Читать книгу Grundkurs Arbeitsrecht für die Soziale Arbeit - Jörg Reinhardt - Страница 9

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1Einführung in das Arbeitsrecht

Das Arbeitsrecht wird als „Sonderrecht der Arbeitnehmer“ bezeichnet. Es umfasst alle rechtlichen Rahmenbedingungen, die für die Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen von Bedeutung sind und regelt alle durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ziel des Arbeitsrechts ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen von Arbeitgebern und dem in aller Regel vorhandenen sozialen Schutzbedarf und Sicherheitsinteresse der Arbeitnehmer zu schaffen.

Arbeitsverhältnisse können im Einzelfall eine ganze Reihe von Problemen aufwerfen. Beginnend mit der Frage, ob überhaupt ein Vertrag geschlossen wurde, über Fragen seines Inhalts (z. B. Aspekte des Einsatzorts, der Arbeitszeit, der Urlaubsansprüche, von Wochenenddiensten und Pausenregelungen) bis zu dessen Beendigung umfasst das Arbeitsrecht eine Vielzahl unterschiedlichster Regelungsfelder. Ganz grundsätzlich untergliedert sich das Arbeitsrecht dabei in zwei große Teilbereiche:

•das Individualarbeitsrecht, das die Rechte und Pflichten der einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Bezug auf ein konkretes, individuelles Arbeitsverhältnis festlegt, und

•das Kollektivarbeitsrecht, das die Rechte und Pflichten bestimmter arbeitsrechtlich relevanter Gruppen (z. B. der Tarifpartner oder von Betriebsräten) regelt. Hierzu gehören etwa das Tarifvertragsrecht, das Betriebsverfassungsrecht oder das Arbeitskampfrecht.

Das Arbeitsrecht ist als ein eigenständiges Rechtsgebiet anerkannt. Trotzdem sind alle bisherigen Gesetzgebungsinitiativen zur Schaffung eines einheitlichen „Arbeitsgesetzbuchs“ gescheitert. Das hängt auch mit rechtssystematischen Schwierigkeiten zusammen: Im Arbeitsrecht geht es vor allem um den Abschluss und die Abwicklung von Arbeitsverträgen (vgl. §§ 611a ff. BGB), was dem Zivilrecht zuzurechnen ist. Daneben beinhaltet das Arbeitsrecht aber auch Aspekte, die zum öffentlichen Recht gehören: Gerade die Regelungen über den Arbeitsschutz oder die Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer stellen öffentlich-rechtliche Regelungen dar, die ggf. (z. B. bei Verstößen gegen Beschäftigungsverbote) ein hoheitliches Einschreiten von Behörden (bspw. des Gesundheits-, des Integrations- oder des Gewerbeaufsichtsamts) nach sich ziehen können. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Teilbereiche des Arbeitsrechts.


Abb. 1: Teilbereiche des Arbeitsrechts

1.1Rechtsquellen im Arbeitsrecht

Da das Arbeitsrecht nicht in einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst ist, stehen hier viele Rechtsquellen nebeneinander. Es ist daher immer sorgfältig zu prüfen, welche Regelung oder Rechtsnorm auf eine bestimmte Rechtsfrage anwendbar ist und welche eine andere verdrängt.

Beispiel

Erzieherin E will kündigen. Gilt die Kündigungsfrist aus dem Tarifvertag oder die des BGB?

Sozialarbeiterin A hat Urlaub beantragt. In ihrem Arbeitsvertrag sind 31 Urlaubstage pro Jahr vereinbart, im einschlägigen Tarifvertrag sind nur 29 Urlaubstage vorgesehen, im Bundesurlaubsgesetz sind es nur 24 Tage jährlich. Welche Rechtsquelle ist nun maßgeblich?

Arbeitsvertraglich relevante Regelungen können sich dabei aus folgenden Rechtsquellen ergeben.

1.1.1Internationales Recht

Im Rahmen des internationalen Rechts sind vor allem die Regelungen des Europarechts von erheblicher Bedeutung für das Arbeitsrecht.

Bereits der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) enthält für das Arbeitsrecht so wichtige Grundfreiheiten wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Diese schützen EU-Staatsangehörige vor Benachteiligungen, wenn sie grenzüberschreitend tätig sind. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist der in Art. 157 AEUV enthaltene Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen, wenn diese gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten.

Im Rahmen des sog. sekundären Gemeinschaftsrechts unterscheidet man EU-Verordnungen, die – wie die vorgenannten Regelungen des AEUV – in den Mitgliedsstaaten unmittelbar und ohne weitere nationale Umsetzungsakte wirken (Art. 288 Abs. 2 AEUV), und Richtlinien, deren Vorgaben durch die Mitgliedsstaaten in deren nationales Recht zu übernehmen sind (Art. 288 Abs. 3 AEUV), die aber für sich keine unmittelbare Rechtswirkung auf den Bürger entfalten.

Die wichtigsten Beispiele für unmittelbar anwendbare EU-Verordnungen im Bereich des Arbeitsrechts sind die sog. „Freizügigkeitsverordnung“ (VO Nr. 492 / 2011), die die in Art. 45 AEUV enthaltene Arbeitnehmerfreizügigkeit konkretisiert, und die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Diese regelt u. a. den Umgang mit personenbezogenen Daten von Arbeitnehmern (Kap. 3.5.1).

Im Bereich der Richtlinien gibt es eine ganze Reihe wichtiger Bestimmungen, die in das deutsche Arbeitsrecht übernommen wurden. Einige dieser Richtlinien dienen der Beseitigung von Diskriminierungen:

•Die Gleichbehandlungsrichtlinie (2006 / 54 / EG) soll die Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherstellen, während die sog. „Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie“ (2000 / 78 / EG) den Schutz vor Diskriminierungen wegen der Religion und Weltanschauung, aber auch wegen Behinderung, Alter oder der sexuellen Orientierung bezweckt. Die Vorgaben beider Richtlinien sind in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingeflossen (Kap. 3.1.3 und 3.5.3).

•Mit der „Entsenderichtlinie“ (1996 / 71 / EG) wird ausgeschlossen, dass die deutschen Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzbestimmungen umgangen werden. Diese Richtlinie wird im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) umgesetzt.

Im Bereich des Arbeitsvertragsrechts existiert eine ganze Reihe weiterer Richtlinien, die in das deutsche Recht überführt wurden. Diese zeigt Tabelle 1.

Tab. 1: EU-Richtlinien zum Arbeitsvertragsrecht

RichtlinieZiel/InhaltUmsetzung in
Nachweisrichtlinie (1991/533/EWG)Pflicht der Arbeitgeber zur Unterrichtung ihrer Arbeitnehmer über die für deren Arbeitsverträge geltenden BedingungenNachweisgesetz (NachwG)
Befristungsrichtlinie (1999/70/EG)Verhinderung der Aushöhlung des arbeitsrechtlichen Schutzes von Arbeitnehmern durch die Befristung von ArbeitsverhältnissenTeilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
Richtlinie über Teilzeitarbeit (1997/81/EG)Beseitigung von Diskriminierungen Teilzeitbeschäftigter; Förderung der Teilzeitarbeit und einer flexiblen Organisation der ArbeitszeitTeilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG)verbesserter Schutz von Leih- oder Zeitarbeitskräften (Grundsatz des „equal pay, equal treatment“)Arbeitnehmerüber lassungsgesetz (AÜG)
Betriebsübergangs richtlinie (2001/23/EG)schützt die vertraglichen Rechte von Arbeitnehmern, wenn ein Betrieb oder ein Unternehmen verkauft wird und dadurch ein anderer Arbeitgeber an die Stelle des früheren tritt§ 613a BGB

Besonders bedeutsam sind auch die im Bereich des Arbeitsschutzrechts vorhandenen Richtlinien der EU, die in Tabelle 2 genannt werden.

Tab. 2: EU-Richtlinien im Bereich des Arbeitsschutzes

RichtlinieZiel/InhaltUmsetzung in
Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG)Vorgaben zu Höchstarbeitszeiten, Nachtarbeit, zwingend einzuhaltenden Ruhe- und Pausenzeiten sowie zum MindestjahresurlaubArbeitszeitgesetz (ArbZG) Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)
Richtlinie über den Jugendarbeitsschutz (1994/33/EG)schützt Minderjährige durch Beschäftigungsverbote für bestimmte Tätigkeiten sowie durch Vorgaben zur Arbeitszeit einschließlich eines NachtarbeitsverbotsJugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG)
Mutterschutzrichtlinie (1992/85/EWG)Schutz werdender und junger Mütter durch ein Kündigungsverbot, Beschäftigungsverbote, Mutterschaftsurlaub und Freistellungen für VorsorgeuntersuchungenMutterschutzgesetz (MuSchG)
Elternurlaubsrichtlinie (2010/18/EU)Anspruch auf Freistellung von der Arbeit im Fall der Geburt oder der Adoption eines KindesBundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)

Auch wenn die vorgenannten Richtlinien vollständig in das deutsche Recht überführt wurden, sollte man stets bedenken, dass der Ursprung der entsprechenden Regelungen letztlich im europäischen Recht liegt. Deshalb sind die deutschen Umsetzungsregelungen, wie sie etwa im ArbZG, dem AGG, dem TzBfG und weiteren Vorschriften enthalten sind, entsprechend den Zielsetzungen und der Entstehungsgeschichte der jeweiligen europäischen Richtlinie zu interpretieren und anzuwenden. Dieses „Gebot richtlinienkonformer Auslegung“ geht letztlich auf Art. 4 Abs. 2 und 3 AEUV zurück. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die besondere Rolle, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Arbeitsrecht einnimmt: Er entscheidet über Fragen zur Auslegung und Anwendung der europäischen Verordnungen und Richtlinien. Selbst wenn sich Urteile des EuGH auf Rechtsstreitigkeiten aus anderen EU-Staaten beziehen, geben diese auch für die Anwendungspraxis in Deutschland wichtige Hinweise.

Beispiel

Gerade im Bereich des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts hat der EuGH einige Grundsatzentscheidungen getroffen, die sich mit der Zulässigkeit von Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft befassen (Kap. 6.2).

Auch das Urlaubsrecht hat der EuGH nunmehr wesentlich geprägt. Seitdem werden die betreffenden Fragen auch durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entsprechend den europarechtlichen Vorgaben ausgelegt.

Bei einem Auslandsbezug, d. h., wenn etwa deutsche Staatsangehörige bei Firmen mit Sitz im Ausland oder umgekehrt Ausländer bei in Deutschland ansässigen Arbeitgebern tätig sind, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob sich ein arbeitsrechtlicher Sachverhalt nach deutschem oder nach ausländischem Arbeitsrecht beurteilt. Geregelt ist dies im sog. „Kollisionsrecht“ (auch „internationales Privatrecht“ genannt). Dieses geht grundsätzlich von der Möglichkeit einer freien Rechtswahl durch die Vertragspartner aus, sofern dadurch nicht Arbeitnehmern der Schutz entzogen wird, der ihnen zustünde, wenn keine Rechtswahl getroffen worden wäre. Geregelt ist das Kollisionsrecht im Einführungsgesetzbuch zum BGB (EGBGB), EU-Verordnungen und speziellen völkerrechtlichen Vereinbarungen.

1.1.2Grundgesetz

Im Grundgesetz werden nur sehr allgemeine Aspekte des Arbeitsrechts angesprochen, etwa das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl (Art. 12 GG) oder das Koalitionsrecht (Art. 9 Abs. 3 GG). Ein Recht auf Arbeit findet sich hier dagegen nicht. Die Grundrechte sind im Grundgesetz nämlich (im Gegensatz zu Art. 24 Abs. 1 S. 1 der ehemaligen DDR-Verfassung) als reine Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat ausgestaltet, nicht aber als Forderungsrechte.

Zwischen den Vertragspartnern eines Arbeitsvertrags gelten die Grundrechte somit nicht unmittelbar. Allerdings entfalten sie auf dem „Umweg“ über die sog. „Generalklauseln“ des BGB (das sind Paragrafen, die allgemeine und letztlich auf die Verfassung zurückgehende fundamentale Rechtsprinzipien enthalten, vgl. etwa §§ 134, 138 oder 242 BGB) auch im Arbeitsrecht eine Wirkung, die man „mittelbare Drittwirkung“ nennt.

Beispiel

A will B gegen ein Festgehalt beschäftigen: B soll Frauen vermitteln, die sich als Leihmütter zur Verfügung stellen. Die Beschäftigung ist sittenwidrig und deshalb nach § 138 BGB unwirksam, da die Leihmutterschaft in Deutschland als nicht im Einklang mit den Persönlichkeitsrechten der Leihmütter vereinbar angesehen wird. Der auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG beruhende Persönlichkeitsschutz wirkt über § 138 BGB in das Arbeitsverhältnis hinein. Im Übrigen ist die Leihmuttervermittlung ohnehin gemäß § 13c des Adoptionsvermittlungsgesetzes (AdVermiG) verboten. Damit verstößt die Beschäftigung von B auch gegen ein Gesetz; der Arbeitsvertrag ist damit zusätzlich gemäß § 134 BGB unwirksam.

Weiteres Beispiel: In einem Kinderheim erhält ein Bezugsbetreuer ein jährliches Weihnachtsgeld; sein Kollege, der ebenso lange in derselben Abteilung arbeitet und die gleiche Qualifikation hat, nicht. Hier liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor, der durch die arbeitsgerichtliche Praxis entwickelt wurde, aber letztlich auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgeht (Kap. 3.5.3).

1.1.3Gesetzliche Regelungen

Im Arbeitsrecht existiert eine Vielzahl von Gesetzen, die jeweils einzelne Teilaspekte arbeitsvertraglicher Vereinbarungen abdecken. Zu nennen sind insbesondere

•das Arbeitsvertragsrecht, das vor allem in §§ 611a ff. BGB geregelt ist. Daneben können sich auch aus weiteren speziellen Gesetzen Bestimmungen über den Abschluss und den Inhalt von Arbeitsverträgen ergeben, etwa aus §§ 105 ff. der Gewerbeordnung (GewO). Hinsichtlich der Formanforderungen sind bspw. das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sowie das Nachweisgesetz (NachwG) zu beachten; im Rahmen der Vertragserfüllung kommen die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) oder im Fall der Beschäftigung behinderter Menschen auch das SGB IX zum Tragen. Bei der Beendigung des Vertrags können sich insbesondere aus dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Besonderheiten ergeben.

Sonderregelungen für bestimmte Arbeitnehmergruppen finden sich bspw. für kaufmännische Angestellte im Handelsgesetzbuch (HGB) oder für Auszubildende im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und dem Altenpflegegesetz (AltPflG).

•die Vorschriften des Arbeitnehmerschutzes. Sie sind etwa im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), im Mutterschutzgesetz (MuSchG), dem Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), dem SGB IX (in Bezug auf schwerbehinderte Arbeitnehmer) oder im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) zu finden.

•das kollektive Arbeitsrecht (zum Begriff Kap. 5). Es ist vor allem im Tarifvertragsgesetz (TVG) und dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), aber auch in weiteren Gesetzen geregelt.

•die Regelungen über das Verfahren vor den Arbeitsgerichten (Kap. 7) finden sich v.a. im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) und ergänzend in der Zivilprozessordnung (ZPO).

1.1.4Rechtsverordnungen

Rechtsverordnungen wirken – wie Gesetze – unmittelbar und zwingend für alle. Sie werden von der Bundes- oder Landesregierung oder einzelnen Ministerien auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erlassen (Art. 80 Abs. 1 GG). Rechtsverordnungen finden sich insbesondere auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit, etwa die Arbeitsstättenverordnung (ArbstättV) oder die Kinderarbeitsschutzverordnung (KindArbSchV).

1.1.5Tarifverträge

Tarifverträge sind sog. Kollektivvereinbarungen, d. h. Verträge zwischen Tarifpartnern. Sie werden von den Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden für große Tarifgebiete als sog. „Flächentarifverträge“ (z. B. ganze Bundesländer) oder mit einzelnen Arbeitgebern als sog. „Firmen“- bzw. „Haustarifvertrag“ abgeschlossen. Da die Tarifverträge oftmals gesetzliche Bestimmungen verdrängen (§ 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 4 des TVG sowie Kap. 1.1.11) und sich unmittelbar auf die Ausgestaltung der individuellen Arbeitsverhältnisse auswirken, besitzen sie eine große praktische Relevanz.

Gerade im Bereich der Sozialen Arbeit spielen Tarifverträge eine sehr große Rolle: Viele SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen, aber auch ErzieherInnen, PädagogInnen oder PsychologInnen sind in Landesbehörden (z. B. den Versorgungs- oder Integrationsämtern) tätig oder bei den sozialen Diensten, Jugend- oder Gesundheitsämtern der Kommunen (Kreisfreie Städte, Landkreise, Gemeinden etc.) angestellt. Für sie gelten die Tarifverträge der Länder (TV-L) bzw. der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). In der Praxis sind nur die kleinen und kleinsten Träger (z. B. ein örtlicher Kita-Träger in der Form eines eingetragenen Vereins) tarifvertraglich ungebunden.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Kap. 6.2) erlaubt den kirchlichen Trägern, eigene arbeitsrechtliche Regelungen für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer zu schaffen. Bei diesen sog.. „Arbeitsvertragsrichtlinien“ (AVR, Kap. 6.2) handelt es sich rechtlich gesehen allerdings nicht um Tarifverträge, sondern um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 ff. BGB (Kap. 2.1.3).

1.1.6Betriebsvereinbarungen

Zu den Kollektivvereinbarungen gehören auch die Betriebsvereinbarungen. Diese sind quasi ein „Parallelinstitut“ zum Tarifvertrag, gelten aber nicht für eine ganze Branche, sondern nur auf der Ebene einzelner Betriebe, Unternehmen oder Konzerne (in letzteren Fällen spricht man von Gesamt- bzw. Konzernbetriebsvereinbarungen). Wegen ihrer unmittelbaren und zwingenden Wirkung (§ 77 Abs. 4 BetrVG) werden Betriebsvereinbarungen auch gelegentlich als „das Betriebsgesetz“ bezeichnet: Betriebsvereinbarungen können Rechte und Pflichten für die Arbeitnehmer eines Betriebs begründen, die nicht im Rahmen von einzelnen Arbeitsverträgen oder einseitigen Arbeitgeberweisungen zu Ungunsten der Arbeitnehmer abbedungen werden können.

Vertragspartner solcher Vereinbarungen sind aufgrund ihrer Betriebsbezogenheit immer nur ein einzelner Arbeitgeber und der jeweilige Betriebsrat (bzw. der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat).

Die gesetzliche Grundlage für Betriebsvereinbarungen findet sich in § 77 BetrVG; sie sind nach § 77 Abs. 2 BetrVG zwingend schriftlich abzuschließen.

Betriebsvereinbarungen kommen immer dort in Betracht, wo im Betriebsverfassungsgesetz Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates vorgesehen sind.

Beispiel

Heimträger A hat mit dem Betriebsrat schriftlich vereinbart, dass künftig jeder Beschäftigte, der an Heiligabend arbeiten muss, dafür an Silvester freinehmen kann und umgekehrt. Hier ist eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Gleiches wäre der Fall, wenn der Träger einer Erziehungsberatungsstelle im Einvernehmen mit dem Betriebsrat die Regelarbeitszeit für Silvester und den Heiligen Abend auf jeweils vier Stunden festlegt. Auch die Einführung der gleitenden Arbeitszeit, einer elektronischen Arbeitszeiterfassung oder die zeitliche Lage der einzelnen Schichten im Schichtdienst können durch Betriebsvereinbarung festgelegt werden.

Je nach Art der Mitbestimmung (Kap. 5.3.1) können Betriebsvereinbarungen durch den Betriebsrat (ggf. über eine Einigungsstelle – hierzu §§ 76 und 87 Abs. 2 BetrVG) u.U. gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt, jedenfalls aber freiwillig vereinbart werden (z. B. § 88 BetrVG).

Betriebsvereinbarungen enden automatisch, wenn sie von den Betriebsparteien nur befristet abgeschlossen oder einvernehmlich aufgehoben bzw. abgeändert wurden. Zudem können sie einseitig durch Arbeitgeber oder Betriebsrat gekündigt werden. Ist eine Betriebsvereinbarung abgelaufen, so gelten die darin enthaltenen Regelungen in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung (v.a. solche gemäß § 87 BetrVG) so lange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (sog. „Nachwirkung“, § 77 Abs. 6 BetrVG).

1.1.7Arbeitsvertrag

Besonders bedeutsam für die im konkreten Einzelfall maßgeblichen Regularien ist natürlich der jeweilige, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag. Durch dessen Abschluss entsteht das Arbeitsverhältnis. Die für dieses geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen (§§ 611a ff. BGB) sind allerdings nur sehr knapp: Das BGB enthält nur Mindeststandards, die zwingend zu beachten sind. Wegen der grundgesetzlich verbürgten Vertragsfreiheit steht es den Parteien des Arbeitsverhältnisses frei, alle weiteren Details nach ihren individuellen Anforderungen, Bedürfnissen und Wünschen auszugestalten. Da das Arbeitsrecht aber auch dem Schutz der Interessen von Arbeitnehmern dient, gibt es eine Reihe von Vorschriften, die der Vertragsfreiheit aus Gründen des Sozial- und des Individualschutzes Grenzen setzen.

Beispiel

Im Arbeitsvertrag wird eine längere Kündigungsfrist festgelegt, als in § 622 BGB vorgesehen. Das ist zulässig. Eine kürzere als die gesetzliche Kündigungsfrist wäre dagegen nicht mit dem Schutzzweck des Arbeitsrechts vereinbar (§ 622 Abs. 5 BGB) – schließlich ist es für Arbeitnehmer typischerweise von existenzieller Bedeutung, dass sie sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses als ihrer „Einkommensquelle“ verlassen können. Dieses soll daher nicht „von heute auf morgen“ einseitig durch den Arbeitgeber beendet werden können.

1.1.8Betriebliche Übung

Eine sog. „betriebliche Übung“ kann in Bezug auf Leistungen des Arbeitgebers, aber auch hinsichtlich der Pflichten von Arbeitnehmern entstehen, die im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt sind. Dies gilt vor allem im Bereich freiwilliger Zusatzleistungen durch Arbeitgeber: Nach dreimaliger freiwilliger Gewährung einer Gratifikation ohne Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht beim Arbeitnehmer laut der Rechtsprechung ein schützenswertes Vertrauen, dass diese Leistung auch in Zukunft erfolgen wird. Obwohl es sich eigentlich um einen Fall der sog. „Vertrauenshaftung“ handelt, konstruiert das BAG das Zustandekommen der betrieblichen Übung im Wege des Vertragsschlusses: Das wiederholte Verhalten des Arbeitgebers wird als Vertragsangebot angesehen, dessen ausdrückliche Annahme durch den Arbeitnehmer nicht erforderlich ist (§ 151 BGB).

Beispiel

Im Arbeitsvertrag von Heilerziehungspflegerin A ist ein Weihnachtsgeld nicht vereinbart. Gleichwohl erhält sie in drei aufeinander folgenden Jahren eine Weihnachtsgratifikation ausgezahlt auf der Grundlage einer E-Mail mit dem Wortlaut: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns, Ihnen auch dieses Jahr wieder ein Weihnachtsgeld in Höhe von 500 EUR auszahlen zu können.“ Hier ist eine betriebliche Übung entstanden. Mitarbeiterin A hat also auch im kommenden Jahr einen Rechtsanspruch auf die Bezahlung von Weihnachtsgeld.

Gegenbeispiel: Arbeitgeber A bewilligt seinen Beschäftigten ein Urlaubsgeld. Vor dessen Auszahlung erhält jeder Arbeitnehmer einen Brief mit dem Wortlaut: „… können wir ihnen aufgrund unserer guten finanziellen Entwicklung ein Urlaubsgeld von 1.000 EUR auszahlen. Wir weisen aber darauf hin, dass es sich hierbei um eine rein freiwillige Leistung handelt, mit der keinerlei Ansprüche auf erneute Auszahlung in den kommenden Jahren verbunden sind.“ Hier entsteht kein Anspruch aus betrieblicher Übung, da ein Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt wurde. Aus diesem wird deutlich, dass sich der Arbeitgeber rechtlich nicht für die Zukunft binden wollte. Das ist zulässig. Es besteht daher kein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Auszahlung eines Urlaubsgeldes im Folgejahr.

Will der Arbeitgeber eine bestimmte Gratifikation künftig nicht weiter gewähren, so kann er dies laut der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur über eine Änderungskündigung (Kap. 4.4) oder durch eine entsprechende einvernehmliche Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer erreichen.

1.1.9Gesamtzusage

Während die betriebliche Übung durch Wiederholung schlüssigen Arbeitgeberverhaltens entsteht, kann sich ein Arbeitgeber auch durch eine einmalige einseitige Erklärung (bspw. durch ein E-Mail-Rundschreiben, einen Aushang am „schwarzen Brett“ oder eine Info im betrieblichen Intranet) rechtlich binden. Voraussetzung hierfür ist, dass er ein Leistungsversprechen bekannt gibt und dabei keinen Freiwilligkeitsvorbehalt macht. Die Arbeitnehmer müssen das in der Gesamtzusage liegende Angebot des Arbeitgebers wegen § 151 BGB nicht ausdrücklich annehmen.

Beispiel

Der Geschäftsführer eines Senioren- und Pflegeheims gibt während seiner „Jahresabschlussrede“ im Rahmen der Weihnachtsfeier bekannt, dass er „ab sofort immer ein Weihnachtsgeld in Höhe eines halben Monatsgehalts ausbezahlen wird“. Hier ist eine Gesamtzusage erfolgt. Mitarbeiterin A kann aufgrund dieser ab sofort jedes Jahr die Auszahlung von Weihnachtsgeld fordern und ggf. gerichtlich durchsetzen.

1.1.10Direktionsrecht des Arbeitgebers

Das Direktionsrecht („Weisungsrecht“) des Arbeitgebers ergibt sich aus § 611a Abs. 1 S. 2 BGB und § 106 Gewerbeordnung (GewO), aber auch ganz allgemein aus dem Wesen des Arbeitsvertrags, das gerade durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers und dessen Eingliederung in den Betrieb gekennzeichnet ist. Das Direktionsrecht erstreckt sich auf die Durchführung des Arbeitsverhältnisses, also auf den Inhalt sowie Zeit und Ort der konkreten Tätigkeit des Arbeitnehmers (§ 611a Abs. 1 S. 2 BGB). Es gibt dem Arbeitgeber somit die Möglichkeit, die im Arbeitsvertrag in aller Regel nur allgemein bezeichneten beruflichen Aufgaben eines Beschäftigten („Heilerziehungspfleger“, „Gruppenleitung in den Erzieherischen Hilfen“, „Fachberaterin“, „Streetworker“) zu konkretisieren und zu bestimmen, welche Aufgaben der Beschäftigte genau zu übernehmen und zu erledigen hat (Kap. 3.4.2).

Beispiel

Sozialarbeiterin S wird im Jugendamt laut Arbeitsvertrag als „Fachkraft im Bereich der Allgemeinen Sozialen Dienste“ beschäftigt. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ermöglicht der Amtsleitung, die S künftig je nach Bedarf für die „Erzieherischen Hilfen, Buchstabe A bis C“, die Erziehungsberatung, die Trennungs- und Scheidungsberatung, die „präventiven Jugendhilfeaufgaben in den Stadtteilen Ostvorstadt und Zentrum Ost“ oder andere Aufgaben(teil)bereiche einer solchen Fachkraft einzusetzen.

1.1.11Verhältnis der Rechtsquellen untereinander

In der Praxis sind oftmals mehrere der vorgenannten Rechtsquellen auf einen Sachverhalt anwendbar, führen aber zu unterschiedlichen oder sich möglicherweise sogar widersprechenden Rechtsfolgen.

Beispiel

Urlaubsregelungen können sich im Arbeitsvertrag, dem einschlägigen Tarifvertrag und dem Bundesurlaubsgesetz finden.

Deshalb gibt es Regeln, die festlegen, welche Norm von einer anderen Norm verdrängt wird und welche Normen vorrangig sind:

•Laut dem „Rangprinzip“ hat grundsätzlich die ranghöhere Norm Vorrang vor der rangniederen Norm. Hierbei herrscht ein festes Rangverhältnis, das sich aus der Wertigkeit der jeweiligen Norm ergibt. Dieses kann aus der in der rechtswissenschaftlichen Literatur verwendeten „Normenpyramide“ (Abb. 2) abgelesen werden.

Beispiel

Das Europarecht (Kap. 1.1.1) hat im Arbeitsrecht oftmals Vorrang vor den nationalen Vorschriften.

Aus dem Tarifvorrang (§§ 77 Abs. 3 und 87 Abs. 1 BetrVG) folgt, dass Tarifverträge grundsätzlich Betriebsvereinbarungen vorgehen. Betriebsvereinbarungen dürfen also keine Arbeitsentgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen regeln, die bereits Inhalt oder üblicherweise Gegenstand eines Tarifvertrages sind, sofern dies nicht in einer sog. „Öffnungsklausel“ des Tarifvertrags ausdrücklich gestattet ist. Fällt also bspw. ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags, der z. B. einen Jahresurlaub von 30 Tagen vorsieht, dürfen die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung keinen weitergehenden Urlaubsanspruch, etwa von 33 Tagen, vorsehen, auch wenn diese Regelung für die Arbeitnehmer des Betriebes günstiger wäre.

Gemäß § 106 Satz 1 GewO reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers nur so weit, wie Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag nichts anderes regeln. Deshalb steht das Weisungsrecht in der Normenhierarchie ganz unten.

•Innerhalb einer gleichrangigen Rechtsquelle löst eine spätere Regelung eine frühere Regelung ab (sog. „Ordnungsprinzip“).

Beispiel

Bis zum Jahr 2001 hatten Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Erziehungsurlaub, der sich aus § 15 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) ergab. Diese Regelung wurde durch des Bundeselternzeit- und Elterngeldgesetz (BEEG) abgelöst. Daher besteht nun kein Anspruch auf Erziehungsurlaub mehr – Eltern haben nun einen Anspruch auf Elternzeit (§ 15 BEEG), deren Ausgestaltung völlig anderen gesetzlichen Kriterien unterliegt als der im früheren Gesetz geregelte Erziehungsurlaub.

•Bei gleichrangigen Rechtsquellen gilt das „Spezialitätsprinzip“, d. h. die speziellere Regelung geht der allgemeinen vor.

Beispiel

Während das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche vorsieht (§ 3 ArbZG), bestimmen §§ 8 und 15 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) für Jugendliche eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden bei einer Fünf-Tage-Woche. Beide Gesetze sind in Kraft und gleichrangig, das JArbSchG ist jedoch für jugendliche Arbeitnehmer (zum Begriff siehe § 2 Abs. 2 JArbSchG) die speziellere Norm und hat für diese Personengruppe Vorrang, da der Gesetzgeber Jugendlichen einen weiter gehenden Schutz gewähren will als „normalen“ Arbeitnehmern.

•Vom Rangprinzip und dem Ordnungsprinzip gibt es die Ausnahme des sog. „Günstigkeitsprinzips“. Dieses Prinzip, das etwa in § 4 Abs. 3 TVG oder § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG zum Ausdruck kommt, besagt, dass entgegen den vorstehenden Ausführungen eine rangniedere die ranghöhere Regelung verdrängen kann, wenn diese für den Arbeitnehmer günstiger ist.

Beispiel

Verpflichtet sich ein Arbeitgeber dazu, einem Arbeitnehmer ein deutlich über dem Tariflohn liegendes Arbeitsentgelt zu bezahlen, so ist diese Regelung aus dem (an sich „rangniederen“) Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer günstiger als die Bestimmung des einschlägigen ranghöheren Tarifvertrags. Gleichwohl ist die nachrangige vertragliche Regelung aufgrund des Günstigkeitsprinzips die entscheidende Bestimmung. Der Arbeitnehmer kann also den darin vereinbarten höheren Lohn verlangen.

Während im Verhältnis von Betriebsvereinbarung zu Tarifvertrag gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG das Rangprinzip gilt, der Tarifvertrag also kraft Gesetzes Vorrang hat, gilt im Verhältnis von Betriebsvereinbarung zum Arbeitsvertrag wieder das Günstigkeitsprinzip: Für den Arbeitnehmer günstigere arbeitsvertragliche Regelungen haben also Vorrang vor den Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung. § 4 Abs. 3 TVG wird entsprechend auf die Betriebsvereinbarung angewandt (Abb. 2).


Abb. 2: Normenpyramide

1.2Begriffsdefinitionen

Wie überall in der Rechtswissenschaft ist es auch im Arbeitsrecht unerlässlich, exakt mit den in den einzelnen Rechtsnormen verwendeten Begriffen umzugehen. Im Arbeitsrecht erhalten diese ihre genaue Ausprägung oftmals erst aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und anderer Obergerichte.

1.2.1Arbeitnehmer

Arbeitnehmer ist nach § 611a BGB, wer im Dienste eines anderen zur Leistung einer weisungsgebundenen, fremdbestimmten Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Im Gegensatz zu einem Selbstständigen („Freiberufler“) kann ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht frei gestalten und seine Arbeitszeit sowie regelmäßig auch seinen Arbeitsort nicht frei bestimmen. Er unterliegt den fachlichen und organisatorischen Weisungen des Arbeitgebers (§ 611a Abs. 1 S. 3 BGB).

Beispiel

S arbeitet als Streetworkerin für einen freien Jugendhilfeträger in einer Großstadt. Vom Träger erhält sie Anweisungen, zu welchen Tagen und Uhrzeiten sie an welchen Standorten präsent sein soll. S kann nicht selbst entscheiden, wann und wo sie ihre Angebote platziert.

Selbst wenn eine weitgehende fachliche Selbstständigkeit gegeben ist, liegt eine Arbeitnehmereigenschaft vor, wenn die betreffende Person hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist oder aus anderen Gründen eine persönliche Abhängigkeit vorliegt.

Beispiel

Sozialarbeiter S ist bei einem freien Träger als Vollzeitkraft für die berufsbezogene Sozialarbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt. Er kann zwar selbst bestimmen, welche konkreten Angebote und Kurse er für die Zielgruppe entwickelt und durchführt; es ist aber klar geregelt, wie viele Stunden pro Woche seine Arbeitszeit beträgt und zu welchen Zeiten er in seinem Büro persönlich erreichbar sein muss. S ist Arbeitnehmer.

Da die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Selbstständigkeit oftmals nicht eindeutig ist, muss im Einzelfall immer eine Gesamtschau der Verhältnisse vorgenommen werden (§ 611a Abs. 1 S. 5 BGB). In diese ist bspw. auch einzubeziehen, ob die beschäftigte Person einem einzigen Vertragspartner ihre gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellt und ob sie berechtigt ist, die Tätigkeit weiter zu delegieren (z. B. an eigene Mitarbeiter oder Subunternehmer) oder in eigener Person die Leistung erbringen muss (§ 613 BGB). Des Weiteren wird als Indiz zu beachten sein, inwieweit Urlaubszeiten mit dem jeweiligen Betrieb abgestimmt werden müssen, ob im Fall von Krankheit eine Lohnfortzahlung bezahlt wird oder ob alle Arbeitsmaterialien (z. B. Computer, Büromaterial, Dienstwagen) bereitgestellt werden. Zudem ist zu prüfen, wem im konkreten Einzelfall das unternehmerische Risiko obliegt, wer also dafür haften muss, wenn die vereinbarte Leistung nicht wie gewünscht erbracht wurde.

Führt die Gesamtschau der konkreten Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses, so ist völlig unerheblich, ob der Arbeitnehmer im Vertrag als „Honorarkraft“, „Praktikant“, „Subunternehmer“ etc. bezeichnet wurde. Die Bezeichnung ist nicht maßgeblich; entscheidend sind ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse (§ 611a Abs. 1 S. 6 BGB). Liegt also aufgrund der Umstände ein Arbeitsverhältnis vor, dann ist auch das gesamte Arbeitsrecht auf dieses anzuwenden.

Beispiel

Kinderpfleger K ist als „freiberufliche Ergänzungskraft auf Honorarbasis“ für eine Kita tätig. Im Rahmen des entsprechenden Vertrages wird eine tägliche Präsenzzeit des K in der Kita von 7 bis 13 und 15 bis 17 Uhr festgeschrieben. Zudem hat K „nach Bedarf auf Anweisung der Leitung zusätzliche Zeiten“ zu leisten, „den fachlich-konzeptionellen Vorgaben der Einrichtungsleitung Folge zu leisten“ und alle „urlaubsbedingten Abwesenheiten mindestens sechs Wochen vor Urlaubsantritt“ mitzuteilen. Für seine Tätigkeit erhält er einen „Stundensatz von 11,50 EUR“. Die Umstände des Falles deuten darauf hin, dass K vorliegend fremdbestimmt und weisungsabhängig tätig ist. Trotz der Bezeichnung „freiberuflich“ wurde vorliegend ein Arbeitsvertrag geschlossen; K ist als Arbeitnehmer zu behandeln.

Da die Abgrenzung von Arbeitnehmerschaft und freier Mitarbeit mitunter extrem schwierig ist und immer neue Formen sog. „Scheinselbstständigkeit“ zu beobachten sind, um die gesetzlichen Arbeitgeberpflichten zu umgehen, besteht in § 7a SGB IV die Möglichkeit, die Beschäftigteneigenschaft in einem sog. „Statusfeststellungsverfahren“ durch feststellenden Verwaltungsakt der Deutschen Rentenversicherung Bund (§ 7a Abs. 2 SGB IV) zumindest in Bezug auf die sozialversicherungsrechtliche Situation des Betroffenen rechtsverbindlich klären zu lassen. Hierbei werden dieselben Kriterien angewendet wie bei Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft nach dem BGB. Allerdings entfaltet die entsprechende Entscheidung lediglich eine Bindungswirkung innerhalb der Sozialversicherung (§ 77 SGG). Wird also festgestellt, dass eine in einem Betrieb eingesetzte Person „Beschäftigter“ ist, hat der Arbeitgeber für diesen auch die anfallenden Sozialversicherungsabgaben zu entrichten.

Einzelne Gesetze des Arbeitsrechts beziehen im Einzelfall über die Arbeitnehmer im eigentlichen strengen Sinne hinaus weitere Beschäftigtengruppen, etwa die Auszubildenden, die in Heimarbeit Beschäftigten i.S.v. § 1 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) oder sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen (s. u.) anzusehen sind, in den Arbeitnehmerbegriff ein. Es ist daher immer darauf zu achten, welcher genaue Arbeitnehmerbegriff für die in einem bestimmten Gesetz geregelten Fragestellungen maßgeblich ist.

Beispiel

Das BUrlG definiert in § 2 auch die Auszubildenden als Arbeitnehmer und gewährt ihnen die in diesem Gesetz vorgesehenen Urlaubsansprüche. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie damit auch Arbeitnehmer i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sind. Für Kündigungen von Auszubildenden gilt nämlich nicht das KSchG, sondern die Sonderregelung im Berufsbildungsgesetz (BBiG, Kap. 4.5.6).

Keine Arbeitnehmer sind dagegen:

Beamte, Richter und Soldaten, denn hier besteht ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, das durch eine öffentlich-rechtliche Ernennung begründet wird und nicht durch einen zivilrechtlichen Vertrag.

•Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen gelten gemäß § 221 Abs. 1 SGB IX als „arbeitnehmerähnliche Personen“.

•Teilnehmende an sozialrechtlichen Beschäftigungsmaßnahmen, etwa gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten i.S.v. § 16d SGB II („Ein-Euro-Job“) oder im Rahmen des Arbeitsmarktprogramms Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (§ 421a SGB III) sind keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Wird diesen durch die Sozialbehörden eine Tätigkeit zugewiesen, liegt nämlich kein Arbeitsvertrag vor, sondern eine hoheitliche Regelung durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X).

Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), einer OHG (§§ 105 ff. HGB) oder einer KG (§§ 161 ff. HGB) sowie Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder juristischer Personen (e.V., GmbH, AG, Stiftung) sind regelmäßig keine Arbeitnehmer, da diesen aufgrund ihrer Position die unternehmerische Leitung zusteht und sie damit auf der Arbeitgeberseite zu sehen sind. Es wäre nur denkbar, dass ein einzelner Gesellschafter zugleich Arbeitnehmer ist, wenn er an Weisungen der Geschäftsführung gebunden und damit abhängig tätig wäre.

•Mit Familienangehörigen (z. B. Ehegatten oder Kinder des Arbeitgebers) können dagegen Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Um dabei steuerrechtliche Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, ist hier ein Vertrag nur dann anzunehmen, wenn die Absprachen inhaltlich dem entsprechen, was auch in Arbeitsverträgen mit Fremden in Bezug auf Art und Umfang der Tätigkeit, Lohnhöhe, Urlaub oder Kündigungsfristen üblich wäre und der Arbeitsvertrag auch tatsächlich durchgeführt wird (also die Mitarbeit nicht nur zum Schein oder aus Steuerersparnisgründen verabredet wurde). Zudem muss die Tätigkeit über das hinausgehen, was im Rahmen eines „normalen“ Familienzusammenhalts geschuldet ist (§§ 1360, 1619 BGB).

Im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffs spielen folgende, mit diesem in Zusammenhang stehende Begrifflichkeiten eine Rolle:

Arbeiter und Angestellte

Früher wurde innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden: Arbeiter waren Arbeitnehmer, deren Tätigkeit überwiegend körperlicher Natur war, während Angestellte überwiegend geistig tätig wurden. Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 zur Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten ist diese Unterscheidung hinfällig. Nur in einzelnen alten Tarifverträgen spielt sie ggf. noch eine Rolle. Inzwischen spricht man von „Arbeitnehmern“ oder „Beschäftigten“; die frühere Differenzierung wurde aufgegeben.

Leitende Angestellte

Aus der Gruppe der Arbeitnehmer wird in einzelnen Gesetzen die Gruppe der leitenden Angestellten ausgenommen. Hierunter versteht bspw. das Betriebsverfassungsgesetz Arbeitnehmer, die wiederum zur selbstständigen Einstellung und Entlassung anderer Arbeitnehmer befugt sind oder über weitreichende Vollmachten innerhalb des Betriebs verfügen (vgl. § 5 Abs. 3 S. 2 sowie Abs. 4 BetrVG).

Beispiel

Psychologin P wird von einem kleinen freien Träger als Leiterin des einzigen Seniorenheims eingestellt, das dieser betreibt. Sie ist zwar Arbeitnehmerin des freien Trägers, hat aber laut ihrem Arbeitsvertrag umfassende Befugnisse: Sie kann selbstständig Personal einstellen und entlassen, verfügt über eine umfassende Vertretungsbefugnis und kann bis zu einem Rahmen von 50.000 EUR ohne weitere Abstimmung mit dem Träger Sachausgaben tätigen. Darüber hinaus obliegt ihr die fachliche Aufsicht über alle im Heim tätigen Fachkräfte sowie die Leitungs- und Weisungsbefugnis über die gesamten Unterstützungs- und Verwaltungskräfte. P hat damit eine Stellung als leitende Angestellte.

Weil die leitenden Angestellten eine gehobene Sozialstellung einnehmen und oft ein arbeitgeberähnliches Berufs- und Tätigkeitsbild haben, stehen sie eher „im Lager des Arbeitgebers“. Dies rechtfertigt es, die leitenden Angestellten in einzelnen Bereichen des kollektiven Arbeitsrechts und dabei insbesondere im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung nicht wie „normale“ Arbeitnehmer zu behandeln – ganz generell ist der Betriebsrat für leitende Angestellte nicht zuständig (§ 5 Abs. 3 BetrVG). Auch auf die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes können sie sich nicht berufen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG); im Bereich des Kündigungsschutzes eröffnet § 14 Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis eines leitenden Angestellten ohne nähere Bgründung gegen Zahlung einer Abfindung durch das Arbeitsgericht auflösen zu lassen. Das geht bei „normalen“ Arbeitnehmern nicht.

Im Übrigen bleiben die individuellen arbeitsrechtlichen Ansprüche der leitenden Angestellten, insbesondere ihre Vergütungs-, Urlaubs oder Entgeltfortzahlungsansprüche, durch ihre herausgehobene Position jedoch weitgehend unberührt.

Arbeitnehmerähnliche Person

Zahlreiche Gesetze gehen davon aus, dass es neben Arbeitnehmern und Selbstständigen auch noch eine dritte Kategorie Beschäftigter gibt, nämlich arbeitnehmerähnliche Personen. Das sind laut Rechtsprechung und herrschender Lehre Personen, die nicht wie andere Arbeitnehmer in eine betriebliche Organisation eingegliedert sind und im Wesentlichen auch ihre Zeit frei einteilen können. Allerdings sind sie von ihrem Dienstgeber wirtschaftlich abhängig und auch ihrer gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig.

Beispiel

Beispiele hierfür sind Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen, wenn letztere nicht Arbeitnehmer sind (§ 221 SGB IX).

Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und der daraus resultierenden sozialen Schutzbedürftigkeit werden arbeitnehmerähnliche Personen in einigen Bereichen (z. B. beim Urlaub oder beim Arbeitsschutz) den Arbeitnehmern gleichgestellt.

Beispiel

Der schwerst geistig behinderte B ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig. Gemäß § 3 BUrlG hat er – vorbehaltlich individueller Abreden oder kollektiver Vereinbarungen – wie alle Arbeitnehmer einen gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen.

Dagegen gelten andere Gesetze wie das Mindestlohngesetz (MiLoG) oder das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ausdrücklich nicht für arbeitnehmerähnliche Personen.

1.2.2Arbeitgeber

Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsrechts ist jeder, der mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt. Das gilt sogar dann, wenn vorübergehend keine Mitarbeiter eingesetzt werden.

Beispiel

Daher sind behinderte Menschen, die zu ihrer Unterstützung Assistenzkräfte beschäftigen, bereits dann Arbeitgeber, wenn sie nur eine Person für die entsprechenden Dienste bezahlen. Wird die Beschäftigung der Assistenzkraft unterbrochen (z. B. weil der schwerbehinderte Arbeitgeber Student ist und während der Semesterferien keine professionelle Assistenz benötigt), ist dies für die Arbeitgebereigenschaft unerheblich.

Arbeitgeber können natürliche Personen (z. B. Berufsbetreuer, RechtsanwältInnen, ÄrztInnen), Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) oder juristische Personen des Privatrechts (AG, GmbH etc.) bzw. des öffentlichen Rechts (Kommunen, Körperschaften, Bund und Länder) sein.

Beispiel

Der Landkreis A beschäftigt im Jugendamt 65 SozialarbeiterInnen auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages. Die betreffenden Fachkräfte sind somit als Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst tätig, aber nicht verbeamtet. Es handelt sich um sog. „Verwaltungsangestellte“ auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages. Der Landkreis ist Arbeitgeber.

Wird im Bundesfamilienministerium eine Sozialpädagogin im Fachreferat für Jugendhilfeaufgaben auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages angestellt, ist Arbeitgeber die Bundesrepublik Deutschland.

Die Arbeitgeberstellung ist nach § 613 Satz 2 BGB im Zweifel nicht übertragbar. Diese Vorschrift kann jedoch vertraglich ausgeschlossen werden. Deshalb kann ein Arbeitgeber im Fall einer Arbeitnehmerüberlassung („Leiharbeit“, Kap. 2.2.4) einem anderen Arbeitgeber (Entleiher) die Ausübung des Weisungsrechts (s. Kap. 1.1.10) überlassen.

Betrieb

Einige arbeitsrechtliche Regelungen (z. B. das BetrVG, § 23 KSchG oder § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) knüpfen an den Begriff des Betriebs an. Der Betrieb als organisatorische Einheit ist der „Ort der Arbeitsleistung“. Dies ist jedoch nicht zwingend im Sinne eines einzigen Ortes als räumlicher Einheit zu verstehen – auch mehrere räumlich verteilte Arbeitsorte können einen einheitlichen Betrieb darstellen, wenn sie zentral gelenkt werden.

Beispiel

Erzieherin E arbeitet in einer Kindertagesstätte, die einen kleinen „Waldkindergarten“ als Außenstelle betreibt. Die Leitung des Waldkindergartens obliegt der im Haupthaus tätigen und auch für die dortigen Gruppen zuständigen Kindheitspädagogin K. Hier handelt es sich bei Haupthaus und Außenstelle um einen einheitlichen Betrieb.

Der Betrieb als Organisationseinheit ist auch entscheidend, wenn es um die Errichtung von Betriebsräten und deren Zuständigkeit geht (vgl. §§ 1, 3, und 4 BetrVG); Betriebsvereinbarungen gelten nur für die Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebs (vgl. § 77 Abs. 4 BetrVG).

Unternehmen

Ein Unternehmen ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Inhaber einen bestimmten wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verfolgt. Es kann aus nur einem Betrieb oder aus mehreren organisatorisch verbundenen Betrieben bestehen. Entscheidend für den Unternehmensbegriff ist, dass ein einheitlicher Rechtsträger besteht, etwa eine natürliche Person als „Unternehmer“, eine juristische Person oder eine Gesellschaft. Dieser Unternehmensträger ist der Vertragspartner des einzelnen Arbeitnehmers!

Beispiel

Ein großer freier Sozialträger in der Form einer gGmbH betreibt Kinderheime, Seniorenheime und Behindertenheime in allen größeren und einigen kleineren Städten. Hier verfügt der Träger – die GmbH – über ein Unternehmen, das aus mehreren Betrieben (den jeweiligen Einrichtungen) besteht.

Der Begriff des Unternehmens spielt v.a. im Rahmen der Mitbestimmung von Arbeitnehmern eine Rolle: Wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebe mit Betriebsräten existieren, ist auf der Unternehmensebene ein Gesamtbetriebsrat zu bilden (§ 47 BetrVG), der Angelegenheiten zu behandeln hat, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen. Dieser kann auch Gesamtbetriebsvereinbarungen abschließen, die dann für alle Arbeitnehmer eines Unternehmens gelten können.

Aber auch im Bereich des Kündigungsschutzes kann es wichtig werden, ob ein Unternehmen mehrere verschiedene Betriebe hat: Möglicherweise entfällt nämlich der Grund für eine betriebsbedingte Kündigung, wenn in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens ein geeigneter freier Arbeitsplatz für den zu kündigenden Arbeitnehmer existiert (Kap. 4.2.2).

Beispiel

Der freie Träger F betreibt in Augsburg und Umgebung mehrere Privatkliniken. Aus Rentabilitätsgründen wird die Klinik in Friedberg geschlossen und der dortigen Kliniksozialarbeiterin K gekündigt. Wäre in einer Klinik des F im benachbarten Augsburg eine Stelle für die Sozialarbeiterin frei, so wäre die Entlassung der K sozial nicht gerechtfertigt. Entscheidend für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung ist nämlich nicht der Betriebs-, sondern der Unternehmensbegriff (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Sind mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst, spricht man von einem Konzern (§ 18 AktG). Auch in einer solchen Situation ist Arbeitgeber das einzelne Unternehmen und nicht der Konzern als solcher. Das Vorliegen eines Konzerns ist v.a. in Bezug auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (z. B. § 5 MitbestG) oder den sog. „Konzernbetriebsrat“ nach §§ 54 ff. BetrVG relevant. Außerdem können in Arbeitsverträgen sog. „Konzernversetzungsklauseln“ vorkommen, die es dem Arbeitgeber ermöglichen, Arbeitnehmer in verschiedenen Unternehmen des Konzerns einzusetzen.

Fall 1: Arbeitnehmerin oder Selbstständigkeit?

Sibylle S hat sich als Sozialarbeiterin selbstständig gemacht. Sie ist einen Tag in der Woche (7,5 Stunden) in einer Erziehungsberatungsstelle als „Beraterin auf Honorarbasis“ (so der Wortlaut des Vertrags) tätig, wo sie sich auf die Beratung in Trennungs- und Scheidungssituationen spezialisiert hat. In der Beratungsstelle stellt ihr der Träger der Einrichtung („Elternrat e.V.“) einen Arbeitsplatz in einem Büro mit zwei anderen dort Beschäftigten zur Verfügung; zudem kann sie auf den Sekretariatsdienst (Terminvereinbarung, ein- und ausgehende Korrespondenz) zugreifen und hat einen E-Mail-Account, den der Träger bereitstellt und der sibylle.s@elternrat.de lautet. Mit dem Träger muss sie auch ihre „Urlaubstage“ abstimmen, wobei ihr sechs Tage pro Jahr zustehen; sie ist auch verpflichtet, sich im Krankheitsfall unter Vorlage eines Attests abzumelden. Neben dieser Tätigkeit wurden ihr vom Familiengericht fünf Vormundschaften für Kinder übertragen; des Weiteren wird sie gelegentlich vom Jugendamt als „Freelancer“ gebucht, um Hausbesuche bei belasteten Familien vorzunehmen und für das Jugendamt Sozialberichte über die betreffenden Familien und dabei insbesondere die Situation der dort lebenden Kinder zu verfassen. Die Berichte erstellt S zuhause an ihrem eigenen PC; das Jugendamt verwendet diese für die Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) und die Familiengerichtshilfe (§ 50 SGB VIII). S hat schon mehrfach aus Termingründen die Erstellung solcher Berichte abgelehnt. Ist S mit ihren Tätigkeiten ein oder mehrere Arbeitsverhältnisse eingegangen?

Fall 2: Mehr oder weniger Urlaub?

Der freie Träger „Elternrat e.V.“ beschäftigt auch eine Psychologin P in Vollzeit an fünf Tagen in der Woche. In deren Arbeitsvertrag werden ihr aufgrund ihrer geschickten Verhandlung im Bewerbungsgespräch 31 Urlaubstage zugebilligt. Darüber hinaus enthält der Vertrag den Passus: „Für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses gelten die Bestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) sinngemäß.“ Dort heißt es in § 26 S. 2: „Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage.“ Laut § 3 BUrlG beträgt der Urlaub jährlich mindestens 24 Werktage. Alle anderen Beschäftigten bei „Elternrat“ erhalten 28 Tage. Wie viele Urlaubstage stehen P zu?

Grundkurs Arbeitsrecht für die Soziale Arbeit

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