Читать книгу Die Vielgeliebte - Jörg Mauthe - Страница 9
ОглавлениеAußerdem verfügte sie über eine zwar naive, aber doch sehr effektive und ihre Wirkung niemals verfehlende Technik des Hochlobens; wenn sie einen loben wollte, sagte sie nicht etwa einfach »Das hast du großartig gemacht!« zu ihm, sondern informierte möglichst sofort einen Dritten, indem sie den fragte: »… hat er das nicht großartig gemacht? War das nicht wunderbar, wie er das gesagt hat? Das hätt’ keiner so gut gekonnt wie er!« oder wie der Anlaß es halt mit sich brachte. Diese Technik verdoppelte ihr Lob um das des Zeugen und machte es damit sozusagen öffentlich und absolut. War es aber wirklich Naivität, die sie zu solchen Leistungen befähigte? Oder war es eine natürliche Begabung, die sich da zu Raffinement gesteigert hatte? Ich weiß es nicht, genau wußte es sicherlich auch sie nicht, und wie immer: es fiel ihr jeder drauf rein, ich von Anfang an, aber alle anderen ebenso; daß so viele Männer geradezu süchtig waren nach ihrer Gesellschaft, erklärte sich zum nicht geringen Teil aus diesem Umstand.
Am schnellsten aber funktionierte es beim Lipkowitz; hatte er am Beginn unseres Treffen ihre Anwesenheit kaum wahrgenommen – oder nicht anders, als man eben eine Sekretärin oder sonstige Mitarbeiterin wahrnimmt, während man mit dem Chef verhandelt, so wandte er, nachdem das Geschäftliche erledigt war, seine Aufmerksamkeit umso intensiver ihr zu, ja er hatte während des Abendessens gelegentlich Mühe, sich daran zu erinnern, daß ja auch ich noch vorhanden war. Mir machte das nichts aus, im Gegenteil, es freute mich, denn sie hatte hart zu arbeiten bei mir und leistete das Dreifache dessen, was von ihr erwartet werden durfte, und da konnte ich ihr die Gesellschaft eines echten Fürsten, wie er in freier Wildbahn ja nur mehr selten anzutreffen ist, wohl von Herzen gönnen – samt seiner anschließenden Erlegung natürlich; denn spätestens beim Kalten Reis mit Früchten war mir klargeworden, daß der Lipkowitz hinfort ein weiterer Held oder Narr im Hofstaat meiner Freundin sein würde, neben dem Geschiedenen, dem Genie, neben mir, Tuzzi und einem Haufen anderer. Besorgnisse, wie später angesichts der Emphase des Medizinalrats, empfand ich nicht, denn anders als jener war der Lipkowitz ein ebenso feinfühliger wie beherrschter Mann.
Beim Heurigen – denn auch der folgte, und natürlich fuhren wir zum Nagl-Karl, der ja ebenfalls zu ihrem Gefolge gehörte – fühlte sich der Lipkowitz anfänglich zwar nicht wohl, weil er gewiß noch nie zuvor in einem so schäbig-gemütlichen Lokal und unter so seltsam gemischtem Publikum gesessen war, aber als dann der Karli zu singen begann und meine Freundin einfiel (ich hatte gar nicht gewußt, daß sie singen, ja sogar sehr gut singen konnte) und die beiden alsbald einander ins Hochmelodisch-Gefühlvolle hineintrieben, war’s aus mit ihm. Er zeigte sich, um es mit einer Sauhatz-Vokabel zu sagen, ausgesprochen enflammiert und kaufte der Blumenfrau den ganzen Korb dunkelroter Rosen ab, selbstverständlich nicht mit prahlerischer Geste, sondern weil’s unter den gegebenen Umständen die beste Möglichkeit war, der Freundin zu zeigen, wie hingerissen er war.
Sie zog daraufhin eine logische Heurigen-Konsequenz und forderte ihn auf, mit ihr Bruderschaft zu trinken; welcher Einladung der Fürst etwas überrascht, aber mit großer Freude nachkam.
»Und wie heißt du denn?« fragte sie, als das Glas geleert und der Kuß ausgetauscht war.
»Ferdinand«, sagte er.
»Und alser ganzer?«
»Mein vollständiger Name lautet Franz Ferdinand Maria von Lipkowitz und auf Zweyensteyn.«
»Puh!« sagte sie. »Das ist ja ein ganzer Roman! Weißt’ was? Ich werd’ dich Maria rufen, ja?«
»Wie du befiehlst!« sagte der Fürst, während ich innerlich ironisch Halali rief, denn nun hatte er den Blattschuß weg, den ich schon beim Kalten Hauswirth-Reis vorausgesehen hatte.
»Man sollt’s nicht glauben, daß es sowas noch gibt!« sagte sie noch einmal, als sie mich nach diesem wohlgelungenen Abend nach Hause fuhr (jemand mit ihrem alten Auto irgendwohin zu bringen, und zwar zu extremen Zeiten und womöglich zu schwer erreichenden oder weitab liegenden Zielen, war eine ihrer kleinen Leidenschaften, und ich nützte das schamlos aus). »Nein sowas! Und dir ist es wirklich recht, daß ich mich um die Fotografiererei bei ihm da draußen kümmer’«
Aber sicher war mir das recht, ich war froh darüber, nicht selbst nach Tulln hinausfahren zu müssen, und zufrieden, die Arbeit mit den Lipkowitz-Materialien in zuverlässigen Händen zu wissen. Um die Freundin selbst machte ich mir keine Sorgen, denn wenn sich da, wider jegliches Erwarten, irgendwelche Gefühlsverwicklungen einstellen sollten, würde ich es rechtzeitig genug erfahren, dachte ich.
Damit hatte ich recht. Aber was ich nicht vorausgesehen hatte, was mir nach der Aglaja-Episode in der Karlskirche und in meiner Sauhatz-Befangenheit einfach absurd erschienen wäre und worauf ich dann erst durch jene unerwartete Reaktion des Legationsrates aufmerksam gemacht wurde, war, daß der Lipkowitz sich ganz ernsthaft und über Hals und Ohren in sie verliebt – nein, »verlieben« ist da ein falscher Ausdruck; ein Lipkowitz-Zweyensteyn verliebt sich nicht, sondern liebt! – und sich mit großem Ernst, unveränderlichem Lächeln und der ihm eigenen Zähigkeit auf die Pirsch begeben hatte. Oder auf die Balz oder wie man sowas in diesem Milieu ironischerweise sonst nennt. Nicht, daß mich das zunächst veroder auch nur besonders gestört hätte, aber als Heiliger hatte ich aufmerksam zu sein und mußte auf alle Fälle beachten, daß der Lipkowitz halt doch ein von Natur aus Umwitterter, ein stets von Komplikationen Begleiteter war. Und wenn auch, auf der anderen Seite, der Legationsrat, dieses frei im Raum schwebende Problem, gleichfalls ein nobler und vorsichtiger Mann war, so konnten die beiden Wirkungen – Tuzzi hier, der Maria dort – doch eine Entwicklung zum Zweimühlsteinartigen nehmen, bei dem der Dritte, meine Freundin und Gläubige nämlich, unter Umständen zu Schaden kommen konnte.
Darum also hatte ich zu den überraschenden Mitteilungen meines Arzt-Freundes so hartnäckig geschwiegen; die Kollektion interessanter Erscheinungen, die sich um meine Freundin und damit auch um mich ansammelte, war nachgerade schon groß und verwicklungsträchtig genug, und deren sorgsame Beobachtung erforderte sowieso schon mehr Zeit und Anspannung, als mein Geschäft eigentlich zuließ. Der Medizinalrat ging mir da wahrhaftig nicht ab; und erst recht nicht das von ihm so genannte Große Kaliber, das womöglich noch mit einer Zeitzündung versehen war. Mit einem Wort: es reichte mir.
Aber ein Heiliger hat nicht nur mit seinen Verehrern Scherereien; über ihm stehen ja noch die Götter. Und die bereiten ihm auch noch Schwierigkeiten.
Die Neubaugasse im Siebenten Wiener Bezirk ist zwar häßlich, aber zur Stimulierung des Lebensgefühles sehr geeignet. Ihre Fahrbahnen sind häufig verstopft von Lieferwagen, Autobussen und Taxis, ihre Gehsteige zu gewissen Zeiten dicht besetzt von Leuten, die möglichst schnell etwas kaufen oder verkaufen wollen, gerade von jemandem übers Ohr gehauen wurden oder einem anderen in der nächsten Minute das Weiße aus dem Auge nehmen werden, die dem Herzinfarkt nahe, aber geschäftlich auf der Höhe sind, unter heftigem Streß leiden, unter Streß-Entbehrung aber noch mehr leiden würden, die in lange ersehnte Urlaube fahren, diese aber am dritten Tag wieder abbrechen, um dringender Gründe wegen in die lärmende Neubaugasse zurückzukehren, in diese Gasse, die quer zu allen Winden steht, so daß die Abgase der Autos niemals weggeweht werden, sondern sich als ein dicker bläulicher Wurm träge die ganze lange Straße hindurchwinden, diese Gasse mit den unzähligen Geschäften, Büros und Kontoren, die von den Hausfronten her tief in die Hinterhöfe hinein und bis in die dritten Stockwerke hinauf wuchern, ein Kommerz-Mycel bildend, auf dem Gewinne und Verluste, Vertragsabschlüsse und Konkurse, Fusionen und Betrügereien, Projekte und Bilanzen üppig aufblühen, schnell unaktuell werden und neuen Platz machen, diese Gasse, in der man jede Ware, alle Kostbarkeiten und jeglichen Ramsch der Welt kaufen, bestellen, in Auftrag geben, in Empfang nehmen, ordern, fakturieren, unterschlagen, tauschen, importieren, exportieren und verschieben kann, denn hier gibt es alles: Pelze und Papier und Matratzen und Filme und Möbel und Puppen und Nordseefische und Südfrüchte und Bücher sowie Reformkost und Teppiche und Maschinen und Sanitärartikel und Haschisch und Schuhe und Büstenhalter und die Mode vom vorigen, heurigen und dem nächsten Jahr, ferner auch Kellner, harte, aber schönbusige Geschäftsinhaberinnen im Seidenkleid und dickbäuchige Händler in maßgeschneiderten Schuhen und windige und clevere junge Manager und Redaktionstypen und hübsche Verkäuferinnen und dazwischen G’scherte vom Land und Balkanesen, die sich von der Mariahilfer Straße hierher verirrt haben; das alles hat’s eilig und muß schnell noch was Wichtiges erledigen, hat eben was erledigt, hat Sorgen und noch was zu besorgen, ist schon erledigt, kriegt keine Luft, läuft in die Autos, rempelt sich an und strampelt wie der Frosch in der Milch. Als Futterplatz, Jagdrevier und Tränke wird es von keinem anderen Stadtteil übertroffen, dieses Neubaugassen-Viertel, in dem sich das Dschungelhafte unserer Zivilisation so deutlich manifestiert (oder manifestierte; wer weiß schon, was morgen sein wird?).
Da alles erhältlich war in der Neubaugasse, konnte man dort sogar konzentrierte Ruhe bekommen. Ich hatte mein kleines Unternehmen in einer Hinterhofwohnung eingerichet, in welcher der Lärm der Gasse, die doch nur ein paar Dutzend Schritte entfernt war, nur mehr als ein fernes, gleichmäßiges Rauschen hörbar war. In allen anderen Wohnungen dieses Hinterhauses lebten Greisinnen leise wie Zimmerpflanzen dahin, vor unseren Fenstern bildeten nie geschnittene Fliederbüsche einen grünen Schirm, und in den Fenstern selbst standen schön geordnet die vielen Blumen, die meine gänzlich unentbehrliche Mitarbeiterin teils mit Begeisterung kaufte, teils von ihren Gefolgsleuten in Überfülle erhielt; die dunkelroten Rosen des Fürsten, denn dieser Farbe blieb er hinfort treu, wirkten neben den ebenso unveränderlich weißen des Legationsrates nun als eine Dominante dieses floristischen Stillebens.
Aber so idyllisch das auch aussah, die Arbeit, die wir vor diesem blumigen Hintergrund leisteten, war es leider nicht. Meine anfängliche Hoffnung, daß man mit der Herausgabe hochspezialisierter Fachliteratur und sorgfältig redigierter Dokumentationen Erfolg haben könnte, erfüllte sich zwar, aber auf die gleichfalls erhoffte langsam-gründliche und anständig-geruhsame Weise ging’s leider ganz und gar nicht; die entsprach nun einmal nicht dem allgemein vorherrschenden Trend zum knappen Termin; das zu umgehender Effizienz eingesetzte Kapital wollte raschest auch umgesetzt sein, gut Ding durfte alles, nur keine Weile brauchen; die Qualität der Produktion bestimmte sich nicht nur nach ihrer tatsächlichen Güte, sondern ebenso danach, daß sie im richtigen – und das hieß stets: schnellstmöglichen – Augenblick zum richtigen Platz – nämlich überallhin – gelangte. Auch war Werbung unumgänglich, aber um die finanzieren zu können, mußten wir wohl oder übel selbst ins Werbegeschäft hineinsteigen; das jedoch verlangte erst recht Effizienz und Schnelligkeit und war mit der übrigen oder vielmehr eigentlichen Arbeit nie ganz in Einklang zu bringen – nun ja, am Ende hatte ich mehr Geld, als ich eigentlich brauchte, aber auch einen Haufen Nierensteine, die ich nicht gebraucht hätte, war höchst überanstrengt und zugleich unbefriedigt.
Darin war ich nicht der einzige, so ging es damals vielen: Überanstrengung war ein Stilmerkmal jener Jahre und einer der Gründe für die ersten Störungen der laufenden Programme, die die große Interdependenzmaschinerie uns lieferte.
Ans Aufgeben dachten wir deswegen freilich noch lange nicht, sondern arbeiteten uns unter zunehmend mörderischer werdenden Bedingungen fleißig weiter durch Berge von Schwierigkeiten, um jenen magischen Punkt zu erreichen, welcher »der Erfolg« hieß und dessen Vorzug allein darin bestand, daß man dort nicht mehr das tun mußte, was man hatte tun müssen, um ihn zu erreichen. Aber wer durchschaute damals schon diesen Circulus vitiosus, der uns allen die Seelen aus dem Leib sog und den gesunden Kreislauf verdarb?
Der Medizinalrat, ja, der schon. Der hatte das früher begriffen als seine Patienten.
»Einer der Gründe dafür, warum unsere Zivilisation zum Teufel gehen wird, ist die ungleiche Verteilung der Arbeitslast«, pflegte er zu lehren. »Früher waren die Gescheiten gescheit genug, den ganzen lieben Tag lang auf der Agora herumzustehen oder über die Piazza zu spazieren, zum einzigen Zwecke des Tratschens, Klatschens, Streitens und Geschichtenerzählens. So entstanden die sokratischen Dialoge, die großen Epen, die Lehrgebäude der Pythagoräer und die Stoa, die Divina commedia und die Vermutung, daß alles Gute auch schön sein müsse. Aus diesem endlosen Gerede erwuchsen Philosophie, Literatur und Theologie, Kunst und was alles sonst noch für wichtig zu erachten ist. Alles. Indessen arbeiteten die Unerfinderischen und Unbegabten, die Trottel und die Armen auf den Feldern und in den Werkstätten, um dem Tratsch und den Diskussionen ihrer Herren die gesunde ökonomische Grundlage zu geben. So und nicht anders entstand Kultur. Unterbrich mich bitte nicht – deinen Einwand, daß dies Systeme schreiender sozialer Ungerechtigkeiten waren, akzeptiere ich sowieso, obwohl ich mir, beim Allmächtigen Baumeister!, wünschte, es würden endlich einmal die statistischen Nachweise dafür veröffentlicht – vorhanden sind sie, daß Armut als kollektives Phänomen nicht nur ökonomische oder soziale Ursachen hat, sondern vielfach einem Mangel an Intelligenz entspringt, insofern nämlich, als ja auch ökonomische und soziale Verhältnisse von Begabung und Intelligenz bestimmt werden. Nur – wie steht’s denn heute mit der Gerechtigkeit? So steht es, daß die Leute mit dem höheren Intelligenzund Bildungsquotienten gar keine Zeit mehr für die Agora haben, sondern sich in Sechzigbis Achtzigstundenwochen bis zum Herzinfarkt schinden, um das große Werkel mit Ach und Krach im Laufen zu halten, während die Herren Kolonen nach Caorle und Riccione fahren, wo sie faul am Strand liegen, um ihrerseits und auf ihre Weise von Gott und der Welt zu reden. Und so sehen heutzutage Gott und die Welt denn auch aus.«
Ja, das war so die Art, in der mein Freund seine Raisonnements vorzubringen pflegte, leichthin, feuilletonistisch quasi, nicht gleich erkennen lassend, daß dahinter eine Masse von fundiertem Wissen und präzisen Informationen steckte, die sein Gehirn aufgesogen hatte wie ein Schwamm das Wasser. Schade, daß er völlig unfähig war, seine Meinungen niederzuschreiben, es war die reinste Vergeudung, was er da als Wortsteller trieb, als ein unheiliger Nikolaus, der die Kindlein mit skandalösen Erkenntniskletzen beschenkte, mit Milchzuckerln unfrommer Denkungsart und bitteren Denknüssen, aber er war eben kein Festhalter, der Medizinalrat, kein Fixierer, sondern ein eitler Peripatetiker, ein großer Causeur, der auf das Ernstgenommenwerden gerne verzichtete, wenn er nur Verblüffung erzielen konnte. Die freilich war ihm sicher, sobald er nur den Mund auftat, lediglich Tuzzi nahm ihn alsbald ernst und hörte seinen Raisonnements so aufmerksam zu, als müßte er sie in Gedächtnisprotokollen festhalten. Vielleicht hat er das sogar wirklich getan; der Legationsrat und sein Interministerielles Sonderkomitee sind ja an einigen Maßnahmen der letzten Tage sicherlich mitbeteiligt gewesen; etliche Details dieser Maßnahmen (auf deren Wirkung man nur hoffen kann) muten mich denn auch so an, als hätte da jemand aus einigen Thesen des Medizinalrats Konsequenzen gezogen.
Meine Montag-Besuche in seinem Dienstzimmer setzten sich fort, ohne daß er wieder auf das gewisse Thema zu sprechen gekommen wäre; das hätte mir auffallen sollen, denn der Medizinalrat hatte sich meines Wissens noch niemals auch nur einer Spur von Diskretion befleißigt, wenn ihn etwas interessierte oder er irgendwas in Erfahrung bringen wollte; aber es fiel mir nicht auf, oder vielmehr: ich gab mich lieber dem Glauben hin, er habe die Sache vergessen oder wolle sie ihrer Aussichtslosigkeit wegen nicht weiter verfolgen. Natürlich steckte hinter dieser Selbsttäuschung nicht viel anderes als der Wunsch, den besonderen Geist, der in diesem Raum herrschte, nicht zu verstören.
Die lange Verbundenheit mit dem Mann, der diesen Geist beschwor, und einige Umstände meiner allzu geschäftigen Lebensweise hatten es nämlich mit sich gebracht, daß ich jenes große Zimmer mit seinen altmodisch hohen Fenstern, seinen dicken Vorhängen und Teppichen als einen Zufluchtsort und Ruhepunkt überaus schätzte. Es war, möchte ich sagen, ein heilsames Zimmer; und der Aufenthalt darin, auch wenn er nur eine halbe Stunde oder nicht viel länger dauerte, wirkte auf die Nerven, auf meine jedenfalls, wie eine gute Massage auf die Muskeln, entspannend und besänftigend über Tage hinaus.
Nicht, daß es ein besonders schönes Zimmer gewesen wäre; dazu war sein Mobiliar viel zu groß dimensioniert und waren zu viele Erinnerungsstücke, gerahmte Fotografien und Berufstrophäen allzu unbekümmert über sämtliche vorhandenen, horizontalen und senkrechten Flächen verteilt, darunter freilich auch sehr wertvolle, ja kostbare Stücke, denn wenn der Medizinalrat auch keinerlei Geschmack besaß, so hatte er doch einen unbeirrbaren Riecher für hohe Qualitäten; um etliche Bilder und Kleinbronzen in diesem Raum hätte ihn jedes Museum beneidet.
In meinen Augen war das bedeutendste Stück eine Federzeichnung, darstellend eine Hügellandschaft, in der ein bäuerlicher Leichenwagen auf eine enge Straßenkurve zufuhr; diese sehr gute Arbeit aus der mittleren Zeit Alfred Kubins liebte ich besonders, denn sie gehörte in gewissem Sinne auch mir, erinnerte sie uns doch beide, den Medizinalrat und mich, an eines unserer ersten gemeinsamen Erlebnisse.
Es ist gut, daß ich auf meinem Weg in die Vergangenheit zufällig auf diese Zeichnung gestoßen bin, auch wenn ich nun zwischen dem Fürsten und Tuzzi, zwischen dem Silbernen und mir vielleicht auf einen Umweg geraten bin. Aber vielleicht ist es gar keiner. In unserem sonderbaren Lande Österreich sieht ja vieles wie Zufall aus, was sich bei genauerer Erwägung doch nur als Folge einer großen Dichtigkeit auf verhältnismäßig kleinem Raum erweist, einer eminenten Dichte von Zusammenhängen personaler und historischer, administrativer und pur menschlicher Natur, in der alles von allem durchdrungen ist oder jedes mit jedem zeitlich wie räumlich derart verbunden ist, daß weitere Konnexe und Konjunktionen unaufhörlich von selbst sich herstellen. Was immer man hierzulande angreift, es kann zum Schlüssel werden für alles andere. Und so mag es sein, daß diese Zeichnung – nur Geduld! es muß da noch einiges entwirrt werden! – über Zwickledt und Mauthausen doch auch zu ihr führt. Nur darum geht es mir: nur um sie.
Es muß im Frühling des Jahres 1955 gewesen sein, als der Medizinalrat, damals gerade Primarius geworden und somit als der einzige von uns halbwegs gut verdienend, sich sein erstes Auto leistete und uns, mich und Kurt Moldovan, zur Jungfernfahrt einlud.
Obgleich wir ohne bestimmes Ziel losgefahren waren, ergab sich’s bald von selbst, auf magische Weise geradezu, daß wir schließlich hinauf in den Dreiländerwinkel gerieten, in dem seit Jahrzehnten Alfred Kubin lebte; es wird wohl Moldovan gewesen sein, der als erster vorschlug, dieser schon zu Lebzeiten mythisch gewordenen Gestalt der österreichischen Kunst einen Besuch abzustatten.
Wir waren jung – auch der Medizinalrat war’s damals noch – und genossen die Fahrt durch das blühende Land sehr; ein Auto zu haben, mit dem man sich so frei bewegen konnte wie man wollte, und abschweifen, wohin man wollte (die Russen hatten die Kontrollen an der Demarkationslinie schon aufgehoben), das war in jenen Tagen noch etwas Besonderes, etwas, das Freiheit zu gewähren schien; die Welt kam uns nicht nur schön, sondern auch angenehm komfortabel vor, und die Überschwemmung mit solchen und ähnlichen Empfindungen versetzte uns in den Zustand einer leichten Berauschtheit, in der sich die Eindrücke vervielfachten und jeden von ihnen zur Quelle neuer Heiterkeiten werden ließ.
Das hinderte uns nicht, mit geradezu ehrfürchtigem Respekt vor den großen Alten hinzutreten.
Kubin war damals im sechsundsiebzigsten Jahr; kurz zuvor war sein Roman »Die Andere Seite« neu aufgelegt worden und erwies nun, ein halbes Jahrhundert, nachdem er geschrieben worden war, seine nostradamischen Dimensionen.
Kubin empfing uns freundlich, mit der gleichmütigen Entrücktheit eines alten Mannes, an dem schon zu viele Besucher vorübergegangen waren, als daß er zwischen ihnen noch unterschieden hätte. Moldovan hatte einige seiner Zeichnungen mitgebracht, um sie von dem großen Alten absegnen zu lassen, aber der Meister prüfte nicht die Zeichnungen, sondern nur das Papier, fand es schlecht und schenkte seinem Nachfolger im Geiste aus dem eigenen Vorrat etliche leere Blätter besonders schönen Papiers (wenige Tage vor seinem Tod hat mir Moldovan noch erzählt, daß er eben das letzte verwendet habe; er ist sparsam damit umgegangen; schade, daß ich nicht mehr erfuhr, was er darauf gezeichnet hat).
Wir saßen in Kubins Arbeitszimmer, das nicht einem Atelier, sondern eher der Studierstube eines Wissenschaftlers glich (auf dem Bücherbord sah ich ein violettes Glasglöcklein, dessen Klöppelknauf aus einem winzigen elfenbeinernen Totenschädelchen bestand), versuchten schüchtern – auch der Medizinalrat war es damals – unserer Verehrung Ausdruck zu geben und verabschiedeten uns bald, weil wir die anständige Meinung hegten, daß man einen so alten Mann nicht daran hindern sollte, den Rest seines Lebens mit wichtigeren Dingen hinzubringen. Aber das war überraschenderweise dem Hausherrn nicht recht, ihm schien’s vermutlich nicht gastfreundlich genug, Fremde – mochten sie auch immerhin nur die Vertreter einer bestimmten Gattung und nicht eigentlich Individuen sein – so bald gehen zu lassen; er bestand darauf, uns wenigstens noch die nähere Umgebung seines Sitzes zu zeigen.
In dieser Dreiviertelstunde mit Kubin, der, haarlos und mit gelblicher Haut, in kaftanähnlichem Hausrock, wie einer der mysteriösen Lamas wirkte, die auf der Anderen Seite des Flusses unbewegt dem Vermodern der Stadt Perle zusehen, machten wir einen Ausflug in eine Parallel-Welt, die weit realer war als alles, was über derlei Möglichkeiten in der gesamten Science-Fiction-Literatur steht. Kubin zeigte uns einen kleinen Froschtümpel hinter dem Haus und murmelte, daß er niemals begriffen habe, wie da die Krokodile und Schlangen hineingeraten seien, die er hier »nur abgezeichnet« habe; dann erzählte er uns von seiner längst verstorbenen Frau so, als ob sie noch lebte, sprach er von den Ereignissen der letzten Kriegstage, verwechselte aber Szenen von 1945 mit anderen von 1918, wies er hinüber ins Tschechische und sagte, daß er noch einmal dorthin wolle und deshalb an den Präsidenten Masaryk schreiben werde, seinen alten Freund (aber Masaryk war der Präsident der ersten tschechischen Republik gewesen und damals schon längst tot).
Jedoch hatte dieses Durcheinanderbringen von Zeiten und Orten, hatte dieser Austausch von Wirklichkeit und Phantasie durchaus nichts Greisenhaftes oder Seniles an sich, wirkte auf uns auch keineswegs beklemmend und besorgniserregend, denn es hörte sich freundlich an und war geradezu unglaublich weit von jeder Boshaftigkeit entfernt; ich glaube, daß ich niemals mehr in meinem Leben einen so kindlichen Mann getroffen habe (und doch war dies der Enzyklopädist des Dämonischen, Prophet der Verwesung und Seher der Vermoderungen) – und schließlich begriffen wir’s: dieser Mann war jenseits seines Alters so alterslos und so sehr alt schon immer gewesen, daß die Geschiche an ihm nicht als eine Aneinanderreihung willkürlicher Ereignisse vorbeigegangen war, sondern sich ihm als eine Kollektion von Mustern darbot: sie zeigte ihm ihre Strukturen. Eine davon war der Krieg, nicht der vergangene und vorvergangene, sondern der Krieg an sich; andere Muster waren das Krokodil oder die Schlange, die aus jedem beliebigen Wasserloch gekrochen kamen, um sich von ihm abzeichnen zu lassen, und ein Drittes war die ununterbrochene Abnützung des Seienden an sich.
So gerieten wir unter dem sanften Zauber dieses Mannes sehr schnell in die Welt der Staubdämonen und Verwesungsgeister, doch empfanden wir auf dieser Anderen Seite nicht Schrekken oder Angst – die kamen erst später, sondern im Gegenteil ein sonderbares Wohlbehagen, dem Gefühl der Befriedigung ähnlich, das man hat, wenn man als Schwimmer oder Flieger in ein anderes Element eintaucht und spürt, daß man von ihm nicht versehrt, sondern friedlich mitgenommen wird.
Als wir dann die Straße von Zwickledt nach Schärding hinabfuhren, kam uns ein kleiner altmodisch-bäuerlicher Leichenwagen entgegen. »Den hätte Kubin zeichnen können«, sagte Moldovan.
Doch Kubin hatte ihn bereits gezeichnet, viele Jahre zuvor schon. Später kaufte der Medizinalrat das Blatt und hängte es in seinem Dienstzimmer auf, zur Erinnerung an unsere gemeinsame Fahrt.
Und dann kam wieder ein Montag, und wieder saß ich im tiefen Lederfauteuil, sah über dem Kopf des Medizinalrats die Zeichnung mit dem Leichenwagen und grübelte über allerlei von mir vermutete Zusammenhänge zwischen Zwickledt und der gegenwärtigen Situation, fühlte mich dabei, denn dieser Montag war glimpflich verlaufen, halbwegs im Einklang mit dem Weltganzen – und da fing der Medizinalrat doch wieder mit dem Thema an, dem gewissen und gefürchteten, während er die ominöse Glasdose vors Auge hielt und die Kügelchen darin hinund herrollen ließ.
»Ich betrachte«, sagte er, leiser als sonst, »diese Küglein da in letzter Zeit immer nachdenklicher, im selben Maß nachdenklicher, in dem ich finde, daß unsere Existenz zunehmend unlustiger wird. Falls du dich fragen solltest, ob das ein Symptom des Alterns ist, werde ich diese Frage mit einem Ja beantworten, aber hinzufügen, daß ich und du zwar gewiß auch nicht jünger werden, die Welt um uns aber derzeit sehr viel rascher altert als wir. Sie kühlt aus, sie stockt auf der Stelle, sie hat sich ihrer Willensfreiheit begeben: in ihr wird morgen passieren, was gestern schon festgelegt wurde. Und darauf bin ich nicht neugierig, ja, ich fange an – das eben ist es, meine Neugier auf diese schon erstarrte Zukunft zu verlieren, und das ist schlimm, denn ich vermute, daß lediglich die Neugier, wie es weitergehen und wo das alles enden wird, uns über die Zeiten hinwegzuhelfen vermöchte, die einem so ins Haus stehen – jedenfalls wüßte ich nicht, was sonst unsereinen dazu bewegen könnte, sie erleben zu wollen. Mein alter Verdacht, daß man nur solange lebt, als man Neugier aufbringt, verstärkt sich: ohne Neugier ist nicht nur das Leben, sondern folglich erst recht das Überleben unmöglich.«
Er machte eine Pause und ließ die Kugeln in die Gegenrichtung kreisen. Im Fenster wurde es schon wieder dämmerig.
Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? Der Medizinalrat drückte nichts anderes aus als das, was zu jener Zeit fast jeder gelegentlich dachte, nur daß er es eben auf seine Weise und daher viel besser formulierte. Vom Untergang der Welt zu reden war ja damals (damals? kaum vier oder fünf Jahre ist’s her – ach ja, die Zeit geht schnell dahin in letzter Zeit!) fast zum Gesellschaftsspiel geworden: wohin man kam, überall war’s grade im Gange, in Gesellschaften und im Kaffeehaus, in den Redaktionen, beim Heurigen und zahlreichen Symposien; jedermann war herzlich eingeladen, mitzutun.
»Ich bin Saturnier und Kainit wie du«, fuhr der Medizinalrat fort. »Und also gehöre ich wie du einer Rasse an, die zwar zum Genuß, nicht aber zum Glücklichsein disponiert ist. Das hat mich bis jetzt so wenig geschert wie dich, denn wir wissen schon, daß das Glück kein Movens mundi et vitae ist – anders als die Neugier, die die Welt sehr wohl bewegt. Einsamkeit ist nichts Ungewohntes für uns. Aber ich beginne nun, da das immerhin wärmende Flämmchen der Neugier in mir erlischt, auch noch zu frieren, und das bin ich nicht gewohnt. Es schaudert mich jetzt, wenn ich mir bei der Visite die Leute ansehe, die ich mit so viel Kunst an einem Leben halte, mit dem sie so wenig anzufangen wissen. Mir rinnt’s kalt über den Rücken, wenn ich unsere Maßgebenden ganz ausschließlich von Angelegenheiten reden höre, die heute schon wesenlos und nur noch Wiederholungen von Wiederholungen, Schatten von Schatten sind. Wie du weißt, lebe ich nicht gut mit meiner Frau, aber ich hatte doch Freude an meinen Kindern – auch die ist vorbei: ihre unschuldigen Augen lassen mich noch in meinen Träumen erschauern, denn ich habe erkannt, daß es die Unschuld der Barbaren ist, die in ihnen steht. Es wird leider kalt, Bruder, und es friert mich. Und drum versteh bitte mein dringendes Bedürfnis nach diesem unmöglichen Geschöpf, das mir da mitten in der kalten Nacht strahlend vor Zorn Watschen angetragen hat – es war das Lebendste, was ich seit langer Zeit gesehen habe, und ist im Augenblick das einzige, was meine Neugier wachhält. Sag mir, wenn du es weißt, wo ich dieses Ding finden kann. Weißt du es?«
»Keine Ahnung«, sagte ich, obwohl ich ziemlich betroffen war über den Ton, in dem er das alles gesagt hatte, sehr persönliche Dinge preisgebend und fast ohne seine sonstige Drauflosschwadroniererei; aber ich war mir doch nicht sicher, ob er nicht wieder nur fintiert hatte, um zu erreichen, was er sich nun einmal in seinen dicken Schädel gesetzt hatte; denn er konnte neben allem anderen auch ein hervorragender Komödiant sein, wenn’s ihm gerade paßte. Nein, ich verriet ihm auch diesmal nichts.
Die unvermeidliche Fortsetzung kam wiederum erst einige Wochen später, und sie begann wie eine jener Theaterszenen, in denen plötzlich eine Tür aufspringt, aber wer anderer als der Erwartete eintritt.
Die Tür sprang mitten in einer der vielen Nächte auf, in der wir, unsere Freundin und ich, in unserem Arbeitsraum saßen und die Schlampereien der anderen ausbesserten, der Sozialversicherten und Kündigungsgeschützten und Krankengeldanspruchsberechtigten, die pünktlich um fünfzehn Uhr dreißig abgezogen waren, nachdem sie uns höflich noch einen guten Abend und gute Arbeit gewünscht hatten.
… Sie sprang also plötzlich auf, ohne daß wir Schritte im Vorraum gehört hatten, und herein schoß wortlos ein junger Mann in einem roten Samtsakko, sah uns einen Augenblick lang scharf an, lief hinüber zur Abstellraum-Tür auf der anderen Seite, riß sie auf, blickte hinein, warf sie wieder zu und sauste ebenso wortund lautlos, wie er gekommen war, quer durchs Zimmer und beim Eingang hinaus.
Das war so schnell vor sich gegangen, daß wir nicht einmal Zeit zum Erschrecken gehabt hatten, und kaum war der Rotsamtene wieder draußen, als auch schon eine neue Erscheinung auftauchte, ein junger Mann wiederum, der sich in den Türrahmen stellte und über die Schulter ins Vorzimmer zurück die Worte sprach:
»Herr Chef, i glaub’, mir ham s’.«
Nachdem er dies gesagt hatte, zog er sich ebenfalls in das Vorraum-Dunkel zurück, und an seiner Stelle erschien wie durch Zauberei ein gewaltiger Strauß orangenfarbener Rosen, der von den Händen eines silberhaarigen Mannes in grauem Anzug getragen wurde. Dieser Mann kam mit ruhigen Schritten herein, blieb stehen und sagte:
»Guten Abend. Und ’tschuldigen schon vielmals.«
Das war so höflich und freundlich gesagt, daß es unser nun endlich doch einsetzendes Erschrecken sofort unterdrückte.
»… Wie sind Sie denn da hereingekommen?« fragte meine Freundin, und das war eine naheliegende Frage, denn um nächtlicherweile in unser Büro zu gelangen, mußte man nicht nur das große Haustor in der Neubaugasse aufsperren, sondern auch noch das kleinere zum Hinterhof, das von den alten Frauen schon am Abend ängstlich verschlossen wurde, und schließlich auch noch die Tür zu unserem Vorzimmer. Und wir hatten nicht das kleinste Geräusch gehört!
»Ah«, sagte der Mann, »das is’ weiter keine Kunst. Der Horsti kann das schon.«
Der Rotbejackte, offensichtlich also der Horsti, steckte blitzschnell den Kopf ins Zimmer herein, merkte, daß er nicht gerufen worden war, und zog ihn wieder zurück.
Der Fremde – mit seinem Maßanzug, seiner sorgfältig gebundenen silbernen Krawatte und seinem auch sonst gepflegten Erscheinungsbild glich er vielen Geschäftsleuten in der Neubaugasse – sah auf die Rosen, dann flüchtig auf mich, schließlich konzentriert auf sie und sagte vorwurfsvoll:
»Sieben Wochen haben wir Ihnen gesucht! Volle sieben Wochen!«
»Na und?« sagte sie kühl und schon ganz auf der Höhe der Situation.
»Ah so, ja natürlich«, antwortete er, »Sie haben es ja nicht wissen können? Daß ich hinter Ihnen her war, was?«
Er war, entschied ich während dieses absurden Dialogs, doch kein Neubaugassengeschäftsmann, oder jedenfalls keiner von der normalen Sorte: die trägt keine erbsengroßen Brillanten in den Manschetten, keine diamantbesetzten Armbanduhren und keine Vielkarätigen am Ringfinger.
»Nein«, sagte meine Freundin, »ich hab’s nicht wissen können. Und jedenfalls g’hört sich das nicht, daß man mitten in der Nacht in die Häuser kommt und die Leut’ erschreckt!«
»Nein, eigentlich g’hört sich’s wirklich nicht!« sagte der fremde Gast. »Aber wenn ich Ihnen nach sieben Wochen endlich g’funden hab’ – und ich kann doch die Blümerln da nicht ewig aufheben, nicht wahr?«
Er trat vor, verbeugte sich, hielt ihr die Rosen unter die Nase und sagte auf hochdeutsch:
»Gestatten Gnädigste höflichst, daß ich Ihnen überreiche?«
Sie nahm den Strauß mit Grazie entgegen, schnupperte über die Blumenköpfe hin und sagte, schon halb versöhnt, denn Blumen konnte sie niemals widerstehen:
»Danke schön! Schön sind die. – Aber wenn’s nicht eing’wassert werden, sind’s morgen hin.«
»Glauben Gnädigste? Na ja, ich trag’ die Blümerln jetzt schon so lang herum. Horsti!«
Der Rotsamtene tauchte wieder auf.
»Da!« sagte sein Chef, nahm der Freundin – »’tschuldigen schon, die Gnädigste!« – den Rosenstrauß wieder aus den Händen und übergab ihn dem Horsti: »Einwässern die Rosen! In der Waschschüssel draußen.«