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1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata
ОглавлениеVor der eigentlichen Betrachtung der hier zu untersuchenden Englisch-Lehrwerke in Kapitel 2 richtet sich im Zuge dieses Einführungskapitels die Aufmerksamkeit in Abschn. 1.2 auf die wichtigsten Aspekte der Lehrwerkforschung und in Abschn. 1.3 auf wichtige Impulsgeber für curriculare Orientierungsraster. Abschn. 1.4 schließt mit den praxeologischen Konsequenzen an, die den Literaturunterricht seit der Implementierung dieser Orientierungsraster geprägt haben. Hier sind zentrale Konzepte zu erläutern, die für die Analysen in Kapitel 2 von zentraler Bedeutung sind. Abschn. 1.5 liefert abschließend einen inhaltlichen Aufriss der Studie.
Ansätze. Auf einer grundlegenden Theorie des (fremdsprachlichen) Lehrwerks basiert diese Studie mit ihrem Fokus auf der Vermittlung von Literaturkompetenzen nicht (als Teilmenge der curricular definierten Text- / Medienkompetenzen); nicht zuletzt auch in Ermangelung einer solchen, wie Lies Sercu in ihrem Beitrag zur Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning formuliert: „there is no universally recognized theory of the textbook“ (Sercu 2004: 626). Sie begründet diesen Sachverhalt u.a. damit, dass über den Umgang der Lehrkräfte mit dem Lehrbuch im Klassenzimmer zu wenig bekannt sei, ebenso wie zur Effizienz der Arbeit mit Lehrwerken, und dass die Einflüsse auf die Konzeption und Gestaltung von Lehrwerken zu vieldimensional seien, als dass sie zu einer solchen führen könnten.
Gleichwohl lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die methodischen Ansätze der Lehrwerkforschung. Diese erscheint aus fachdidaktischem Blickwinkel (nicht nur mit Sicht auf den Fremdsprachenunterricht Englisch) trotz neuer Impulse aus dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als ein weitgehend vernachlässigtes Feld. So bilanziert die Anglistin Daniela Elsner noch 2016: „Trotz ihrer Rolle sind Lehrwerke und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht nur wenig erforscht“ (Elsner 2016: 443).1 Jedoch ist nicht zu übersehen, dass gerade aus der Anglistik schon früh wichtige Impulse für die aktuelle Lehrwerkkritik kamen. Denn für den deutschsprachigen Raum reichen die Wurzeln der Erforschung des fremdsprachlichen Englischunterrichts mehr als fünf Jahrzehnte zurück (Sauer 1964, Heuer 1973, Bung 1977, Neuner 1979). Die erste Generation von empirischen Studien entstand in der „doppelten Umbruchsituation des Unterrichts in den 1970er Jahren mit der Einführung der kommunikativen Didaktik und der Gesamtschule“ (Funk 2019: 364), aber aus heutiger Sicht sind sie aufgrund stark veränderter institutioneller, curricularer und methodischer Rahmenbedingungen kaum mehr jenseits historischer Einordnungen aussagekräftig. Die Systematische Lehrwerkanalyse (Bung 1977) kann aus heutiger Sicht als Initialzündung für empirische Untersuchungsverfahren in der englischen Fachdidaktik gewürdigt werden, ebenso wie die Aufsatzsammlung Zur Analyse fremdsprachlicher Lehrwerke (Neuner 1979).
Diese älteren Studien weisen die Gemeinsamkeit auf, die Vorzüge des seinerzeit innovativen kommunikativen Ansatzes (Communicative Language Teaching) innerhalb der Fremdsprachendidaktik gegenüber dem bis dahin praktizierten audiolingualen Lehransatz herauszustellen. Damals mussten Lehrwerkgestalter also eher auf sich verändernde didaktische Vermittlungsmethoden und reformierte Lern- / Lehrmodelle reagieren, die jedoch in großen zeitlichen Abständen aufeinander folgten: zunächst der Wechsel von der behavioristisch grundierten audiolingualen Lehrmethode zu konstruktivistisch orientierten kommunikativen Ansätzen, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer weiter in Richtung handlungsorientierter, aufgaben-basierter, kooperativer Lernmethoden ausdifferenzierten.
Brian Tomlinson setzt eine ernsthafte akademische Auseinandersetzung und die Erschließung von Lehrwerken im internationalen Rahmen, von einigen wenigen Vorläufern abgesehen, überhaupt erst für den Zeitraum seit Mitte der 1990er Jahren an (vgl. Tomlinson 2012/13: 343), und Dietmar Rösler ergänzt das Bild mit der Behauptung, „dass die Rezeptionsanalyse, die Lerner- oder Lehrerverhalten beim Umgang mit Lehrwerken oder Teilen von Lehrwerken wie Übungen und Aufgaben oder Textformaten analysiert, recht unterentwickelt ist.“ (Rösler 2016: 474). Wolfgang Gehring wiederum weist auf die befremdliche, aber nach wie vor gültige Tatsache hin, dass Lehrwerke in wissenschaftlichen, selbst fachdidaktischen Zeitschriften nicht einmal rezensiert werden (vgl. Gehring 2012/13: 357);2 eine Haltung, die keineswegs immer bestanden hat. So erinnert Christiane Lehmann daran, dass „zur Zeit der Neusprachlichen Reformbewegung regelmäßig Lehrbuchrezensionen verfasst [wurden]“ (Lehmann 2010: 32), allerdings nur bis in die 1950er Jahre. Ein Grund für diese Zurückhaltung einer kritischen Rezeption innerhalb der academic community mag darin liegen, dass Lehrwerke für lange Zeit einen komplexen, mehrstufigen Genehmigungsprozess in den zuständigen Landesbildungs-Ministerien durchlaufen mussten, ehe sie zum Druck freigegeben wurden: „Für die Schulen und die Bildungsverlage ist die kultusministerielle Zulassung ein Gütesiegel.“ (Jürgens 2010: 229; vgl. dazu Fey 2016). Erst im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rückten die ministeriellen Genehmigungsverfahren wieder in den Hintergrund, teilweise unter einem kompletten Verzicht auf die Begutachtung (vgl. Stöber 2010, Wendt 2010).
Mit Jürgen Kurtz lässt sich festhalten, dass mittlerweile aktuelle und jüngere Lehrwerksgenerationen weniger aus spezifisch methodisch-didaktischer Sicht überarbeitet werden müssen, sondern eher aufgrund umfassender, „zeitlich versetzte[r] ‚Materialisierungen‘ gesellschafts-, bildungs- und sprachenpolitischer, pädagogischer, fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher, medientechnologischer und medienpädagogischer, kommerzieller (u.a.m.) Überlegungen“ (2011: 5). In diesem Zusammenhang ist zunächst die Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) / Common European Framework of Reference for Languages (im Folgenden in der englischen Fassung als CEFR zitiert) zu nennen, der im Jahr 2001 von der europäischen Union verabschiedet wurde. Weitere Impulse erfolgten durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 ratifiziert wurde, und die KMK Strategie Bildung in der digitalen Welt (2016), die zusammen mit dem „DigitalPakt.Schule 2019-2024“ (2019) zum gegenwärtig stattfindenden Generationswechsel im Angebot der Bildungsverlage seit 2020 führten. Entsprechend sind die hier untersuchten Lehrwerke mit ihren Erscheinungsjahren zwischen 2015 und 2019 durch einen erhöhten Grad an Kompetenzorientierung und Inklusivität geprägt, so dass ein breiteres Differenzierungsangebot gegenüber früheren Ausgaben zur Verfügung steht; hinzu kommt ein höheres Gewicht auf dem verstärkten Einsatz von kooperativen Lernformen. Der Einsatz digitaler Medien mit den Möglichkeiten einer stärkeren Individualisierung des Unterrichts ist jedoch gegenüber den aktuellen Produktlinien stark reduziert. Folglich lässt sich bezüglich der „Halbwertzeit“ von Lehrwerken im Zeitalter der Digitalisierung konstatieren, dass diese sehr viel schneller veralten, als dies für solche der 1960er bis in die 1990er Jahren galt (Funk 2016: 440, nennt einen Zeitraum von nur mehr „3-5 Jahre[n]“ bei Verlagsinvestitionen von sechsstelligen Beträgen; vgl. dazu auch Thaler 2011: 23). Entsprechend beträgt die Dauer, für die eine Schulbuchzulassung gilt, ca. sechs Jahre (vgl. Stöber 2010: 6); sie wird i.d.R. bei der zumeist jahrgangsweise fortschreitenden Einführung neuerer, überarbeiteter Lehrwerksausgaben verlängert, bis diese vollständig vorliegt.
Ein maßgeblicher Anteil der Lehrwerkkritik fand lange Zeit, institutionell betrachtet, parallel zu den universitären Fakultäten statt; sie wurde auf administrative, d.h. bildungspolitische bzw. curriculare Ebenen verschoben. Mittlerweile aber erschiene es insbesondere seitens der Fachdidaktiken geradezu fahrlässig, auf eine intensivere inhaltliche kritische Reflexion der Lehrwerke zu verzichten, da in vielen Fällen ein ministerielles „Gütesiegel“ fehlt und eben keine maximale „Verlässlichkeit“ im Hinblick auf die „fachwissenschaftliche[-] und didaktische[-] Anordnung“ der Inhalte per se gewährleistet ist (Anton 2017: 13; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Kriterium der „Korrektheit und Aktualität der Information“ in Lehrmaterialien bei Volkmann 2010: 238). Die Qualitätskontrolle von Lehrwerken rückt somit wieder vermehrt in den Verantwortungsbereich der jeweiligen Fachdidaktik, obgleich in den seltensten Fällen alle Unterrichtsfelder eines Faches analysiert werden. Anders als ein proaktives ministerielles Zulassungsverfahren weist die akademische Lehrwerkanalyse naturgemäß stets eine zeitliche Verzögerung von etlichen Jahren zwischen dem Erscheinen der Untersuchungsgegenstände, ihrem flächendeckenden Einsatz im Unterrichtsgeschehen und der Veröffentlichung der Kritik auf: Die Vertreter:innen dieses Forschungsfeldes unterliegen einer anderen Form des Zeitdrucks als die Redaktionen in Schulbuchverlagen, die innerhalb kurzer Zeit ihre Lehrwerke den veränderlichen curricularen und amtlichen Vorgaben anpassen und zugleich marktorientiert verfahren müssen. Dies betont auch Rösler: „Der mit der Produktion einhergehende Zeitdruck und das Interesse daran, ein entwickeltes Lehrwerk auch an die Lernenden zu bringen, sind Gegenkräfte zu einer ausführlichen Erprobung“ (Rösler 2016: 473): zu nennen sind hier eine intensive interdisziplinäre (lerntheoretisch, lernpsychologisch, fachdidaktisch und fachwissenschaftlich) kompetente Betreuung durch das jeweilige Autoren- und Redaktionsteam. Es sei allerdings nicht bestritten, dass ein Lehrbuch trotz einzelner inhaltlicher Schwächen im Unterricht eine Vielzahl „an fachlichen, didaktischen und methodischen Anregungen“ liefert, die „generell den Unterricht nur verbessern“ (Sandfuchs 2010: 23), statt ihn zu behindern. So betrachtet, sind die jüngeren Forschungsansätze, die sich der kritischen Lehrwerkanalyse zuwenden, als Kontrollinstrumentarien zu begrüßen, zumal zu einer Fundamentalkritik bzw. einer in den 1990er Jahren verbreiteten Verzichtshaltung gegenüber dem Lehrwerk an sich ebenso wenig Anlass besteht (siehe aber, aus konstruktivistischer Sicht, Wolff 2001, sowie Freudenstein 2001) wie einer radikalen Ablehnung gegenüber analytischen Textaufgaben (vgl. dazu die Diskussion in Lauber 2004).
Aktuelle Tendenzen. Insgesamt lässt sich sehr wohl feststellen, dass die Lehrwerkforschung neuerlich eine gewisse Dynamik entwickelt hat. Vor dem Hintergrund der Studien aus den letzten zwei Jahrzehnten ergibt sich folgendes Bild: Mit Blick auf den Stellenwert des Lehrwerks für den Unterricht besteht weitestgehend Konsens darüber, dass zumindest in der Primar- und Sekundarstufe I Lehrwerke eine weite Verbreitung erreichen und insgesamt ein recht hohes Ansehen genießen; lediglich Grimm/Meyer/Volkmann äußern sich reserviert und weisen darauf hin, dass auf eine gute Durchmischung von allgemeinen lehrwerks- und lerngruppenspezifischen Zusatzmaterialen zu achten sei, da ansonsten die Gefahr durch wenig authentische Unterrichtsgegenstände sowie durch stereotypisierende Themenzuschnitte entstehe, die zudem für die Lernenden oft uninteressant sind und wenig Kreativität zuließen. Im gleichen Maße würden die Lehrenden ‚entlehrt‘, oder „deskilled“ (Grimm/Meyer/Volkmann 2015: 250), da ihnen mit den entsprechenden Lehrerhandreichungen alle methodischen Schritte vorgeschrieben würden. Daher mag Kurtz’ Regel nach wie vor Gültigkeit zugeschrieben werden: „Optimale Lehrwerkverwendung bedeutet nicht maximale Lehrwerkbindung.“ (Kurtz 2001: 43) In der Regel aber vereinen die jüngsten Lehrwerksgenerationen verschiedene Vorzüge, die eine Lehrkraft in mehrfacher Hinsicht unterstützen (können):
The new generation of textbooks offer [sic] a variety of different text forms and activities that aim at the integrated practice of language skills […]. They follow the common principles of EFL teaching and learning by incorporating meaningful communicative tasks, catering to different learner styles and offering manifold activities for language practice. Modern textbooks for the secondary classroom embed grammar and vocabulary practice in meaningful contexts and they illustrate and explain the value of learning strategies and techniques, supporting learners in their individual learning processes. With this, textbooks are valuable timesavers in terms of teachers’ preparation times and they offer a secure learning progression that is transparent to students, teachers and parents alike. Given the fact that there is hardly a textbook anymore that does not come with a language learning software for the computer and CDs with texts and songs spoken / sung by native speakers, textbooks are also an effective resource for self-directed learning. (Elsner 2018: 30; Herv.i.Orig.)
Gleichwohl gibt es gewisse Vorbehalte gegenüber dem Lehrwerk-Einsatz auf dem Niveau der Sekundarstufe II: „As teachers are more or less free to choose how they want to approach the topics and texts set by curricular guidelines, the use of classical textbooks is not very popular at secondary II level.” (Elsner 2018: 33) Eine entwicklungspsychologische und fremdsprachenerwerbs-typische Lernprogression ist hier nämlich gegenüber der Gestaltung von Lehrwerken für die Sekundarstufe I nicht mehr zu erwarten. Da die eigentliche Spracherwerbsphase zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen gilt, werden grammatische Phänomene nicht von Grund auf erarbeitet, sondern zumeist situativ und wiederholend angewendet bzw. vertieft; in den thematischen Modulen werden zudem immer wieder grammatische Strukturen in Gestalt eines „focus on form / language“ eingefügt. Auch sind zu diesem Zeitpunkt verschiedene Lesetechniken mit jeweils eigenen Funktionen thematisiert worden, so dass die vielfältigen Skill Files einer weiteren Automatisierung und Autonomisierung des fremdsprachlichen Lernens und Arbeitens dienen – als (inter-)subjektiver Akt der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung, als kognitive Methode der Bedeutungskonstruktion.
Somit erscheint es aus fachdidaktischer Sicht insbesondere seit Einführung erstens der inhaltlich offen gestalteten, kompetenzorientierten Bildungsstandards, zweitens der landesspezifischen Kerncurricula für die Sekundarstufe II und drittens angesichts zunehmender Zentralisierung der Abiturprüfungen mittlerweile durchaus naheliegend, dass Lehrwerke im Sinne einer weitgehenden Wissensstandardisierung und Vergleichbarkeit das Rückgrat des Fremdsprachenunterrichts im modernen Klassenzimmer bilden sollten, auf das sich sinnvollerweise auch die schulinternen didaktischen Jahreslehrpläne stützen.
Eine Mehrzahl der aktuellen lehrwerkanalytischen und / oder -kritischen Studien aus der Zeit nach 2001 (namentlich Anton 2017, Vali 2015 und Hammer 2012) wendet sich Untersuchungsgegenständen für das Fach Englisch zu, die mittlerweile zur (vor-)vorletzten Generation der Lehr- und Lernmaterialien zu rechnen sind, d.h. die zwar die im CEFR von 2001 vorgesehene Kompetenzorientierung i.d.R. schon erfasst haben, aber noch nicht die seit 2014 erschienenen Lehrwerksreihen untersuchen. Fünf neuere Monographien richten dabei die Aufmerksamkeit auf die Anlage und Entwicklung interkultureller (kommunikativer) Kompetenzen im Englisch-Unterricht der Primar- (Staab-Schultes 2010, Vollmuth 2004; Brunsmeier 2016; Kirchhoff 2019a) bzw. der Sekundarstufe I (Hammer 2012, Lehmann 2010, Merkl 2002)3; zudem gibt es nur wenige Studien mit einem Fokus auf der Sekundarstufe II: neben Renges (2005) und Eick (2020) sind für dieses Bildungsniveau erneut die Arbeiten von Anton (2017) und Vali (2015) sowie Freitag-Hild (2010) zu nennen. Diese Studien sind ausnahmslos der Vermittlung allgemeiner (ziel- oder inter-) kultureller (kommunikativer) Kompetenzen gewidmet.4
Desiderata. Demgegenüber besteht noch immer eine empirische Forschungslücke bezüglich des schulischen Umgangs mit literarischen Inhalten, die Volkmann auf den „erheblichen argumentativen Legitimationsdruck“ zurückführt, dem die „Literatur im kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterricht“ ausgesetzt ist (Volkmann 2017: 210; vgl. Kirchhoff 2019b: 219). So gibt es zwar eine Fülle von Unterrichtsbeispielen über die Vermittlung von interkulturellen (kommunikativen) Kompetenzen anhand literarischer Texte, doch stehen diese i.d.R. lehrbuchunabhängigen Unterrichtsprojekte in ihrer bei weitem überwiegenden Mehrzahl mit Texten und -materialien parallel zu den Inhalten von Lehrbüchern mit ihren eigenen thematischen Schwerpunktsetzungen (vgl. z.B. Delanoy/Eisenmann/Matz 2015, die Beiträge in Teil II von Hallet/Surkamp/Krämer 2015; Teil III in Surkamp/Nünning 2010; Hallet/Nünning 2009; oder in Teil IV von Bredella/Burwitz-Melzer 2004). Es bleiben die Arbeiten von Britta Freitag-Hild (2010) und Ann Kimes-Link (2013) zu erwähnen, die beide aus empirischer Sicht die Literaturaufgaben im fremdsprachlichen Unterricht untersuchen. Während Freitag-Hild ihre Aufgabentypologie speziell für den Literaturunterricht unter interkulturellen Vorzeichen entwickelt, setzt Kimes-Link den Akzent auf die Erarbeitung u.a. von umfangreicheren Ganztexten wie Shakespeares Romeo and Juliet, Carol Matas’ Cloning Miranda und Joyce Carol Oates’ Big Mouth Ugly Girl. Beide Arbeiten lassen die Entwicklung literarischer Kompetenzen im Medium der Lehrwerke unberücksichtigt.
Die vorliegende Betrachtung mit ihrem Schwerpunkt auf der Literaturvermittlung über Englisch-Lehrwerke für die Qualifikationsphase an der gymnasialen Oberstufe und somit an der Schwelle zum tertiären Bildungssektor dringt folglich in ein weitgehend unbekanntes bzw. fremd gewordenes Territorium innerhalb des Gebietes der anglistischen Lehrwerkforschung vor. Sie erweitert den aktuellen Schwerpunkt der Lehrwerkforschung, der sich auf die Vermittlung interkultureller kommunikativer Kompetenzen konzentriert, um die bislang unzulänglich betrachtete Inhaltsebene: was wird den Schüler:innen wie angeboten bzw. was fordert man von ihnen auf welche Weise ein? In diesem Sinne erinnert Weskamp emphatisch daran, „dass Literaturunterricht nicht nur ‚Unterricht‘ ist, der mit den Methoden der empirischen Forschung beschreibbar ist, sondern dass es auch um Literatur geht, die hermeneutisch betrachtet werden muss.“ (Weskamp 2019: 133) Dazu gehört nicht zuletzt, wie Carola Surkamp eine zentrale „Aufgabe des Literaturunterrichts“ formuliert, dass den „Lernenden Einblicke in die Wirkungs- und Funktionsweisen textueller Strategien zu vermitteln“ seien (Surkamp 2019a: 141). Dementsprechend argumentiert die vorliegende Studie für eine moderate, themenbezogene Re-Philologisierung des gymnasialen Literaturunterrichts und damit für eine intensivierte Betrachtung der Literatur als Literatur.