Читать книгу Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie - Jürgen Daviter - Страница 11
ОглавлениеIII. Humes Erkenntnistheorie:
Die Entzauberung kausaler Gewissheiten
Die Grenzen des menschlichen Verstandes sind so eng‚ dass man weder hinsichtlich der Ausdehnung noch der Sicherheit seiner Errungenschaften viel Befriedigendes erhoffen kann.
David Hume
So ist die Enthüllung menschlicher Blindheit und Schwäche das Ergebnis aller Philosophie‚ und sie begegnet uns auf Schritt und Tritt‚ trotz unserer Bemühungen‚ ihr auszuweichen oder zu entrinnen.
David Hume
Seit dem Entstehen der Metaphysik ‚ so weit die Geschichte derselben reicht‚ hat sich keine Begebenheit zugetragen‚ die in Ansehung des Schicksals dieser Wissenschaft hätte entscheidender werden können‚ als der Angriff‚ den David Hume auf dieselbe machte.
Immanuel Kant
1. Vorbemerkung zu den Originalquellen
Hume hat seine Erkenntnistheorie hauptsächlich in zwei Schriften niedergelegt.54 Die erste veröffentlichte er 1739 und 1740 im Alter von unter 30 Jahren‚ und zwar anonym unter dem Titel Treatise of Human Nature (Traktat über die menschliche Natur).55 Darin ist Buch I mit dem Titel „Of the Understanding“ („Über den Verstand“) der Erkenntnistheorie gewidmet. Die zweite Schrift erschien 1748 und erhielt nach mehreren Neuauflagen den Titel An Enquiry concerning Human Understanding (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand). Hume sah sich aus mehreren Gründen zu dieser neuen Darstellung seiner philosophischen Ansichten veranlasst. Die erste Schrift war zunächst kaum beachtet worden; er glaubte‚ er habe sie zu früh veröffentlicht‚ und wollte einige „Nachlässigkeiten seines früheren Gedankengangs und noch mehr des Ausdrucks“ beseitigen. Die Enquiry war erheblich kürzer als der Treatise und in einem eleganten und eingängigen Stil geschrieben; anders als der Treatise fand sie sehr bald große Resonanz.
Humes Erkenntnistheorie wurde von seinen Zeitgenossen zum Teil scharf kritisiert‚ nach Auffassung Humes und auch aus heutiger Sicht oft unqualifiziert. Was für Hume jedoch am wichtigsten war: Die Kritik richtete sich regelmäßig gegen sein Jugendwerk‚ und die spätere Enquiry wurde dabei kaum beachtet. Deswegen stellte er einer ihrer letzten Auflagen eine Bekanntmachung voran‚ in der er den Wunsch äußerte‚ ausschließlich die Ausführungen dieses Buches als Darstellung seiner philosophischen Ansichten und Grundsätze zu betrachten. Dem entspricht die folgende Beschäftigung mit Humes Erkenntnistheorie; sie bezieht sich fast ausschließlich auf die Enquiry. In ihr sind die letztgültigen Ansichten Humes über das erkenntnistheoretisch wohl wichtigste Problem‚ das der kausalen Erkennbarkeit der Welt‚ für alle philosophisch Interessierten allgemein verständlich formuliert.56
2. Der radikale Bruch mit der „alten“ Metaphysik
Hume kann man als den Philosophen bezeichnen‚ der den von Descartes eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende gegangen ist. Descartes hatte sich selbst und dem Menschen überhaupt die Aufgabe gestellt‚ aus eigener Kraft nach wahren Erkenntnissen über die Welt zu suchen. Doch am Ende musste er sich auf die Hilfe eines wohlwollenden Gottes verlassen. Der Wahrheitsanspruch Descartes‘ blieb also letzten Endes metaphysisch‚ er war nicht durch Erfahrung sicher begründet. Hume lehnte Metaphysik als Element oder gar tragenden Pfeiler des Begründungssystems kategorisch ab. Für ihn war der Mensch nicht nur eigenverantwortlich für alle seine Erkenntnisbemühungen‚ sondern er blieb auch - dies nun anders als bei Descartes - endgültig auf seine Wahrnehmungen und deren Verarbeitung durch den eigenen Verstand beschränkt.
Auf diesen Standpunkt legt sich Hume schon im einleitenden Abschnitt I fest („Über die verschiedenen Arten der Philosophie“). Er spricht von der „tiefgründigen und abstrakten Philosophie“ als „Quelle von Ungewissheit und Irrtum“ (EHU‚ S. 23); die „einzige Methode“ und das einzig vertretbare Motiv und Ergebnis der Erkenntnissuche seien „eine ernsthafte Untersuchung der Natur des menschlichen Verstandes und der aus exakter Analyse seiner Kräfte und seiner Fähigkeit gewonnene Nachweis‚ dass er in keiner Weise für solche entlegenen und dunklen Aufgaben geeignet ist“ (EHU‚ S. 25). „Genaues und richtiges Denken ist das einzige universale Heilmittel …‚ jene dunkle Philosophie und das metaphysische Kauderwelsch zu untergraben‚ das … diese für sorglose Denker in gewisser Weise undurchdringlich macht und ihr den Anschein von Wissenschaft und Weisheit gibt.“ (EHU‚ S. 27.) „Und wir müssen die wahre Metaphysik mit einiger Sorgfalt pflegen‚ um die falsche und verdorbene zu zerstören.“ (EHU‚ S. 25.)57 Bei einer solchen Ansicht darf es nicht verwundern‚ wenn Hume im letzten Absatz der Enquiry sarkastisch feststellt: „Wenn wir … unsere Bibliotheken durchgehen‚ welche Verwüstung müssten wir dann anrichten? Nehmen wir irgendein Buch zur Hand‚ z. B. über Theologie oder Schulmetaphysik‚ so lasst uns fragen: … Enthält es eine auf Erfahrung beruhende Erörterung über Tatsachen und Existenz? Nein. So übergebe man es den Flammen‚ denn es kann nichts als Sophisterei und Blendwerk enthalten.“ (EHU‚ S. 421.)
Die alte‚ falsche und verdorbene Metaphysik war für Hume die rationalistische Philosophie‚ die vorgab‚ allein aus Denkakten heraus Wahrheiten über Dinge begründen zu können‚ die außerhalb der erfahrbaren Welt liegen (z. B. Gottes Existenz)‚ und die - oft mit Hilfe solcher „Einsichten“ - auch die Dinge dieser Welt allein aus dem Denken heraus glaubte erklären zu können. Oswald Külpe spricht treffend von der „Metaphysik als Lehre von dem Unerfahrbaren“58. Die „wahre Metaphysik“ dagegen ist in den Augen Humes jene Philosophie‚ die nach gründlichen erkenntnistheoretischen Reflexionen zu der Einsicht führt‚ dass genau das‚ nämlich eine Lehre von etwas Unerfahrbarem‚ nicht möglich ist. Seine „wahre Metaphysik“ ist dieselbe Metaphysik‚ die Kant etwas später im Titel seiner Prolegomena erwähnt: in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik‚ die als Wissenschaft wird auftreten können. Descartes war einen überzeugenden Beweis für den Wahrheitsanspruch der „alten“ Metaphysik schuldig geblieben. Die Erkenntnistheorie‚ die Hume in der Enquiry entwirft‚ bricht zum ersten Mal in der Philosophie radikal und wohlbegründet mit der Annahme kausaler Gewissheiten und ist - entsprechend den ersten beiden oben zitierten Mottos - ein einzigartiges und zu seiner Zeit unerhörtes Plädoyer für ein bescheidenes Urteil über die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen.
3. Unsere „lebhaften Perzeptionen“ als Grundlage der Ideen
Im Abschnitt II der Enquiry („Über den Ursprung der Ideen“) teilt Hume „Perzeptionen des Geistes“ in zwei Klassen ein‚ einerseits Gedanken oder Ideen‚ andererseits Eindrücke; zu den letzteren zählt er „unsere lebhafteren Perzeptionen‚ wenn wir hören‚ sehen‚ fühlen‚ lieben‚ hassen‚ begehren oder wollen“. Und er stellt sofort eine Beziehung zwischen den beiden Klassen in den Vordergrund: Ideen sind „die weniger lebhaften Perzeptionen …‚ deren wir uns bewusst sind‚ wenn wir auf eine der oben erwähnten Wahrnehmungen oder Gemütsbewegungen reflektieren“ (EHU‚ S. 41). Hume lässt keinen Zweifel daran‚ dass er die Eindrücke für grundlegend und entscheidend hält‚ weil „die schöpferische Kraft des Geistes nur auf das Vermögen hinausläuft‚ das uns durch die Sinne und die Erfahrung gegebene Material zu verbinden‚ umzustellen‚ zu vermehren oder zu vermindern… Alle unsere Ideen oder schwächeren Perzeptionen sind Kopien unserer Eindrücke oder lebhafteren Perzeptionen.“(EHU‚ S. 43.) Als Beispiel mag sein Hinweis auf die wohl geschichtsträchtigste Idee dienen‚ die Idee Gottes: „Die Idee Gottes‚ in der Bedeutung eines allwissenden‚ allweisen und allgütigen Wesens‚ entsteht aus der Reflexion auf die Operationen unseres eigenen Geistes und aus der grenzenlosen Steigerung dieser Eigenschaften der Güte und Weisheit.“(EHU‚ S. 45.) Alle Argumentationen Humes laufen darauf hinaus‚ dass uns eine Idee nur in einer „einzigen Weise … in den Geist‚ den Verstand treten kann‚ nämlich durch wirkliches Empfinden und Wahrnehmen“ (EHU‚ S. 47). In einer abschließenden langen Fußnote geht Hume auf die sogenannten eingeborenen Ideen ein. Wenig überraschend lautet sein Fazit: „Nimmt man aber die Termini Eindrücke und Ideen in dem oben erklärten Sinne‚ und versteht man unter eingeboren dasjenige‚ was ursprünglich oder von keiner vorhergehenden Perzeption kopiert worden ist‚ dann können wir behaupten‚ dass alle unsere Eindrücke eingeboren und unsere Ideen nicht eingeboren sind.“ (EHU‚ S. 51.) Damit stellt er die herrschende metaphysische Sicht der Dinge auf den Kopf.
Grundsätzlich darf man diese Vorstellung Humes59 als Vorwegnahme eines heute weitgehend anerkannten Grundgedankens der Evolutionstheorie und der Evolutionären Erkenntnistheorie betrachten: Unsere Sinnesorgane sind die entwicklungsgeschichtlich (phylogenetisch) ursprünglichen Fenster und Türen zur Welt. Eindrücke entstammen direkt der wirklichen Welt und gehen als solche phylogenetisch der Bewusstseinsbildung‚ also auch allen Gedanken und Ideen‚ voraus. (Nur in diesem phylogenetischen Sinne sind alle Gedanken und Ideen den Sinneseindrücken nachfolgend‚ nicht etwa in dem Sinne‚ dass niemand hier und heute einen Gedanken oder eine Idee ohne einen entsprechenden persönlichen Sinneseindruck haben könnte.)
Dazu stehen die erwähnten eingeborenen Ideen im Widerspruch; und sie sind von zentraler Bedeutung für die „alte“ Metaphysik. Sie sind notwendig‚ um wahre Erkenntnisse über die Welt vorgeben zu können‚ ohne mit der Welt in direkten Kontakt zu treten. Schon in der kritischen Würdigung der Erkenntnistheorie Descartes‘ - konkret im Zusammenhang mit seiner Begründung der Existenz Gottes - erwies sich diese Vorstellung als unhaltbar. Kirchmann nannte das „die Verwechselung des bloß vorgestellten Seins mit dem wirklichen“. Mit seinen eigenen Ausführungen zu der Beziehung zwischen Gedanken und Ideen einerseits und Eindrücken andererseits legt Hume die Grundlage für seine empiristische Erkenntnistheorie: Über das wirkliche Sein können wir nur auf der Grundlage von Eindrücken‚ Empfinden und Wahrnehmen etwas erfahren. Gedanken und Ideen müssen wie durch eine nährende Nabelschnur über die Wahrnehmungen mit der wirklichen Welt verbunden sein‚ wenn sie Realitätsgehalt sollen haben können. Wo es um Welterkenntnis geht‚ hat sich Kant etwas später auf dieselbe Weise gegen erfahrungsunabhängiges Denken gewandt‚ mit dem Diktum Gedanken ohne Inhalt sind leer.60
4. Zweifel an der Erkennbarkeit der Kausalität:
Der Kern von Humes Erkenntnistheorie
Den Abschnitt III („Über die Assoziation der Ideen“) nennt Streminger in seiner Kommentarschrift zur Enquiry „ein bis zur Unkenntlichkeit geschrumpftes Überbleibsel eines früheren großen Entwurfs“‚ nämlich einer „hochinteressanten Relationentheorie“ aus dem Treatise.61 Hume kommt an der zitierten Stelle mit der Einschätzung zu Wort‚ seine Ausführungen zu den Gesetzmäßigkeiten der Vorstellungsassoziation müssten leicht einsehen lassen‚ „wie weitreichende Folgen die Entdeckung dieser Gesetzmäßigkeiten für die Wissenschaft von der menschlichen Natur haben muß‚ wenn man bedenkt‚ daß sie allein es sind‚ die in unserem Geist die Teile des Universums zu einem Bilde zusammenfügen … ; sie sind für uns der wirkliche Zement des Universums“.
Hume macht mit seinen Überlegungen zu der Assoziation der Ideen einen wichtigen Zwischenschritt hin zu der alles entscheidenden Frage: Können wir unsere Wahrnehmungen kausal begründen und dadurch zu Erfahrungen machen‚ die über jeden Zweifel erhaben sind? Die Grundidee dieses Zwischenschritts lässt sich in zwei Sätzen darlegen. „Es gibt offenbar ein Prinzip der Verknüpfung verschiedener Gedanken oder Ideen des Geistes‚ und wenn sie im Gedächtnis oder in der Einbildung erscheinen‚ führt eine die andere in gewissem Grade methodisch und regelmäßig ein.“ (EHU‚ S. 53) Und: „Mir scheint es nur drei Prinzipien der Ideenassoziation zu geben‚ nämlich Ähnlichkeit‚ Berührung in Raum und Zeit sowie Ursache oder62 Wirkung.“ (EHU‚ S. 55.) Hume hält die Beziehung von Ursache und Wirkung für „die aufschlussreichste‚ denn nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage‚ Ereignisse zu beherrschen und die Zukunft zu bestimmen“ (EHU‚ S. 61).
Die darauf folgenden erkenntnistheoretischen Ausführungen beschäftigen sich schließlich mit der genannten alles entscheidenden Frage‚ ob die kausalen Assoziationen mehr sein können als „für uns der wirkliche Zement des Universums“‚ mehr also‚ als dass wir ohne sie unser Leben auch nicht im mindesten beherrschen und gestalten könnten. Können wir vielmehr Kausalbeziehungen so sicher erkennen‚ dass sie allgemein gültige Naturgesetze beschreiben?63
Für den Abschnitt IV deutet Hume mit dessen Überschrift bereits ‚Skeptische Zweifel an den Tätigkeiten des Verstandes“ an‚ denen er sehr bald eine seiner zentralen erkenntnistheoretischen Einsichten folgen lässt. „Alles Tatsachen betreffende Denken scheint auf der Beziehung von Ursache und Wirkung zu beruhen. Einzig mittels dieser Beziehung können wir über die Evidenz unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.“ (EHU‚ S. 81.) „Wollen wir somit eine zufriedenstellende Erklärung für das Wesen jener Evidenz erhalten‚ die uns der Tatsachen versichert‚ dann haben wir zu untersuchen‚ wie wir zur Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen. Ich wage es‚ die Behauptung als allgemeingültig und keine Ausnahme duldend aufzustellen‚ dass die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Fall durch Denkakte a priori gewonnen wird‚ sondern ausschließlich aus der Erfahrung stammt‚ wenn wir nämlich feststellen‚ dass bestimmte Gegenstände beständig zusammen auftreten.“ (EHU‚ S. 83.) Mit den Denkakten a priori verwirft Hume also die Möglichkeit‚ aus reinem Verstand heraus Kausalität zu erkennen.
Das Beispiel einer Billardkugel‚ die beim Anstoß durch eine andere in Bewegung gesetzt wird‚ dient Hume als Beleg für diese grundsätzliche Behauptung. Er meint‚ bei so bekannten Phänomenen wie diesem würden wir uns leicht einbilden‚ die aus dem Anstoß entstehende Bewegung „bloß durch die Tätigkeit unserer Vernunft‚ ohne Erfahrung‚ entdecken“ zu können (EHU‚ S. 87). Doch Hume bleibt dabei: „Der Geist kann unmöglich jemals die Wirkung in der vermeintlichen Ursache finden …. Die Wirkung ist nämlich von der Ursache völlig verschieden und kann folglich niemals in ihr entdeckt werden. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein von der Bewegung der ersten völlig verschiedenes Ereignis; auch ist in der einen nichts vorhanden‚ was den geringsten Hinweis auf die andere gäbe.“ (EHU‚ S. 87 f..) Hume betont‚ dass auch andere Vorstellungen‚ z. B. dass die zweite Kugel nach dem Anstoß liegen bleibt oder gar die erste wieder zurückrollt‚ widerspruchsfrei denkbar seien. Wo die unterschiedlichsten Bewegungen denkbar seien‚ wäre es vollkommen willkürlich‚ a priori eine von ihnen zu bevorzugen. (EHU‚ S.89.) Allein aus dem erfahrungsunabhängigen Denken heraus können wir also die Wirkung nicht erkennen.
So kommt Hume zu folgendem Zwischenergebnis: „Wenn man fragt: Was ist die Natur aller unserer Überlegungen‚ die sich mit Tatsachen befassen?‚ dann scheint die richtige Antwort zu sein‚ dass sie auf der Beziehung von Ursache und Wirkung beruhen. Fragt man wiederum: Welches ist die Grundlage all unserer Überlegungen und Schlussfolgerungen‚ die sich mit dieser Beziehung befassen?‚ so kann man mit einem Wort erwidern: Erfahrung.“ Daran anschließend stellt Hume aber fest: „Wenn wir aber … fragen: Welches ist die Grundlage aller Schlüsse aus der Erfahrung?‚ so ist darin eine neue Frage enthalten‚ deren Lösung und Erklärung schwieriger sein dürfte.“ (EHU‚ S. 95.) Was immer wir über den tatsächlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu wissen glauben‚ so hatte Hume festgestellt‚ können wir nur aus Erfahrung wissen. Nun will er also klären‚ ob wir denn überhaupt dieser allein möglichen Basis alles unseren Tatsachenwissens vertrauen können.
Hume demonstriert dieses Problem am Beispiel des Brotes: Wir haben es gegessen‚ und es hat uns ernährt. Wenn wir es erneut essen‚ erwarten wir „mit Gewissheit gleiche Ernährung und Stärkung. Das ist ein Vorgang im Geist oder im Denken‚ von dem ich gern den Grund wissen möchte… Hinsichtlich der früheren Erfahrung kann eingeräumt werden‚ dass sie direkte und sichere Informationen nur über solche bestimmten Objekte und jene bestimmte Zeitspanne geben kann‚ von denen sie Kenntnis hatte. Weshalb diese Erfahrung jedoch auf die Zukunft und auf andere Objekte ausgedehnt werden sollte‚ die‚ soweit uns bekannt ist‚ nur dem Anschein nach gleichartig sein mögen: dies ist die Hauptfrage‚ auf der ich beharren möchte.“ (EHU‚ S. 99.) „Die folgenden beiden Sätze sind weit davon entfernt‚ dasselbe zu besagen: Ich habe festgestellt‚ dass ein solcher Gegenstand stets von einer solchen Wirkung begleitet wurde‚ und‚ Ich sehe voraus‚ dass andere Gegenstände‚ die dem Aussehen nach gleichartig sind‚ von gleichartigen Wirkungen begleitet sein werden. Ich werde bereitwillig zugeben‚ dass der eine Satz aus dem anderen zu Recht abgeleitet werden kann‚ ja‚ ich weiß in der Tat‚ dass er stets so abgeleitet wird. Behauptet man aber‚ dass diese Ableitung durch eine Kette von Schlussfolgerungen erfolge‚ so wünsche ich‚ dass man mir diese Schlussfolgerungen vorführt…. Es bedarf eines Mittelbegriffs‚ der den Geist in die Lage versetzt‚ eine solche Ableitung durchzuführen‚ wenn sie tatsächlich durch Denken und Begründen durchgeführt werden sollte. Was dieser Mittelbegriff ist‚ übersteigt … meine Einsicht‚ und seine Existenz nachzuweisen obliegt jenen‚ die behaupten‚ es gebe ihn wirklich….“ (EHU‚ S. 99f.; zur Erläuterung des „Mittelbegriffs“ s. die bald folgenden kommentierenden Bemerkungen unter 2..)
In diesem Zusammenhang verweist Hume auf die übliche Unterscheidung in zwei Arten von Denken: „demonstratives oder solches‚ das Beziehungen zwischen Ideen betrifft‚ und … Tatsachen und Existenz betreffendes“ (EHU‚ S. 101). Hume hatte schon früher darauf verwiesen‚ dass Beziehungen zwischen Ideen durch reines Denken - oder‚ wie er gesagt hatte: „durch eine Kette von Schlussfolgerungen“ - demonstriert‚ d. h. bewiesen werden können: Gesetze der Geometrie‚ Algebra und Arithmetik sind „entweder von intuitiver oder demonstrativer Gewissheit“ (EHU‚ S. 79). In Bezug auf das Tatsachenwissen lehnt Hume ein demonstratives Beweisverfahren ab: „Mag der Gang der Dinge bisher auch noch so regelmäßig gewesen sein‚ so kann das allein‚ ohne ein neues Argument oder eine neue Folgerung‚ nicht beweisen‚ dass es auch in Zukunft so bleiben werde.“ Er ist davon überzeugt‚ „dass alle Naturgesetze und alle Wirkungen von Körpern ausnahmslos nur durch die Erfahrung erkannt werden“ können (EHU‚ S. 87). Und er verweist darauf‚ dass ihm als Philosophen keine Lektüre hätte dabei helfen können‚ diese Schwierigkeit (nämlich ohne Erfahrungen auszukommen) zu beheben. (EHU‚ S. 109.)
Es ist an der Zeit für ein paar kommentierende Bemerkungen.
1. Mit dem Problem‚ aus noch so vielen Erfahrungen gleicher Art nicht ableiten zu können‚ dass es davon auch künftig keine Abweichung geben wird‚ hat Hume - ohne je diesen Begriff zu benutzen - das Problem des Induktionsschlusses aufgeworfen und für unlösbar erklärt. Kant hat etwas später versucht‚ für dieses Problem doch noch eine Lösung zu finden‚ und ist - nach herrschender Ansicht - daran gescheitert. Popper (s. das VIII. Kapitel über den Kritischen Rationalismus) hat zwar von sich gesagt‚ die Lösung des Induktionsproblems gefunden zu haben‚ doch beruht seine ganze Erkenntnistheorie geradezu darauf‚ Humes Skeptizismus grundsätzlich zu akzeptieren; Poppers „Lösung“‚ so zukunftsweisend sie erkenntnistheoretisch auch war - nicht nur‚ was die rationale Begründung einer wissenschaftlichen Methodologie angeht -‚ besteht denn auch nicht in dem Nachweis der Möglichkeit sicherer Erkenntnis von Naturgesetzen. Und es ist heute immer noch keine Lösung bekannt: Der induktive Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft gilt aus guten Gründen als logisch und empirisch unmöglich.
2. Hume hatte auf die Notwendigkeit eines Mittelbegriffs hingewiesen. Mit diesem Begriff verweist er auf die von Aristoteles entwickelte Syllogistik64. Beim Mittelbegriff handelt es sich um einen Urteilssatz‚ der erlaubt‚ zwei andere Urteilssätze so zu verknüpfen‚ dass der eine aus dem anderen logisch geschlossen werden kann. Für Humes Brot-Beispiel würde das konkret Folgendes bedeuten: Der Satz Ich werde ernährt lässt sich nicht logisch aus dem Satz Ich esse Brot schließen. Würde es aber das Naturgesetz Brot ernährt (als „Mittelbegriff“) geben‚ wäre ein solcher Schluss möglich; man könnte dann sagen: Ich esse Brot‚ und weil Brot ernährt‚ werde ich ernährt. Hume hat überzeugend argumentiert‚ dass das Gesetz Brot ernährt jedoch nicht aus noch so vielen Erfahrungen mit dem Essen von Brot sicher geschlossen werden kann: Die Sammlung noch so vieler gleichartiger Erfahrungen ist kein Beweisverfahren und sichert keine Allgemeingültigkeit; denn es ist niemals auszuschließen‚ dass nicht doch eines Tages eine Erfahrung gemacht wird‚ die den bisherigen zuwiderläuft. Darin liegt die Unmöglichkeit des Induktionsschlusses. Wie wir zu einem gut brauchbaren Wissen über angenommene Naturgesetze kommen können‚ erweist sich dennoch oder gerade deswegen - auch nach Hume - als das wichtigste Problem der Erkenntnistheorie und der Wissenschaft.65
3. Hume wurde oben zitiert mit der Ansicht‚ dass die Ideenassoziationen „für uns der Zement des Universums“ seien‚ also gedankliche Konstruktionen uns ein solch zusammenhängendes Bild von der Welt machen lassen‚ dass wir uns in ihr zurechtfinden können. Andererseits ist er nicht müde geworden zu betonen‚ dass es für solche aus Erfahrungen abgeleiteten Vorstellungen über Kausalbeziehungen keine sicheren Wahrheitskriterien gibt. Wir gestalten also unser Leben nach vorgestellten Naturgesetzen ohne sichere erkenntnistheoretische Begründung. Das mag als widersprüchlich oder gedanklich unerlaubt angesehen werden und wurde es auch oft genug. Seine Antwort darauf gibt Hume im nächsten Abschnitt der Enquiry.
5. Skeptische Lösung dieser Zweifel
Noch einmal: Humes Problem ist‚ dass sich Kausalbeziehungen weder durch reines Denken noch durch Erfahrungen beweisen lassen. „In der Metaphysik gibt es keine dunkleren und ungewisseren Ideen als die der Macht‚ Kraft‚ Energie oder der notwendigen Verknüpfung‚ mit denen wir uns doch notwendig in jedem Augenblick unserer Untersuchung befassen müssen.“ (EHU‚ S. 167.) Aber auch die Erfahrungen aus der Betrachtung der wirklichen Welt sind für Hume keine Quelle der sicheren Erkenntnis kausaler Zusammenhänge. Kategorisch stellt er fest: „Kein Gegenstand enthüllt jemals durch die Eigenschaften‚ die den Sinnen erscheinen‚ die Ursachen‚ die ihn hervorgebracht haben‚ oder die Wirkungen‚ die aus ihm entstehen werden; ….“ (EHU‚ S. 85) Die praktische Lösung des Problems liegt für ihn in der menschlichen Natur. Der Mensch hat „trotz seiner ganzen Erfahrung keine Idee oder Kenntnis der geheimen Kraft erlangt‚ durch die der eine Gegenstand den anderen hervorbringt‚ noch wird er durch irgendeinen Denkvorgang zu einer solchen Folgerung verpflichtet. Dennoch sieht er sich veranlasst‚ sie zu ziehen. Und wenn er auch davon überzeugt wäre‚ dass sein Verstand an dieser Operation nicht beteiligt ist‚ würde er dennoch in denselben Bahnen weiterdenken.“ (EHU‚ S. 119.) Hume bringt als Verhaltensweise die Gewohnheit ins Spiel. „… sicherlich nähern wir uns hier einem wenigstens sehr einleuchtenden‚ wenn nicht wahren Satz‚ indem wir behaupten‚ dass wir gemäß einer beständigen Verbindung zweier Gegenstände - z. B. Hitze und Feuer‚ Gewicht und Masse - einzig durch Gewohnheit bestimmt werden‚ das eine beim Auftreten des anderen zu erwarten. Das scheint die einzige Hypothese zur Erklärung der Schwierigkeit zu sein‚ weshalb wir aus tausend Fällen etwas ableiten‚ das wir aus einem einzigen Fall‚ der sich doch in keiner Weise von ihnen unterscheidet‚ nicht ableiten können. Die Vernunft ist eines solchen Wechsels nicht fähig. Die Schlüsse‚ die sie aus der Betrachtung eines Kreises zieht‚ sind dieselben‚ die sie aufgrund einer Prüfung aller Kreise in der Welt ziehen würde. Aber niemand‚ der nur einen Körper gesehen hat‚ wie er sich nach dem Stoß durch einen anderen bewegt‚ könnte schließen‚ dass sich jeder andere Körper nach einem ähnlichen Stoß bewegen würde. Alle Schlüsse aus der Erfahrung sind somit Wirkungen der Gewohnheit‚ nicht des Denkens.“ (EHU‚ S. 121f..)
Hier hat Hume noch einmal auf den Unterschied zwischen der demonstrativen Beweismöglichkeit des Zusammenhangs von Ideen einerseits und der Unmöglichkeit des Beweises von Vorstellungen über Tatsachenzusammenhänge andererseits hingewiesen‚ dabei aber sofort betont‚ dass wir dennoch aus der Erfahrung Schlüsse ziehen. Hume nennt also „die Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben… Ohne den Einfluss der Gewohnheit würden wir schlechterdings nichts von all solchen Tatsachen wissen‚ die jenseits dessen liegen‚ was Gedächtnis und Sinnen unmittelbar gegenwärtig ist. Wir würden niemals Mittel den Zwecken anzupassen wissen oder es verstehen‚ unsere natürlichen Kräfte zur Erzeugung einer Wirkung zu gebrauchen.“ (EHU‚ S. 125f..)
Es mag als etwas befremdlich erscheinen‚ dass Hume das Problem der Unerkennbarkeit kausaler Zusammenhänge ganz überwiegend an Alltagsproblemen erörtert und folglich auch nur auf die gewohnheitsmäßigen Reaktionen zu deren Bewältigung abhebt. Sein Ziel ist dabei genau das‚ was er in dem Titel des Abschnitts ankündigt: die Lösung des Problems. Als Realist sieht er‚ dass die Menschen bei der Bewältigung der Alltagsprobleme ihres Lebens zu keiner Zeit entscheidend darunter gelitten haben‚ Kausalbeziehungen nicht sicher erkennen zu können. Den Grund dafür sieht Hume darin‚ dass sich die Überzeugungen‚ die aus Erfahrungen stammen‚ von reinen Fiktionen des Geistes und „ungebundenen Träumereien der Phantasie“ (EHU‚ S. 135) unterscheiden. Der Charakter der Kausalvorstellung wird dadurch weiter präzisiert: Es bleibt dabei‚ dass sie kein sicher wahres Ergebnis einer logischen oder empirischen Schlussfolgerung sein kann; aber dennoch ist sie wenigstens plausibel begründet‚ nämlich durch die ins Bewusstsein gedrungene Erfahrung. In diesem Sinne spricht er von einer „Art prästabilierter Harmonie zwischen dem Lauf der Natur und der Abfolge unserer Ideen‚ und wenngleich die Mächte und Kräfte‚ von denen ersterer regiert wird‚ uns völlig unbekannt sind‚ so haben doch unsere Gedanken und Vorstellungen … dieselbe Bahn genommen wie die anderen Werke der Natur“ (EHU‚ S. 151). Damit betont Hume die drei wohl wichtigsten Gesichtspunkte seiner Erkenntnistheorie: seinen Glauben an die gesetzmäßige Ordnung der Natur‚ seine gut begründete Vorstellung‚ dass wir die dieser Ordnung zugrundeliegenden Kausalbeziehungen nicht zweifelsfrei erkennen können‚ und wiederum seinen Glauben an die tiefe Vernunft der Menschen‚ dennoch erkannte Regelhaftigkeiten oft als Ausdruck von Kausalbeziehungen gelten zu lassen.
Er kommt allerdings auch auf die Wissenschaften zu sprechen: „Der einzige unmittelbare Nutzen aller Wissenschaften ist es‚ uns zu lehren‚ zukünftige Ereignisse durch ihre Ursachen zu beherrschen.“ (EHU‚ S. 203.) Ein solcher Satz weist in seinem Anspruch auf etwas mehr hin als auf vernünftige Vermutungen auf Grund von wiederholten gleichartigen Erfahrungen. Hume spricht in diesem Zusammenhang beispielsweise vom Trägheitsgesetz‚ der Schwerkraft und der Anziehungskraft durchaus als Tatsachen‚ obwohl sie niemals aus den Erscheinungen selbst ersehen werden können. Er verweist auch sofort darauf‚ dass selbst Newton die von ihm diagnostizierte Anziehungskraft ihrerseits mit einem „ätherartigen aktiven Fluidum“ erklärte‚ von dem er vorsichtig als bloßer „Hypothese“ gesprochen habe (EHU‚ S. 195). Hier wird erkennbar‚ dass Hume sich - wie schon damals und heute üblich - besonders in der Wissenschaft Kausalzusammenhänge als Abschnitte von Kausalketten vorstellte‚ wobei wir uns der eher naheliegenden Kausalfaktoren sicherer sind als der weiter zurückreichenden. An Humes grundlegender Aussage ändert das nichts: Auch wenn nur das Anfangsglied einer Kausalkette als unerkennbar angesehen werden muss‚ bleibt die ganze daran anschließende Kette von Schlussfolgerungen unsicher.
6. Zusammenfassung und kritische Schlussbemerkungen
(1) Zur Nichterkennbarkeit der Kausalität
Humes Erkenntnisinteresse richtete sich auf die wirkliche Welt: Können wir Regelmäßigkeiten in deren Erscheinungen zweifelsfrei als Kausalzusammenhänge erkennen? Er bestreitet nicht die prinzipielle Möglichkeit demonstrativer Beweise‚ belässt es aber dabei‚ diese auf reine Ideenassoziationen zu beschränken. Als Beispiele seien hier Geometrie‚ Arithmetik und Algebra genannt. Die Beweisführung bei diesen Gedankenkonstruktionen kommt ohne Bezug zur Realität aus. Bei allen Schlussfolgerungen im Sinne von Erfahrungen‚ die wir aus Wahrnehmungen der wirklichen Welt ziehen‚ lehnt er zu Recht die demonstrative Beweisführung ab. Könnte es auf diesem Gebiet irgendeinen anderen Typ eines gültigen Beweises für Erkenntnisse geben? Seine radikale Schussfolgerung ist: Nein‚ es gibt keinen. Wir können Kausalität‚ also den Zusammenhang zwischen bestimmten Erscheinungen als Ursachen und anderen bestimmten Erscheinungen als ihren Wirkungen nicht sicher erkennen.
Hume unterscheidet in seinen Erörterungen durchgängig zwischen „conjunction“ und „connexion“‚ was üblicherweise mit „Verbindung“ und „Verknüpfung“ übersetzt wird. Verbindung bezeichnet dann das gleichzeitige Auftreten oder die regelmäßige kurze Aufeinanderfolge zweier Ereignisse - etwas‚ was heute üblicherweise mit dem Begriff des funktionalen Zusammenhangs bezeichnet wird. Mit Verknüpfung ist das Band zwischen Ursache und Wirkung gemeint‚ also der Kausalzusammenhang. Seine erste grundsätzliche und vollkommen einsichtige Behauptung lautet: Die Dinge und Prozesse‚ so wie sie uns örtlich und zeitlich miteinander verbunden erscheinen‚ enthüllen uns nicht bereits dadurch auch ihren kausalen Zusammenhang; Kausalität ist nicht empirisch erkennbar. Wir nehmen also Verbindung wahr‚ erfahren aber keine Verknüpfung. (In manchen Verbindungen liegt im Übrigen ganz offensichtlich keine kausale Verknüpfung‚ s. u. 6. [3].)
Seine zweite grundsätzliche und heute ebenfalls erkenntnistheoretisch anerkannte Behauptung lautet: Auch noch so viele gleichartige Wahrnehmungen berechtigen nicht zu der sicheren Schlussfolgerung‚ es würde auch künftig keine Abweichung davon geben. Hierin zeigt sich die Unmöglichkeit des Induktionsschlusses als Beweisverfahren. Folglich fällt der Induktionsschluss als potentieller Ersatz für die Unsichtbarkeit der Kausalität aus. Wir können also kausale Zusammenhänge weder direkt wahrnehmen noch aus vielen Wahrnehmungen ausnahmslos gleicher Art heraus als gesetzmäßig gültig erschließen.
(2) Zu Humes Anerkennung der Kausalität und merkwürdigen Anzweiflungen
So zusammengefasst schließt dieser radikale Bruch mit der traditionellen Philosophie rein logisch nicht die Ansicht aus‚ Hume habe an der Existenz der Kausalität überhaupt gezweifelt oder sie gar geleugnet. Und genau so wurde Hume von einigen Kritikern schon bald nach Veröffentlichung seines Treatise und auch nach der Veröffentlichung seiner Enquiry z. T. bis heute interpretiert. Dafür mögen ein paar Beispiele genügen.
Als erster soll Kant mit einer Klage über diese Fehlinterpretation zu Wort kommen: „… [D]as der Metaphysik von jeher ungünstige Schicksal wollte‚ daß er [Hume] von keinem verstanden wurde. Man kann es‚ ohne eine gewisse Pein zu empfinden‚ nicht ansehen‚ wie so ganz und gar seine Gegner Reid‚ Oswald‚ Beattie‚ und zuletzt noch Priestley‚ den Punkt seiner Aufgabe verfehlten …. Es war nicht die Frage‚ ob der Begriff der Ursache richtig‚ brauchbar‚ und in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich sei‚ denn dieses hatte Hume niemals in Zweifel gezogen ….“66
Genau dies beurteilt Röd Ende des 20. Jahrhunderts immer noch ganz anders. Er meint: „Humes Deutung der Kausalität beruht auf der ontologischen Annahme‚ dass Vorgänge zwar zusammen mit anderen (conjoined) auftreten‚ aber an sich nicht mit ihnen verknüpft (connected) sein können.“ Röd spricht folglich von der „Leugnung an sich bestehender Zusammenhänge im Bereich der Dinge“67. Auch Berlin versteht unter Humes Skeptizismus „vor allem seine Verneinung der Existenz notwendiger Verbindungen in der Natur“68.
Bertrand Russell stellt fest‚ „Humes Skeptizismus beruht … darauf‚ daß er das Prinzip der Induktion ablehnt“‚ und er meint‚ wenn wir keine Antwort auf Hume fänden‚ dann bestünde „zwischen geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit kein Unterschied. Der Irrsinnige‚ der sich für ein »verlorenes Ei« hält‚ ist nur deshalb zu verurteilen‚ weil er in der Minderheit ist….“69 Russell vertritt damit offensichtlich den Gedanken‚ dass wir ohne Anerkennung des Induktionsprinzips zu überhaupt keinen auch nur in irgendeinem Sinne vernünftigen Ansichten über die erfahrbare Welt kommen könnten.
So ähnlich könnte man auch die Interpretation Husserls charakterisieren‚ der hier etwas ausführlicher zu Wort kommen muss. Er leitet seine radikale Kritik an Hume mit der Behauptung ein: „Alle Kategorien der Objektivität‚ die wissenschaftlichen‚ in denen das wissenschaftliche‚ die vorwissenschaftlichen‚ in denen das Alltagsleben eine objektive‚ außerseelische Welt denkt‚ sind Fiktionen“ und sagt dann ausdrücklich‚ dass „zu den Fiktionen … auch die Kausalität‚ die notwendige Folge [gehört] … So verwandelt sich in Humes ‚Treatise‘70 die Welt überhaupt‚ die Natur‚ das Universum identischer Körper‚ … danach auch die objektive Wissenschaft‚ die sie in ihrer objektiven Wahrheit erkennt‚ in Fiktion. Konsequent müssen wir sagen: Vernunft‚ Erkenntnis‚ auch die wahrer Werte‚ reiner Ideale jeder‚ auch der ethischen Art - das alles ist Fiktion. Es ist also in der Tat ein Bankrott der objektiven Erkenntnis. Hume endet im Grunde in einen [sic] Solipsismus.“ Zur Charakterisierung des Humeschen Skeptizismus wählt Husserl u. a. auch so kraftvolle Bezeichnungen wie „Irrationalismus“ und „unverständlicher Widersinn“.71
Warum finden wir in diesen fünf Zitaten vier Fehlinterpretationen und eine berechtigte Klage darüber? Fangen wir mit der Klage an. Kant hatte vollkommen recht‚ wenn er sagte‚ Hume habe den Begriff der Ursache für „richtig‚ brauchbar‚ und in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich“ gehalten. Dafür gibt es in der Enquiry eine überwältigende Fülle von Belegen. Hier noch einmal ein paar Beispiele aus den obigen Ausführungen. Hume hält die Beziehung von Ursache und Wirkung für „die aufschlussreichste‚ denn nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage‚ Ereignisse zu beherrschen und die Zukunft zu bestimmen“. Er spricht von den Mächten und Kräften‚ die den Lauf der Natur „regieren“‚ von den „spezifischen Kräften‚ wodurch alle Naturvorgänge sich vollziehen“; der Mensch habe jedoch „trotz seiner ganzen Erfahrung keine Idee oder Kenntnis der geheimen Kraft …‚ durch die der eine Gegenstand den anderen hervorbringt ….“ (EHU‚ S. 119.) Man ist geradezu gezwungen‚ Kant recht zu geben und folglich Röd und Berlin zu widersprechen‚ wenn diese meinen‚ Hume vertrete die Annahme‚ Vorgänge könnten nicht miteinander verknüpft sein: Die naturgesetzliche Ordnung der Welt war für Hume eine ausgemachte Sache. Er hatte sogar darauf verwiesen‚ dass wir in einer Welt‚ in der es keine Regelhaftigkeit gäbe‚ nicht einmal auf die Idee der kausalen Verknüpfung zweier Gegenstände hätten kommen können (EHU‚ S. 215) - eine überraschend einfache „Logik“: Der Begriff der Regelhaftigkeit und die Vorstellung von Ursache und Wirkung setzen die wirkliche Regelhaftigkeit voraus; in einer Welt ohne jede Regelhaftigkeit könnte man davon auch keinen Begriff haben. Es sei auch an das I. Kapitel in diesem Buch erinnert‚ wo die Annahme einer real existierenden und nicht chaotischen Welt als eine Grundvoraussetzung einer jeden Erkenntnistheorie bezeichnet wurde.
Hume spricht von den Naturgesetzen‚ die „ausnahmslos durch die Erfahrung erkannt werden“ (EHU‚ S. 87)‚ und stellt fest: „Ohne den Einfluss der Gewohnheit würden wir schlechterdings nichts von all solchen Tatsachen wissen‚ die jenseits dessen liegen‚ was Gedächtnis und Sinnen unmittelbar gegenwärtig ist. Wir würden niemals Mittel den Zwecken anzupassen wissen oder es verstehen‚ unsere natürlichen Kräfte zur Erzeugung einer Wirkung zu gebrauchen.“ (EHU‚ S. 125f..) Die Tatsachen hinter den Sinneseindrücken sind die Verknüpfungen‚ also die Ursachen mit ihren Wirkungen‚ deren vermutete Kenntnis uns hilft‚ unsere Kräfte zur Erzeugung von Wirkungen zu gebrauchen. Die Liste solcher Belege für Humes realistischen Glauben an eine kausalgesetzlich geordnete Welt und an die pragmatische Fähigkeit des Menschen‚ sich in ihr zurechtzufinden‚ ließe sich beliebig verlängern.
Mit der eingeborenen Anlage‚ auch ohne die Gewähr letzter Beweise Erfahrungen zu nutzen‚ sieht Hume den Menschen durchaus gut gerüstet‚ sein Leben zu bewältigen und zu gestalten. Obwohl Hume noch nichts von Mutation und Selektion wusste‚ hat er hier wie an vielen anderen Stellen einen der Grundgedanken der erst viel später entwickelten Evolutionären Erkenntnistheorie hellsichtig vorweggenommen‚ nämlich dass sich die Intuitionen und oft reflexartigen Reaktionsweisen lebendiger Wesen in Wechselwirkung mit der tatsächlichen Regelhaftigkeit der Welt entwickelt haben. Entsprechende Verhaltensmuster sah auch Hume als Spiegelbild von Kausalverhältnissen. Zwei Zitate mögen das veranschaulichen. „Nachdem man bemerkt hat‚ dass in vielen Fällen zwei Arten von Gegenständen - Feuer und Hitze‚ Schnee und Kälte - immer in Verbindung standen‚ wird der Geist‚ wenn Feuer oder Schnee sich erneut den Sinnen darbieten‚ aus Gewohnheit dazu gebracht‚ Hitze oder Kälte zu erwarten und überzeugt zu sein‚ dass es eine derartige Qualität gibt … Diese Überzeugung ist das notwendige Resultat‚ wenn man den Geist in solche Umstände versetzt. Sie ist ein seelischer Vorgang‚ der in dieser Lage unvermeidlich ist wie das Gefühl der Liebe‚ wenn wir Wohltaten empfangen‚ oder des Hasses‚ wenn uns Unrecht widerfährt. Alle diese Operationen sind eine Art natürlicher Instinkte‚ die kein Schlussfolgern und kein Denk- oder Verstandesprozess jemals hervorzubringen oder zu verhindern vermag.“ (EHU‚ S. 131.) Und noch markanter: „Mögen auch die Instinkte verschieden sein‚ so ist es dennoch ein Instinkt‚ der einen Menschen lehrt‚ das Feuer zu meiden‚ ebenso wie der‚ welcher einen Vogel mit solcher Genauigkeit die Fertigkeit des Brütens und die ganze Einrichtung und Ordnung der Brutpflege lehrt.“ (EHU‚ S. 277.)
In diesem praktischen und pragmatischen Sinne irrt Russell‚ wenn er sagt‚ Humes Skeptizismus beruhe darauf‚ dass Prinzip der Induktion abzulehnen. Hume hatte nur einen einzigen‚ allerdings erkenntnistheoretisch grundstürzenden Einwand gegen das Prinzip der Induktion: Es ist ein ungültiges Schlussverfahren‚ wenn es darum geht‚ zu sicher wahren Erkenntnissen kommen zu wollen. Andererseits sieht er es geradezu als die Lösung des skeptischen Zweifels an‚ dass die Menschen wiederholte gleichartige Erfahrungen intuitiv und gewohnheitsmäßig im Sinne allgemeingültiger Regelhaftigkeit‚ also im Sinne von Kausalität interpretieren.72 Das ist praktizierte Induktion und sollte niemanden‚ auch Russell nicht sagen lassen dürfen‚ ohne Antwort auf Humes (erkenntnistheoretische) Ablehnung der Induktion sei „zwischen geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit kein(en) Unterschied“ auszumachen. Und es gibt auch keinen Grund‚ wie Russell zu meinen‚ in Humes Philosophie käme „der Bankrott der Vernünftigkeit des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck“73. Ist nicht das Gegenteil richtig? Hume hat die scheinbare Vernünftigkeit nicht nur des 18. Jahrhunderts entlarvt und die Erkenntnistheoretiker aufgefordert‚ ja eigentlich genötigt‚ eine radikal neue‚ nämlich realistische und in diesem Sinne vernünftige Perspektive einzunehmen.
Angesichts des hier noch einmal gebündelt vorgetragenen Humeschen Realismus sind insbesondere die Einschätzungen Husserls vollkommen unverständlich. Wie kann einem Philosophen‚ der nachweislich fest an eine real existierende und kausalgesetzlich geordnete Welt glaubte und nicht über seine eigenen Wahrnehmungen‚ sondern über die Wahrnehmungen des Menschen an sich nachgedacht hat - wie kann einem solchen Philosophen Solipsismus nachgesagt werden‚ die abenteuerliche philosophische Idee‚ nur das eigene Ich sei existent‚ alles andere Fiktion? Wie kann ein Skeptizismus‚ der darin bestand‚ die sichere Erkennbarkeit der Welt wohlbegründet abzustreiten‚ irrational und widersinnig genannt werden?
Die ebenso heftigen wie verständnislosen Reaktionen auf Hume scheinen - so wenig argumentativ begründet‚ wie sie sind - eher auf das psychologische Motiv der Verdrängung hinzuweisen und mögen darauf zurückzuführen sein‚ dass Humes Perspektive den Philosophen ihr gedankliches Spielfeld der reinen Spekulation so stark einschränkte und ihnen überhaupt Anlass gab‚ über ihren wichtigsten Antrieb‚ die Idee einer zweifelsfreien Erkennbarkeit von Wahrheit‚ kritisch - auch im Sinne von selbstkritisch - nachzudenken. Möglicherweise liefert für diese Vermutung Husserl selbst den besten Beleg. Er schreibt: „War hier trotz des Widersinnes … nicht eine unausweichliche Wahrheit fühlbar; zeigte sich hier nicht eine völlig neue Art an‚ die Objektivität der Welt und ihren ganzen Seinssinn und korrelativ den der objektiven Wissenschaften zu beurteilen‚ die nicht dessen eigenes Recht‚ wohl aber ihren philosophischen‚ ihren metaphysischen Anspruch angriff: den einer absoluten Wahrheit?“74
Umso mehr ehrt es Kant‚ schon ungefähr 150 Jahre früher bekannt zu haben‚ durch Hume in seinen traditionellen metaphysischen Spekulationen erschüttert worden zu sein. Seine Kritik der reinen Vernunft war ein Versuch‚ die Erkenntnistheorie aus einer für ihn neuen und ernüchternden Lage zu befreien‚ ohne sie in das Reich der reinen Vernunft zurückzuführen. Leider haben sich viele Philosophen nach ihm mit Humes Angriff auf die alte Metaphysik gar nicht erst ernsthaft auseinandergesetzt und sind umstandslos bei ihren reinen Spekulationen und ihren in Frage gestellten Zielen geblieben. Die „tiefen Gedanken“ haben offenbar eine unauslöschliche Verführungskraft‚ und zwar gleichermaßen für diejenigen‚ die sich die „tiefen Gedanken“ machen‚ wie für die anderen‚ die sich ihnen anschließen.
Hume hat seinen Zweifel daran‚ die Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen in den Prozessen der wirklichen Welt sicher erkennen zu können‚ überzeugend begründet. Das ist der Kern seiner Erkenntnistheorie. Eine „Lösung“ dieses Zweifels sieht er in der Neigung der Menschen‚ erkannte Prozessregelmäßigkeiten dennoch im Sinne von Kausalzusammenhängen zu interpretieren - um es noch einmal Hume selber sagen zu lassen: Die „Lösung“ liegt in einer „Art prästabilierter Harmonie zwischen dem Lauf der Natur und der Abfolge unserer Ideen“. In dieser glücklichen Veranlagung sah er natürlich keine Lösung des erkenntnistheoretischen Problems als solchem‚ sondern nur einen lebensnotwendigen praktischen Umgang mit einem an sich theoretisch unlösbaren Problem. Als Handelnder erklärte sich Hume damit „völlig zufrieden“‚ wenn auch nicht als Philosoph mit einigem Wissensdrang. (EHU‚ S. 109.)
(3) Zu einer Präzisierung Humescher Kausalvorstellungen
Im Detail kann und muss man allerdings auch diesen nützlichen praktischen Umgang seinerseits wiederum erkenntnistheoretisch beurteilen.75 Hume nennt zwei Definitionen für „Ursache“. Erstens definiert er eine Ursache als „einen Gegenstand‚ dem ein anderer folgt‚ wobei alle Gegenstände‚ die dem ersten ähnlich sind‚ solche‚ die dem zweiten ähnlich sind‚ zur Folge haben. Oder …mit anderen Worten: wobei‚ wenn der erste Gegenstand nicht existiert hätte‚ auch der zweite niemals existiert hätte.“ Zweitens nennt er Ursache einen Gegenstand‚ „dem ein anderer folgt und dessen Erscheinen stets das Denken zu jenem anderen hinführt.“ (EHU‚ S. 203.) Diese Definitionen sind aus erkenntnistheoretischer Sicht kritisch zu betrachten. Die zweite unterscheidet sich mit der Formulierung „Gegenstand‚ dem ein anderer folgt“ nicht von der ersten; und dass dieses Phänomen gedanklich vorweggenommen wird („das Denken … hinführt“) kann nicht Aspekt der Ursache selber sein‚ sondern beschreibt nur die Praxis‚ etwas für die Ursache zu halten. Währenddessen verschleiern die beiden offensichtlich von Hume für synonym gehaltenen Versionen der ersten Definition einen sachlichen Unterschied‚ der erkenntnistheoretisch von großer Bedeutung ist. Es gibt nämlich reine Ereignisfolgen‚ solche‚ die nicht durch das Band der Kausalität verknüpft sind. Streminger demonstriert das an dem Beispiel‚ „dass immer dann‚ wenn die Kirchturmglocke läutet‚ ein Autobus um die Ecke biegt“76. Die erste Version der ersten Definition würde empfehlen‚ solchen reinen Ereignisfolgen fälschlicherweise Kausalität zuzusprechen; die zweite Version vermeidet diesen Fehler.77
Eine Fehlinterpretation von reinen Ereignisfolgen im Sinne von Kausalzusammenhängen kann schwerwiegende Irrtümer mit sich bringen‚ auch wenn es „nur“ um die Bewältigung praktischer Lebensaufgaben geht. Was noch wichtiger ist: Durch solche Fehlinterpretationen würde der auch von Hume so bezeichnete „einzige unmittelbare Nutzen aller Wissenschaften“ verfehlt‚ nämlich „uns zu lehren‚ zukünftige Ereignisse durch ihre Ursachen zu beherrschen und zu lenken“. Wer Erkenntnis sucht‚ sollte sich also nicht einfach mit wiederholt auftretenden Sachzusammenhängen zufrieden geben.
(4) Humes Ideen zur empirischen Forschung
Tatsächlich fragt sich Hume in dem Abschnitt „Über die Vernunft der Tiere“‚ „wie es kommt‚ dass die Menschen die Tiere in ihrem Denken so sehr übertreffen und ein Mensch einen anderen so sehr übertrifft? Hat nicht dieselbe Gewohnheit denselben Einfluss auf alle?“ (EHU‚ S. 273 unter *.) In der Beantwortung dieser Frage (EHU‚ S. 273 f. unter *) geht er auf die unterschiedlichen „Verstandesausstattungen der Menschen“ ein.
-Manche Menschen nehmen „bereits eine einzige Erfahrung als Grundlage des Denkens und erwarten mit einiger Gewissheit ein ähnliches Ereignis“. Aufmerksamkeit‚ Gedächtnis und Beobachtungsgabe seien dabei wichtig.
-Andere Menschen können „verwickelte Ursachen“ und deren Gesamtzusammenhang besser begreifen.
-Wieder andere können „eine Kette von Folgerungen weiter verfolgen als ein anderer.“
-„Der Umstand‚ von dem die Wirkung abhängt‚ ist häufig mit anderen fremden und äußeren Umständen verquickt. Seine Abtrennung erfordert oft große Aufmerksamkeit‚ Genauigkeit und Scharfsinn.“
Hier finden wir bereits auf dem Gebiet des Alltagsverstandes zentrale methodologische Aspekte der empirischen Wissenschaften: durch wenig sich anregen lassen‚ eine Hypothese zu entwickeln‚ versuchen‚ Kausalfaktoren zu isolieren‚ und eine Kausalkette nach hinten verfolgen. In der Hauptsache hatte Hume die Lösung seiner „skeptischen Zweifel“ in einer „Art prästabilierter Harmonie zwischen dem Lauf der Natur und der Abfolge unserer Ideen“ gesehen‚ die in der intuitiven und gewohnheitsmäßigen Verarbeitung von Erfahrungen bestand. Davon entfernt er sich mit den hier genannten Formen systematischen Denkens und macht einen deutlichen Schritt in Richtung verstandesgelenkter methodischer empirischer Forschung. In der prästabilierten Harmonie mit ihrer Gewohnheit hatte Hume die Fähigkeit verankert‚ brauchbares Wissen über die Welt zu gewinnen. Mit seinen Bemerkungen über den Nutzen des Verstandes und systematischer Prüfungen brachte er darüber hinaus die Idee der methodischen Verbesserung solchen Wissens ins Spiel.
Diesen Weg hat später nicht nur die empirische Wissenschaft praktisch beschritten‚ sondern insbesondere auch der Kritische Rationalismus mit seiner erkenntnistheoretisch begründeten Methodologie‚ der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Doch bis dahin hatte die Erkenntnistheorie noch einen weiten Weg zurücklegen müssen. Zunächst ist zu klären‚ ob nicht Kant in seiner Auseinandersetzung mit Hume eine radikalere Lösung finden konnte‚ nämlich dessen skeptischen Zweifel nicht nur systematisch zu begrenzen‚ sondern wieder ganz zu überwinden.
54 Zu den folgenden knappen biographischen und bibliographischen Anmerkungen s. Gerhard Streminger‚ David Hume: >Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand<‚ (Ferdinand Schöningh) Paderborn‚ München‚ Wien‚ Zürich 1994 (UTB 1995)‚ S. 19 ff.‚ sowie David Hume‚ An Enquiry Concerning Human Understanding. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Englisch/Deutsch‚ (Reclam Universal-Bibliothek) Stuttgart 2016‚ S. 436 ff.. (Im Folgenden alle Zitate aus dieser Quelle im fortlaufenden Text unter EHU und Seitenangabe.)
55 David Hume‚ Traktat über die menschliche Natur‚ (Felix Meiner) Hamburg 1978
56 Unter professionellen Philosophen gilt allerdings der Treatise als das wichtigere Werk. Gerhard Streminger‚ einer der besten Hume-Kenner im deutschsprachigen Raum‚ schreibt: „Heute ist Humes Jugendwerk freilich als das anerkannt‚ was es ist: als ein Meisterwerk und als der‚ neben John Lockes An Essay concerning Human Understanding‚ wohl wichtigste englischsprachige Beitrag zur Philosophie.“ (Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 20.)
57 Gerhard Vollmer unterscheidet in seinem Aufsatz Gott und die Welt. Atheismus‚ Metaphysik‚ Evolution‚ in: Aufklärung und Kritik 3/2010‚ in diesem Sinne zwischen guter und schlechter Metaphysik.
58 Oswald Külpe‚ Immanuel Kant. Darstellung und Würdigung‚ (B. G. Teubner) Leipzig 1907‚ S. 86.
59 Zu den einzelnen Vorstellungen und Begründungen‚ die Hume zu der Beziehung zwischen Gedanken und Ideen einerseits sowie Eindrücken andererseits vorträgt‚ findet man z. B. bei Streminger eine ganze Reihe von kritischen Anmerkungen (Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 66 ff.). Auch ohne darauf im Einzelnen einzugehen‚ mag die knappe Zusammenfassung dessen‚ wie Hume sich die Beziehung zwischen Gedanken und Ideen sowie Eindrücken vorstellt‚ genügen‚ nicht nur‚ um ihren Stellenwert für Humes Erkenntnistheorie einschätzen‚ sondern auch‚ um ihre Plausibilität beurteilen zu können.
60 Nimmt man „Gedanken ohne Inhalt“ als Subjekt und „sind leer“ als Prädikat‚ dann ist dieser Satz nach Kants eigener Definition streng genommen ein analytischer Satz‚ also immer wahr‚ aber ohne wirkliche Information (s. dazu im Einzelnen das Hegel-Kapitel unter 3. [1]). Man muss jedoch mit Kant „ohne Inhalt“ im Sinne von „ohne Wahrnehmungsinhalt“‚ also „ohne realen Bezug zur Welt“ verstehen‚ und „leer“ im Sinne von „sie können uns nichts Substantielles bieten“; dann wird ein synthetischer‚ also aussagekräftiger Satz daraus.
61 Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 92
62 Um von Ideenassoziation sprechen zu können‚ müsste es eigentlich „Ursache und Wirkung“ heißen‚ doch auch im Original steht „cause or effect“.
63 Humes philosophische Schrift ist ganz unterschiedlich beurteilt worden. Argumentationskunst‚ Klarheit des Ausdrucks‚ gelegentlich schlampige Formulierungen‚ leicht verständlich‚ seicht‚ mindestens so schwer wie Hegel - trotz ihrer Widersprüchlichkeit sind das alles Eigenschaften‚ die ein und demselben Werk zugeschrieben worden sind (s. Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 13 f.) und andeuten‚ wie tief man in einen Kommentar einsteigen könnte. Um die Übersicht zu behalten‚ reicht es‚ Hume im Folgenden nur mit dem Ergebnis seiner Überlegungen und den dazu notwendigen Argumenten zu Wort kommen zu lassen.
64 Siehe hierzu z. B. Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.)‚ Enzyklopädie Philosophie‚ CD-ROM‚ Artikel Syllogismus.
65 Die Unmöglichkeit des Induktionsschlusses und der erkenntnistheoretische Umgang damit ist ein zentrales Thema des Kritischen Rationalismus‚ wird also im VIII. Kapitel ausführlicher erörtert.
66 Immanuel Kant‚ Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik‚ die als Wissenschaft wird auftreten können‚ 1783‚ (Reclam Universal-Bibliothek) Stuttgart 1989‚ S. 9.
67 Wolfgang Röd‚ Der Weg der Philosophie‚ Bd. II‚ (Verlag C. H. Beck)‚ München 1996‚ S. 94.
68 Isaiah Berlin‚ Hume und die Quellen des deutschen Antirationalismus‚ in: ders.‚ Wider das Geläufige‚ (Europäische Verlagsanstalt) Frankfurt am Main 1982‚ S. 271.
69 Bertrand Russell‚ Philosophie des Abendlandes‚ a. a. O.‚ S. 682.
70 Husserl bezieht sich auf den Treatise und nicht auf die in diesem Kapitel zugrunde gelegte Enquiry. Das ist aber ohne Belang‚ weil wir von Hume selber wissen‚ dass er durch die spätere Veröffentlichung der Enquiry nur einige „Nachlässigkeiten seines früheren Gedankengangs und noch mehr des Ausdrucks“ beseitigen wollte‚ dass es also zu keiner grundlegenden Veränderung seiner erkenntnistheoretischen Ansichten gekommen ist (vgl. o. die Vorbemerkung).
71 Edmund Husserl‚ a. a. O.‚ S. 96 f. und 99.
72 Vgl. hierzu Volker Gadenne‚ Wissen wir etwas über die Zukunft? David Hume und das Induktionsproblem‚ in: Aufklärung und Kritik 1/2011‚ S. 184 ff.. Nach einer sehr differenzierten Analyse vertritt Gadenne den Standpunkt‚ Hume am besten im Sinne eines Akzeptanzprinzips zu interpretieren: dass die Menschen unter bestimmten Bedingungen gute Gründe haben‚ allgemeine Aussagen auch ohne völlige Sicherheit zu akzeptieren (ebd.‚ S. 195).
73 Bertrand Russell‚ Philosophie des Abendlandes‚ a. a. O.‚ S. 681.
74 Edmund Husserl‚ a. a. O.‚ S. 99. Es sei noch einmal ausdrücklich betont: „Absolute Wahrheit“ ist an sich kein metaphysischer „Anspruch“‚ nicht einmal ein Problem. Es gibt sie im Sinne der Korrespondenztheorie der Wahrheit (s. o. unter I. 3.). Das erkenntnistheoretische Problem liegt in ihrer Erkennbarkeit; und die ist im Zitat wohl auch gemeint. Es wird im Übrigen Husserls Geheimnis bleiben müssen‚ wie im „Widersinn“ eine „unausweichliche Wahrheit“ liegen kann.
75 Vgl. zu den folgenden Anmerkungen Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 160 ff..
76 Gerhard Streminger‚ a. a. O.‚ S. 162.
77 Eine *Fußnote (EHU‚ S. 203) weist darauf hin‚ dass die zweite Version der ersten Definition erst ab der Ausgabe von 1756 hinzugefügt wurde. Hume war wohl klar geworden‚ dass mit der ersten Version als Schilderung regelmäßiger Ereignisfolgen noch nicht notwendigerweise Kausalität beschrieben wurde. Er wollte offensichtlich klarstellen‚ dass auch mit der ersten Version bereits das Kausalitätsverhältnis gemeint war‚ das in der ergänzten zweiten Version deutlich zum Ausdruck kommt. Wer die etwas unglückliche deutsche Übersetzung liest‚ könnte die Ergänzung leicht für gar nicht notwendig halten. Hume hatte formuliert: „where all the objects similar to the first are followed by objects similar to the second” (EHU‚ S. 202). Während „are followed by“ noch keine ausdrückliche sprachliche Konnotation mit Kausalität hat‚ klingt diese in der deutschen Übersetzung mit „zur Folge haben“ schon deutlich an: Wir sagen‚ auf die Nacht folgt der Tag; wir würden niemals sagen‚ die Nacht hat den Tag zur Folge.