Читать книгу Elfchen und Märchen zur Weihnachtszeit - Jörg Liers - Страница 10
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Als der Nikolaus kam
Es war einmal am Abend eines 5. Dezember mitten im 20. Jahrhundert. Die arme alleinerziehende Mutter und Sekretärin Elvira Tipp saß in ihrem Appartement im 20. Stock eines Hochhauses und wartete auf den Nikolaus. Doch nichts geschah. Als es bereits gegen zwei Uhr des nächsten Morgens war, wurde Elvira Tipp unruhig, denn noch immer waren die Stiefel im Flur leer. Elvira Tipp beschloss, sich auf die Suche nach dem Nikolaus zu begeben. Schließlich hatte sie nichts weiter zu tun in dieser Nacht. Sie zog sich ihre Jacke an und ging auf den Flur. Als sie festgestellt hatte, dass sämtliche Stiefel noch leer waren, rief sie den Fahrstuhl. Ihr erster Gedanke war: ‘Wenn der Nikolaus mit dem Hubschrauber auf dem Dach des Hochhauses landet, würde er in den oberen Etagen die Stiefel zu füllen beginnen. Das wollte sie zunächst kontrollieren. So wählte sie die Fahrtrichtung nach oben, als sie den Fahrstuhl bestieg.
Sie wollte im 25. Stock mit ihrer Suche beginnen. Der Fahrstuhl fuhr los, doch nach einer halben Etage gab es einen Ruck und der Fahrstuhl blieb stecken. Elvira Tipp erschrak. Das Licht erlosch. Da es aber Weihnachtszeit war, brannte noch eine Kerze im Schaukasten des Fahrstuhls, wo sonst die Speisekarte des Restaurants „Dachterrasse“ hing. Dieses wenige Licht konnte Elvira Tipp nun nutzen. Da sie ja alleinerziehend und ohne Mann im Haushalt war, hatte sie stets ein Notköfferchen bei sich. Nachdem sie sich gesammelt hatte, nahm sie plötzlich eine Stimme aus dem Fahrstuhlschacht wahr. Das Geräusch schien von unten zu kommen. Da Elvira Tipp in ihrem Notköfferchen einen Nusskasten hatte, war sie in der Lage, sich selbst zu behelfen. Sie begann, den Boden des Fahrstuhles aufzuschrauben. Nach wenigen Minuten konnte sie eine Platte aus dem Boden herausnehmen. In einigen Metern Tiefe konnte sie einen hellen Schein wahrnehmen. Dort musste auch die Stimme herkommen. Scheinbar war bemerkt worden, dass sich der Boden geöffnet hatte. Das schwache Licht der Kerze durchdrang den Fahrstuhlschacht. Die Stimme unter Elvira Tipp war nun klar und deutlich zu hören. Sie rief: „Hilfe, Hilfe, holt mich hier raus, denn ich bin der Nikolaus!“ Elvira Tipp fasste sich ein Herz. Sie schlug die Scheibe zum Schaukasten ein und entnahm die Kerze. Sie ließ den flüssigen Kerzenwachs an dem gut zugänglichen Stahlseil des Aufzuges herunterlaufen. Nach wenigen Minuten, als der Wachs erstarrt war, hatte das Stahlseil eine glatte Oberfläche. Elvira Tipp begann, sich abzuseilen. Sie rutschte dem Lichtschein unter ihr entgegen. Nach einigen Metern sah sie den Nikolaus. Er war an der Tür, die zum Fahrstuhl führte, eingeklemmt. Es musste ungefähr die 15. Etage sein. Das Licht vom Fahrstuhl drang in den Fahrstuhlschacht. Der Nikolaus hatte sich in der zugehenden Tür verklemmt. Es musste ein Fehler in der Fahrstuhlsteuerung vorliegen. Die Nikolaus-Larve war ziemlich zerkratzt. Elvira Tipp erkannte den reichen Hauswart, auf den sie schon lange ein Auge geworfen hatte. Da der Hauswart für die Wartung und Instandsetzung des Fahrstuhles verantwortlich war und genau dieser jetzt in der Fahrstuhltür steckte, war mit schneller Hilfe nicht zu rechnen. Elvira Tipp überlegte nicht lange. Sie sprang vom Seil in die halb geöffnete Fahrstuhltür und fasste den Nikolaus fest um den Hals. Durch die Wucht des Aufpralls öffneten sich die beiden Türen leicht. Elvira und der Hauswart-Nikolaus rollten gemeinsam über den Flur der 15. Etage. Doch es blieb wenig Zeit für erklärende Worte, denn es war bereits vier Uhr in der Früh und die Stiefel vom 16. Stock an aufwärts waren noch nicht gefüllt. Doch welch ein Glück, der Geschenke-Sack war nicht in den Fahrstuhlschacht gefallen, er lag noch an der Fahrstuhltür auf dem Fußboden. Die beiden nahmen den Sack und benutzten das Treppenhaus.
Innerhalb einer Dreiviertelstunde hatten sie alle restlichen Stiefel gefüllt und waren erschöpft in der 25. Etage angekommen. Sie umarmten sich innig und schworen sich ewige Liebe. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute und nikolausen durch die Hochhäuser der großen Stadt.