Читать книгу Compliance-Handbuch Kartellrecht - Jörg-Martin Schultze - Страница 5
Einleitung
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Kartellrecht ist ein Rechtsgebiet, das schon seit Jahren einen Spitzenplatz bei den Compliance-Bemühungen von Unternehmen einnimmt. Grund dafür sind vor allem die spektakulär hohen Bußgelder, die national wie international für Kartellrechtsverstöße quer durch alle Branchen verhängt werden. Zudem haben Schadensersatzforderungen vonseiten der Kunden oder Wettbewerber gegen Unternehmen, die in kartellrechtswidrige Praktiken involviert waren, immense Bedeutung erlangt.
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Neben den hohen finanziellen Belastungen droht Unternehmen, die gegen Kartellrechtsregeln verstoßen, ein erheblicher Reputationsverlust, der sich insbesondere bei börsennotierten Unternehmen unmittelbar im Unternehmenswert niederschlägt. Hinzu kommen nichtige Vertragsbestimmungen, langwierige Behörden- oder Gerichtsverfahren und nicht zuletzt arbeitsrechtliche Konsequenzen für die handelnden Mitarbeiter. Aus Unternehmenssicht lassen sich diese Gefahren auf einen einfachen Nenner bringen: Die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln darf nicht dem Zufall überlassen werden. Oder, um es mit dem prägnanten Satz zu sagen, der gerade im Hinblick auf die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln nicht treffender formuliert sein könnte:
„You think compliance is expensive – try non-compliance.“
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Was bedeutet „Compliance“ eigentlich genau? Die juristische Auslegung beginnt mit dem Wortsinn, sodass zunächst einmal auf die wörtliche Übersetzung abzustellen ist. Compliance bedeutet im hier gebrauchten Zusammenhang „Befolgung“, „Einhaltung“, „Erfüllung“ und „Ordnungsmäßigkeit“ von oder im Sinne von gesetzlichen Regelungen.1 Mit Compliance ist die Einhaltung von Rechtsvorschriften gemeint. Wenn wir von Kartellrechts-Compliance sprechen, meinen wir also in einem ersten Schritt die Einhaltung der kartellrechtlichen Vorschriften.
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Wenn die Einhaltung von kartellrechtlichen Vorschriften jedoch alles wäre, dann würde Compliance nur den allgemeinen Legalitätsgrundsatz beschreiben2 und dann hätten diejenigen Recht, die Compliance nur als modernes Wort für etwas sehen, was es schon immer gab.3 Compliance muss also im Zusammenhang mit der Führung und Organisation von Unternehmen mehr bedeuten als nur den Hinweis auf die Befolgung von Rechtsvorschriften.
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Warum sprechen wir, wenn wir die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften meinen, nicht von „Straßenverkehrsrechts-Compliance“? Warum sprechen wir nicht von „Arbeitsrechts-Compliance“, warum nicht von „Steuerrechts-Compliance“, sondern nutzen für den letzteren Bereich immer noch den altertümlichen Begriff von der „Steuerehrlichkeit“? Möglicherweise liegt dies einfach daran, dass es hinsichtlich des Straßenverkehrsrechts, des Arbeitsrechts und des Steuerrechts für jeden selbstverständlich ist, dass es – wie alle Rechtsvorschriften – befolgt werden muss und Verstöße nachteilige Konsequenzen nach sich ziehen. Und es gibt weitere Unterschiede:
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So müssen wir, bevor wir uns mit einem Kraftfahrzeug im Straßenverkehr bewegen dürfen, einen Führerschein erwerben. Diesen bekommen wir nur nach praktischer und theoretischer Ausbildung. Die Theorie ist geprägt von einer Vermittlung der Rechtsregeln für den Straßenverkehr. Wer am Straßenverkehr teilnimmt, hat sich also (mindestens) einmal im Leben grundlegend mit dessen Regeln und Rechtsvorschriften vertraut gemacht und kann dann auch guten Gewissens für Verstöße in Anspruch genommen werden.4 Mit der Kartellrechts-Compliance ist das völlig anders: Wer am Geschäftsverkehr teilnehmen will, muss dafür keinen Führerschein erwerben und er muss sich auch nicht durch Theorie-Stunden quälen. Trotzdem wird erwartet, dass er sich an die für den Geschäftsverkehr geltenden Regeln hält. Und wenn er sich nicht daran hält, gibt es Bußgelder – wie im Straßenverkehr, nur höher.
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Im Arbeitsrecht geht es um die Regelung des Verhältnisses des Unternehmens zu seinen Mitarbeitern. Die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften kann durch spezialisierte Mitarbeiter sichergestellt werden. Der einzelne ist vom Arbeitsrecht grundsätzlich nur für sich selbst betroffen. Und wenn alles gut läuft, nimmt er es nur geräuschlos im Hintergrund wahr.
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Das Steuerrecht stellt anders als Straßenverkehrs- und Arbeitsrecht keine Verhaltensanforderungen an Unternehmen oder Individualpersonen. Es ist dem Steuerrecht völlig gleichgültig, wie ich mich verhalte. Das Steuerrecht ist kein Recht, das aus wertbasierten Normen besteht oder das das Zusammenleben in Gemeinschaften oder das Zusammenwirken auf Märkten regeln soll. Es regelt nur, wer wieviel für das, was er getan oder erlangt hat, als Steuern zahlen muss. Mit der Anweisung an die Steuerabteilung oder an die externen Steuerberater, sich im Zweifel für die rechtmäßige Variante zu entscheiden, ist im Hinblick auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften (Compliance) alles getan, was man tun kann. Für so wenig brauchte man offensichtlich keinen neuen Begriff.
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Das Besondere an den Gebieten, die heute wie auch das Kartellrecht im Rahmen der Umsetzung im Unternehmen mit dem Begriff „Compliance“ belegt werden, ist also wohl, dass sie neben der bloßen Einhaltung von Rechtsvorschriften eine unternehmensinterne auf dieses Ziel ausgerichtete Organisation verlangen.5 Compliance betrifft also die Verhaltenssteuerung von Personen im Hinblick auf das Einhalten von Rechtsvorschriften, und dies dann umfassend, also mit allem, was dazugehört. Der Gesetzgeber hat Compliance im Rahmen der 10. GWB-Novelle in § 81d Abs. 1 S. 2 Nrn. 4 und 5 GWB als „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ definiert. Etwas wissenschaftlicher hört sich das so an: „Der Begriff der Kartellrechts-Compliance kann heute ... als ... Oberbegriff für sämtliche Wertentscheidungen, Prinzipien, Vorgaben und Prozesse im Unternehmen verstanden werden, die dem Ziel eines systematischen, unternehmensweit integrierten Kartellrechts-Risikomanagements dienen.“6
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Kartellrechts-Compliance ist wichtig für alle Unternehmen, ungeachtet der Frage, welche Größe das Unternehmen aufweist, welcher Branche es angehört und ob es regional oder international tätig ist. Der Gesetzgeber erkennt jetzt in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB an, dass die Compliance-Anforderungen „angemessen“ sein, d.h. den unternehmensspezifischen Anforderungen entsprechen müssen.7 Der internationale Großkonzern steht für den Aufbau einer Compliance-Organisation schon rein logistisch vor anderen Herausforderungen als ein regionaler Mittelständler, dennoch haben beide Unternehmen die gleichen Grundaufgaben zu bewältigen, die sich auf drei Kernpunkte herunterbrechen lassen: Wie lässt sich in der konkreten Unternehmensstruktur sicherstellen, dass kartellrechtliche Verstöße (i) identifiziert, (ii) abgestellt und (iii) für die Zukunft verhindert werden können? Wenn diese Frage erfolgreich beantwortet wird, ist das Unternehmen weitgehend gegen hohe Bußgelder gesichert: Entweder werden Zuwiderhandlungen im Vorhinein verhindert oder sie werden zumindest so frühzeitig entdeckt – etwa durch einen Compliance-Audit –, dass sie nicht erst im Rahmen von kartellrechtbehördlichen Ermittlungen aufgedeckt werden. Das ist der Bereich der Compliance-Defense, mit dem dieses Buch beginnt (Teil A).
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Dieses Buch bietet praktische Hilfestellung bei der Bewältigung der Aufgabe, ein angemessenes und wirksames Compliance-System aufzubauen. Es richtet sich damit an alle, die sich intern im Unternehmen oder extern für ein Unternehmen damit befassen, Strukturen, Richtlinien und Prozesse zu schaffen, um die Einhaltung kartellrechtlicher Regeln dauerhaft sicherzustellen und zu überprüfen.
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Dieses Buch ist kein Kartellrechts-Handbuch. Materielle kartellrechtliche Vorschriften werden insoweit und nur unter dem Aspekt angesprochen, wie es für Zwecke der Identifizierung kartellrechtlicher Risiken und der Schaffung und Aufrechterhaltung kartellrechtlicher Compliance-Strukturen im Unternehmen notwendig ist. Diese Analyse der im Unternehmen konkret vorhandenen kartellrechtlichen Risiken ist der erste und grundlegende Schritt eines erfolgreichen Compliance-Programms. Je nachdem, welche Geschäftspraktiken ein Unternehmen verfolgt, kann die Darstellung des Kartellrechts in Teil B des Buches eine vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen kartellrechtlichen Normen im Zuge der Compliance-Arbeit jedoch nicht ersetzen.
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Nach den Grundlagen für die Risikoanalyse folgen dann im dritten Teil (Teil C) des Handbuches aus Anwendersicht geschriebene Ausführungen dazu, wie Kartellrechts-Compliance im Unternehmen praktisch sichergestellt und umgesetzt werden kann.
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Und schließlich kann es auch bei einem perfekten Compliance-Programm passieren, dass etwas schiefgeht, also die „Kartellrechts-Krise“ eintritt. Wie damit umzugehen ist, erörtern wir im vierten Teil des Buches (Teil D).
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Abgerundet wird das Handbuch durch Materialien (Teil E), die den Einstieg erleichtern, also besonders bei der erstmaligen Befassung mit der Materie hilfreich sein sollen.
1 Und viele andere Bedeutungen mehr, siehe www.leo.org. 2 Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 116. 3 Siehe hierzu die Zitate von Kasten, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 2. Kap. Rn. 2. 4 Dieser Grundsatz der Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten gilt – unabhängig davon, ob man die einzuhaltenden Regeln kannte – nicht nur im Straßen-, sondern auch im Geschäftsverkehr: Wer am Wirtschaftsleben teilnimmt, wer auf Märkten operiert, kann sich nicht hinterher seiner Verantwortlichkeit dadurch entziehen, dass er darauf verweist, er habe bestimmte Vorschriften nicht gekannt. Er hätte sie kennen können und müssen. 5 Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 117, sehen darin die Übernahme eines amerikanischen Rechtsmodells, dessen unreflektierte Übernahme in die deutsche Unternehmenskultur nur bedingt gelingen könne. 6 Kasten, in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 2. Kap. Rn. 3 a.E.; Hervorhebung durch die Verfasser. 7 Siehe sogleich zur Compliance-Defense Rn. A 1ff.