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Berlin, Montag, 05.10.2015
ОглавлениеDer leichte Wind gleitet durch die Kronen der Straßenbäume und trifft auf den Widerstand der sich tapfer gegen das Unvermeidliche wehrenden Blätter. Schon ganz vertrocknet und krumm haben sie keine Chance zu überleben aber zumindest ein beruhigendes Abschiedsrauschen können sie noch hervorrufen. Bruno genießt es, es entspannt ihn. Er liegt auf dem Rücken, hat die Arme unter seinem Kopf verschränkt und ist hellwach, obwohl die Sonne gerade mal vor einer halben Stunde aufgegangen ist. Also so richtig hell ist es noch nicht. Karla scheint im Bad sehr aktiv zu sein, jedenfalls deuten die Geräusche auf eine umfangreiche Schönheitstherapie hin, sozusagen Premiumpflege. Da hat er noch mindestens eine weitere halbe Stunde Zeit die Gedanken zu ordnen.
Was war das gestern bloß für ein Tag? Typisch Sonntag, ich weiß schon warum ich die Sonntage nicht mag. Erst dieses verunglückte Treffen mit dieser Hanna, dann der folgende Disput mit Karla und zur Krönung wegen dieser Idioten unter mir die ganze Nacht kaum geschlafen. Was das wohl für Spiele sind? Also wenn die mir beim nächsten Mal über den Weg läuft …, vielleicht sollte ich darauf gar nicht warten. Ich werde nach dem Frühstück mal unten klingeln, so geht es jedenfalls nicht.
Bruno sinniert so vor sich hin und merkt selber nicht, dass seine Laune langsam den Tiefpunkt erreicht. Zum Glück kommt gerade rechtzeitig eine frisch aufbereitete, scheinbar sehr gut gelaunte Karla ins Schlafzimmer und fängt Bruno auf. Es ist ein schmerzvoller Kraftakt, seine verschränkten Arme unter seinem Kopf wieder hervorzuholen und zu sortieren, seine Gelenke sind eben auch nicht mehr die jüngsten, aber wenn er Karla umarmen, wenn er sie spüren möchte, dann braucht er seine Arme und Hände dazu. Der Tastsinn wird ja leider von den Menschen oft unterschätzt. Also riechen tut er sie natürlich auch und sehen sowieso, obwohl bei der Nähe mehr so Weichzeichner.
"Du könntest jetzt aber auch mal langsam hoch. Ich habe Hunger. Hast du denn inzwischen mal was eingekauft oder gibt's wieder nur Kaffee?"
"Kaffee ist das Wichtigste, meine Liebe, aber keine Sorge, der Kühlschrank ist voll. Kannst ja schon mal anfangen. Ich bin gleich fertig."
Etwas später ist Bruno tatsächlich fertig, also Dusche, Zähne putzen, heute auch Rasur, frische Klamotten, alles in zwanzig Minuten und gut riechen tut er jetzt auch. Das soll ihm mal einer nachmachen. Kleine Einschränkung wäre zu machen, wenn jetzt jemand das Bad inspizieren würde …, aber dafür hat er ja noch den ganzen Vormittag Zeit. Karla hat inzwischen ein leckeres Frühstück zubereitet, für sich ein Müsli mit Joghurt und auf Brunos Platz steht ein kleiner Teller mit Aufschnitt und zwei Scheiben Vollkornbrot und natürlich Kaffee, schwarz und heiß. Seine Stimmung, schon wesentlich besser.
"Und, hast du es dir überlegt, willst du Hanna helfen ihren Mann zu finden?"
"Können wir nicht erst mal in Ruhe frühstücken? Sonst kriegen wir uns gleich wieder in die Haare. Das wäre doch schade, wo du dich jetzt gerade so schön herausgeputzt hast."
"Müssen wir ja nicht, wir können doch so ganz normal darüber reden. Ich denke, du fällst deine Entscheidungen immer so rational? Dann wäge doch einfach ab. Stelle die Punkte Für und Wider neutral gegenüber und schon kommst du zu einem positiven Ergebnis."
"Positiv für wen? Für dich oder mich?"
"Sieh das doch nicht so eng. Du liebst mich doch, oder?"
"Jaja, ich weiß schon, jetzt wird meine Liebe wieder in Zweifel gestellt, wobei sie einer Vergötterung gleich kommt."
"Soso, daher der Name Göttergatte."
"Vorsicht, noch sind wir nur verlobt! Aber mal im Ernst, was soll ich denn nun tun? Nur weil der vermisste Mann deiner Freundin ein Ingenieur ist? Frauenlogik. Weißt du wie viele Ingenieure es in Deutschland gibt, vor allen Dingen wie viele sich gegenseitig noch nie gesehen haben, sich also gar nicht kennen? Wo soll ich denn da anfangen zu suchen?"
"Ach Mensch, Bruno, sei doch nicht so kompliziert. Als es vor ein paar Jahren um deinen Cousin ging, hast du doch auch ohne groß nachzudenken seiner Frau geholfen und sie unterstützt. Die sah natürlich auch bombig aus, ist mir schon klar."
"Ja, das schon, aber ich wäre auch fast draufgegangen, schon vergessen?"
Man kann es sich fast denken, das Gespräch entwickelt sich genauso, wie der gestrige Streit. Wie kommt Bruno da nur wieder raus? Ist ja nicht ganz leicht mit einer so schönen und hartnäckigen Frau auf der anderen Seite. Er weiß sich nicht anders zu helfen, er gibt nach, auch wegen der Aussicht einer dankbaren Karla, und mein Gott, was ist dabei? Er wird sich mit Hanna eben kurz zusammensetzen, wird sich ihre Geschichte anhören, schließlich ist sie auch ein Augenschmaus und wer weiß …, dann kann er immer noch entscheiden. So löst eben Bruno Hallstein anstehende Probleme. Karla scheint zufrieden zu sein, redet auch kein Wort mehr über Hanna und ihren verschwundenen Mann. Bruno hingegen versucht sich auf andere Dinge zu konzentrieren, aber irgendwie klappt das nicht so ganz. Auf jeden Fall ist er mit seinem Frühstück fertig und kann nicht mal sagen, wie es ihm geschmeckt hat, ganz schlechtes Zeichen. Karla räumt den Tisch ab und stellt das Geschirr in die Spülmaschine. Dann geht sie hinaus in den Flur und kommt kurz danach mit ihrer Handtasche wieder. Sie fischt ihr Smartphone heraus und legt die Handtasche auf ihren Stuhl.
"Oh, Hanna hat sich schon gemeldet, habe ich nicht gehört. Dann werde ich sie gleich mal anrufen. Wann und wo wollt ihr euch denn treffen? Du kannst es dir aussuchen."
"Oh, vielen Dank für die Großzügigkeit. Ich hätte gerne Heimvorteil. Meinetwegen gleich heute. Dann haben wir es hinter uns."
Irgendwie ist Bruno noch nicht so richtig mit sich im Reinen. Karlas Augenbrauen stehen ziemlich hoch aber ihr Gesichtsausdruck entspannt sich sofort, als sie Hanna am anderen Ende wahrnimmt. Das Gespräch dauert nicht sehr lange und schon ist alles gesagt, typisch Frauen eben, oder?
"Naja, hast ja mitgehört, heute Abend gegen 18:00 Uhr. Ich hole sie ab, und dann kommen wir gemeinsam zu dir."
"Ach, du willst mit dabei sein? Ich hatte auf einen schönen Abend mit deiner Freundin gehofft."
Kommentarlos kommt Karla auf ihn zu, Augenbrauen am Anschlag. Dann umschlingen ihre Arme seinen Hals und sie setzt unwiderstehlich ihre Waffen ein. Bruno ist chancenlos und so kommt es auch, dass seine ursprüngliche Absicht, mit seiner Nachbarin über den Lärm der vergangenen Nacht zu reden, auf der Strecke bleibt, muss der Euphorie über den erlebten Moment weichen.
***
Bruno hat noch etwas Zeit und überlegt, ob er sich irgendwie vorbereiten sollte. Kurz kommt ihm der Gedanke in den Sinn, dass er vielleicht sein Smartphone als Aufnahmegerät mitlaufen lassen sollte. Aber er verstößt diese Idee gleich wieder. Ohne Hannas Wissen wäre es nicht erlaubt, und wenn er sie um Genehmigung bitten würde, bestünde die Gefahr, dass ihr Gespräch völlig anders verlaufen würde, mehr so gesteuert, vorsichtig, zurückhaltend.
Außerdem, so komplex und unüberschaubar wird unser Gespräch ja nun nicht werden. Da kann ich sicher auch hinterher noch einiges protokollieren. Nicht zu vergessen, Karla! Die ist ja auch noch dabei, die wird sicher auch aufpassen.
Bruno geht in die Küche und holt einen Weinkühler aus dem Schrank. Dann stellt er noch drei Weingläser dazu, die er vorher noch gegen das Licht gehalten hat, um deren makellosen Glanz zu überprüfen. Immerhin hat er es in wenigen Minuten gleich mit zwei Frauen zu tun, da kann er sich auf solchem Gebiet keine Blöße erlauben. Glücklicherweise werden in seinem Haushalt die Gläser überdurchschnittlich oft frequentiert und sind immer glänzend sauber. Er ist gerade dabei die Flasche Grüner Veltliner aus dem Kühlschrank zu holen, da klingelt es an der Wohnungstür. Bruno stellt die Flasche schnell zurück und geht in den Flur, um die beiden Frauen in Empfang zu nehmen. Karla küsst ihn zur Begrüßung auf den Mund, ziemlich ausführlich, macht sie bei normalen Begrüßungen eher selten, schon gar nicht wenn sie sich schon zum zweiten Mal am gleichen Tag begrüßen. Hanna lässt derweil ihren Blick kreisen, ist ja zum ersten Mal in Brunos Wohnung. Die Begrüßung mit ihr beschränkt sich auf einen Händedruck und einem Lächeln. Bruno nimmt etwas enttäuscht wahr, dass sie heute Hosen an hat, obwohl, wenn er etwas genauer hinsieht, Hose ist nicht gleich Hose und diese schon gar nicht. Bruno bittet die beiden Frauen schon mal im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
"Ich dachte, bevor wir mit der Arbeit beginnen, trinken wir ein schönes Glas Wein, einverstanden?"
"Oh, für mich bitte nicht. Ich werde dann immer so schnell unkonzentriert. Ein Wasser wäre schön."
Karla sagt gar nichts, das kennt Bruno schon und deutet es als Zusage.
Ein paar Minuten später sitzen alle drei um den Couchtisch herum und stoßen an, zweimal Wein, einmal Wasser. Dann beginnt Hanna erst einmal sich zu bedanken. Dabei schaut sie Bruno etwas reserviert an, man könnte meinen, sie geniert sich. Karla antwortet anstelle von Bruno und gibt ihrer Freundin zu verstehen, dass sie sich hier völlig frei und zwanglos fühlen könne. Sie sei in den besten Händen, unter Freunden und könne ganz offen über alles mit ihnen reden. Hanna schaut zu Boden, denkt wohl über das eben Gehörte nach. Wenn es doch nur so offen und vertrauensvoll ginge, gibt leider keinen Knopf dafür und dieser Mann, der ihr da gegenübersitzt, scheint ziemlich arrogant zu sein. Er wirkt auf sie unterkühlt, obwohl er einen freundlichen Blick hat, nur diese heruntergezogenen Mundwinkel wirken melancholisch, pessimistisch und ernst. Naja, soweit der erste Blick, der angeblich immer der wahrhaftigste ist. Damit tut sie Bruno natürlich Unrecht, aber was sie denkt weiß er ja nicht.
"Sagen Sie, Hanna, darf ich Ihnen eine Frage vorab stellen?"
Hanna nickt nur.
"Weshalb kommen Sie zu mir? Warum gehen Sie nicht zur Polizei, wenn Sie Ihren Mann vermissen?"
Hanna schaut Karla an, als würde sie die Frage an ihre Freundin weitergeben wollen.
"Das kann ich dir sagen, Bruno. Sie war ja bei der Polizei, aber da ist bisher nichts herausgekommen. Die ziehen ihr Routineprogramm durch und fordern Geduld. Ja, und deshalb zu dir, da bin ich nicht ganz schuldlos dran. Ich habe dich ihr als erfolgreichen Privatdetektiven beschrieben. Immerhin hast du schon mehrere Kriminalfälle in den letzten Jahren erlebt und gelöst, oder?"
"Also Privatdetektiv ist ja nun wirklich völlig übertrieben. Diese Kriminalfälle, die du da erwähnst, habe ich mir ja nicht ausgesucht. Ich hatte auch keinen Auftraggeber, bin immer durch Zufall hineingeraten. Als Privatdetektiv hätte ich ja wenigstens Geld damit verdient. Ich will eigentlich immer meine Ruhe haben, keine Aufregung. Will mein Leben genießen."
"Also wenn es ums Geld geht, ich kann bezahlen. Was nehmen Sie denn?"
"Gar nichts, ich nehme doch kein Geld! Außerdem sollten wir uns duzen. Ist doch völlig blöd, wenn Karla sich mit uns beiden duzt und wir immer noch Sie sagen, oder? Aber nochmal, ich bin kein Privatdetektiv, da hat Karla dir was vorgemacht. Sie will mich wohl etwas unter Druck setzen. Wäre gar nicht nötig gewesen. Wenn Freunde Hilfe brauchen, helfe ich natürlich gerne. Dann erzähl doch erst mal worum es eigentlich geht. Danach kann ich erst sagen, ob ich dir überhaupt helfen kann."
"Könnte ich vielleicht jetzt doch ein Gläschen Wein haben?"
Bruno steht auf, zieht das bisher unbenutzte Glas etwas heran und schenkt ein. Dann beobachten er und Karla gespannt, wie Hanna vorsichtig an dem Glas nippt. Wirkt fast wie eine Kunstpause, so als ob sie sich die Worte zurechtlegen würde. Dann sprudelt es geradezu aus ihr heraus. Sie beschreibt, wie sie ihren Mann kennengelernt hat, wie aus ihnen beiden sehr schnell ein Paar geworden ist und wie sie in den folgenden Monaten Schritt um Schritt immer mehr über ihren Mann und sein Vorleben erfahren hat. Dabei war es für sie oft schwer zu verkraften, weil immer wieder Zweifel hochkamen, ob das wirklich der Mann ist, in den sie sich verliebt hatte. Sie ist auch bis heute davon überzeugt, dass sie noch lange nicht alles weiß. Es gibt schon öfter Phasen, in denen er völlig abblockt, wenn es um seine Vergangenheit geht. Immerhin hat sie von seinem Schicksal so viel erfahren, dass sie keinen Zweifel hegt, dass ihm etwas zugestoßen ist oder dass er zumindest in Gefahr schwebt. Hanna greift nach dem Glas und trinkt den letzten Rest aus, quasi Signal, dass sie sich trockengeredet hat. Bruno geht in die Küche und holt eine zweite Flasche, natürlich haben Karla und er ihre Gläser auch schon geleert, keine Frage. Nach der willkommenen kleinen Pause sitzen alle drei wieder auf ihrem Platz und es kann weitergehen.
"Kannst du mir etwas genauer sagen, was für ein Mensch dein Mann ist? Also jetzt mehr so charakterlich. Ist er feinfühlig oder eher grob, rustikal? Ist er ein ängstlicher Typ oder mehr so der Draufgänger? Würdest du ihm zutrauen, dass er eine andere Frau liebt und dich still und heimlich verlassen hat? Du hast doch bestimmt auch einen Verdacht, was passiert sein könnte, oder?"
Hanna schaut Bruno etwas verdutzt an und Bruno spürt, dass er wohl einen Nerv getroffen hat. Sie wirkt jetzt eher verletzt, gekränkt, weiß nicht, was sie sagen soll. Karla springt ihrer Freundin bei.
"Ihr Männer denkt wohl immer nur an so etwas. Das ist aber zu einfach gedacht. Du hast doch gehört, dass er eine ziemlich krasse Vergangenheit hat. Immerhin hat er zu Unrecht im Knast gesessen. Das holt ihn sicher immer wieder mal ein. Vielleicht hat er sich bei einem Freund zurückgezogen, um wieder zu sich zu finden. Hat er Freunde, Hanna? Also so richtige, weißt du, Freunde, die man besonders in Notzeiten aufsucht."
"Weiß ich nicht, Karla. Ich habe keinen kennengelernt. Er hat immer mal was von einem Werner erzählt. Mit dem hat er mal zusammen gewohnt, im Haus von Werners Eltern. Aber das war noch im Osten, ist Jahrzehnte her. Ich möchte aber noch auf Brunos Frage eingehen, so daneben war die gar nicht. Also André ist ein sehr feinfühliger Mensch, in manchen Phasen wirkt er geradezu zerbrechlich. Dann muss man auch aufpassen, was man sagt. Oft verschließt er sich dann, kann nicht offen über die Gründe seiner Betroffenheit reden. Das kann schon ein paar Tage dauern, danach ist er wieder völlig normal."
"Und wie ist er, wenn er normal erscheint?"
"Selbstbewusst, humorvoll, voller Tatendrang, ganz normal eben."
"Hat er irgendwelche besonderen Vorlieben?"
"Mensch, Bruno, was ist das denn für eine Frage? Wir machen doch hier keine Eheberatung."
"Nein, Karla, lass mal. Ich verstehe die Frage anders. Also mein Mann hat schon bestimmte Vorlieben. Aber ich glaube, die hat er erst entwickelt, nachdem wir uns kennenglernt haben. Er hat so einen kleinen Faible für Luxus entwickelt, vielleicht kein Wunder, wenn man in der DDR aufgewachsen ist. Also jetzt nicht mit Riesenvilla oder goldenen Armbanduhren, so nicht. Das könnten wir uns auch gar nicht leisten. Aber er achtet schon auf ein bestimmtes Niveau, insbesondere beim Essen und Trinken, auch bei Kleidung, eigentlich bei allen Dingen des täglichen Lebens. Auf keinen Fall findet er Geiz geil."
"Hm, kann es sein, dass er in Geldschwierigkeiten steckt? Hat er Schulden? Spielt er womöglich?"
"Nein, also da lege ich meine Hand für ins Feuer. André ist ein ganz seriöser Mann, der würde niemals sein Geld verspielen. Den widert schon die Atmosphäre an. Wir hatten mal in einem Urlaub ein Hotel, in dem sich auch ein Spielcasino befand. Ich wollte da mal rein, einfach nur so zum Spaß, vielleicht mal zehn Euro riskieren, oder meinetwegen zwanzig. Keine Chance, André wollte nicht, fing an mir Vorträge zu halten. Die Argumente hatte er wohl noch aus seiner sozialistischen Grunderziehung herübergerettet."
"Naja, könnte aber auch gerade dafür sprechen. Er wollte kein Risiko eingehen. Vielleicht hatte er Angst du würdest etwas von seiner Spielsucht erkennen. Weißt du, es gibt so Anzeichen. Man sagt ja auch, dass Alkoholiker in einem öffentlichen Restaurant immer nur Wasser bestellen."
"Nein, Bruno, auf keinen Fall, wirklich. André ist so nicht. Er ist ein ganz normaler, ganz unauffälliger Mensch. Wie gesagt, seine Vergangenheit, die ist nicht so ganz normal. Aber da kann ich allein nicht viel mehr dazu sagen. Da müsste er schon selber …, aber das geht ja nun nicht."
Bruno schaut in die Runde, erst zu Karla, dann wieder zu Hanna. Er ist unsicher, wie er sich jetzt entscheiden soll.
"Wisst ihr was, ich habe Hunger. Was haltet ihr davon, wenn ich euch einen kleinen Imbiss zusammenstelle? Ich habe alles im Hause. Danach können wir ja sehen. Vielleicht fällt uns ja dann noch was Schlaues ein."
"Na, das ist doch schon mal ziemlich schlau. Ich könnte jetzt auch was vertragen. Soll ich dir helfen?"
Bruno lehnt Karlas Hilfe ab, hofft natürlich, dass die beiden Frauen noch weiter über das eigentliche Thema reden, wenn er nicht dabei ist. Deshalb lässt er sich auch Zeit bei der Zubereitung des Essens. Ein kleines Glas Chianti ist auch noch dabei, muss ja keiner wissen. Zum Schluss trägt er ein großes Tablett mit Schinken, Salami, verschiedenen Käsesorten, Oliven, Sardellen, getrockneten Tomaten und Kapernfrüchten ins Wohnzimmer. Dazu hat er ein Ciabatta aufgebacken und auch der geöffnete Chianti kommt zu seinem Einsatz. Aufgrund der dunkelgrünen Flasche merken die beiden Frauen auch nicht, dass Bruno schon getestet hat. Während des Essens schweigen alle drei. Jeder hängt so seinen Gedanken nach und insbesondere Bruno ist ganz konkret dabei sich zu überlegen, was er denn überhaupt tun könnte.
Gut, ich stelle mir mal vor, Hanna bei der Suche nach ihrem Mann zu helfen. Aber wie? Was könnte ich überhaupt tun? Welchen Ansatz haben wir denn? Da ist wieder dieser Stasi-Scheiß. Was weiß ich, wie viele DDR-Bürger in ihrem Leben Kontakt zur Staatssicherheit hatten, bewusst oder unbewusst. Das ist doch ein Kapitel unserer Geschichte, das hat keinen richtigen Anfang und wahrscheinlich kein richtiges Ende. Tauchen doch heute noch die unglaublichsten Geschichten auf. Wenn ich nur an diese beiden Strategen Jim und James Glock denke, diese beiden alten Stasibonzen, die mein ehemaliger Klassenkamerad Lutz Strehlow angeheuert hatte, meine Fresse, die gingen im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Und da soll ich jetzt …? Nee, dazu ist mir das noch zu wenig, was wir wissen. Da würde uns die Polizei auch wieder nach Hause schicken. Alles nur Vermutungen.
Bruno erhebt sich und will das Geschirr wieder einsammeln, um es in die Küche zu bringen, aber Karla ist schneller.
"Lass mal, Bruno, ich mach das. Du hast ja schon die Zubereitung übernommen. Hör dir lieber mal an, was Hanna mir vorhin noch erzählt hat, als du in der Küche warst."