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1 Ausgangspunkte 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“?1

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Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz zu sagen, dass die zunehmende Digitalisierung spätestens seit der Verbreitung des Internet in den 1990er und der sozialen Medien in den 2000er Jahren die Gesellschaft in allen Bereichen – Arbeit, Freizeit, Bildung – stark verändert habe.2 Einen mindestens ebenso einflussreichen Faktor im Bildungssektor stellt der pädagogische Paradigmenwechsel von einem wissensbasierten, stark lehrerzentrierten und input-orientierten zu einem kompetenzorientierten (Fremdsprachen-)Unterricht mit einem Akzent auf den Ergebnissen und Produkten der Lernenden dar, der sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vollzogen hat – mit einer lernerorientierten Beschreibung von Kompetenzen, die auf Sprachenebene europaweit (CEFR 2001) und auf Bundesebene durch die Festlegung von Bildungsstandards definiert wurden (zuletzt KMK 2012). In diesem Zusammenhang veränderte sich auch der fremdsprachliche Literaturunterricht mit stark handlungsorientierten, kreativen Umgangsweisen, die die Erfahrung der Lernenden in den Vordergrund stellte (dazu s. die detaillierten Ausführungen Abschn. 1.3 und 1.4). Dieser Wechsel wirkte sich wiederum auf den Stellenwert von Literatur im Unterrichtsgeschehen gerade der gymnasialen Oberstufe aus und betraf folglich auch die Konzeption von Lehrwerken mit ihrer Einbettung von literarischen Texten in die geforderten authentischen, lebensweltnahen Themenblöcke und schülerzentrierten Aufgabenstellungen.

Beide Prozesse der vergangenen zwei Jahrzehnten – gesellschaftliche Digitalisierung und pädagogische Kompetenzorientierung – haben zu einer grundlegenden Veränderung in den Bereichen Lesesozialisation und Leseverhalten innerhalb und außerhalb der Bildungseinrichtungen beigetragen, und sie haben eine Definition von „literarischer Kompetenz“ erforderlich gemacht. Was aber versteht man also darunter und wozu dient diese? Im Gegensatz zu anderen Kompetenzbereichen gibt es hierzu nur recht wenige verbindliche Maßgaben.3 Eher sind es einzelne Literaturdidaktiker:innen, die sich um eine gewisse Standardisierung auf dieser Ebene bemühen. Christiane Lütge benennt hierzu im Anschluss an Wolfgang Hallet vier verschiedene Ebenen: die „Literary Reading Competence“ mit der Befähigung zum analytischen wie empathischen Lesen; die „Literary as Cultural Competence“ samt der Fähigkeit, interkulturelles und historisches Wissen in literarischen Texten zu aktivieren; die „Competence of Reflection“, die den in Texten eingeschriebenen, zumeist impliziten Wertesystemen auf den Grund geht und die individuelle reader response auf einer übergeordneten Ebene zu entschlüsseln in der Lage ist; schließlich die „Competence of Foreign Language Discourse“, die in der zielsprachlichen Auseinandersetzung (Rezeption) und Verbalisierung (Produktion) besteht (vgl. Lütge 2012/13: 198-199; vgl. dazu auch Hallet 2007). Mit Ralf Weskamp lassen sich, in Antwort auf die zweite Teilfrage nach den Funktionen und Zielen des fremdsprachlichen Literaturunterrichts, diese wie folgt darstellen:

Bildung die inneren Kräfte des Menschen freisetzen und entwickeln zu Freiheit und Autonomie des Menschen beitragen ästhetische Urteilskraft und ästhetisches Bewusstsein entwickeln den Intellekt schulen
Kompetenzerwerb zur employability beitragen zu lebenslangem Lernen befähigen zur allgemeinen Lesefähigkeit ( literacy ) beitragen Input-, Output- und Interaktionsmöglichkeiten beim Fremdsprachenerwerb schaffen
Kulturvermittlung die überzeitliche Bedeutung von Literatur deutlich machen zeigen, dass Literatur Teil diskursiver Systeme ist, die sich wechselseitig beeinflussen Literatur als Teil des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ verstehbar machen einen literarischen Kanon als Orientierungshilfe vorstellen Literatur als Dokument einer Zeit untersuchen die wechselseitige Bedingtheit von Literatur und Geschichte aufzeigen
Kognition / Kommunikation zeigen, dass Narrative ein Element des Denkens und eine Form der Kommunikation darstellen die eigene Lebensgeschichte als Narrativ erfahrbar machen Literatur als Spiel mit der eigenen Gedankenwelt erleben lassen die sprachliche Form von Literatur als Ursache für ihre ästhetischen und emotionalen Effekte aufzeigen
Moralische Bildung zeigen, dass Literatur nicht dazu geeignet ist, ein Modell für ein gutes Leben zu liefern zeigen, dass Literatur analysierbare menschliche Konflikte enthält dazu beitragen, menschliche Verhaltensweisen zu verstehen

Tab. 1:

Funktionen und Ziele des Literaturunterrichts (Weskamp 2019: 132-133, Herv. JM)

Nimmt man die verschiedenen Parameter, so zeigt sich eine große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an eine fortgeschrittene fremdsprachliche Lesekompetenz (sowohl an der Schule als auch der Hochschule) und der Realität der Lernenden.4 „Fakt ist“, bilanziert Christa Jansohn in einem Beitrag zur Qualität der Lehrerausbildung im Fach Englisch, „dass die Schere zwischen schulischen Anforderungen und universitären Visionen immer weiter auseinandergeht.“ (Jansohn 2015: 83) In der Tat gelangen viele Studierende der Anglistik nicht nur der ersten zwei Semester rasch an die Grenzen ihrer Lesekompetenz. Lesepensen von mehr als drei Romanen oder Dramen im Semester, oder mit mehr als ein bis zwei Gedichten pro Seminarsitzung werden häufig nicht nur als zeitliche, sondern auch sprachliche Überforderung betrachtet – erst recht im Verbund mit der Sekundärliteratur, die auch Verständnishilfen sein können, aber vor allem zur Reflexion des Gelesenen sowie zur Metareflexion einer methodisch oder theoretisch informierten Texterschließung anregen sollen. Komplexe uneigentliche Schreibweisen wie Ironie und Satire oder stilistische Mittel jenseits von Alliteration, Paarreim und Metapher werden kaum selbstständig erkannt und entsprechend wenig von den Studierenden selbst thematisiert. Stilanalysen erfolgen in der Regel auf rein deskriptive Art – nicht selten in Stichwort- und Tabellenform, die allenfalls eine grobe funktionale Deutung präsentieren, ohne in zusammenhängende Interpretationstexte zu münden. Kritische, historisch und ästhetisch begründete Einsichten über einen komplexen literarischen Text zu formulieren überfordert viele Studierende noch am Ende ihres Erststudiums.

In literaturwissenschaftlichen oder -didaktischen Lehrveranstaltungen fällt auf, dass in der Arbeit mit umfangreicheren Werken allmähliche Figurenentwicklungen, achronologisch angeordnete Handlungsstränge oder mehrsträngige Plot-Konstruktionen immer wieder allzu rigide simplifiziert werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines selbstverständlichen Einsatzes von in der Schule üblichen Recherchetools wie shmoop, sparknotes, nosweatshakespeare oder vergleichbaren Informationsplattformen, deren Angebote oft die Primärtextlektüre ersetzen. In Seminardiskussionen wie in wissenschaftlichen Hausarbeiten wird eifrig über die Autorintention spekuliert; dagegen werden Stadien eines ein- oder mehrsträngigen Handlungsverlaufs ebenso wenig berücksichtigt wie Perspektivwechsel in erzähltechnisch anspruchsvollen Texten wahrgenommen. Demzufolge kommt es immer wieder zu textlich begründbaren Missverständnissen bezüglich der Chronologie von Ereignissen, komplexer Charakterzeichnungen und mehrschichtiger Figurenkonstellationen. Häufig werden Hypothesen darüber formuliert, was eine Figur in einer bestimmten Situation zu ihrem Handeln bewegt, ohne dass die entsprechenden Textsignale zuvor oder später zur Kenntnis genommen würden, die über Entwicklungsdynamiken in einer Figurenkonzeption Aufschluss geben könnten. Imaginäre Charaktere werden entweder identifikatorisch (und weniger empathisch) erfasst, indem Rezipient:innen ihre eigenen Lebenserfahrungen in den jeweiligen Stoff ‚hineinlesen‘. Oder die Studierenden bieten, in Ermangelung dessen, was angelehnt an ein summarisches Konzept von „Fiktionskompetenz“ (Gschwind 2020) als Fremd-Fiktionskompetenz zu konkretisieren wäre, ihrerseits eine alternative Version zum Handlungsverlauf einer Erzählung bzw. eines Dramas, womit sie sich von einer ästhetisch-analytischen auf eine adaptierend-performative Rezeptionsebene begeben, die aber im Bereich einer literaturwissenschaftlichen Annäherung an Texte äußerst selten eingefordert wird.

Ein zentrales Moment der Fremdheitserfahrung insbesondere von Teilnehmer:innen der ersten Studienjahre im Hörsaal oder Seminarraum ließe sich dadurch vermeiden, dass sie nicht länger schon in ihren ersten literaturwissenschaftlichen Veranstaltungen erkennen müssen, dass verschiedene Lerninhalte, v.a. der autorzentrierte Zugang zur Textlektüre – jedenfalls bei fiktionalen Stoffen, die den bei weitem überwiegenden Anteil von literaturwissenschaftlichen Seminaren ausmachen – mindestens als historisch veraltet, wenn nicht gar als konzeptuell irreführend betrachtet wird. Denn die Schüler:innen verlassen die Schule in der sicheren Erwartung, dass Text- / Materialnähe allenfalls für sekundäre Zwecke gefordert ist, und dass Wissenschaft nicht darin liege, divergierende explizite und implizite Sinnstrukturen zutage zu fördern, sondern kreativ etwas ‚Neues‘, ‚Anderes‘ aus dem Vorhandenen zu schaffen. Nicht zuletzt werden viele Inhalte der diskursiv akzentuierten (Selbstlern-) Skill Files in den Lehrwerken v.a. heuristisch, d.h. als definitorische Begriffssetzungen, eingeführt, während dieselben Begriffe im akademischen Kontext zu größeren Begriffssystemen und Theorien aufgebaut, in Beziehung zu konkurrierenden Modellen gesetzt und schließlich jenseits der reinen Definitionsmerkmale theoretisch reflektiert und differenziert bzw. diversifiziert werden. Dadurch bedingt werden im akademischen Diskurs immer wieder signifikante Bedeutungsverschiebungen gegenüber schulischer Textarbeit erlebt, die seitens vieler Studierender nicht etwa als eine Wissenserweiterung oder -vertiefung anerkannt werden (diese Wahrnehmung wäre positiv besetzt, da bekannte kognitive Schemata wiedererkannt und neue darauf aufgebaut werden), sondern als eine (zu späte) Korrektur von an der Schule gelernten Inhalten.

Die Wiederbegegnung mit schulischem Literatur-Wissen in akademisch vertiefendem Kontext wird somit häufig nicht als hermeneutischer Zirkel durchschritten, sondern als Teufelskreis durchlitten, weil die erweiternde Differenzierung zum (potenziell schon angelegten) Schulwissen übers Lesen als Degradierung der eigenen Kompetenz, gar des eigenen Leseverhaltens, empfunden wird. Daher wird eine theoretisierend-kritische, sinn- und bedeutungsstiftende Durchdringung der literarischen und literaturwissenschaftlichen (einschließlich der diskursiv-terminologischen) Inhalte häufig nicht mehr zugelassen.

Wenn also in Publikationen um die Jahrtausendwende aus fachdidaktischer Sicht, d.h. vor Einführung der kompetenzorientierten Bildungsstandards und Landescurricula, „die neuphilologische, an Literatur und Landeskunde orientierte Tradition des Englischunterrichts“ (Tenorth 2001: 157) kritisiert wurde mit der Ermahnung, dieser dürfe „nicht nur eine Hinführung zur Literaturwissenschaft“ (Voss 2001: 255) sein, so liegt es mittlerweile nahe, als wäre daraus eine Schwundstufe mit den zuvor skizzierten Auswirkungen entstanden. Umso auffälliger ist es, dass sich auch auf empirischer Ebene eine ähnliche Tendenz abzeichnet: Im Rahmen einer nicht-repräsentativen Interview-Studie, in der jeweils fünf erfahrene und unerfahrene Lehrkräfte das didaktische Potenzial einer Kurzgeschichte für den Einsatz in der Sekundarstufe II beschreiben sollten (vgl. Hohwiller 2020: 60), ergab sich folgende Einsicht:

Fasst man […] das intertextuelle Bewusstsein, die Detailbeobachtungen inklusive der Deutung des Titels sowie den Umgang mit narrativer Offenheit allgemein als philologische Kompetenz zusammen, so kann man festhalten, dass diese bei den fünf expert teachers in fast allen Unterbereichen stärker ausgeprägt ist. Kurzum: Die philologische Beweisführung der erfahrenen Lehrrkräfte übertrifft quantitativ und qualitativ die der Novizen. Die ist insofern überraschend als das Anglistik-Studium der novice teachers, das auch ein literaturwissenschaftliches ist, kurz vor Abschluss steht, während das der Experten zum Teil Jahrzehnte zurückliegt. (Hohwiller 2020: 63; vgl. auch ebd. 109)5

Ganz so überraschend ist dieser Befund denn doch nicht: Ein weiterer Blick in die fachdidaktische Praxis der Lehramtsausbildung offenbart, dass „sich [literaturdidaktische, JM] Publikationen, aber auch studentische Seminar- und Staatsexamensarbeiten, kaum mehr mit der literarischen Grundanalyse und Interpretation eines spezifisch zu behandelnden Textes auseinander[setzten]“. Stattdessen wendeten sie „das inzwischen vielfach ausdifferenzierte Methodikrepertoire der kreativen, produktiven, handlungs- und ergebnisorientierten, bisweilen noch analytisch ausgerichteten Verfahrensschritte“ (Volkmann 2017: 217, Herv. JM). Folglich erscheint schon hier die literarische Sachanalyse des zu vermittelnden literarischen Gegenstandes hintangestellt – ein sinnstiftendes Interpretationsverfahren, mit dem Lehramtsstudierende an einen literarischen Text herangehen und dies als fremdsprachliche wie auch hermeneutische Handlungskompetenz später in den Unterricht einbringen, wird nicht einmal mehr erwähnt. In Konsequenz ist zu erwarten, dass es den zukünftigen Lehrkräften schwerfallen wird, sich selbst auf die Literarizität von ästhetischen Texten einzulassen und einen Grundbestand an deren spezifischen Merkmalen (Form, Fiktionsmarker, Strukturelemente, Diskurstechniken) später an die Schüler:innen weiterzugeben. Literaturtheoretische Modelle und darauf aufbauende Lektüreverfahren spiegeln die Vielfalt der Möglichkeiten unterschiedlicher Textannäherungs und -aneignungsformen wieder. Ihre Kenntnis ist daher insbesondere für eine solide Lehramtsausbildung von hoher Bedeutung. Daraus resultiert häufig der Vorwurf einer zu theorielastigen Orientierung literaturwissenschaftlicher Seminare, die ihre Rechtfertigung aber aus der Vieldeutigkeit von literarischen Texten bezieht.6

Materialauswahl. Als Basis für die folgende Untersuchung dienen vier Bände aus der Lehrwerksgeneration für die Qualifizierungsphase (11.-13. Schuljahr) mit Erscheinungsdaten von 2015 bis 2019. Sie alle fußen auf den Bildungsstandards der ständigen Kultusministerkonferenz (KMK) von 2012 und auf dem von 2014 bis 2019 gültigen Kernlehrplan für das Fach Englisch an der Gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen. Materialien für dieses Bundesland eignen sich – produziert für einen der von Verlagsseite bevorzugten Märkte – besonders für eine Analyse der vorliegenden Art.7 Es werden im Folgenden namentlich Schülerbuch und Lehrer-Handreichungen, verschiedentlich auch das supplementäre workbook für die Analyse herangezogen. Das Untersuchungskorpus setzt sich im Einzelnen aus den folgenden Bänden zusammen:

 Diesterweg: Camden Town Oberstufe (Qualifikationsphase), 2019 (ISBN 978-3-425-73644-0) = CT;8

 Cornelsen: Context, 2015 (ISBN 978-3-14-040161-6) = C;

 Klett: Green Line Oberstufe, 2015 (ISBN 978-3-12-530485-7) = GL;9

 Schöningh: Pathway Advanced, 2017 (ISBN 978-3-06-033482-7) = PA

Jenseits der Konzeption der Schülermaterialien und ihrer Ergänzungen werden auch die Lehrerhandreichungen mit ihren thematischen Informationen und methodisch-didaktischen Hinweisen analysiert und kritisch reflektiert:

 Camden Town Oberstufe (QP): „Lehrerhandbuch“ = CT-LHB

 Context: „Handreichungen für den Unterricht“ = C-HRU

 Green Line Oberstufe: „Lehrerband“ = GL-LB

 Pathway Advanced: „Lehrerhandbuch“ = PA-LHB10

Der Blick in diese Lehrwerke zeigt, dass zumindest elementare Begrifflichkeiten von gattungsspezifischen Repräsentationstechniken und von stilistischen / kommunikativen Gestaltungsmitteln in Texten und Medien, seien sie fiktional oder ein dokumentarisch, den Lernenden prinzipiell zugänglich gemacht werden: Es müsste also in den universitären Einführungsveranstaltungen eigentlich produktive kompetenz-, aber auch wissensbezogene Wiedererkennungsmomente mit schulischem Lernstoff geben. Ebenso stünde es zu erwarten, dass diverse Lese- und Schreibstrategien, die dem Verfassen von schriftlichen assignments, Klausuren und wissenschaftlichen Hausarbeiten dienen, zur Anwendung kämen. Gleichwohl kritisiert Hallet, dass aufgrund dieser auch curricular vorgesehenen Trennung von Inhalten und Kompetenzen insbesondere „die Produktion mündlicher und schriftlicher Texte, die doch eigentlich den Kern aller Kommunikation und aller kommunikativer Kompetenzen bilden müsste, aus unerfindlichen Gründen den ‚Methodenkompetenzen‘ zugeordnet [sind]“ (Hallet 2016: 14). Denn jedes Lehrwerk hält einen umfangreichen Apparat mit Kompetenzseiten bereit,11 die nicht nur als Unterstützung für die Lern-Autonomie deklariert sind, sondern auch im Unterrichtsgeschehen Verwendung finden: „Verweise im Topic-Teil dienen der Integration der Skills section in den Unterricht.“ (GL-LB 10; Herv.i.Orig.)12 So findet sich in Pathway Advanced ein substanzieller Anhang zu Competences, Skills & Methods (PA 489-548), während Camden Town und Green Line einen Diff[erentiation] Pool, Intercultural Competences, Skills und einen Anhang mit einem Glossar zu literarischen Begriffen sowie einem Kompendium von kooperativen Unterrichtsmethoden anbieten (CT 294-389; GL 276-360). Context liefert seinerseits eine „Reference Section“ mit Language Files, Skill Files und Exam Practice (C 218-348).

Die Skill Files der einzelnen Lehrwerke teilen sich in verschiedene Kategorien. So gibt es neben diskursförderlichen (hier: textlich bzw. medial geprägten) auch solche, die die individuelle Sprachproduktion ausbauen sollen – wie z.B. im Bereich der Lese- und Schreibtechniken. Die folgende Tabelle listet in einer Synopse eine Auswahl der verschiedenen Skill Files in allen verglichenen Lehrwerken auf, die jeweils eine Entsprechung in den Vergleichslehrwerken haben – bezogen auf die text- und medienanalytischen Kompetenzen und auf zwei der fünf wesentlichen skills, Schreiben und Lesen.

Camden Town Context Green Line Pathway Advanced
Textanalyse (Literarische Texte) S2 Checklist: Creative writing (enthält Angaben zur Gestaltung von Perspektivtechniken) SF19 Analying narrative prose SF36 Writing a text analysis S5 Dealing with narrative texts S8 Narrative perspectives S9 Narrative techniques Focus on skills: Analysis of a fictional text
S12: Checklist: Analysis: Prose (enthält Hinweise zu Stilfiguren und zur Charakterisierung) SF17 Analysing stylistic devices S10 Style and stylistic devices
S35 Writing a character profile S7 Characterisation Focus on skills: Characterisation of a figure in literature
S11 How to work with drama SF20 Analysing drama S6 Dealing with poetry and drama Focus on Facts: Drama and theatre
S10 How to work with poetry SF21 Analysing poetry Focus on Skills: Analysis of poetry and lyrics
Medienanalyse (Cartoons, Illustrationen, Spielfilme) S16 Checklist: Analysis of a film scene SF23 Analysing a film S29 Film types and cinematic devices Focus on Facts: Camera operations
S15 How to describe pictures SF11 Analysing pictures SF13 Analysing cartoons S 28 Working with visuals Focus on skills: Analysis of visuals Focus on facts: Screenplays and storyboards
S17 How to work with cartoons
Lesen SF14 Reading Strategies S11.1 Skimming and scanning Focus on skills: Reading techniques
SF15 Marking up a text / Making and taking notes S11.2 Taking notes Focus on skills Understanding complex texts
Schreiben S1 Checklist: Summary SF31 Writing a summary S13 Summary Focus on Skills: Writing an analysis
S9 How to structure a text SF38 Writing a well-structured text SF 40 Proofreading S20 Paragraphs, editing and checking
S23 How to quote SF39 Quoting a text S19 Term paper and quoting

Tab. 2:

Skill Files zum schriftlichen Umgang mit Literatur in den vier Lehrwerken

Dass die Lehrwerke von Fall zu Fall recht unterschiedliche Akzente für verschiedene Kompetenzbereiche setzen, überrascht nicht so sehr wie die Tatsache, dass Camden Town als einziges der hier verglichenen Lehrwerke auf das komplette Segment „Reading Techniques“, das andernorts durchaus differenziert und eigentlich für Sachtexte zum Einsatz gebracht wird, verzichtet. Hingegen finden sich in allen Lehrwerken mindestens drei Methodenblätter zum Umgang mit den drei großen literarischen Textgenres: (Erzähl-) Prosa, Drama, Lyrik. Essentielle narratologische Kompetenzen wie die Aspekte von Perspektivgestaltung sind wiederum in Camden Town nicht etwa dem Skill File zu deren Analyse, sondern einer „Checklist: Creative Writing“ zugeordnet. Green Line bietet demgegenüber mit den Kategorien „Perspektiv-“ und „Erzähltechnik“ gleich zwei Vertiefungen zum Thema „Erzähltextanalyse“, die in dieser Differenzierung in keinem der anderen Lehrwerke zur Verfügung steht. Auch dem Verfahren der literarischen Charakterisierung ist in Camden Town kein eigenes Methodenblatt gewidmet (knappe Hinweise dazu finden sich im Skill File „Analysis of Prose“), während ihm in den anderen Lehrwerken mehr Raum zugewiesen ist. Einige dieser für die Analyse praxisrelevanten Aspekte, die die anderen Lehrwerke in die Skill Files auslagern, sind jedoch bei Camden Town in die core skills-workshops innerhalb der Unterrichtsmodule integriert. Dieses Lehrwerk stellt zudem die jeweilige Kompetenz in auf maximal drei Seiten begrenzten Abrissen mit generellen „Do’s and Don’ts“ oder farblich hervorgehobenen Informationskästen zu einzelnen Textphänomenen vor. Gegenüber diesem stark diskursiven und textlastigen Verfahren verfolgen Context, Green Line und Pathway Advanced eine anschaulichere Strategie und bemühen sich auch vielfach um eine Visualisierung des zu vermittelnden Inhalts, sei es durch die (typo-)graphische Gestaltung und farbliche Hervorhebung wichtiger Informationen, sei es durch deren Illustration. In Context wird in diversen Skill Files ein Bezug auf konkrete thematische Gegenstände einer Lerneinheit hergestellt, der für den Gebrauch in anderen Lernzusammenhängen deplatziert wirkt. Deswegen wird hier im Einzelfall abzuwägen sein zwischen dem Nutzen der praktischen Anwendung (mit dem Aufbau auf bekanntem Wissen) und dem Problem der Ablenkung vom gerade diskutierten Inhalt durch die Verankerung des Skill File in einer anderen Lerneinheit.

In diesen Anhängen werden auf je ein bis zwei Druckseiten Kenntnisse zum Umgang mit Texten allgemein vermittelt, die als Voraussetzung für die Entwicklung und Förderung von Text- und Medienkompetenzen betrachtet werden. Diese umfangreichen Ergänzungen sind ebenso für das Arbeiten mit den Aufgaben der inhaltlichen Themenbereiche vorgesehen wie die Seiten mit literatur- und filmbezogenen Fachbegriffen, die ebenfalls in den einzelnen Lehrwerken angefügt sind. Gerade wenn man zugrundelegt, dass der Stellenwert des Lehrwerks im Oberstufenunterricht – anders als in der Sekundarstufe I – nicht der eines Leitmediums ist (vgl. Thaler 2012: 88), erscheint es sinnvoll, auch die für diesen Bildungsabschnitt konzipierten Lehrwerke einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, um zum einen einen Schlüssel zum Verständnis der kompetenzorientierten Arbeit mit literarischen Texten im Englischunterricht der Sekundarstufe II zu erhalten, und zum anderen um daraus Hinweise auf die Mängel in einer nachhaltigen Vermittlung literarischer Kompetenzen zu erhalten.

Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung

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