Читать книгу Lange Schatten im Oktober - Jürgen Heller - Страница 6
Berlin, Dienstag, 04.10.2011
ОглавлениеBruno schlurft schlaftrunken in die Küche. Lucie hebt nur kurz den Kopf und macht es sich gleich wieder in ihrer Kuschelecke gemütlich, nachdem sie erkennt, dass ihr Gastgeber noch im Pyjama steckt, gibt es für sie keinen Grund aufzustehen. Auf dem Küchentisch steht noch die Kaffeetasse von gestern Nachmittag, der Kaffee natürlich kalt. Bruno gießt frisches Wasser in die Maschine, schaltet sie ein und will ein neues Kaffeepad einlegen.
Toll Herr Hallstein, wann werden Sie es endlich mal begreifen, dass man nach dem Zubereiten des Kaffees das alte Pad aus der Maschine entfernt? Jedes Mal das gleiche…
Mit einiger Verzögerung kann er endlich den frischen Kaffee genießen, und der erhellt in der Tat seine Stimmung wie auf Knopfdruck. Den gestrigen Abend hat er zu Hause verbracht. Nachdem er mit Lucie noch eine Runde bis zur Tankstelle gelaufen war, anstatt zu fahren, stimmte auch die Versorgungslage im Hause Hallstein wieder. Für seine Verhältnisse ist er dann recht früh ins Bett gefallen und hatte eine erstaunlich ruhige Nacht. Keine Träume von Wasserleichen oder alten Klassenkameraden mit Blutspuren an den Händen, nee, ganz normal durchgeschlafen.
Also dann werde ich mich mal fertig machen und mit Lucie 'ne kurze Entsorgungsrunde drehen. Dann kann ich mir gleich die Zeitung besorgen. Heute steht bestimmt etwas mehr drin…
Bruno kommt gerade aus dem Bad, als sich das Telefon meldet, ANETTE auf dem Display. Anette ist Brunos kleine Schwester, Kinderärztin in Buch. Sie stirbt für ihren Beruf. Darüber ist schon ihre zweite Ehe gescheitert. Sie lebt ganz im Norden Berlins in einer kleinen Eigentumswohnung, allein, genau wie ihr Bruder. Nur ein graugetigerter Kater teilt mit ihr das Zuhause, und der hat sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, meist allein zu sein. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass er es sogar genießt. Bruno, als zertifizierter Katzenhasser, hat ihn jedenfalls bei seinen seltenen Besuchen immer nur schlafend angetroffen. Zum Glück, würde er jetzt sagen.
"Oh, Scheiße, ich hab's vergessen, sollte mich ja bei dir melden."
"Guten Morgen erstmal, ist doch nicht so schlimm. Ich war gestern Abend sowieso nicht zu Hause, musste für eine Kollegin einspringen. Bruno, ich war gestern bei Mutti. Es war ganz nett, wir haben sogar draußen gesessen, Kaffee getrunken und über alte Zeiten geredet. Du weißt ja, darüber spricht sie am liebsten. Da kann sie sich auch noch an Details erinnern, da legst du dir die Karten. Aber das ist eben auch der Grund, weshalb ich dich sprechen wollte. Sie hat Phasen, da wird sie unheimlich traurig, fast depressiv, mitten beim Erzählen. Dann stockt sie, die Tränen kullern, so ganz still, und erst nach einer ganzen Weile ist sie wieder bei dir. Ich glaube, sie vermisst dich. Jedenfalls passiert das immer, wenn sie irgendwelche Geschichten erzählt, in denen du vorkommst. Ich habe auch schon mit ihrem Betreuer gesprochen. Eigentlich, sagt er, ist Mutti gut drauf, nimmt an Allem teil, isst gut, trinkt ausreichend, spielt Karten mit den anderen, naja, was die da halt so machen. Aber manchmal sitzt sie auf ihrem Zimmer, hat das eine Foto von dir in der Hand, das du ihr mal geschenkt hast, und man sieht, dass sie geweint hat. Bruno, kannst du nicht mal hinfahren? Ist doch von dir nicht so weit, kannst doch direkt mit der U-Bahn…"
"Jaa, du hast ja Recht. Ich war wirklich lange nicht mehr bei ihr. Ich weiß auch nicht, immer nehme ich mir vor, morgen fährst du hin und dann ist morgen und ich mache etwas anderes."
"Dann nimm es dir doch für heute vor, gehst jetzt runter zur U-Bahn und fährst direkt zu ihr hin. Kennst doch den Spruch: morgen, morgen, nur nicht heute…"
"Na faul bin ich ja nun nicht, liebe Anette, ich habe bestimmt keine Langeweile. Außerdem habe ich einen Gast, besser gesagt eine Sie. Lucie ist bei mir, während Harry in München seine Tochter besucht. Er kommt aber morgen wieder. Also Donnerstag würde passen, Donnerstag fahre ich hin, versprochen."
"Na gut, mit Hund darfst du da sowieso nicht rein. Also Donnerstag, ich werde dich erinnern, mein Lieber. Und sonst, wie geht es dir?"
Bruno ist froh, dass das unliebsame Thema vom Tisch ist und erzählt in knappen Worten, was ihn derzeit beschäftigt aber kein Wort von der toten Frau, vom Zusammenstoß mit Lutz Strehlow und schon gar nicht von der Einladung zum Klassentreffen. Der Smalltalk dauert noch ein paar Minuten und Bruno erfährt von seiner Schwester, dass es offenbar einen neuen Mann in ihrem Leben gibt, ein Kollege. Anette spielt die Beziehung zwar runter, aber Bruno kennt sie gut. Er weiß auch genau, dass sie nicht gerne allein ist. Immer hat sie von einer Familie mit Kindern geträumt aber dieser Zug ist wohl endgültig abgefahren, so mit über Fünfzig.
So, jetzt wird es aber Zeit, dass wir rauskommen. Ist schon gleich Neun. Hunger hab ich auch und der Hund muss bestimmt dringenst…
Bruno und Lucie haben ihre Bedürfnisse befriedigt, Bruno hat sich zum Frühstück ein Brötchen mit frischem Krustenbraten von der Fleischerei seines Vertrauens gegönnt und Lucie kennt jetzt wohl jeden zweiten Baum dieser Gegend. Jetzt trotten beide die Berliner Straße hinunter und Bruno versorgt sich noch mit zwei Tageszeitungen, einem Käse- und einem Wurstblatt. Er blättert beide Zeitungen durch und wird tatsächlich fündig.
Grausiger Fund! Tote Frau im Tegeler Hafen… War es Mord? Polizei steht vor einem Rätsel… Die Obduktion muss klären, wie die Frau zu Tode kam… Zeugen wollen gesehen haben, wie ein Mann den Fundort überhastet verließ…
Bruno faltet das Wurstblatt zusammen und steckt es so in einen Altpapierbehälter, dass ein Teil noch herausschaut. Kann vielleicht noch jemand gebrauchen, wenigstens den Sportteil. Der andere Artikel gibt auch nicht viel mehr her, immerhin hat man hier etwas sorgfältiger recherchiert.
Die am Sonntagabend am Tegeler Fließ entdeckte Leiche stammt von einer zirka fünfzigjährigen Frau. Laut einer kurzen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft gibt es bisher noch keine Erkenntnisse über die Identität der Frau und die Todesursache. Eine Obduktion wurde angeordnet. Ein Spaziergänger, der gegen 22:30 Uhr mit seinem Hund unterwegs war, hatte die Tote etwa 200 Meter von seiner Wohnung entfernt entdeckt. Sie war vollständig bekleidet und lag mit der Bauchseite nach unten in dem an dieser Stelle recht seichten Gewässer. Zur Zeit ist noch völlig unklar, ob die Frau an dieser Stelle auch zu Tode gekommen ist oder ob sie dort nur abgelegt wurde.
Hm, mit der Vorderseite nach unten…, könnte ja auch dafür sprechen, dass sie ertränkt wurde, falls es sich um den Tatort handelt. Aber wieso gerade da? Dass man da nicht so ohne weiteres ans Ufer kommt, weiß ich ja nun. Und wenn Lutz Strehlow was damit zu tun hat? Hat er bemerkt, dass er beobachtet wurde? Das würde immerhin seine hektische Flucht erklären.
Bruno nimmt die Seite mit dem Artikel aus der Zeitung heraus, faltet sie auf Jackentaschengröße zusammen und steckt sie ein. Der Rest wandert zum Wurstblatt. Dann wendet er sich kurz der Hündin zu.
"Na Lucie, wie wär's mit einem kleinen Ausritt? Hast du Lust?"
Es stellt sich heraus, dass Lucie offenbar noch nie etwas von der amerikanischen Pferde-Fernsehserie 'Fury' gehört hat, jedenfalls bleibt sie stumm, ganz im Gegensatz zu dem schwarzen Fernsehhengst, der auf diese blöde Frage eines kleinen Jungen jedes Mal mit noch blöderem Wiehern und Kopfnicken geantwortet hat.
"Da warst du auch noch nicht auf der Welt, meine Liebe. Aber komm, wir gehen noch einmal zu deinem neuen Freund Walter."
Lucie schaut ein wenig verwirrt, ist aber sofort mit Begeisterung dabei, weil sie natürlich sofort erkennt, dass es Richtung Seepromenade geht. Zwanzig Minuten später haben sie ihr Ziel erreicht und stehen am Zaun des Kanuvereins. Es ist kein Walter zu sehen, auch das Auto steht nicht da. Überhaupt ist niemand da, keiner, den man hätte fragen können. Bruno schaut auf seine Armbanduhr, halb Elf, noch zu früh, um essen zu gehen.
"Ach komm Hund, wir gehen den Weg bis oben hin und dann über die Karolinenstraße zurück nach Hause, das Wetter ist ja toll und dann haben wir den richtigen Appetit."
Sie sind noch nicht weit gelaufen, da tritt von einem der vorderen Grundstücke ein älterer Mann mit einem, ja wie soll man sagen, Hund auf den Weg und kommt ihnen entgegen. Hund ist wirklich übertrieben, eher eine Kreatur mit eigenem Antrieb aber ohne Augen, nur Haare. Wo ist hinten, wo ist vorne? Im Vorbeigehen zeigt Lucie ihre typische Arroganz und beachtet den Miniköter mit keinem Blick. Der hingegen ist wach geworden und versucht sich an die schöne Hundedame heranzuarbeiten. Ein energischer Zug an der Leine lässt ihn fast einen Rückwärtssalto schlagen.
"Nein mein Lieber, das ist nicht deine Kragenweite, die ist doch viel zu elegant für dich."
"Na, der ist aber ganz schön stürmisch, traut man dem Knäuel gar nicht zu."
"Immer nur bei großen Hunden, ich weiß auch nicht was das ist. Die Kleinen interessieren ihn überhaupt nicht."
"Ich habe mal gelesen, dass Hunde kein Bewusstsein für ihre Größe haben. Vielleicht stimmt das ja und er hält sich für groß genug. Bei den Menschen findet man das doch auch. Besonders schlimm sollen ja kleine Männer sein."
Der Mann schaut Bruno mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wahrscheinlich überlegt er fieberhaft, ob er in die von Bruno definierte Kategorie 'Kleine Männer' fällt oder nicht. Dann entspannt sich sein Gesicht. Offenbar stellt ihm sein Bewusstsein auch keine Information über seine wahre Größe zur Verfügung.
"Sie werden es nicht glauben, aber der geht große Hunde so aggressiv an, da muss ich immer aufpassen. Aber Ihre ist ja zum Glück ein Weib, da hängt Rowdy immer den Löwen raus."
Bruno weiß nicht so recht, was er darauf sagen soll. Schließlich ist Lucie auch nicht sein Hund. Aber eines hat er begriffen, über das Tier an seiner Seite kann er Türen öffnen, die ihm sonst verschlossen blieben. Nur Mut Bruno, versuch's einfach mal. Bruno fingert die Zeitungsseite aus der Jackentasche und erzählt dem Mann die gleiche Geschichte, die er Kanu-Walter aufgetischt hat, freier Schriftsteller und so.
"Sagen Sie mal, wenn Sie hier wohnen, wissen Sie bestimmt auch von der Frauenleiche. Wissen Sie zufällig auch, wer sie entdeckt hat?"
"Nicht zufällig, sondern ganz genau kenn ich den."
"Sagen Sie bloß, Sie sind das gewesen?"
"Naja, entdeckt kann man nicht gerade sagen. Ich war nach den Spätnachrichten nochmal raus, wegen Rowdy, das muss ich Ihnen ja nicht erklären. Und da hinten, zwischen Angelverein und dem Wassersportklub 03, kommt plötzlich so ein Kerl übern Zaun, wie ein Irrer. Rowdy hat sich, glaube ich, mächtig erschrocken, jedenfalls hat er gekläfft und gekläfft. Ich habe ihn gar nicht beruhigen können. Ich dachte zuerst, es könnte ein Einbrecher sein. Ich kenne die ja alle vom Verein, sind ja quasi meine Nachbarn. Und um die Uhrzeit ist das Gelände natürlich verlassen, kein Mensch mehr da. Ja und dann hat mich irgendwie die Neugier gepackt. Ich bin also mit Rowdy nochmal zurück zum Zaun und habe die Taschenlampe eingeschaltet. Schauen Sie mal, die hier am Schlüsselbund, habe ich immer dabei. Also weit scheint sie ja nicht, dazu ist sie zu klein, aber irgendetwas lag da direkt am Ufer. Wissen Sie, da haben die Kanuten so eine Art Rampe, wo sie ihre Boote zu Wasser lassen, ganz flach ist es da. Und da lag sie, also die Tote, aber das habe ich erst hinterher erfahren. Ich bin erst nach Hause und habe alles meiner Frau erzählt und die hat sofort die Polizei angerufen. Ne halbe Stunde später war hier die Hölle los, alles abgesperrt und 'n Haufen Polizisten haben alles untersucht. Uns hat so 'ne junge Kommissarin befragt. Wir waren richtig aufgeregt, kann ich Ihnen sagen, wie im Tatort, nur ohne Musik."
"Kannten Sie den Mann oder könnten Sie ihn beschreiben?"
Fast hätte Bruno gefragt, ob er so oder so ausgesehen habe, eben wie Lutz Strehlow, aber er hat die Kurve gerade noch gekriegt.
"Nö, das ging ja alles viel zu schnell und dann im Dunkeln, und ich habe ihn ja auch nur von hinten gesehen. Das habe ich aber auch schon alles der Kommissarin erzählt. Vielleicht sollten Sie mal mit der reden, war 'ne schicke Frau, bisschen jung für mich aber Sie…"
Der Mann grinst Bruno verheißungsvoll an, so als wären sie alte Kumpel. Ihm ist die Situation unangenehm aber er versucht genauso so blöd zu grinsen. Man weiß ja nie, vielleicht braucht er den Mann noch.
"Das ist ein Gedanke, wissen Sie denn den Namen?"
"Frau Hauptkommissarin Anschütz. Den Namen kann ich nicht vergessen, weil meine Frau mit Mädchennamen auch so heißt, 'n Ding was? Ich habe zuhause eine Visitenkarte von ihr. Da stehen so alle Nummerndrauf, Telefon, FAX und E-Mail, was Sie wollen. Soll ich die mal schnell holen?"
"Nein, ich glaube das ist nicht nötig. Ich habe ja den Namen und ich kenne ein paar Polizisten von meiner Arbeit als Autor. Außerdem darf man da nicht zu direkt sein, dann kriegt man gar nichts raus. Die dürfen ja auch nicht, jedenfalls nicht mit jedem, muss man auch verstehen. Aber auf jeden Fall vielen Dank, dass Sie so offen waren."
"Klar Mann, Hundebesitzer müssen doch zusammenhalten."
Bruno und Lucie gehen weiter und der Mann lässt seinen Rowdy erstmal direkt vor einer Gartenpforte den Weg garnieren.
Na das ist ja toll, da wird sich der Nachbar aber freuen. Wahrscheinlich scheißen die sich hier gegenseitig die Wege zu…
Als Bruno das Grundstück passiert, von dem der Mann vorhin gekommen ist, prägt er sich den Namen und die Hausnummer ein. Könnte ja sein, dass er den nochmal aufsuchen muss.
Frau Anschütz, Herr Weber, Nummer 23, Kanu-Walter. Ich glaube, ich muss mal wieder mein Notebook zu Hilfe nehmen. Wie damals…, Mindmapping, Timelines, Tabellen… Du willst doch jetzt nicht wirklich wieder alleine in den Krieg ziehen? Diesmal ist niemand da, der mich dazu auffordert, nicht wie Carla seinerzeit, die mich unter Druck gesetzt hat, die ich nicht verlieren wollte und gerade deshalb verloren habe…, am besten wird es sein, ich gehe zur Polizei. Aber was habe ich schon zu sagen? Lutz Strehlow war der Mann, da bin ich mir sicher. Aber das kann ja auch ganz harmlos gewesen sein, vielleicht hatte der einen Termin, 'ne Verabredung und war schon spät dran. Bei allen Vorbehalten ihm gegenüber, wenn ich den belaste…, ich warte erst noch mal den Freitag ab, das Klassentreffen. Mal sehen, wie er sich da präsentiert.
"So Lucie, jetzt müssen wir beide aber mal was kauen… Was hältst du von Maurice? Da können wir schön draußen sitzen."
Das kleine französische Restaurant, nicht weit von seiner ehemaligen Schule, ist für einen Werktag recht gut gefüllt. Abends bekommt man ohne Reservierung kaum mal einen Platz, dafür hat sich die gute Küche zu sehr herumgesprochen. Aber seitdem Maurice auch mittags mit einer kleinen Karte geöffnet hat, hat Bruno schon des Öfteren hier gegessen. Er findet einen Platz im Halbschatten, gerade richtig bei dem spätsommerlichen Wetter. Maurice, wie sie ihn hier allen nennen, kommt mit einer Schüssel Wasser, die er direkt Lucie vor die Nase stellt.
"Hallo Maurice, hier werden die Hunde besser behandelt als die Menschen. Wo bleibt mein Getränk?"
"Tach Bruno, bei dir weiß ich ja nie woran ich bin, der Hund trinkt immer Wasser. Willst du auch etwas essen? Ich kann die Fischsuppe à la maison empfehlen und danach ein Kalbsrückensteak oder…"
"Nee, nee, das ist mir zu viel, aber vielleicht kannst du mir die Suppe als Hauptspeise bringen. Das wäre genau das richtige für den Moment und ein großes Wasser, ich habe Durst wie 'ne Bergziege."
Als hätte Lucie verstanden, dass es Fisch gibt, begibt sie sich auf Tauchstation und dreht Bruno beleidigt das Hinterteil zu. Keine Chance auf ein paar Almosen, Fisch und dann noch als Suppe!
Maurice bringt eine große Flasche Wasser und schenkt ein Glas ein. Dann wendet er sich sofort wieder dem Hund zu und wirft ihm ein paar Hundecracker hin.
"Keine Angst, extra natürlich, ohne Farb- und Aromastoffe, glutenfrei und auch keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe. Hat mir Harry erlaubt."
"Was, der kommt auch in deine Kaschemme?"
"Klar, was denkst du? Er kommt zu mir und ich gehe öfter zu ihm, wir Gastronomen müssen zusammenhalten. Außerdem können wir voneinander lernen. Deine Suppe kommt gleich. Möchtest du sie mit Aioli oder lieber ohne?"
"Lieber ohne, sonst renne ich wieder den ganzen Tag mit so 'ner Plauze rum."
Bruno hat das erste Glas mit einem Mal ausgetrunken und schenkt sich das zweite ein. Er lehnt sich etwas im Stuhl zurück und genießt den Blick nach oben auf das bunt gefärbte Laub, das in den warmen Sonnenstrahlen erglüht.
Nicht mehr lange und die Bäume werden kahl sein. Hoffentlich bekommen wir einen schönen Winter, kann ruhig kalt werden, Hauptsache Winter und nicht ein sechs Monate andauernder Herbst mit Sturm und Nieselregen. Da krieg ich Depressionen, wenn ich nur dran denke.
Die Suppe übertrifft alle Erwartungen, mindestens fünf verschiedene Fischsorten, feine Gemüsestreifen und ein Gedicht aus mediterranen Kräutern und Gewürzen. Bruno schmilzt dahin, fühlt sich sau gut bei dem feinen Essen und nimmt einen Schluck von dem eiskalten weißen Landwein, zu dem er von Maurice überredet wurde. Kann man ja nicht mit ansehen: Wasser zu dieser Fischsuppenkreation!
So, frisch gestärkt sind wir, und was machen wir nun? Doch zur Polizei gehen und alles erzählen, was ich so erlebt habe und was ich inzwischen weiß? Dann bin ich den Druck los und die Ungewissheit, was noch kommt, wenn ich allein weitermache. Andererseits das Klassentreffen. Da ist mir das Herz ganz schön in die Hose gerutscht, als die Einladung kam, Lutz Strehlow…, dass der überhaupt so ein Klassentreffen organisiert, völlig untypisch. Und wenn es doch eine Falle ist? Immerhin besteht die Gefahr, dass der zweite Zeuge, also ich, ihn erkannt hat. Diese Gefahr kann er aber nur begreifen, wenn er mich seinerseits erkannt hat…, Zeuge eins und Zeuge zwei, was bastele ich mir da eigentlich zusammen? Ich weiß doch nicht mal sicher, ob der Mann, den der Herr Weber am Sonntagabend gesehen hat, auch Lutz Strehlow war. Kann doch alles auch ganz anders gewesen sein. Was tun, sprach Zeus…, Mensch, ich bin doch ein Idiot! Das Klassentreffen! Da muss doch Harry auch eine Einladung bekommen haben! Klar, das werde ich ja morgen sehen. Wenn Harry eine Einladung hat, dann scheint es harmlos zu sein und wenn nicht…, dann erhärtet sich der Verdacht, dass dieses Treffen eine Falle, ein falscher Vorwand ist. Dann besteht echt Gefahr, dass Lutz Strehlow Dreck am Stecken hat und mich als Belastungszeugen identifiziert hat.
"Los Lucie, wir zahlen."