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Berlin, Freitag, 12.03.2010
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Bruno Hallstein liegt auf der Seite, mit dem schweren Kopf auf seinem linken Oberarm. Der ist dadurch abgestorben, ist so taub, dass er schmerzt und Bruno davon aufwacht. Er hebt den Kopf etwas an, kann aber den toten Arm mit eigener Kraft nicht bewegen, eben tot. Er muss tatsächlich den anderen Arm zu Hilfe nehmen und schafft es dann endlich, sich auf den Rücken zu drehen. Nach einigen Augenblicken fließt das Blut wieder in seine Bahnen, und der Arm fängt an, wie wild zu kribbeln, zu stechen, tausend Nadeln. Er flucht leise und massiert das taube Etwas mit der rechten Hand. Es dauert endlose Minuten bis das unangenehme Gefühl nachlässt. Bruno bleibt noch einige Momente liegen und versucht, seine Gedanken zu sortieren. Es ist wieder spät geworden. Nicht dass er betrunken war, aber das Auto hätte er doch stehen lassen sollen. Er ärgert sich darüber, dass er sich das immer wieder vornimmt, um dann doch das Risiko einzugehen.
Eines Tages erwischen sie dich noch.
Jedes Mal denkt er das, hinterher. Es ist schon nach 11 Uhr und er fühlt sich unwohl im Bett. Außerdem hat er das dringende Bedürfnis nach einer Dusche und frischer Wäsche. Quasi das Gestern abwaschen und das frische Heute anziehen. Das Bett gibt bedenkliche Geräusche von sich, als er sich aufrichtet. Er hat das Gefühl, dass es ihn von Tag zu Tag mehr anstrengt seine rund 100 Kilo hochzuwuchten. Dann sitzt er zumindest mal auf der Bettkante. Das aggressive Klingeln des Telefons kommt unverhofft und so laut, dass er erschrickt. Aber irgendwie werden dadurch die Kräfte frei, die er braucht, um endgültig aufzustehen. Er läuft ins Wohnzimmer, findet das Telefon auf dem Sofa zwischen zwei Kissen, drückt die grüne Taste und stellt fest, dass er zu langsam war. Auf dem Display blinkt ein kleines Telefon und dort, wo sonst immer der Name des Anrufers zu lesen ist, steht jetzt UNBEKANNT.
Dann eben nicht, leck mich...
Er stellt das Telefon in die Ladestation auf dem kleinen Ecktisch zwischen Couch und Sessel. Sein Blick streift dabei den Wohnzimmertisch, der mit Zeitungen vollgepackt ist. Mindestens drei Tagesspiegel, eine Berliner Zeitung, eine Programmzeitschrift und ein Spiegel Spezial zum Schwerpunktthema Industrierevolution. Irgendwo in dem Haufen findet er die Fernbedienung für den Fernseher. Dabei stößt er eine leere Bierflasche um, die dort halb auf dem Tisch, halb auf einer aufgeschlagenen Zeitschrift etwas wackelig gestanden hat. Sie malt nun eine kleine Pfütze Bier auf dem Tisch, kullert Richtung Tischkante und fällt dann auf den Boden. Allein dieses Geräusch nervt ihn, aber mehr noch, dass er sich wird bücken müssen, um diese dämliche Flasche aufzuheben.
Es ist zu einer Gewohnheit geworden als erstes den Fernseher einzuschalten, wenn er morgens das Wohnzimmer betritt. Meist läuft dann sogenanntes Frühstücksfernsehen. Ein berufsjugendliches Moderatorenpärchen mit zwanghafter Guter Laune taumelt zwischen Bürgerkriegen, Erdbeben, Massenentlassungen, Highlights der Fußballbundesliga, diätischen Kochrezepten und dem DAX hin und her. Und das drei Stunden lang in ewigen Wiederholungsschleifen, echt hart. Wer dabei frühstücken kann, muss völlig schmerzfrei sein. Der Fernseher gibt ein kurzes Blubb von sich, dann ein leises Knistern und endlich zeigt die Bildröhre bewegte Bilder. Aber kein Frühstücksfernsehen, sondern Werbung. Er schaltet die Kiste sofort wieder aus und wirft die Fernbedienung zurück auf den Tisch, genau zwischen die Zeitungsstapel. Eigentlich wollte er sich schon längst einen von diesen modernen flachen Fernsehern gekauft haben. Er resigniert aber jedes Mal, wenn ihm bewusst wird, dass sich dadurch nur die Qualität des Bildes, nicht die des Programms wird verbessern lassen. So schaut er immer noch mit seinem alten Telefunken-Röhrengerät.
Er geht ins Bad, um endlich zu duschen und öffnet das Fenster, um frische Luft in das völlig überheizte Bad zu lassen, schließt es aber sofort wieder, als ihm der kalte Luftzug von draußen entgegenweht. Seine Sachen vom Vortag liegen noch da, wo er sie gestern Nacht hingeworfen hat, schön verteilt.
Toll, schon wieder bücken!
Ihm fällt die Bierflasche im Wohnzimmer ein. Anstatt die Sachen aufzuheben, sucht er sich erst mal frische Wäsche aus dem kleinen Schränkchen neben dem Fenster. Er findet keine passende Garnitur, also wählt er eine schwarze Unterhose und ein weißes T-Shirt. Aus dem unteren Fach schnappt er sich ein paar schwarze Socken. Er zieht beide Strümpfe über die rechte Hand, sind in Ordnung, keine Löcher! Nachdem er einmal als Kind die peinliche Situation in einem Schuhgeschäft erlebt hat, wo sein Vater mit einem kleinen Loch im Strumpf einen Schuh nach dem anderen ausprobiert hat, sind Löcher im Strumpf für ihn eine real existierende Bedrohung. Er hat schon unzählige Socken weggeworfen, selbst wenn sie nur erste dünne Stellen an den Zehen oder an der Ferse zeigten.
Seine Mutter hat früher kaputte Socken noch gestopft. Dabei wurde der Strumpf über ein Holzteil gezogen, dass wie ein Pilz aussah und deshalb, dreimal darfst du raten, auch Stopfpilz hieß. Es war in dieser Zeit das normalste der Welt, gestopfte Strümpfe zu tragen, niemand dachte sich etwas dabei. Sie kannten auch keinen, der es sich finanziell hätte leisten können immer neue zu kaufen. Umso peinlicher war für ihn das Loch im Strumpf seines Vaters, damals im Schuhgeschäft.
Ob es heute auch noch Frauen gibt, die Strümpfe stopfen? Ich kenne keine. Oder Laufmaschen. Lassen Frauen heute noch Laufmaschen an ihren Strümpfen reparieren? Da hat uns wohl der Wohlstand erreicht. Gibt es überhaupt noch Laufmaschen? Ich erinnere mich, dass es in Berlin ganz viele Geschäfte gab, wohin die Frauen ihre kostbaren Nylons oder Perlonstrümpfe zur Reparatur brachten. Mutter auch. Pro Masche 6 Pfennig. Meist waren es so kleine Holzbuden, gerade so groß, dass eine Person darin sitzen konnte, sozusagen Laden und Werkstatt in einem. Es waren fast nur Frauen, die diese Arbeit machten. Ich hab nie verstanden, wie das funktioniert, es muss eine Art Minilötkolben gewesen sein. Auf jeden Fall konnte man die reparierten Stellen hinterher immer noch sehen. Aber "laufen" konnten sie nicht mehr, die Maschen.
Der Zeremonie im Bad ist jeden Morgen die gleiche, erst Zähne putzen, dann duschen. Unter den warmen Wasserstrahlen entspannt er sich und ist zum ersten Mal an diesem Tag zufrieden. Mit einem Stück sehr grüner, von Hand gefertigter Seife, das ihm irgendwer zum letzten Geburtstag geschenkt haben muss, schäumt er sich ein. Dann lässt er warmes Wasser über seinen Rücken laufen.
Ob die Seife eventuell ein Geschenk von Carla ist? Könnte sein, würde auf jeden Fall zu ihr passen. Muss ich mal lobend erwähnen, kann ich ein paar Pluspunkte sammeln.
Er kann in diesem Augenblick nicht mal ahnen, wie viele Pluspunkte er demnächst brauchen wird. Carla ist seine große Liebe, zumindest hätte er das gerne. Sie haben sich in Tirol beim Skifahren kennen gelernt, besser gesagt abends in einem kleinen Restaurant. Alle Plätze waren besetzt, und er musste am Tresen Platz nehmen. Sie saß mit Freunden an einem Tisch für 4 Personen und war ihm zunächst nicht weiter aufgefallen. Dann hörte er zum ersten Mal diesen Namen: Carla. Als die Freunde zahlten und gingen, beobachtete er, dass sie sitzen blieb. Wenig später stand sie auf, kam direkt auf ihn zu und sprach ihn an. An den Tagen danach trafen sie sich öfter und sie erzählte ganz viel von sich und ihrer Familie. Ihre Mutter ist Italienerin, Tochter einer alteingesessenen Familie aus Caldaro, seit Generationen Winzer und Besitzer eines ziemlich kleinen aber unter Kennern sehr geschätzten Weingutes. Der Vater kommt aus Innsbruck, ist aber in Potsdam geboren. Als er fünf war, hatten seine Eltern Deutschland verlassen und in der Tiroler Hauptstadt eine neue Heimat gefunden. Das ist jetzt über 60 Jahre her. Noch immer besitzen Carlas Eltern eine Stadtwohnung in Innsbruck, ganz in der Nähe der alten Hungerburgbahn, mit Blick auf den Inn. Sie verbringen fast das ganze Jahr hier. Die Lage ist einfach ideal. In einer halben Stunde ist man mitten in den Bergen, in gut zwei Stunden in Carlas Heimat, am Kalterer See. Dazu hat man den Flughafen und den Hauptbahnhof in unmittelbarer Nähe.
Bruno selbst hat seit Jahren immer wieder seinen Urlaub hier verbracht. Er liebt diese Stadt Innsbruck, die Berge, im Winter, wie im Sommer und ganz besonders sein Stubaital. Und nun kommt noch Carla dazu. Er muss sich ernsthaft fragen, was ihn immer noch in Berlin festhält. Und Carla ist schön, wunderschön findet er. Sie ist fast so groß wie er, hat dunkelblondes Haar und dunkle Augen, die ihn ununterbrochen ansehen, wenn sie mit ihm spricht. Sie benutzt so gut wie kein make up, lediglich die Augen betont sie mit einem Lidstrich und ihre Lippen zeigen einen matten Schimmer in einem undefinierbaren Rot. Er liebt ihre leicht gebräunten, großen Hände mit den schlanken Fingern und den hellen unlackierten Nägeln.
Er stellt sich vor, sie würde ihn damit berühren und steht immer noch unter der Dusche. Dann hat er den kurzen kalten Schauer überstanden und trocknet sich ab. In der sauberen Wäsche fühlt er sich nun richtig wohl. Er holt den Rasierer aus dem Spiegelschrank und sieht sich dann zum ersten Mal an diesem Vormittag. Es ist schon deprimierend, wie sehr man sich in den Jahren verändert. Seine Lieblingsschwester Anette widerspricht zwar immer und meint, er rede sich selber schlecht und er solle zu seinem Alter stehen und in Wirklichkeit sehe er jünger aus als er sei und...und...und. Aber Anette sieht vieles ganz anders, deshalb ja Lieblingsschwester, und sie ist seine einzige Schwester.
Er macht sich jedenfalls keine Illusionen. Aus dem markanten Gesicht, mit den großen Augen seiner Mutter, den schmalen Lippen seines Vaters, ist ein doch ein ziemlich anderes Antlitz geworden. Falten kräuseln sich unter den Augen und die hängenden Mundwinkel lassen die weichlichen Wangen noch trauriger wirken. Von den einst längeren Haaren hat er sich schon lange verabschiedet. Er hasst es, wenn Männer mit schütterem Haar weiter auf Heavy Metal machen, wenn möglich noch mit Zopf. Da zieht er es vor, seinen Restbestand an Haaren in zwei Zentimeter langer Restpracht zu pflegen. Sieht nicht nur besser aus, wie er findet, ist auch viel praktischer. Außerdem kann man eine Mütze aufsetzen, ohne eine hingefönte Frisur darunter zu verhunzen. Früher hat er keine Mützen getragen.
Er zieht sich seine Lieblingsjeans an und ein ziemlich neues Sweatshirt, bisher nur einmal getragen. Da steht er nun in der Küche, geduscht, mit frischer Kleidung und einem schwarzen Kaffee in der Linken. Sein Gute-Laune-Barometer steigt. Er überlegt, wie er am besten den heutigen Tag gestalten soll. Nach dem Frühstück wird er etwas einkaufen für das Wochenende, dann vielleicht kurz bei seiner Schwester vorbeischauen. Den Freitag Nachmittag hat er wie immer für seine Mutter reserviert. Abends ist er mit Carla verabredet. Sie will mit ihm ins Kino. In irgendeinem Bezirkskino läuft "Cinema Paradiso" mit irgendeinem Poiret, oder so ähnlich. Er kennt den Film nicht, aber Carla hat ihm schon oft davon erzählt. Was heißt erzählt? Sie schwärmt geradezu.
* * *
Sonntag, 27. März 1955
Ich bin total aufgeregt und glücklich. Habe über meinen Vater die Verbindung zu Prof. R.v.C. hergestellt. Heute ist Sonntag und ich werde ihn treffen. Er hat mich zum Kaffee zu sich nach Hause eingeladen. Er kann bestimmt etwas für mich tun. Ich muss unbedingt die Zulassung zum Studium am Geologischen Institut bekommen. Habe recherchiert, er ist in Brixen zur Welt gekommen, also ein engerer Landsmann von mir. Das kann mir vielleicht helfen.
* * *
2
Bruno Hallstein blinzelt gegen das grelle Sonnenlicht und versucht auf dem Fahrplan der BVG zu ergründen, wie er denn nun von hier am besten nach Hause kommt. Er fährt nicht oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln und weiß nicht mal genau, was ein Fahrschein kostet. Seit seine Mutter hier in Zehlendorf in einem kombinierten Senioren- und Pflegeheim untergebracht ist, muss er immer einmal quer durch die Stadt von Tegel bis Onkel-Toms-Hütte. Mit dem Auto ganz einfach, da fährt er den Weg im Schlaf, aber so? Egal, er will das Auto heute stehen lassen und muss nun da durch. Im Prinzip ist es auch nicht weiter schwer, mit der U3 bis Bahnhof Spichernstraße, von hier mit der U9 bis Leopoldplatz und dann in die U6 nach Alt-Tegel. Den Rest kann er zu Fuß machen. Wie er so in der U-Bahn steht, entdeckt er direkt über sich den Streckenplan. Er schaut ihn noch einmal genauer an und beschließt, einen anderen Weg zu nehmen. Er bleibt in der U3 bis Wittenbergplatz, steigt dann in die U1 Richtung Warschauer Straße und fährt bis Hallesches Tor. Der Grund für den spontanen Wechsel liegt in der Vergangenheit. Ihm ist nämlich eingefallen, dass er diese Strecke während seines Studiums fast täglich gefahren ist. Es ist eine der Linien, die durch den Ostteil der Stadt führt. Zu Zeiten der Berliner Mauer hielten die Züge aber nicht an den Ostberliner Stationen. Mit verlangsamter Fahrt durchfuhren sie dunkle Geisterbahnhöfe und manchmal konnte man im Vorbeifahren die bewaffneten Grenzer sehen. An einem Bahnhof hielt die Bahn aber doch: Friedrichstraße, Transitübergang für Bahnreisende zwischen Ost- und Westberlin. Genau das war das besondere an diesem Bahnhof, hier durfte man aus- und einsteigen. Das nutzten auch Nicht-Transitreisende, beispielsweise arme Westberliner Studenten, um sich an eigens dafür ausgestatteten Bahnhof-Kiosks Zigaretten und Schnaps zu kaufen, natürlich Westware. Man musste auch in DM bezahlen. Darin steckte ja der Sinn für die DDR. Aber es war deutlich billiger, als in den Westberliner Geschäften. Devisenbeschaffung für den Osten mahnten die Westberliner Zeitungen und Politiker. Den meisten war es egal, Hauptsache billig. Auch damals war Geiz schon geil. Einer seiner Kommilitonen war der Sohn eines Bezirksbürgermeisters, selbst der kaufte dort ein. In der Morgenpost regte er sich darüber auf und abends dann, Peter Stuyvesandt, zwei Stangen. Man musste aber auch aufpassen. Wenn man Pech hatte und der Zug wieder im Westen das erste Mal hielt, konnte es sein, dass der Westberliner Zoll Kontrollen durchführte. Bruno ist zum Glück nie erwischt worden.
Mein Gott, ist das alles lange her. Wie viele Flaschen Ballantines werden wir wohl damals geschmuggelt haben? Und erst die Zigaretten, stangenweise Roth Händle und Gaulloises ohne Filter...
Nun leben sie wieder, die ehemals toten Bahnhöfe. STADTMITTE, Französische Strasse, oranienburger tor. Die Züge halten ganz normal, die Menschen steigen ein und aus und die Bahnhöfe selber sind schön herausgeputzt. Im pseudohistorischen Gewand präsentieren sie ein Stück Geschichte. Die meisten Fahrgäste kennen diese Geschichte gar nicht mehr.
Irgendwie bedauerlich, wir hatten wenigstens noch die Teilung und Hoffnung auf eine Wiedervereinigung. Die könnt Ihr gar nicht haben, alles schon passiert. Worauf hofft Ihr denn jetzt? Auf eine noch billigere Flatrate?
Sein Blick wird von einem bildhübschen Mädchen eingefangen, dass ihm genau gegenüber sitzt und ununterbrochen in ein pinkfarbenes Handy redet. Türkisch, er versteht kein Wort. Sie hat pechschwarzes Haar, dass sie ziemlich chaotisch hochgesteckt hat und dass von einem rosa Stirnband so gehalten wird. Sie ist stark geschminkt, besonders die Augen und ihre hellblauen Jeans sind so eng, dass er sich wirklich fragt, wie sie da wohl hineingekommen ist. Er schätzt sie auf vierzehn. Die war noch nicht mal geboren, als es noch Ost und West gab.
3
Carla Weißensee ist bereits zu Hause. Sie fühlt sich nicht gut und so wurde ihr der Tag in der Firma zur Hölle. Sie kann ihr Unwohlsein gar nicht genau beschreiben. Sie friert, fühlt sich schwach und ist müde, zum Glück tut ihr nichts weh. Am liebsten würde sie ins Bett kriechen aber da ist noch die Verabredung am Abend und außerdem will sie ihre Eltern anrufen.
Die sind vor wenigen Tagen in die Berge gefahren, wandern, wie sie es seit über fünfzig Jahren tun. Carla erinnert sich gern an die Zeit, wo sie als kleines Mädchen immer zwischen den Eltern laufen musste, Mama vorne und Papa hinter ihr. Nie fühlte sie sich geborgener, nie spürte sie mehr Liebe und Zuwendung. Wenn es den Eltern für ihre einzige Tochter zu schwierig erschien, wurde sie auch mal getragen. Anfangs ließ sie sich das noch gefallen aber als sie älter wurde, so mit neun oder zehn Jahren, wollte sie nur noch alleine laufen. Ihr Papa war natürlich trotzdem immer in ihrer Nähe, besonders als es dann auch auf steilere Wege ging. Mit zwölf Jahren hatte sie bereits die Gipfel von über zwanzig Dreitausendern in den Tiroler Alpen bestiegen. Dabei gab es Pfade, die über Klettersteige oder Leitern führten. Sie liefen dann immer gesichert am Seil und sie musste einen gelben Helm tragen, der sie drückte und an den Haaren ziepte. Einige Male waren sie nur zu zweit unterwegs, Mama hatte sich die Tour nicht zugetraut. Carla war immer sehr stolz, wenn sie am Gipfelkreuz standen, sich in das Buch einschrieben und zuletzt noch ein Foto machten. Und ihr Papa war stolz auf sie, auf seine Tochter. Es war damals noch etwas besonderes, als junges Mädchen in diese Domäne der Männer einzudringen. Sie lernte sehr schnell, dass in dieser Welt des Hochgebirges eine reizvolle, ganz spezielle Atmosphäre herrschte, die nur durch die einzigartige Natur vorgegeben schien, ganz anders als in ihrer gewöhnlichen Alltagswelt, in der sie nie diese Art von Freiheit empfinden konnte. Alle, die man hier traf waren sich irgendwie ähnlich, hatten die gleichen Motive und die gleichen Geschichten erlebt. Man konnte niemandem ansehen, welcher Schicht er angehörte, ob er nun Chef oder Mitbearbeiter war. Jeder duzte jeden, und es gab keinerlei Standesdünkel. Die Hütten, in denen sie übernachteten, waren einfach aber für alle gleich. Duschen und Toiletten wurden von vielen benutzt, das war normal. Alles wirkt in ihrer Erinnerung sehr harmonisch, friedlich und gemütlich. Abends saßen sie zusammen, die Männer tranken Bier oder Wein, und besonders gefiel es ihr, wenn welche dabei waren, die Gitarre oder Harmonika spielen konnten. Dann wurde es oft spät, irgendwer stimmte ein Lied an und dann sangen die anderen mit. Noch heute kennt sie fast alle Texte auswendig. Carla erlebte eine traumhafte Kindheit, nicht nur wegen der Bergtouren.
Daraus resultiert auch ihr liebevolles Verhältnis zu ihren Eltern. Sie liebt ihren Vater, weil er sie immer wie ein Mädchen und später wie eine Frau behandelt hat. Er hat ihr nie das Gefühl gegeben, dass er womöglich lieber einen Sohn gehabt hätte. Die Liebe zu ihrer Mutter funktioniert völlig anders. Sie ist die logische Folge der absoluten Ähnlichkeit zwischen ihnen. Nicht nur die Ähnlichkeit, die jeder sehen kann. Es sind die Bewegungen, die kleinen Gesten. Meist vertreten sie nicht nur gleiche Meinungen, sie formulieren sie auch mit den gleichen Worten und einer identischen Mimik. Sie sind in einer Art gleich, dass sie auch Geschwister sein könnten. Sie genießt es, bei ihren Eltern zu sein. Sie kann sich an keinen Streit zwischen den beiden erinnern. Wenn es je einen gegeben hat, haben sie ihn perfekt vor ihr versteckt.
Ihre Mutter kommt aus einer alten adligen Familie, da kann man vielleicht solche Charakterzüge erwarten. Dass auch ihr Papa fast aristokratische Eigenarten verkörpert, lässt sich zumindest nicht durch seine Wurzeln erklären. Er entstammt einer brandenburgischen Bürgerfamilie. Sein Vater war Lehrer für Geographie und Geschichte an der 1. Städtischen Oberschule für Jungen in Potsdam, und er war Halbjude. 1942 zog die Familie nach Innsbruck. Der Vater bekam eine Anstellung als Hilfsdozent an der Universität. Und obwohl der berühmte Österreicher sein Heimatland längst in sein Großdeutsches Reich eingegliedert hatte, konnte sich die Familie Weißensee dem zuletzt unerträglich gewordenen Druck durch die Nationalsozialisten, wie er an der Potsdamer Schule herrschte, entziehen. Carlas Vater war damals 5 Jahre alt und wurde ein Jahr später in Innsbruck eingeschult. Er hat nie viel über diese Zeit gesprochen. Als Carla einmal alleine zu Hause war, hat sie im Schreibtisch ihres Vaters herumgestöbert, auf der neugierigen Suche nach irgendwas. Dabei entdeckte sie in einer kleinen Schachtel einige alte Fotografien. Auf einem der Fotos saß ein kleiner Junge auf dem Schoß eines streng in die Kamera blickenden Mannes mit einem schwarzen Seelöwenbart in einem dunklen Anzug. Er machte ihr Angst. Ein Schwarzweißbild, das an den Ecken schon helle Flecken hatte. Auf der Rückseite stand ein handgeschriebener Text in einer Schrift, die sie damals nicht lesen konnte, nur die Jahreszahl: 1944. Da musste er 7 Jahre alt gewesen sein. Sie hat nie nachgefragt aus Furcht, sie würde sich und ihre Neugier verraten.
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Carla bereitet sich einen Tee zu, wenigstens etwas Gesundes, denkt sie sich. Sie kann das Gedruckte auf dem Teebeutel nicht erkennen, da sie ihre Brille im Büro vergessen hat. Es entspricht ihrer Eitelkeit, dass sie die Brille nicht permanent trägt, sondern immer noch versucht, ohne sie zurechtzukommen, schließlich wird sie im nächsten Jahr fünfzig. Sie fühlt sich bei diesem Gedanken aber gut, im Kopf will sie gar nicht jünger sein. Und körperlich? Na ja, sie hält seit Jahren ihr Gewicht und trägt immer noch Konfektionsgröße 40. Trotzdem nimmt sie sich immer wieder vor, öfter in die Berge zu gehen, wandern, Ski fahren oder radeln mit dem Mountainbike. Seit sie in Berlin lebt, ist das viel zu kurz gekommen. Das bisschen Jogging alle zwei Wochen bringt nichts und macht auch keinen rechten Spaß, bei dem ewig schlechten Wetter und der allgegenwärtigen Hundescheiße. Vielleicht sollte sie sich doch dieser Nordic-Walking-Gruppe in ihrer Firma anschließen? Wenn sie nur darüber nachdenkt, muss sie grinsen. In den Bergen mit Stöcken zu laufen ist für sie normal. Im Flachland aber findet sie es einfach nur albern. Sollte man nicht froh sein, keinen Stock zu benötigen?
Carla hat sich umgezogen, rutscht auf ihrem Lieblingssessel so lange hin und her, bis sie die richtige Position gefunden hat und sucht auf dem Display ihres Telefons nach der Handynummer von Bruno. Er geht sofort ran und scheint sich zu freuen, dass sie anruft. Die Freude weicht aber ganz schnell der Enttäuschung, als er hört, dass aus ihrer Verabredung heute nichts wird.
"Bruno, sei bitte nicht sauer aber ich fühle mich wirklich nicht. Ich werde früh schlafen gehen. Vielleicht morgen. Ich kann uns was kochen, wenn du willst. Und der Film läuft noch die ganze nächste Woche."
Bruno ist angefressen, das spürt sie, besonders als sie es ablehnt, dass er sie besucht, um den Krankenpfleger zu spielen. Das ist so ein Punkt, der sie nervt und wo sie immer wieder in Zweifel gerät, ob das Verhältnis zwischen ihnen eigentlich das ist, was sie sich wünscht. Bruno ist sicherlich ein Pfundskerl, im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist zuverlässig und hilfsbereit, wo immer es geht. Aber gerade das erdrückt sie manchmal, dieses immer-für-sie-da-sein, diese übertriebene Fürsorge. Ob es am Altersunterschied liegt? Immerhin ist er über zehn Jahre länger auf dieser Welt als sie. Wenn sie zusammen sind, merkt sie nichts davon. Dazu ist er zu selbstbewusst, ohne eingebildet zu wirken und hat sich darüber hinaus etwas jungenhaftes, verrücktes bewahrt, trotz seiner 60 Jahre. Er ist geprägt durch seine Erziehung, seine Schul- und Studienzeit und eben seinem Leben in diesem Nachkriegsberlin. Natürlich hat er sich in den Jahren auch angepasst, steht aber immer noch zu seinen alten Idealen, im Gegensatz zu vielen seiner früheren Freunde, die die roten Fahnen gegen die Lifestyle-Symbole der Bildungsbürger eingetauscht haben, denen der wichtigste Rote Stern inzwischen der des geschätzten Mailänder Mineralwassers ist. Er hingegen ist noch nie den Oberschlauen gefolgt, bis heute nicht, hat immer seinen eigenen Kopf benutzt, braucht deshalb heute auch nichts rechtfertigen und keine neuen Standpunkte erklären. Das mag sie an ihm, auch, dass er die Dinge immer auf das wesentliche reduzieren, auf den Punkt bringen kann. Sicher hängt es auch mit seinem Beruf zusammen. Als Ingenieur ist er gewohnt, zu recherchieren, zu analysieren und methodisch zu agieren. Er beherrscht die Kunst der sachlichen Argumentation und ist jederzeit in der Lage, Rationalität von Emotionalität zu trennen. Im Prinzip tut er ihr gut, auch wenn er nicht da ist. Sie nimmt sich vor, ihm das bei Gelegenheit einmal zu sagen.
Inzwischen hat sie schon dreimal die Nummer ihres Vaters gewählt, keine Reaktion. Mama hat kein Handy. Sie schaut auf die Uhr über dem Kamin, eine alte italienische Wanduhr, die sie von ihrer Tante geerbt hat. Die Tante lebt noch, hat aber fast alles, was sie besitzt, an ihre Erben verschenkt. Sie wünscht Kontrolle darüber haben, dass wirklich alle das bekommen, was sie will. Und sie will keinen Streit darüber. Außer der Uhr stammen noch einige Möbelstücke und das gesamte Geschirr von Tante Giuliana.
Carla überlegt, ob sie im Hotel anrufen soll, es scheint ihr aber noch zu früh. Ihre Eltern steigen seit Jahrzehnten immer im "Monte Cristallo" ab, einem kleinen aber sehr gepflegten Haus mit nur 20 Betten. Dafür gibt es eine hervorragende Küche nur für Hotelgäste und die sind seit Jahren immer dieselben, jedenfalls zu bestimmten Jahreszeiten. Carla kennt die Hoteleigentümer gut, obwohl es Jahre her ist, dass sie dort wohnte.
Im Hotel wird immer um 19:00 Uhr zu Abend gegessen. Es ist jetzt 16:00 Uhr, ihre Eltern könnten also noch unterwegs sein. Sie weiß, das Mama sich auf jeden Fall vor dem Essen umziehen wird. Sie hat also noch zirka 2 Stunden Zeit.
Sie steht auf und geht in die Küche, um sich einen weiteren Tee aufzubrühen. Der erste hat sie etwas aufgewärmt. Sie trägt schwarze Leggins und einen großen grauen Pullover darüber. An den Füßen hat sie selbstgestrickte, bunt gestreifte Wollstrümpfe, die normalerweise bis übers Knie reichen. Jetzt sind sie heruntergerutscht und geben den Blick auf ihre ausgeprägten Waden frei. Um den Hals hat sie ein dunkelrotes Seidentuch geknotet. Der Tee ist fertig und sie überlegt kurz, ob sie sich etwas zu essen machen soll, aber sie weiß nicht was, hat keinen Appetit, auf nichts. Sie setzt sich wieder in ihren Lieblingssessel von Tante Giuliana, lehnt ihren Kopf nach hinten an und schließt die Augen.
Ihre Gedanken verlieren sich. Gerade fünf Jahre ist es her, dass sie Bruno beim Skifahren kennen gelernt hat. Sie wohnte damals noch in Innsbruck und hatte eine Anstellung an der Universitätsbibliothek. Nicht gerade ein Traumjob, aber er wurde gut bezahlt, und sie hatte relativ viel Freizeit. So konnte sie oft hinüber ins Stubaital fahren, meist mit ihrem alten Saab, wenn er nicht in der Werkstatt stand. Zur Not ging es auch mit dem Bus oder der Straßenbahn. Die fuhr allerdings nur bis Fulpmes. Bis zu ihrer kleinen Pension war es dann noch ein gutes Stück zu Fuß. Im Sommer kein Problem, im Winter schon eher aber es gab ja Taxis.
An einem Abend saß sie mit ein paar einheimischen Freunden beim Haffnerwirt. Sie hatten am Ende eines wunderschönen Skitages noch etwas getrunken. Die Gaststube war voll, einige Gäste saßen am Tresen und da saß er auch. Sie konnte ihn von der Seite sehen. Ziemlich groß, etwas nach vorne geneigt, den Bauchansatz konnte er nicht verbergen. Er hatte große gepflegte Hände, die genauso von der Frühjahrssonne gebräunt waren wie sein Gesicht. Sie schätzte ihn auf fünfzig. Eigentlich saß er nur da vor seinem Glas und blätterte in der Speisekarte, aber irgend etwas an ihm machte sie neugierig. Was er wohl für Augen hatte? Sie taxierte Menschen ausnahmslos über deren Augen. Die Freunde hatten sich inzwischen verabschiedet und sie überlegte, wie der Abend weitergehen sollte. Sie wollte noch nicht gehen, der Mann am Tresen wollte offensichtlich etwas essen, fand keinen Platz, und sie verspürte plötzlich Hunger.
Also war klar, wie es weitergehen sollte. Sie verrenkte sich beinahe den Hals aber offensichtlich verstand er ihre Zeichen nicht oder sah er nicht gut? Also stand sie auf und ging zu ihm hin:
"Tschuldigung, wenn du möchtest,... also an meinem Tisch ist gerade Platz geworden. Meine Freunde mussten weg und ich bleibe noch etwas. Das passt doch."
Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, stand etwas umständlich auf, griff nach seinem Glas, ließ die Speisekarte aber liegen und folgte ihr zum Tisch. Da saß er ihr nun gegenüber.
"Mein Name ist Bruno Hallstein, ich komme aus Berlin. Vielen Dank für Ihr Angebot. - Das ist immer das Problem, wenn man allein unterwegs ist. Man findet oft keinen Platz. Darf ich Sie zu einem Glas Wein einladen, sozusagen als kleines Dankeschön?"
"Gerne, aber in den Bergen duzt man sich."
Sie hielt ihm ihre Hand hin:
"Ich bin Carla, Carla Weißensee aus Innsbruck, und ich nehme gerne einen Grünen Veltliner. Der, den sie hier anbieten, ist aus dem Kamptal, falls dir das etwas sagt. Wenn du lieber einen Roten magst, empfehle ich dir einen Zweigelt. Oder gehörst du zu denen, die immer nur Italiener trinken?"
Es folgten noch einige Gläser an diesem Abend und seine anfängliche Förmlichkeit wich mehr und mehr dem Zweigelt, der ihm immer besser schmeckte. So erfuhr sie, dass er ein kleines Ingenieurbüro leitete, dass er schon seit fast fünfzig Jahren seinen Urlaub in Tirol verbrachte, seit einigen Jahren auch zum Skifahren hierher kam, meist über den Jahreswechsel und im Frühjahr. Während er so erzählte, hörte sie fast gar nicht mehr zu, sondern schaute ihn nur an. Er gefiel ihr, das wurde ihr schnell klar. Aber auch der Veltliner zeigte seine Wirkung. Sie winkten dem Kellner und bezahlten.
Draußen hatte es inzwischen angefangen zu schneien. Sie ging über die Straße, wo zwei rote VW-Busse vom ortsansässigen Taxiunternehmen Schmörl warteten. Er stapfte hinterher, obwohl er eigentlich in die andere Richtung musste. Er wollte sie unbedingt wiedersehen. Bevor sie ins Taxi einstieg, drehte sie sich noch einmal um.
"Vielen Dank Bruno, es war ein sehr schöner Abend. War doch gut, dass ich dich angesprochen habe, oder?"
"Kann ich dir erst sagen, wenn wir uns wiedersehen. Sagen wir morgen, wieder hier?"
"Morgen abend geht leider nicht, da muss ich spätestens um 20:00 Uhr in Innsbruck sein. Eine Freundin kommt zu Besuch und bleibt über Nacht. Aber wie wäre es morgen Vormittag zum Skifahren? Sagen wir 11:00 Uhr am Gamsgarten, Schirmbar?"
Die Antwort wartete sie gar nicht ab. Mit einem "Schlaf gut" hauchte sie ihm einen Kuss auf die linke Wange und noch bevor er überhaupt kapierte, stieg sie in den VW-Bus und war weg.
Ihr Kopf rutscht seitlich weg und ein Ruck geht durch ihren Körper. Carla ist sofort hellwach. Verdammt, eingeschlafen, denkt sie und schaut auf die Uhr. Es ist inzwischen 18:50 Uhr. Wenn sie Glück hat, kann sie ihre Eltern gerade noch auf dem Zimmer erwischen. Sie lässt das Telefon lange rufen und will gerade frustriert auflegen, als sich doch jemand meldet.
"Hotel Monte Cristallo, Sie sprechen mit Leni Hofer, was kann ich für Sie tun?"
Carla erkennt Lenis Stimme sofort.
"Hallo Leni, hier spricht Carla Weißensee, erinnerst du Dich? Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich wollte eigentlich nur meine Eltern sprechen aber sie sind scheinbar nicht auf dem Zimmer."
"Ja mei, Carla, sicher erinnere ich mich, solang ist das nun auch nicht her. Freut mich, dich zu hören. Du, wo deine Eltern sind, kann ich dir gar nicht sagen. Normalerweise würden sie längst zum Essen da sein. Ich habe sie heute morgen das letzte Mal gesehen. Soweit ich weiß, wollten sie zum Gletscher hoch, ist ja auch den ganzen Tag tolles Wetter gewesen. Kann ich was ausrichten, Sollen sie zurückrufen?"
"Das wäre ganz lieb Leni, ich bin den ganzen Abend zuhause. Sie können jederzeit anrufen."
Sie tauschen noch ein paar Erinnerungen und liebe Grüße aus und versprechen, sich möglichst bald mal wieder zu treffen. Nachdem sie das Telefon in die Station gestellt hat, kommt ihr plötzlich der Gedanke. Es fängt ganz langsam an, aber dann erkämpft sich dieses Gefühl mehr und mehr an Raum. Kubikzentimeter um Kubikzentimeter ergreift sie eine Unruhe und in ihrem Kopf kreisen Bilder von gestürzten und verletzten Menschen. Sie hört Schreie, Stöhnen, das Rufen von Rettungskräften. Dann blendet ihre Phantasie sogar einen Rettungshubschrauber ein.
Carla erhebt sich, schimpft sich halblaut selbst eine Idiotin, weil sie solche Gedanken zulässt, geht mit übertrieben energischen Schritten zum Eckschrank, auch ein Prachtstück von Tante Giuliana, und schenkt sich einen dreifachen Ramazotti ein.
* * *
Dienstag, 29. März 1955
Die Einladung bei Prof. R.v.C. war nicht ganz so erfolgreich für mich, wie ich es erhofft hatte. Er hat aufgrund seiner Vergangenheit nicht mehr den Einfluss an der Uni, wenn ich es recht verstanden habe. Irgendwas Politisches. Er war wohl mal ein hohes Tier im DuÖAV und wurde nach dem Krieg wegen seiner angeblichen Nähe zu den Nazis mit Vorlesungsverbot belegt. Er hat mir aber die ganze Zeit zu erklären versucht, dass der Alpenverein ohnehin stramm nationalistisch orientiert war, jedenfalls die entscheidenden Sektionen. Der sogenannte Arierparagraph wurde schon weit vor der Machtergreifung durch Hitler in die Satzungen aufgenommen, usw. Ist mir auch völlig egal. Mich interessiert nur mein Studium. Er versprach mir, dass er einige Kontakte aufnehmen wolle. Ich würde von ihm hören. Bin gespannt. Allzu lange kann ich nicht warten.
* * *
5
Bruno Hallstein ist gerade in Tegel ausgestiegen und auf dem Weg zu seiner Wohnung, als sein handy "in the mood" spielt. Es ist Carla. Das Gespräch dauert weniger als zwei Minuten und endet damit, dass er sauer ist. Sie hat ihre Verabredung abgesagt. Krank.
Na gut, wenn sie dafür auf den Film verzichtet, muss sie wirklich krank sein. Aber warum will sie mich nicht sehen? Ich könnte mich doch um sie kümmern, vielleicht etwas kochen oder einfach nur da sein.
Sie blockt ab, vertröstet ihn auf die nächsten Tage, wird sich melden. Er findet nicht mal Gelegenheit, gute Besserung zu wünschen.
Dann eben nicht. Blöde grüne Seife...
Er steckt das Handy weg, läuft aber nun nicht mehr zu seiner Wohnung, sondern kehrt um in Richtung Seepromenade. Die Sonne meint es für die Uhrzeit immer noch gut und er will in die "Mühle." Da kann er vielleicht noch draußen sitzen. Er geht hinüber auf die andere Straßenseite und läuft Alt-Tegel hinunter. Links und rechts wechseln sich Eisdielen mit Restaurants ab, hin und wieder ein Geschäft dazwischen. Obwohl es noch früh im Jahr ist, sitzen erstaunlich viele Menschen draußen. So etwas gab es früher nicht. Er ist in Tegel aufgewachsen und kann sich nicht an derart viele Straßencafés erinnern. Schon eher unten am Seeufer. Da war Sonntags sogar oft Tanz und es gab Cafés, wo man den eigenen Kuchen mitbringen durfte, nur der Kaffee musste bestellt werden. Er passiert die alte Dorfaue mit der Kirche und dem Kirchplatz davor. Hier sind seine Schwester und er getauft und konfirmiert worden. Die kleinen Kopfsteinpflasterstraßen sind vollgestellt mit parkenden Autos. Sie verhunzen das eigentlich wunderschöne Bild, das so gar nicht zu der großen Stadt Berlin passen will. Deshalb liebt er diesen Stadtteil auch so sehr. Er kennt keinen schöneren. Viele Menschen strömen ihm entgegen, wohl Hunderte, die wahrscheinlich allesamt mit den Fahrgastschiffen unterwegs waren und jetzt zur U-Bahn wollen.
Normalerweise starten die weißen Flotten erstmals zu Ostern. Das wäre in drei Wochen, aber durch den vorzeitigen Frühlingseinbruch wollen sich die Reeder das Geschäft nicht entgehen lassen und sind teilweise schon jetzt unterwegs. Es ist Freitag, 16:30 Uhr und durch das schöne Wetter noch sehr hell. Er ist an der "Mühle" angekommen, doch leider ist draußen alles besetzt. Der Wirt, ein alter Jugendfreund, hat für seine Gäste diese gasbetriebenen Heizpilze aufgestellt. Seit er die besitzt, kann sein Gastgarten sogar im Winter genutzt werden. Es sind auch nur Nichtraucher, die diese Heizkörper aus Umweltgründen wieder abschaffen wollen.
Drinnen findet Bruno einen Platz in einer etwas abseits gelegenen Ecke. Direkt gegenüber befindet sich ein alter weinroter Kachelofen, der im Winter regelmäßig beheizt wird. Jetzt ist er kalt. Es ist schon eigenartig, denkt er, drinnen wird Energie gespart und draußen verschwendet. Sekundenlang überlegt er hinauszugehen, um zu prüfen, ob es dort eventuell wärmer ist als hier drinnen, aber er belässt es bei dem Gedanken. Die Ecke ist gemütlich und als die Kellnerin an den Tisch tritt, wird ihm schlagartig warm. Er hat sie hier noch nie gesehen. Sie ist genau das, was er jetzt braucht.
"Haben Sie schon einen Getränkewunsch?" fragt ihn der Engel und reicht ihm eine in gelbem Leder gebundene Speisekarte.
Immerhin fragt sie in ganzen Sätzen.
Er bestellt einen doppelten Espresso. Sie wendet sich um und geht zum Tresen. Er blickt ihr nach, soweit es geht und genießt ihren Anblick, den kurzen grauen Rock und die dazu passenden Strümpfe in der gleichen Farbe. Gut, dass sie ihre Beine nicht in Hosen versteckt. Ihr schwingender Gang erinnert ihn an diese spindeldürren Models, die man öfter im Fernsehen sieht. Die hier ist aber nicht spindeldürr, macht eher einen athletischen Eindruck. Als sie ihm den Kaffee bringt, kann er sie auch von vorn genauer betrachten. Es gefällt ihm schon sehr, auch das, was oberhalb der Gürtellinie zu sehen ist. Die oberen drei Knöpfe ihrer schwarzen Bluse sind offen und genau da, wo sich sein Blick fokussiert, glänzt ein goldenes Kettchen mit einem Kreuz.
"Haben Sie schon etwas gefunden, Herr Hallstein?", fragt der Engel und verzieht keine Miene.
"Woher kennen Sie meinen Namen?"
Bruno ist überrascht.
Sie erklärt es ihm. Sie ist die Tochter des Wirtes, seines Freundes Harry, wohnt und studiert in München und hat Semesterferien. Er erinnert sich an ein kleines, dickliches, blondes Mädchen, dass völlig gehemmt war und ihm selbst im Beisein ihrer Mutter nicht mal die Hand geben wollte. Das ist bestimmt zwanzig Jahre her. Harry ist schon 12 Jahre geschieden, hatte von seiner Tochter lange nichts gehört, bis sie vor drei Jahren hier auftauchte, um ihren Vater zu sehen. Seitdem kommt sie regelmäßig nach Berlin aber Bruno sieht sie heute zum ersten Mal. Er hätte sie auch nicht erkannt.
"Du hast dich aber verändert, bis auf die Haarfarbe."
Na, da ist mir ja was ganz Schlaues eingefallen.
"Das nenne ich Glück."
Sie lacht und nimmt dann seine Bestellung auf, von der Tageskarte das gegrillte Lamm mit Bohnen und Röstkartoffeln. Dazu genehmigt er sich ein Glas Spätburgunder. Christine, genannt Tina, spendiert ihm noch ein Lächeln und entschwindet mit ihrem Supermodelgang. Bruno ist etwas deprimiert. Für dieses knackige Mädchen ist er einfach zu alt, könnte der Vater sein, und seine große Liebe hat ihn heute Nachmittag abblitzen lassen. Die Welt ist schlecht und ungerecht denkt er beim ersten Schluck. Das Essen kommt und er muss ein zweites Glas haben, sonst ist das nicht auszuhalten. Langsam fasst er wieder Mut, schließlich ist seine Carla die schönste und beste Frau der Welt, wenn sie es nur zuließe. Er isst sehr bedächtig und genießt das zarte Fleisch, dass auf den Punkt so gegart ist, wie er es mag. Als er den Teller leergeputzt hat, ist er mit sich und der Welt wieder einigermaßen im reinen. Es gibt eben doch ein Leben außerhalb der Geschlechterbeziehungen. Essen und Trinken als Erotikersatz.
Er hat das dritte Glas Spätburgunder vor sich stehen, als sich Harry an seinen Tisch setzt. Die Begrüßung zwischen beiden fällt so aus, als hätten sie sich heute schon gesehen. Dabei ist Bruno bestimmt die letzten drei Wochen nicht hier gewesen und Harry verlässt sein Lokal so gut wie nie. Er ruft nach seiner Tochter.
"Bring mir bitte auch ein Glas."
"Lange nicht gesehen, alte Socke. Aber Deine Tochter hat dich gut vertreten, habe dich nicht vermisst."
"Sieht ja auch besser aus als ich. Leider ist sie schon vergeben, an so einen komischen sizilianischen Kauz, studiert irgendwas mit Vulkanologie. Hängt auch ewig am Ätna rum und wertet tage- und wochenlang Daten aus. Aus meiner Sicht brotlose Kunst. Tina würde gerne mit ihm nach Italien gehen aber sie findet dort keinen geeigneten Studienplatz. Zum Glück. Bei den Mafiosi weiß man doch nie."
Harry haut gerne solche Sprüche raus, dabei hat er jahrelang voller Überzeugung in Kreuzberg gewohnt, ohne dass er je Probleme mit Ausländern hatte. Aber bei Tina gilt eine andere Toleranzgrenze. Die will er in vertrauensvollen und zuverlässigen Händen wissen, man kann fast sagen, das hat schon was türkisches. Tina kann froh sein, das sie nicht noch zwei Brüder hat. Dann Gute Nacht, lieber Sizilianer. Und man muss wissen, Tina hat rein gar nichts von ihrem Vater, jedenfalls äußerlich. Da, wo seine Tochter eine blonde, ziemlich wilde Mähne besitzt, glänzt bei Harry eine Glatze. Die paar Haare, die er noch hat, sind grau. Auch seine Figur und sein Gang sind weit von der Eleganz entfernt, die Tina so gekonnt auf das Parkett bringt. Gegen Harry fühlt sich Bruno schlank und dynamisch, jetzt nach dem dritten Glas mindestens 10 Jahre jünger.
* * *
Freitag, 12. April 1955
War über Ostern bei meinen Eltern in Brixen. Als ich heute morgen zurückkam lag auf dem Tisch meines Zimmers ein Brief, Absender Prof. R.v.C. Er hat mit einem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter, dessen Doktorvater er war, gesprochen.
Dr. Rohrmann ist inzwischen Assistent der Geschäftsleitung der Kallmeyer AG und wird mir helfen. Ich solle mich gedulden und unbedingt in den Alpenverein eintreten. Dort würde ich weitere wichtige Leute kennen lernen, insbesondere in der Sektion Oberland.
Ich werde am Wochenende mit ein paar Freunden ins Wipptal fahren. Wollen dort ein wenig wandern und das schöne Wetter genießen. Ich hoffe, dass mich das ein wenig von meiner Situation ablenkt. Die Ungewissheit ist fast unerträglich und diese Menschen, die helfen sollen, sind mir mit ihrer Vergangenheit ein Gräuel. Wäre ich doch bloß schon angenommen. Mein Vater hat mir erzählt, dass gerade im deutsch-österreichischen Alpenverein sehr früh nationalistische und judenfeindliche Kräfte das Sagen hatten. Mich interessiert das nicht besonders. Ich fürchte nur, dass sich in der heutigen Zeit solcherlei Beziehungen eher negativ auswirken. Aber ich bin auf Unterstützung angewiesen. Nächste Woche werde ich Dr. Rohrmann direkt aufsuchen, er ist noch sehr jung und wird keine Nazivergangenheit haben.
* * *
6
Bruno Hallstein ist den Weg nach Hause zu Fuß gegangen. Jetzt steigt er die zwei Treppen zu seiner Wohnung hoch und ist etwas erstaunt, noch so fit zu sein. Was so ein Spaziergang doch ausmacht. Die Gedanken kreisen noch immer um das junge Mädchen, um Tina. Wie doch die jungen Dinger heranwachsen. Ratzfatz und man ist alt. Der Lack ist ab, wie sein Vater zu sagen pflegte. Noch gar nicht so lange her, da gehörte er selber zu den Jugendlichen, und so ein Mädchen wie Tina hätte er sofort angebaggert.
Die hätte gar keine Chance gehabt, mir zu entgehen - oder so gut wie keine.
Irgendwie weiß er aber auch, solche jungen Frauen wie heute, gab es zu seiner Zeit nicht, zumindest hatte er sie nicht kennen gelernt. Die sind heute viel freier, nicht so verklemmt. Sie tragen sich so selbstbewusst zur Schau, ohne dabei billig zu wirken und genau das ist es, was ihn irritiert.
Denk mal nur an das junge Mädchen mit dem Handy, heute in der U-Bahn.
Wenn zu seiner Zeit Mädchen so aufgetreten sind, war das Urteil schnell zur Hand: Nutte!
Wie bekloppt waren wir eigentlich mit achtzehn oder zwanzig? Wahrscheinlich hätte ich mich an so eine wie Tina gar nicht rangetraut...
Vier Viertel Spätburgunder haben ihn in eine eigenartige Stimmung versetzt, halb Melancholie, halb "Jetzt geht 's los", sozusagen Hybridstimmung. Er kramt in seiner CD-Sammlung und entscheidet sich für Hubert von Goisern und seine Alpinkatzen.
In der Küche steht noch eine angefangene Flasche Chianti aber sein Blick fällt auf die neue Kaffeemaschine, die er sich erst zu Weihnachten zugelegt hat. Ein echt italienisches Exemplar, sündhaft teuer und für seinen Einpersonenhaushalt völlig überdimensioniert. Aber das ist ihm vor dem schnöseligen Verkäufer scheißegal gewesen. Er stellt eine Tasse zurecht, drückt die Taste für doppelten Espresso und wartet die fauchende Produktion seines Lieblingskaffees ab.
Hubert und Sabine tragen gerade das traurig schöne "Weit, weit weg von dir" vor und Bruno versinkt in sehnsuchtsvolle Gedanken. Carla wird schon wissen, was sie tut. Wenn sie ihn nicht will - nun, es gibt andere Frauen. Wenn er bloß ein paar Jahre jünger wäre, nur ein paar. Er singt leise mit "heast das nit, wia die Zeit vergeht?" Das mit den Jodeleinlagen lässt er sicherheitshalber weg. "Die Jungen san alt gworn und die Alten san gstorbn..."
Er entscheidet sich für den Rest Chianti und dabei kommt ihm die Idee. Seine "beste Freundin" Anna anmailen und fragen, ob sie für die nächsten 10 Tage noch ein Zimmer frei hat. Skifahren wäre jetzt das einzig wahre. Sein PC ist tagsüber immer im Stand-by-Modus, da ihn das lange Hochfahren nervt. Bis der Virenscanner seinen Job erledigt hat, vergehen Ewigkeiten und ehe dann alle Dienste gestartet sind und die komplette Graphik aufgebaut ist, dauert es noch mal. Er sollte sich vielleicht auch mal was neues zulegen. Seit er sein Ingenieurbüro aufgegeben hat, hat er nicht wieder in Hardware investiert. Dabei gibt es jetzt so schicke superflache Notebooks im Aluminiumgehäuse...
pension-walderhof@stubaital.at
Liebe Anna,
lange nichts von Dir gehört. Muss Dich unbedingt sehen und träume von einer Skitour. Wenn Du für Deinen lieben Bruno ein Zimmer für 10 bis 12 Tage frei hast, melde Dich bitte. Ich fange schon mal an zu packen.
Bis bald
Bruno
Er hat es endlich geschafft, keine Schreibfehler mehr und ab geht sie, die mail. Er ist fast euphorisch und trinkt den Rest Chianti genüsslich aus. Beim Blick auf die Uhr wird im allerdings klar, dass er heute mit keiner Antwort mehr rechnen kann. Um die Zeit schläft Anna ihren Schönheitsschlaf.
Au Backe, schon nach 12, ich werde jetzt auch mal in die Koje, packen kann ich morgen früh.
Der Rufton ist brutal und holt ihn aus dem Tiefschlaf. Es ist das erste Mal, seit er ein Telefon am Bett zu stehen hat, dass ihn jemand während der Nachtzeit anruft. Grund genug, das Ding wieder aus dem Schlafzimmer zu verbannen oder wenigstens einen anderen Klingelton zu wählen, auch viel, viel leiser. Was kann denn schon so wichtig sein? Fehlt nur noch: verwählt! Er grunzt mehr als dass er spricht.
"Hallstein, kurz nach Mitternacht!"
"Hallo Bruno, entschuldige den späten Anruf, aber ich habe tierische Angst. Ich glaube, dass meine Eltern verunglückt sind. Leni hat gerade angerufen und gesagt, dass die Bergrettung die Suche abgebrochen hat. Du kennst doch Leni, erinnerst du dich? Ich muss sofort – "
Bruno versteht nichts, ist noch gar nicht richtig da. Das einzige, was er geschnallt hat ist, dass Carla am anderen Ende ziemlich aufgeregt alles auf einmal mitteilen will. Er bittet sie, der Reihe nach zu erzählen, vor allen Dingen, sich erst einmal zu beruhigen. Sie ist augenblicklich still. Auf seine Frage, was denn nun eigentlich passiert sei, antwortet sie nicht gleich. Er merkt, dass sie weint. Offensichtlich ist sie völlig von der Rolle. Nach fünf Minuten hat er aber so viel erfahren:
1 Carlas Eltern waren heute auf einer Wanderung unterwegs, angeblich am Stubaier Gletscher. Ob das stimmt, weiß aber keiner so genau.
2 Sie sind nicht zum Abendessen erschienen, ein für sie unnormales Verhalten. Ohne vorher Bescheid zu sagen, würden sie niemals wegbleiben.
3 Sie sind den ganzen Tag offensichtlich nirgendwo eingekehrt. Man hat überall angerufen, niemand konnte sich an sie erinnern.
4 Die Bergwacht wurde abends um 21:00 Uhr alarmiert, nachdem man immer noch nichts von ihnen gehört hatte.
5 Um 23:00 Uhr hat man die Suche abgebrochen. Es war in der Dunkelheit viel zu gefährlich und nicht effektiv. Man will morgen früh sofort den Hubschrauber einsetzen.
6 Kein Erfolg beim Telefonieren. Carlas Vater hat entweder sein Handy ausgeschaltet oder der Akku ist leer. Auf jeden Fall meldet sich sofort die Mailbox.
"Bruno, ich muss sofort dorthin. Sei mir nicht böse, wegen morgen. Aber das geht jetzt vor. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl, es ist bestimmt etwas Schreckliches passiert."
"Carla nun bleib doch mal ruhig! Was willst du denn um die Uhrzeit machen? Du kannst doch sowieso nicht helfen. Willst du jetzt mit dem Auto los? Du bist nicht ausgeschlafen, bist ohnehin krank und dann allein die lange Fahrt? Damit du dann auch noch verunglückst? Du spinnst ja! Pass auf, ich mache dir einen Vorschlag. Wir gehen jetzt schlafen, damit wir morgen ausgeruht sind. Ich hole dich um 8:00 Uhr zuhause ab und dann fahren wir gemeinsam mit dem Auto runter. Ich habe sowieso vor, ein paar Tage Ski zu fahren, habe gerade vorhin gebucht. Ist das OK?"
Carla mault noch ein wenig, würde lieber gleich fahren oder wenigstens schon um 6:00 Uhr, lässt sich aber schließlich doch auf seinen Vorschlag ein.
"Aber 8:00 Uhr bei mir, verstanden?"