Читать книгу Zwischen Unabhängigkeit und Ordnungsfunktion - Jürgen Mietz - Страница 9

Оглавление

diesem System. Psychologen könnte es anders ergehen. Sie bringen eine andere Berufssozialisation mit. Um Beratungsanlässe und -verläufe nicht im schulzweckorientierten Sinn engzuführen, bedarf es hoher Aufmerksamkeit für den „Gewinn der Differenz“. Anderenfalls könnte Beratung als Fortsetzung von Schule mit anderen (manipulativen) Mitteln empfunden werden. Das hätte schwerwiegende Folgen für die Kooperationsbeziehungen, für das Vertrauen und für die Wahrnehmung der Beratung in der (Schul-) Öffentlichkeit.

Tendenzen der Deprofessionalisierung

Wenn eine Behörde ein verzweigtes Förder-Optimierungssystem einrichtet, entstehen Abgrenzungs-, Zuweisungs- und Steuerungsnotwendigkeiten. An freier, ergebnisoffener Beratung hat sie weniger Interesse. Einem Verständnis von Beratung als Steuerung stehen Psychologen und weitergebildete Beraterinnen in der Tendenz eher fern, sodass sie leicht als widerständig und subversiv erscheinen mögen. Im ungünstigen Fall könnte ein derartiger Konflikt durch eine Organisationsveränderung „aufgelöst“ werden.

So, oder so ähnlich könnte es in Hamburg bei der Neuorganisation der Schulberatung im Jahre 2000 – in Verbindung mit anderen schulischen Problemlagen (die Verhaltensgestörtenschulen sollten aufgelöst werden, die Lehrer brauchten zum Teil einen neuen Arbeitsort, Schulpsycholog/inn/en galten als schlecht erreichbar) – gegangen sein. Seinerzeit wurden Lehrer und Sonderpädagogen durch die Neugründung einer Organisation gleichsam zu Beratern. Es blieb nicht aus, dass Berufsgruppen, wie die Schulpsychologen und professionell Beratende, die auf Grundprinzipien der Beratung bestanden, ins Abseits gerieten. Die spätere Praxis hielt mit den guten Vorsätzen und Papieren der Gründungsphase nicht mit. Von einer „(Sonder-) Pädgogisierung“ der Beratung war die Rede. Die administrativen Aufgaben nahmen zu.

Ein Schub für Deprofessionalisierung der Beratung kann allerdings auch von „klassischen“ Berufsgruppen professioneller Beratung ausgehen. Psychologinnen und Psychologen treten nach dem Studium möglicherweise mit weniger Beratungsknow-how und weniger definiertem Beratungsinteresse ihre Arbeit an. Gemeint ist hier, was schon häufiger an Kritik zu hören ist: Die Ausbildung im Psychologiestudium sei verschult, technokratisch, testlastig, weniger auf Persönlichkeits- und Subjektentwicklung und Kenntnis ihrer Rahmenbedingungen angelegt als das in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag[Fußnote 4].

Folge solcher Entwicklungen ist, dass ein Reflexionsprozess über Beratung und ihre Rahmenbedingungen in behördennahen Beratungsorganisationen schwerer wird. Die Wirkungen der Institution und der Institutionsdynamiken auf die Beratung treten kaum ins Bewusstsein – eine systematische Unterschätzung der Kontexte beratender Arbeit findet statt. Denkbar, dass das billigend in Kauf genommen wird oder gar gewollt ist. Postdemokratie und Entfesselung der Wirtschaft haben vermutlich viele Gesichter. Wie

Zwischen Unabhängigkeit und Ordnungsfunktion

Подняться наверх