Читать книгу KÄMPFE FÜR DEIN ZIEL - Jürgen Recha - Страница 9
ОглавлениеLauftreff
Es war auch eines der letzten Male, wo ich mich noch in der Gruppe versteckt habe. Erstens ist das nicht mein Charakter als bekennender Sanguiniker und zweitens wurde ich zunehmend vorzeigewürdig. Das dauerte aber noch einige Zeit. Mein erster Lauf war ganze 500 Meter lang, mehr ging nicht. Das hatte ich aber auch selber zu verantworten. Ich war viel zu schnell. Als die anderen mich dann eingefangen haben, gab es den ersten berechtigten Dämpfer meiner neuen Lauffreunde. Mir wurde Michaele als Instruktor beigestellt. Da Michaele bekannt ist als durchgreifende Lehrerin, wagte ich nicht, ihr zu widersprechen, geschweige, einmal schneller zu laufen, als sie vorgab. Und so liefen wir immer ein kleines Stückchen sehr langsam, dann gingen wir, dann wieder laufen und immer so weiter. Sonntags ging ich zum Lauftreff, um unter Anweisung zu laufen, und in der Woche wiederholte ich diese Übung noch zweimal. Die Technik der langsamen Steigerung funktioniert. Man gewöhnt langsam den Körper an die neue Situation, fühlt sich nicht zu angestrengt. Die Endorphine haben ausreichend Chance, sich darzustellen, und werden nicht durch Schmerzen, Unwohlsein oder ärztliches KO unterdrückt. Ich sehe das heute als optimale Grundtechnik, um aus einem Nichtsportler einen Läufer zu machen. Jahre später habe ich Kurse geleitet, die genau darauf abgestellt waren. Der 10WochenAnfängerkurs führt die Teilnehmer ihrer Konstitution entsprechend ganz langsam an das Ziel. Anfänglich im maximal 2MinutenTakt. Die begleitenden erfahrenen Läufer haben nur die Aufgabe, die Anfänger zu bremsen und an die richtige Geschwindigkeit zu halten. Am letzten Tag des 1OWochenKurses laufen dann alle Teilnehmer, die durchgehalten haben, 30 Minuten ohne Pause. Anfangs schafften die meisten gerade mal zwei Minuten. Das ist eine Konditionssteigerung von 1.500 Prozent. Nach dieser Phase können sie losgelassen werden. Der Körper hat sich umgestellt und die neuen Sportler lernen zunehmend, was sie sich zutrauen können.
Ich selber wurde nun nicht nur Schritt für Schritt ein Läufer, sondern auch die Essenseinnahme veränderte sich. Vor meiner Wandlung hätte ich permanent gerechnet, wie viele Kalorien ich durch die letzte Bewegung verbraucht habe, um diese dann kurzfristig wieder durch Gegrilltes aufzufüllen. Ganz nach dem Motto, „Ich habe es mir verdient.“ Nach dieser Technik arbeiten leider viele, und das ist das Dümmste, was man machen kann. Man kämpft sich über die Wege, schwitzt und fragt sich, warum man gerade heute nicht einfach zu Hause geblieben ist. Kaum in der Duftzone des heimischen Herdes angekommen, stopft man sich alles rein, was innerhalb von Sekunden in den Mund reinzuschieben ist. Von Kuchen über eine kalte Frikadelle, gekrönt von einer halben Tafel Schokolade. Toll, das ganze Training und Schwitzen war dann für die Katz gewesen. Aus mir heute immer noch nicht wirklich zu erklärenden Ursache hatte ich diesen Bedarf in meiner Revitalisierungsphase nicht. Sicherlich wurde diese Abstinenz auch durch die Tatsache gefördert, dass wir zwei fleischfressende Pflanzen als Söhne haben. Da gibt es keine kalte Frikadelle im Kühlschrank und schon gar nicht eine halbe Tafel Schokolade. Ich möchte alle die beruhigen, die ab und zu diesen Essattacken aber unterliegen. Auch ich verfalle heutzutage gelegentlich dieser blöden Sucht.
An den Sonntagen liefen wir von unserem Treffpunkt, dem Halderner Fußballstadion, zu einem Baggerloch. An diesem „Reeser Meer“ angekommen, führte einer von den erfahrenen Läufern ein Warmup-Programm durch. Diese Dehnübungen tun einem nicht nur gut, sondern ich stellte jedes Mal fest, dass ich beweglicher wurde. Ich kam immer tiefer mit den Händen zum Boden und ich konnte meine Oberschenkel immer weiter dehnen. Über diese Dehnübungen wird viel in der Fachliteratur geschrieben. Die einen sagen, dass es nichts bringt, die anderen behaupten, dass es das Wichtigste überhaupt ist. Dann gibt es die Fraktion, die schreibt, dass nur nach dem Lauf gedehnt werden soll. Die andere dagegen schwört auf Dehnen vor und nach dem Laufen. Zwei Fakten haben mich dazu gebracht, die bekannten Dehnübungen bei meinem Training immer einzubauen. Erstens, das richtige Dehnen schadet dem Körper nicht, und zweitens, es muss jeder für sich selbst eruieren, ob es einem gut tut. Ich mache mich immer erst warm, dann Dehnen, dann Training, dann langsames CoolDown und zum Schluss noch mal Dehnen. Das Anfangsdehnen bewirkt bei mir ein lockeres Laufen und nach dem Enddehnen kommt seltener Muskelkater auf mich zu. So ist das bei mir, was aber nicht für jeden gelten muss.
Wenn wir dann sonntags eben dieses Warmup beendet haben, liefen die meisten den rechten Weg. Dieser führt auf einer 10kmStrecke rund um diesen idyllischen See. Ich dagegen nahm mit meiner Trainerin Michaele und anderen Anfängern den linken Weg. Dieser führte 5 km durch die niederrheinische Landschaft bis zurück an das Stadion. Die rechts herum liefen, waren für mich Götter. Mann, was muss der da oben denen mitgegeben haben, dass man es schafft, ganze zehn km ohne Pause zu laufen. Ich hatte einen Riesenrespekt vor ihnen. Aus der Vergangenheit kannte ich die Strecke. Ich war sie mal mit dem Rad abgefahren und fand die Runde unendlich lang. Doch je mehr ich trainierte, umso mehr kam der Gedanke, dass ich das auch irgendwann mal schaffe.
Meine ersten Literatureinkäufe stärkten noch mehr meine Zielvorstellung. Da beschreiben Dr. Ulrich Strunz und Herbert Steffny in ihren Büchern, wie man mit viel Training, aber eben noch viel mehr Überzeugung und Wille, seine ersten 10 km schaffen kann. Sprüche wie „Das Leicht-Lauf-Programm“, „Ihr Start in ein neues Leben“ oder „Forever Young“ animierten mich extrem. Das wollte ich unbedingt und mir wurde zunehmend bewusst, ich schaffe es auch. Denn schließlich habe ich auch den härtesten Schritt schon souverän gemeistert. Ich habe vor zwei Monaten mit den Laufen angefangen.
Und dann kam der Tag, an dem ich entschied, ich laufe mit den anderen. Da ich noch nicht soweit war, um in einem Schwung um das Reeser Meer zu laufen, teilte ich mit, dass ich immer so lange mitlaufe, wie ich es kann, dann eine Gehpause mache und anschließend langsam bis zum Ziel weiterlaufe. Beim ersten Mal kam ich nicht einmal bis zur magischen Grenze von 5 km, die die Frage noch mitbrachte, ob ich nicht einfach umdrehen sollte. Ich habe es nicht getan. Ich wollte wissen, wie lang 10 km sind. Rational Denkende würden jetzt sagen, dass es genau 10.000 Meter sind. Ich wollte aber wissen, wie schrecklich lange ich dafür brauche und damit die Gewissheit, dass ich das nächste Mal nicht so lange brauche. Die benötigte Zeit würde dann von Woche zu Woche kürzer und damit angenehmer. Eines Sonntags, die Gruppe der Götter hatte sich mittlerweile wieder von mir abgesetzt und ich hatte meine Gehpause beendet und lief somit langsam weiter, da kam mir ein Radfahrer entgegen. Der meinte doch tatsächlich zu mir, dass die anderen aber schneller wären, und deutete auf die noch so eben zu identifizierenden Laufkollegen einige Entfernung vor uns. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, denn schließlich schaffte ich mittlerweile schon 6 km an einem Stück. Also sagte ich nur kurz und knapp zu ihm, dass die Gruppe da vor uns auch erst auf ihrer ersten Runde wäre. Der ältere Herr staunte nicht schlecht und ich lief innerlich lachend weiter. Diese lustige und nicht gelogene Einlage stimmte mich fröhlich und so lief ich locker und entspannt bis an das Ziel. Genau eine Woche später wollte ich bei Kilometer 7 aufhören. Ich hatte mein Limit erreicht. Da überredeten meine beiden hochgeschätzten Laufkollegen Willi und Karl mich, weiterzulaufen. Sie würden auch an Geschwindigkeit herausnehmen und dann würde ich es schaffen. Sie sagten nicht, ich könnte es schaffen, sondern dass ich es schaffe. Keine andere Möglichkeit. Und so lief ich mit denen weiter und weiter. Dass sie zwar anfangs das Tempo herausgenommen, es dann aber langsam wieder hochgeschraubt haben, habe ich nicht bemerkt. Bei mir fing sich der Himmel des viel zitierten Runner’s High an zu öffnen. Nach 10 km ohne Pause angekommen, kam eine dermaßen große Endorphindusche auf mich nieder, dass ich alles um mich vergaß. Ich konnte es nicht glauben. Nach nicht einmal ganz neun Wochen hatte ich es von einem Krankenbett für hoffnungslose Fälle zu einem 1OkmLauf geschafft. Als ich nach Hause kam, erzählte meine Frau mir, bevor ich ihr von meinem Erfolg schildern konnte, dass einer aus unserem Dorf gestorben war. Diesen älteren Herrn kannte man. Ich war aber so dermaßen voller Glückshormone, dass ich nur sagen konnte: „Der war ja schließlich auch schon alt.“ Diese makabre Einstellung war zwar in der Situation nicht gut, aber zeigte, welche extrem positive Beeinflussung Erfolge auf das Gemüt eines Menschen haben.
Der erste Wettkampf
Eines meiner größten Vorbilder in dieser Zeit und bis heute noch, ist mein Freund Karl. Karl ist Baujahr 1935 und somit schlappe 31 Jahre älter als ich. Karl vergleiche ich gerne mit dem charismatischen Sean Connery. Dieser ehemalige James-Bond-Darsteller strahlt Weisheit und Ruhe aus. Da Sir Sean Connery ganze fünf Jahre älter als mein Karl ist, gehe ich davon aus, dass Karl ein Neffe oder Cousin von dem Schotten ist. Zumal Karl eine lange Zeit im Ausland gelebt hat und ich nicht wirklich weiß, was er da getan hat. Auf alle Fälle spricht Karl perfekt Englisch, was meine Theorie unterstützt. Ansonsten hätte ich behauptet, dass Sean Connery von Karl gelernt hätte.
Karl läuft wie eine Nähmaschine, fährt Rad wie eine Bergziege und schwimmt so schnell, dass ich anfangs geglaubt habe, dass er Johnny Weissmüller trainiert hat. Aber das passt auch nicht, da der Tarzan-Darsteller 1904 geboren wurde. Wer neben Karl läuft, erfährt ganz besinnlich immer etwas Neues über richtige Ernährung, die entscheidenden Tipps für die Wettkampfvorbereitung oder aber, welche Bewegungstechnik er gerade einübt. Aber dies erzählt er nur, wenn man es sich verdient hat. Er redet nur darüber, wenn man auch so richtig interessiert ist. Es tut so unendlich gut, Karl zuzuhören. Eines Sonntags sagte Karl, der 2005 bereits 70 Lenze auf dem Läuferrücken hatte, dass er auf mich sehr stolz wäre. So was sagt einer, der zu diesem Zeitpunkt nicht nur fast doppelt so alt wie ich ist, sondern rechnerisch auch 400 Mal mehr Sporterfahrung als ich hat. Ich schaute ihn recht verblüfft an. Hat der bekennende Antialkoholiker jetzt doch heimlich eine ganze Packung Mon Cherie gegessen? Mein verblüfftes Gesicht brachte ihn zum Grinsen. Damit ich nicht auch noch die Konzentration für das Laufen verlor und stolperte, löste er schnell die Verwunderung auf. „Mensch, Jürgen, jetzt bist du fast drei Monate bei uns und ich weiß noch, wie du beim ersten Lauf ausgesehen hast. Kein Vergleich zu heute. Wie viele Kilos haste denn jetzt runter?“, fragte er mich noch. Sehr stolz teilte ich ihm mit, dass es mittlerweile fast 25 Kilogramm waren. Karl erläuterte mir darauf eine Visualisierung, die mich danach noch lange begleitet hat. „Stell dir mal vor, du läufst hier lang und an jeder Hand hältst du einen 1OLiterEimer, die beide voll mit Wasser gefüllt sind. Dann hast du noch nicht einmal so viel Gewichtsunterschied wie das, was du da geschafft hast. Könntest du jetzt mit den beiden Eimern laufen? Ich glaube nicht. Es ist nicht vorstellbar. Und du haust da mal eben in drei Monaten noch viel mehr von deinem Körper weg.“ Das gab mir Ansporn zu viel mehr.
So dauerte es nicht lange, und ich wurde heiß auf ein Rennen. Überall in den Dörfern und Städten gibt es von den Lauftreffs organisierte Volksläufe. Da wurden Wettkämpfe von 5 bis 10, manchmal sogar 21 Kilometern angeboten. Die sogenannten Jedermann-Läufe hießen so, weil da eben jeder mitlaufen kann. Ob alt, ob jung, langsam oder schnell. Zwar kriegen nur die ganz Schnellen einen Pokal und werden auch gefeiert, aber die Strecke und der Zieleinlauf bleibt so lange offen, bis der letzte angekommen ist. In unserer Nachbargemeinde, der Stadt Hamminkeln, findet im August eben so ein Volkslauf statt. Da wollte ich meinen ersten Wettkampf bestreiten. Die Strecke von 5 km müsste hier ausreichen, um das erste Mal das von den anderen so toll beschriebene Wettkampffieber zu genießen. So ging ich morgens in die Startaufstellung. Ich hatte mir hier eine Taktik ausgedacht, die zu diesem Zeitpunkt Gold wert war. Ich wollte als Letzter starten. Zwar gab das am Anfang ein doofes Bild, aber ich hatte keine Gefahr, überholt zu werden, und vielleicht konnte ich so einige selber überholen. Nach dem Startschuss wusste ich, dass ein Wettkampf seine eigenen Gesetze hat. Viel zu schnell bin ich angelaufen. Und dies nur, um den Anschluss an den Vorletzten zu halten. Ich schaffte es sogar, einige Zeit neben ihm zu laufen. Doch plötzlich piepte meine Pulsuhr und ganz verstohlen schaute ich drauf. Bereits nach zwei Kilometern hatte ich meinen Maximal-Puls erreicht. Mein Mitläufer schaute fragend in mein rotes Gesicht. Ganz verstohlen antwortete ich ihm, dass dies mein Minimalpuls sei und ich müsste etwas schneller laufen, damit ich nicht darunter komme. Ob er mir das abgenommen hat, bezweifle ich aber, denn kurz danach zog der Angeber an und ich konnte nicht mithalten. In der Zieleinlaufliste konnte man dann nachher lesen, dass der Läufer vor mir bereits 78 Jahre alt war.