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1. Wettbewerbsbeschränkung

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Ziel des Kartellrechts ist die Steigerung der Verbraucherwohlfahrt, indem der Wettbewerb vor Beschränkungen durch Unternehmen geschützt wird. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Wettbewerb und Verbraucherwohlfahrt so zusammenhängen, dass mehr Wettbewerb mehr Verbraucherwohlfahrt und weniger Wettbewerb eine geringere Verbraucherwohlfahrt bedeuten. Liegt keine Wettbewerbsbeschränkung vor, bedarf es keines Schutzes des Wettbewerbs und kartellrechtliche Regeln kommen nicht zum Tragen. Das Kartellrecht legt dabei das sog. Selbstständigkeitspostulat zugrunde, wonach jedes Unternehmen eigenständig entscheiden muss, welche Geschäftspolitik es auf dem Markt verfolgt. Wird diese Freiheit beeinflusst – gleich ob diese Beeinflussung Zweck oder Folge des Handelns eines anderen Unternehmens ist –, liegt grundsätzlich eine Wettbewerbsbeschränkung vor.15

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Das europäische und deutsche Kartellrecht lassen es im Grundsatz ausreichen, dass ein unternehmerisches Verhalten das Potenzial zu einer Wettbewerbsbeschränkung hat. Die Unterscheidung zwischen bezweckter Wettbewerbsbeschränkung (oder im Englischen restriction by object) und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung (im Englischen restriction by effect) kommt in der Praxis bei den Nachweiserfordernissen der Auswirkungen von Beschränkungen auf den Wettbewerb durch Behörden und Gerichte zum Tragen. Für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, d.h. Beschränkungen, die schon ihrem Wesen nach als schädlich für den Wettbewerb anzusehen sind, wie z.B. Kartellabsprachen, muss kein Nachweis eines wettbewerbsschädlichen Potenzials mehr erbracht werden; er wird vielmehr vermutet.16 Bei der Feststellung bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen ist dies anders. Hier kommt es auf Auswirkungen auf die Marktbedingungen an.

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Die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen wird in der Compliance-Arbeit häufig überschätzt: Geht es bei dieser doch ganz vorrangig darum, die bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen abzustellen, d.h. solche, die aufgrund ihres Inhalts, der verfolgten Ziele und des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs wettbewerbswidrig sind. Diese aufzuspüren, setzt keine Marktanalyse voraus. Oder mit den plastischen Worten des Generalanwalts Bobek in seinen Schlussanträgen in Sachen Budapest Bank et al. zur Frage, wie man bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen voneinander unterscheidet:17

Wenn es wie ein Fisch aussieht und wie ein Fisch riecht, kann man davon ausgehen, dass es ein Fisch ist. Sofern dieser konkrete Fisch nicht auf den ersten Blick etwas ganz Seltsames an sich hat, wie etwa, dass er keine Flossen hat, in der Luft schwebt oder wie eine Lilie riecht, dann ist kein eingehendes Sezieren dieses Fisches notwendig, um ihn als solchen zu qualifizieren. Wenn der betreffende Fisch jedoch etwas Ungewöhnliches an sich hat, kann er gleichwohl als Fisch eingestuft werden, jedoch erst nachdem das betreffende Wesen eingehend untersucht worden ist.“

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Es gibt dennoch einige Vertragskonstellationen, in denen die Europäische Kommission sowie das Bundeskartellamt bestimmten Beschränkungen eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung gänzlich absprechen, da es sich bei diesen Beschränkungen um sog. Nebenabreden handelt. Dies sind Beschränkungen, die eine Annexfunktion für eine kartellrechtlich neutrale Vereinbarung einer bestimmten Art einnehmen und notwendig sind, um deren Bestehen zu ermöglichen.18

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Hiervon zu unterscheiden sind Situationen, in denen eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, diese aber nicht spürbar ist und das Verhalten deshalb nicht in den Anwendungsbereich der kartellrechtlichen Verbotsnormen fällt. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeskartellamt haben Leitlinien herausgegeben, wann es aus Sicht der Verfolgungsbehörde an einer solchen Spürbarkeit fehlt, die Behörden also nicht tätig werden.19

Compliance-Handbuch Kartellrecht

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