng vorgehen. Wenn die Zusage aber erfolgt ist, verdienen es die neuen Mitgestalterinnen und Mitgestalter, dass man ihnen vertraut sowie ein Verständnis der übergeordneten Zusammenhänge und ein Engagement dafür zutraut.

Mit der «Balanced Scorecard» wurde ein Instrument entwickelt, mit dem die Strategie für alle Abteilungssegmente übersetzt werden kann, sodass die Mitarbeitenden aller Verantwortungsbereiche die Unternehmensziele verstehen und sich dafür einsetzen können. Auch wenn ein solches Instrument helfen kann, Transparenz innerhalb der Gesamtunternehmung zu erreichen, gibt es nicht den Ausschlag für den Unterschied. Zentral ist die Bereitschaft der zutrauenden, achtsamen Leitung zur offenen Kommunikation.

Die reduzierte Version der Strategie, die sich nach innen und nach außen richtet, ist das Leitbild. Dieses ist eher als werteorientierte Werbebotschaft formuliert und sollte den höheren Unternehmenszweck, den Purpose, deutlich machen. Auch daran sollen sich Führungskräfte orientieren können. Wenn dieses Instrument in einem gemeinsamen Prozess mit den Teammitgliedern entwickelt wurde, dann hat es große Chancen, in der Praxis zu bestehen und sinnstiftend zu wirken.

Achtsame Führung gelingt, wenn die Führungskraft kritisch loyal hinter den übergeordneten Absichten der Unternehmensleitung stehen kann. Dabei ist mit Loyalität nicht blinder Gehorsam gemeint, sondern die emotionelle Verbundenheit. Wenn sich der oder die Vorgesetzte am richtigen Ort wähnt, dann sind die eigenen Pläne mit denen des Betriebs und jenen der Mitarbeitenden bestens synchronisierbar. Die Bestätigung, dass es funktioniert, zeigt sich in engagierten Mitarbeitenden, die über ihren eigenen Verantwortungsbereich hinausdenken und handeln.

Leitfragen und Notizen

Wie weit decken sich Strategie und Leitbild mit meinen Interessen?

Wie kann ich diese übergeordneten Ziele gegenüber meinem Team noch besser verständlich machen?

Wie kann ich die Mitarbeitenden befähigen, dass sie sich für die strategischen Zielen engagieren?

Struktur und Kultur

Die aktuelle Wirtschaft ermöglicht, dass sich Firmenstrukturen innerhalb eines breiten Kontinuums bewegen. Dieses verläuft zwischen stark hierarchisierten Führungssystemen über Matrixkonstrukte bis hin zu solchen, die rein holokratisch organisiert sind. Autokratische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass das Denken in den Köpfen einzelner Menschen stattfindet und aus den Schlussfolgerungen präzise Handlungsanweisungen für die Mitarbeitenden abgeleitet werden. Mitarbeitende übernehmen dann wenig Verantwortung und delegieren Themen im Zweifelsfall zurück an die übergeordnete Führungsebene. Dort wird aufgrund der vorhandenen Informationslage entschieden, jedoch meist ohne die nötigen direkten emotionalen Eindrücke des Marktes. So manifestiert sich ein Sicherheit suggerierendes Wachstumssystem. Die Holokratie hingegen irritiert das klassische Führungsdenken. Sie löst die fixe Führung zugunsten von variablen Rollen ab, was beispielsweise dazu führt, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gleichzeitig im Projekt X die Finanzverantwortung übertragen erhält und im Projekt Y die Marketingkoordination. Wie die strenge Hierarchie ist das Prinzip Holokratie sehr prägnant strukturiert, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint. Das schafft eine enorme Klarheit.

Bei den aktuell und zukünftig eher komplexen Herausforderungen des Marktes fehlt für das alleinige Durchdenken aller möglichen Varianten die Zeit. Frederic Laloux merkt dazu an:

In Wirklichkeit sind Organisationen fast immer komplexe Systeme. Deshalb schlagen so viele Veränderungsvorhaben fehl. (…) Von den Führenden verlangt dies eine neue Haltung – eine Haltung, die Vertrauen und eine starke Entschlossenheit für diesen Weg beinhaltet, sowie die Bereitschaft, offen zu erklären, dass jeder gut durchdachte, im Voraus erstellte Plan zwar tröstend sei, aber eine Illusion wäre. Und dass Veränderung nie ohne Schmerzen vor sich geht; eine Zeit lang werden die Dinge im Ungleichgewicht und verwirrend sein. 9

Deshalb haben sich viele Unternehmen von strengen Hierarchien mit starr stufenabhängigem Denkauftrag verabschiedet. Sie erkennen den Nutzen darin, weitere Kompetenzdimensionen in die Verantwortung einzubinden. Der Trend entwickelt sich deutlich weiter in Richtung dieser offenen, demokratischen Systeme. Die unterschiedlichen Sichtweisen, die jetzt eine offizielle Bühne erhalten, können jedoch zu Spannungen führen, die es wiederum als spezifischen Wert anzuerkennen und zu nutzen gilt. Aus der Unternehmensoptik sind so die getroffenen Entscheidungen breiter abgestützt und damit sicherer. Menschen ihrerseits erleben eine höhere Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit, wenn diese auf einen höheren Zweck abzielt. Sie können stolz ihren Beitrag an Zwischen- oder sogar Endergebnissen erkennen.

Während einige Menschen eine agile Leistungsumgebung suchen, sind andere damit überfordert; sie schätzen die Klarheit von Autoritäten. Beide Ansätze sind in der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Politik erkennbar. Umso wichtiger ist es, seine eigenen Bedürfnisse zu kennen und ihnen im Handeln konsequent zu entsprechen. Es ist ein Unterschied, ob Führungskräfte ihre Geschicke in der einen oder der anderen Organisationsform anbieten. Das Praktizieren von achtsamer Führung ist in individualisierter Form grundsätzlich immer und überall möglich. Die Struktur beeinflusst die Kultur, die in einer Organisation herrscht, jedoch maßgeblich. Vivian Dittmar schreibt in ihrem Buch «Gefühle@work»:

Emotional kompetente Mitarbeiter kooperieren besser, emotionell kompetente Führungskräfte führen besser, emotionell kompetenten Teams gelingt es besser, ihre Fähigkeiten zusammenzufügen, und Unternehmen mit einer emotional kompetenten Kultur sind Orte, an denen Menschen gerne arbeiten. 10

Diese Erkenntnis überrascht kaum. Dennoch wird das Potenzial der emotionellen Intelligenz noch nicht flächendeckend genutzt.

Ob jemand seine Bestleistungen abrufen kann oder nicht, hängt oft von der gelebten Kultur ab und der Beziehungsqualität, die im engeren Umfeld gepflegt wird. Gregor Hasler schreibt, dass die soziale Integration für die Gesundheit wichtiger sei als die Risikofaktoren, mit denen sich Mediziner und Gesundheitspolitiker viel intensiver beschäftigen würden: Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht, mangelnde Bewegung, Bluthochdruck und Luftverschmutzung. Er meint aber auch, dass es noch ungenügend erforscht sei, wie genau soziale Integration die Resilienz stärke.11

Jedes Bild braucht seinen passenden Rahmen, jeder Rahmen sein stimmiges Bild. Der Rahmen steht hier für die Unternehmung, das Bild für die Mitarbeitenden. Die Frage also, ob man seine Leistung in der richtigen Firma oder in der richtigen Abteilung erbringt, wirkt wegweisend und ist immer wieder konstruktiv kritisch zu klären. Sich am richtigen Ort zu wähnen, wirkt definitiv stressreduzierend. Gleiches gilt für die soziale Unterstützung in naher Umgebung. Interessanterweise wirken Beziehungen im direkten Geschäftsumfeld deutlich stärker als enge Freundschaften in räumlicher Entfernung. Stressige Erfahrungen lassen sich in einem engen sozialen Umfeld deutlich besser ertragen und verarbeiten. Das spricht für Teams, die sich auf sich und ihren eigenen Entwicklungsprozess einlassen und die Eigenheiten der spezifischen Gruppenkonstellation für ihre Entwicklung nutzen. So entsteht ein Ort, an dem sich die einzelnen Persönlichkeiten als Individuen einbringen können und gleichzeitig die Nestwärme als unterstützend erfahren.

Leitfragen und Notizen

In welcher Unternehmenskultur bin ich zu Bestleistungen fähig?

Welche Struktur unterstützt mein Führungsverständnis am besten?

Bin ich am richtigen Ort?

Achtsam führen (E-Book)

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