Читать книгу Seemannsschicksale unter Segeln - Jürgen Ruszkowsi (Hrsg.) - Страница 6
Alfred Tetens, der Nautiker
ОглавлениеMein ungestümer Hang zur Seefahrt hatte durch meine bisherige seemännische Tätigkeit wohl eine gewisse Befriedigung gefunden, und meine Anschauungen waren jetzt von allem phantastischen Ballast befreit. Klar und deutlich lag mein Lebensweg vor mir. Es bedurfte nicht des väterlichen Ausspruchs: Junge sei vernünftig! Was man sein will, muss man ganz sein! Nur zu klar hatte ich bereits erkannt, dass es unmöglich sei, ohne wissenschaftliches Studium das mir gesteckte Ziel zu erreichen. Die physische Kraft, die tüchtigste Praxis ist der durch Forschertrieb immer mehr ausgebildeten Theorie unterstellt und nur, wo sie beide Hand in Hand gehen, ist ein gedeihliches Wirken möglich.
Als Reeder würde ich mein Schiff niemals einem Kapitän anvertrauen, der nicht im Stande wäre, auch die unbedeutendsten praktischen Arbeiten an Bord selbst auszuführen. Glücklicherweisen hält ja unsere sich täglich mehr entwickelnde Seemannsausbildung an dieser Grundidee fest. Die segensreichste Ernte wird dieser Aussaat folgen. Sie wird den guten Ruf, den sich der deutsche Seemann vermöge seiner vortrefflichen Charakteranlagen bei allen Schifffahrt treibenden Völkern der Erde langsam und mühevoll erworben, immer mehr befestigen und stärken.
Während eines Jahres besuchte ich nun die Navigationsschule in Altona. Sehr bald gewann ich das anfangs trocken erscheinende Studium lieb. Je weiter sich mein Blick erschloss, desto größer wurde meine Wissbegierde. Übrigens galt es während dieses Zeitraumes sehr vieles zu erlernen, und wenn ich hier die hauptsächlichsten Gegenstände anführe, so geschieht es nur, um dem eingeweihten Leser manches fernere Vorkommnis anschaulicher darstellen zu können. Die unter dem Vorsitz eines höheren dänischen Marineoffiziers gebildete Prüfungskommission begann am 4. Dezember 1855 ihre Examina über:
Kenntnis aller Zirkel, die man sich auf der Himmelskugel denkt; von der eigenen Bewegung des Mondes und der Planeten, von dem Zusammenhange zwischen der Uhrzeit und der Länge auf der Erde; von der wahren Sonnenzeit, Mittelzeit und der Zeitgleichung; von der Einrichtung des Nautical-Almanachs und der Planet-Tabellen. Vollständige Kenntnis der Art und Weise, wie der Sextant zu untersuchen und zu berichtigen ist und Fertigkeit, mit demselben Winkel zwischen zwei Gegenständen zu messen. Kenntnis der wichtigsten Sternbilder und Fähigkeit, die zu den Distanz-Observationen dienlichen Sterne am Himmel zu finden. Die Höhe eines Himmelskörpers zu einer gegebenen Zeit zu berechnen. Fähigkeit, die Uhrzeit mittelst Höhe der Sonne oder eines Sternes zu berechnen.
Fähigkeit, den Gang der Seeuhr zu untersuchen, sowohl auf dem Lande durch künstlichen Horizont, als auf einer Reise durch Peilung von Punkten, deren Länge genau bestimmt ist; Kenntnis der Behandlung der Seeuhr und durch dieselbe die Uhrzeit in Greenwich zu finden. Fähigkeit, die Uhrzeit in Greenwich aus der gemessenen Distanz zwischen dem Monde und der Sonne oder zwischen dem Monde und einem Sterne oder Planeten zu berechnen, wenn die Höhen zugleich gemessen sind. Fähigkeit, die Länge und Breite zu finden.
Ich könnte noch weitere hierher gehörende nautische Prüfungsgegenstände aufzählen, aber ich fürchte, vor allem die Geduld des geehrten Lesers zu erschöpfen, und solchen unverzeihlichen „Observationsfehler“ möchte ich gar zu gerne vermeiden.
Wenn sich auch die Nautik seit jener Zeit wesentlich entwickelt und manches aus unserem Systeme verworfen hat, so möge doch kein moderner Seefahrer beim Lesen dieser Zeilen die Nase rümpfen oder mitleidig lächeln. Er darf sich mit der Versicherung begnügen, dass wir schon damals sehr genau jeden Seeweg zu verfolgen im Stande waren, niemals unser Ziel verfehlten und wie der heimatliche Volksmund so verständnisvoll ausdrückt: „Keenen Buern in de Finster loopen sünd.“
Von der Prüfungskommission empfing der Matrose Alfred Tetens sein Steuermannszeugnis mit dem Charakter „Gut bestanden“ in deutscher und dänischer Sprache ausgestellt. Immer deutlicher lag nun mein Lebensweg vor mir. Mein höchster Ehrgeiz, einstmals als Kapitän ein mir anvertrautes Schiff durch die Weltmeere zu führen, erhielt immer neue Nahrung. Um nun nicht unzeitig in meinem Kurs gehindert zu werden, hielt ich es für angeraten, meine Militärpflicht gegen Dänemark zu erfüllen, wie jeder diensttaugliche Schleswig-Holsteiner damals zu tun gezwungen war.
In Folge einer Verfügung der dänischen Militärbehörde war ich im Jahre 1855 für die dänische Marine „auskommandiert“ und hatte mich Ende April beim Oberkommando in Kopenhagen zu melden. Mit schwerem Herzen folgte ich dieser Weisung. Nachdem mir jedoch am Bestimmungsorte eröffnet wurde, dass ich von nun an zur Besatzung der Korvette „NAJADEN“ gehöre, die bestimmt sei, eine Übungsreise nach Westindien, Brasilien etc. zu machen, kehrte mein Frohsinn wieder. Für einen Seemann, der bereits die Weltmeere durchkreuzt hat und immer Neues sehen will, war das monotone in Dänemark übliche Ostsee-Manöver gewiss keine verlockende Aussicht...
Sehr rasch durchlief ich die unteren Chargen und kam der ersehnten Stufe immer näher. Als Führer der Gig des Kapitäns hätte ich mein Leben daran gesetzt, kein anderes Boot an dem unsrigen vorüber rudern zu lassen. Der Versuch wurde zwar oft von meinen Gegnern mit achtungswerter Energie unternommen, aber meine gestählten Muskeln zeigten dann eine so erfreuliche Spannkraft, dass mir der Sieg zur Freude meines Kapitäns niemals entrissen wurde.
Bald avancierte ich zum Kapitän vom „Groß Topp“. Nicht nur die mannigfachen Arbeiten in der Takellage, auch alle Befehle, die sich auf Leesegel setzen, Boote aussetzen, erstreckten, waren meiner unmittelbaren Direktion unterstellt. Wer nie in einem streng disziplinierten Verhältnis gestanden, der kann wohl kaum begreifen, ein wie bestrickender Reiz der exakten minutiösen Ausführung des gegebenen Befehls innewohnt.
Die höchste militärische Ehre, die mir an Bord der Korvette erwiesen wurde, bestand in meiner Anstellung bei der Kanone Nr. 7. – Nur ganz Bevorzugte erhielten bei der ersten Fahrt eine artilleristische Ausbildung.
Diese neue, auf Kauffahrern nicht vorkommende Beschäftigung nahm meine Aufmerksamkeit derart in Anspruch, dass ich das Exerzitium bei den Geschützen sehr bald inne hatte und das meinige gleich dem erfahrensten Feuerwerker zu bedienen im Stande war...
Nach dem Geschützbedienen wurden wir auch in dem Gebrauch der anderen Waffen unterrichtet. Wenn unser Bajonettieren, Fechten mit dem Säbel, Gewehr- sowie Pistolenschießen auch keinen Anspruch auf eine besondere Leistung erheben konnte, so wurden wir doch soweit mit den Waffen vertraut gemacht, um bei vorkommender Gelegenheit wirksam Gebrauch von denselben machen zu können.
Wenige Jahre später war ich sehr oft in die zwingende Notwendigkeit versetzt, mein Leben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen; so habe ich meiner militärischen Ausbildung auf dem Schiffe unendlich viel zu danken. Ohne sie würde mir sicherlich die Veröffentlichung meiner Erlebnisse erspart geblieben sein, und das wäre allerdings kein zu unterschätzendes Vergnügen gewesen. Aber ich fühle mich doch heute in meinem lieben mächtigen Vaterlande in meinem sicheren Heim bedeutend wohler, als wenn meine Knochen jetzt vielleicht am Gestade der Palau-Inseln bleichten oder den Kindern der Einwohner von Yap (Südsee) als Spielzeug dienten. Jedenfalls sollte es kein Seefahrer unterlassen, sich im Gebrauch der verschiedenen Waffen zu üben...
* * *
Am 10. Juli 1857 wurde mir vom Vorsitzenden der Bremer Steuermanns-Prüfungs-Kommission ein Zeugnis eingehändigt, wonach ich „in der geographischen und astronomischen Steuermannskunst vorschriftsmäßig geprüft worden“ und für fähig erachtet sei, als Untersteuermann auf weiten Reisen zu fungieren. Gestützt auf dieses amtliche Attest erhielt ich auf dem Bremer Ostindienfahrer LUCY AND HARRIET eine Anstellung als zweiter Steuermann. Unser Schiff lag zurzeit in Liverpool und es musste zunächst unsere ganze in Bremen geheuerte Mannschaft via Hull nach dort befördert werden.
Unsere aus Eisenbahnschienen bestehende Ladung wurde dank jener praktischen Einrichtungen, welche jederzeit den englischen Handel unterstützten, in wenigen Tagen übernommen und vorschriftsmäßig gestaut. Der Kapitän, ein überaus liebenswürdiger, sehr erfahrener Mann, hatte auf diesen unscheinbaren, aber äußerst wichtigen Umstand die größte Aufmerksamkeit verwendet.
Ist solche Ladung mangelhaft gestaut, so gerät sie bei verhältnismäßig geringem Seegang ins Rollen und kann sehr leicht den unabwendbaren Untergang des aus seinem Gleichgewicht geratenen Fahrzeugs herbeiführen. Unsere Ladung war für Bombay bestimmt.
Also schon zu jener Zeit, wo in deutschen Landen die Eisenbahnanlagen noch recht langsam sich entwickelten, das eigentliche Schienennetz noch sehr spärlich ausgebreitet war, begann das rührige England die Segnung dieser kulturellen Erfindung dem fernen Indien zuzuwenden. Entsprach diese zivilisatorische Bestrebung auch nur seinem eigenen Interesse, so verdient doch die englische Initiative, indem sie die idealen Momente förderte, unsere ganze Wertschätzung. England hat den Segen seiner Anstrengung nicht unverdient geerntet; es hat genugsam Pionierdienste verrichtet, bevor es seinen enormen Reichtum, seinen bedeutenden Welthandel und Einfluss bei allen überseeischen Völkern errang. England hat die Herrschaft auf dem Meere stillschweigend angetreten, seiner immer mächtiger sich entwickelnden Flotte mussten sich alle handeltreibenden Völker beugen, so dass es schließlich als ein Eingriff in die Rechte Englands erschien, wenn sich eine fremde Flagge auf fernem Meere blicken ließ.
England hat unter allen Umständen sein klares, vollbewusstes Ziel zum Wohle des Mutterlandes unbeirrt verfolgt; ihm galt die durch seine insulare Lage bedingte Erkenntnis: die Größe eines Volkes wird durch seinen materiellen Besitz bestimmt.
Die Stadt Bombay, von einer herrlichen Bay umrahmt, gewährt einen wahrhaft entzückenden Anblick. Ihr Hafen darf als der schönste und sicherste von ganz Ostindien bezeichnet werden. Wohl in keinem anderen der Welt herrscht ein lebhafteres, interessanteres Treiben. Die Flaggen aller Nationen sind in diesem Mastenwald bemerkbar. Jede Schiffbauart ist hier vertreten. Die Völker der Erde haben sich hier zu einem Stelldichein versammelt. In dem neuen Stadtteil herrscht ein unbeschreibliches Menschengewühl, überall ein lebensgefährliches Hasten und Drängen. Betritt man den älteren Teil Bombays, wo noch die moderne Bauart ausgeschlossen und die Straßen kaum einen Meter breit angelegt sind, so glaubt man eine vorsintflutliche Stadt zu sehen.
Früh morgens erscheinen die Parsees compradore in ihrem schneeweißen, bis zur Fußspitze reichenden Talar an Bord und halten außer Milch und rohem Eis die wunderbarsten Früchte für weniges Geld feil: Mangostan, Pommelos, Mangos, Apfelsinen, Bananen. Wer einmal diese kostbaren Früchte genossen, wird das europäische Gewächs als eine misslungene Nachahmung bezeichnen.
Unmittelbar an die Stadt reiht sich ein Kranz kleiner reizender Inseln mit kostbaren Villen und entzückenden Parkanlagen. Meilenweit erstreckt sich das von Nabobs und den Reichen aller Länder bewohnte Paradies; man wird nicht müde, stundenlang auf den beschatteten Fußwegen dahinzuwandern, die lebhafte Phantasie wird von der Pracht dieses Wundergartens übertroffen. Ein wahrhaft poesievoller Zauber ruht auf dieser verkörpert scheinenden Fata Morgana.
Schmucke Lustkutter schaukelten sich auf dem von dichtem Gebüsch eingeschlossen Bassin. Von hieraus erreichten die beneidenswerten Bewohner die nahe Bai. So oft es nur meine Zeit erlaubte, habe ich das herrliche Stückchen Erde betrachtet. In den entfernten Teilen des Parks trainierten zahlreiche Hindu die Elefanten ihrer Herren. Gegen Einhändigung eines geringen Geschenkes veranlasst der Wärter seinen klugen Zögling zu einer kleinen Privatvorstellung, deren Hauptnummer das Emporheben bestimmter Personen bildet. Auf ein gegebenes Zeichen umschloss der Rüssel des Elefanten meine Brust, hob mich leicht und sicher empor, so dass ich mich recht bequem auf den hohen Rückensitz niederlassen konnte. Auch die im Meerbusen von Bombay unweit der Küste liegende kleine Insel Elephanta erregt die Aufmerksamkeit des Beschauers; nahe dem Landungsplatze bemerkt man noch die Überreste eines in den Felsen gehauenen Elefanten enormer Größe, nach welchem die Insel genannt wird. Der im Innern des zweigipfeligen Berges aus Stein gemeißelte Felsentempel mit seinen zahlreichen in Fels gehauenen Kolossalfiguren gibt ein beredtes Zeugnis von der einst hoch entwickelten Bildhauerkunst der Inder; für die Hindu ist dieser teilweise zerstörte Tempel ein beliebter Wallfahrtsort, während er für den Europäer den Endpunkt seiner Ausflüge und Picknicks bildet...
An Stelle unserer Eisenbahnschienen, die wir vorschriftsmäßig im Hafen von Bombay löschten, erhielten wir eine für Kronstadt bestimmte Ladung Baumwolle. Die englische Aufgabe war somit eine recht einfache. Es brachte die europäischen, vorzugsweise englischen Interessen dem überseeischen Konsumenten direkt ins Haus und führte dessen Landesprodukte an den besten europäischen Markt. Da beide Transaktionen ohne jede fremde Mithilfe, also ohne Zwischenhandel geschlossen wurde, so war der englische Doppelgewinn, den ja eigentlich nur das deutsche Schiff und seine deutsche Besatzung erzielte, gewiss nicht unbedeutend.
Nachdem wir in dem russischen Hafen Anker geworfen und unsere LUCY AND HARRIET von ihrer Ladung befreit hatten, bot sich uns noch die vollkommene Gelegenheit, die schöne Kaiserstadt St. Petersburg in Augenschein zu nehmen. Dieses Vergnügen wäre uns aber fast sehr teuer zu stehen gekommen, nur mit genauer Not und harter Arbeit waren wir dem plötzlichen Einfrieren im Hafen von Kronstadt entronnen. Fünf Monate lang zwischen russischen Eisschollen eingeklemmt zu liegen, statt auf fernen sonnenbestrahlten Meeren zu segeln, ist gewiss keine verlockende Aussicht.
Trotz unserem rechtzeitigen Entfliehen wurden wir von einer wahrhaft sibirischen Kälte heimgesucht. Sieben Wochen mussten wir mit widrigen Winden kämpfen, bevor wir Helsingør erreichen konnten. Sturm und Kälte boten alles Mögliche auf, uns ihre Macht fühlen zu lassen; wahrscheinlich aus Rache, weil ihnen die sichere Beute entrissen war. Unser liebenswürdiger Kapitän erfüllte in Helsingør mein Entlassungsgesuch.
Mein nächstes Ziel war London, wo ich mein Obersteuermannsexamen absolvierte und nach einer kurzen Zeit die Stelle als „Chief-Officer“ an Bord des großen englischen Fregattschiffs PALMERSTON bekleidete. Jedenfalls verdanke ich die Erreichung dieser Stelle zum großen Teil der Empfehlung des liebenswürdigen Offiziers Mr. Busby, dessen Bekanntschaft ich seinerzeit auf der dänischen Corvette NAJADEN zu machen Gelegenheit fand.
Wir wurden mit Maschinen und Eisenbahnmaterial für die Scind-Railway Company befrachtet und sollten in Karatschi unsere wertvolle Ladung löschen. Die Übernahme dieser schwer transportablen Gegenstände, unter denen sich zwei große Dampfkessel, jeder im Gewicht von 23 tons, und außerdem vier vollkommene Lokomotiven nebst Tender befanden, war meiner ausschließlichen Obhut unterstellt. Es war, da wir nur auf unsere Schiffsgear angewiesen waren, durchaus keine geringe Aufgabe, jene Kolosse unbeschädigt an Bord zu bringen, und erst als die schweren Dinger ohne jeden unliebsamen Zwischenfall kunstgerecht gestaut waren, wurde es mir leichter ums Herz. Die Reise begann unter den schönsten Aussichten.
Als Passagiere hatten wir zehn Offiziere und Soldaten der indischen Armee an Bord, die auf höheren Befehl ihren Regimentern nachgeschickt wurden. Erstere waren gebildete, ihres Standes durchaus würdige Männer, was unter den Subalternen der damaligen englischen Armee entschieden zur Ausnahme gehörte. Die Unterhaltung mit den Offizieren war für mich in vielen Dingen recht lehrreich und höchst unterhaltend...
Die Reise war bislang ohne jede Störung verlaufen. Wind und Wetter zeigten sich so überaus liebenswürdig und ruhig, dass Neptun eine Einförmigkeit befürchtete und uns in einer tiefdunklen, pechschwarzen Nacht ziemlich unsanft daran erinnerte, dass wir nicht das glatte Parkett eines englischen Saales, sondern nur ganz einfache Schiffsplanken unter den Füßen hätten. Wir waren in die Nähe von Mauritius gekommen, als der heftige Orkan gegen uns hereinbrach und gleich beim ersten Anlauf unser Groß- und Kreuzmast mit einer Leichtigkeit in die sturmgepeitschten rasenden Meereswogen geschleudert wurden, als ob es keine zentnerschwere Masse, sondern nur ein gewöhnliches Streichhölzchen gewesen wäre. Donnernd und heulend sang das Meer sein Sturmlied. Das stark belastete Schiff arbeitete und rollte in dieser fürchterlich erregten Wassermasse so schwer, dass, nachdem die Masten mit einem nervenerschütternden Gekrach über Bord gegangen waren, kein Tau mehr hielt. Die stärksten Befestigungsmittel, armdicke Trossen und Ketten, zerrissen wie baumwollene Fäden. Mit der zunehmenden Heftigkeit des Orkans wurde unser schwer heimgesuchter PALMERSTON immer unruhiger, so dass wir uns nur mit der größten Anstrengung der über Bord flutenden Sturzseen erwehren konnten. Trotz der unverkennbaren Gefahr, in welcher sich Schiff und Ladung befand, war es uns unmöglich, etwas Entscheidendes für ihre Rettung zu tun.
Wir mussten uns damit begnügen, einige losgerissene Gegenstände zu bergen, besonders aber die über Bord hängenden Stengen zu entfernen, die noch vermittels der Takellage am Schiffe befestigt waren und sehr leicht den Untergang desselben herbeiführen konnten, und die Taue zu kappen. Die ganze Nacht verging mit dieser mühsamen, höchst gefahrvollen Anstrengung. Wer von den Wellen über Bord geschleudert oder von herabstürzenden Gegenständen getroffen wurde, war dem sicheren Tode verfallen. Trotz dieser wenig verlockenden Aussicht arbeitete jeder mit einem unermüdlichen Eifer, und als das lang ersehnte Tageslicht zu dämmern begann, schien auch die äußerste Gefahr verschwunden.
Die trübe Morgensonne beschien das entsetzliche, dem Seemann ins Herz schneidende Zerstörungswerk des Sturmes. Welch’ trauriger Anblick bot sich dem Auge dar! Das schöne imposante Schiff, welches noch vor wenigen Stunden mit seinen schlank emporragenden Masten die Meereswogen spielend durchschnitten, lag jetzt wie ein Adler, dem eine tückische Kugel die Schwingen zerschmettert, ohnmächtig danieder.
Dank der unausgesetzten Anstrengung der ganzen Mannschaft war das Missgeschick, das uns betroffen, noch sehr gnädig abgelaufen. Nur ein alter, sehr intelligenter Hahn, der jahrelang der Liebling und Reisebegleiter unseres Kapitäns gewesen, hatte zum letzten Male gekräht und fand unter den Trümmern der Taue und Segel ein gewaltsames Ende. Das treue, vom Sturm erschreckte Tier hatte seine sichere Stätte verlassen und war der Kommando verkündenden Stimme des Kapitäns oben auf Deck gefolgt, als habe es sich nach der Nähe seines geliebten Herrn gesehnt. Branko, der klügste aller schifffahrenden Hähne, hatte seine unbezwingliche Sehnsucht mit dem Leben erkauft und fand nun ein ehrenvolles, nasses Grab. –
Nach eingehender, für die Sicherheit des Schiffes gebotener Beratung wurde der Entschluss gefasst, Notmasten zu errichten, unseren Kurs strikt inne zu halten und die Fahrt nach Möglichkeit zu beschleunigen. Schon nach Verlauf zweier Tage wurde unsere unausgesetzte Anstrengung mit Erfolg gekrönt. Unser PALMERSTON ging wieder unter Segel und konnte seinem ursprünglichen Bestimmungsorte entgegeneilen.
Dass die Not nicht nur Eisen bricht, sondern auch erfinderisch macht und mehr als alle akademischen Regeln zur Ausbildung des Seemannes beiträgt, sollten wir auf der PALMERSTON zur Genüge kennen lernen. Das Zeitalter des Dampfers hat ja für die ingeniöse Selbsthilfe des Seglers nur ein geringes Verständnis. Sein technisches Gefühl kennt nur Kohlenfeuer, durch welches die Maschine gespeist wird, die dann ihr Tagewerk ableiert; ähnlich der Besatzung, die streng genommen auch nur eine maschinelle, sich stets gleich bleibende Tätigkeit zu vollbringen hat. Die Maschine arbeitet mit ihrer ungeheuren Gewalt unbeugsam gegen die Woge; sie kennt kein Lavieren, sondern nur ein trotzköpfiges Vorwärtshasten, ein Biegen oder Brechen. Doch wie hilflos wird meistens der rauchende Koloss, wenn nur ein Stückchen Eisen im komplizierten Mechanismus seinen Dienst versagt! Kann ihn menschliche Tätigkeit vom Untergange retten?
Anders beim Segler, bei dem oft Tatkraft, Geschicklichkeit und Mannesmut das unvermeidlich scheinende Schicksal abzuwenden im Stande sind. Ferne sei es von mir, die für den jetzigen Verkehr unbedingt erforderlichen Dampfschiffe in ihrer Bedeutung schmälern zu wollen; allein die Poesie des Seemannslebens, der ihm innewohnende bestrickende Reiz, all die erhebenden Empfindungen, die unsere Seele beim Anblick des majestätischen Meeres bewegen, wohnen nur auf Segelschiffen. Wer je vom Mastkorb herab den Anblick des unabsehbaren, farbenschillernden Meeres genossen, das in unbeschreiblicher Herrlichkeit prangende tiefblaue, tagelang unveränderliche Himmelszelt betrachtet, das geheimnisvolle Rauschen und Flüstern der leicht gekräuselten Wellen vernommen hat, der hat gewiss empfunden, was meiner Feder nicht möglich ist in Worte zu kleiden.
Doch zurück zu unserem schwer geprüften Fahrzeug, das in seinem Teilnahme erweckenden Aufzuge nach wenigen Wochen den Hafen von Karatschi glücklich erreichte. Die einzige Zerstreuung, welche mir diese Stadt gewährte, bestand in der Jagd auf Schildkröten, welche hier in großer Anzahl nachts auf den Strand kommen. Die unbeholfenen großen Tiere sind im Mondschein sehr leicht zu fangen, indem man sie auf den Rücken wirft und mittels einer Leine in die Nähe des Bootes schleppt.
Eine große Anzahl Hindu-Soldaten wurde hier zur Überführung nach Bombay an Bord genommen. Das deutsche Auge konnte sich erst nach langer Betrachtung daran gewöhnen, dass es Soldaten vor sich habe. Möglich, dass die wohl ebenmäßig, aber zierlich gebauten Gestalten, deren braune Hautfarbe alle Nuancen repräsentiert, im Dienste gegen Eingeborene sehr gut zu verwenden sind, aber ich glaube, dass sie im Kampfe mit einer europäischen Truppe unterliegen müssten.
Jedenfalls wird die englische Heeresleitung einem europäischen Gegner keine geschlossenen Hindu-Regimenter entgegenstellen dürfen, sondern ihre Reihen mit englischen Truppen mischen müssen.
Eine fröhliche Stimmung oder frische Ausgelassenheit, wie sie wohl meistens bei europäischen Soldaten, namentlich auf Märschen oder Fahrten zu bemerken ist, war unseren teilnahmslos dreinschauenden Hindus vollständig fremd. Wir waren durchaus nicht untröstlich, als sich die langweilige Gesellschaft in Bombay ebenso stillschweigend verabschiedete, wie sie gekommen war.
Nachdem unsere wertvolle Ladung ans Land gesetzt, das Schiff frei war, musste zunächst für eine sachgemäße Ausbesserung, namentlich für eine Neubeschaffung unserer Masten gesorgt werden. Als dieses nach Verlauf mehrerer Wochen geschehen, unser Fahrzeug dann wieder im einstigen Schmucke prangte, war auch die Erinnerung an die durchlebten schweren Stunden verschwunden.
Ein neues Reiseziel, London, wurde uns nach Übernahme einer Ladung Baumwolle gegeben. Mit froher, durch günstigen Wind verstärkter Hoffnung wandte sich der PALMERSTON zur Rückfahrt. Nicht allzu lange sollten wir uns einer guten Fahrt erfreuen. Schwere Winterstürme beim Kap der guten Hoffnung gemahnten gebieterisch an die Wandelbarkeit des seemännischen Lebens und stellten unseren zuverlässigen PALMERSTON wieder auf eine harte Probe...
London wurde glücklich erreicht und kaum war die Ladung gelöscht, meine amtlichen Funktionen verrichtet, als ich in derselben Eigenschaft wie bisher, also als erster Offizier auf das englische Schiff „NORWOOD“ versetzt wurde. Es galt die Überführung mehrerer von der englischen Regierung für Neuseeland bestimmten Armstrong-Feldbatterien mit Munition und Bedienung...
Die zur Ladung gehörenden 300 Soldaten nebst ihren Frauen und Kindern wurden in Woolwich eingeschifft. Auch mehrere höhere Offiziere, welche das Kommando führten, erfreuten sich der Begleitung ihrer Gemahlinnen; am Tage des Auslaufens kam auch noch eine Musikband an Bord, die viel zur Unterhaltung auf dieser interessanten Reise beitrug. Mir jungem, lebenslustigem Manne machte das eigenartige, höchst unterhaltende Leben und Treiben auf dem Schiffe ganz besonderes Vergnügen, ich stand an hervorragender Stelle, der Kapitän billigte stillschweigend meine Anordnungen, so dass ich mich eigentlich als Führer des Schiffes betrachten konnte.
Das unnahbare, gemessene Wesen der englischen Dame von Rang verschwindet auf hoher See vollständig, sie offenbart an Bord eines Schiffes meistens eine reizende Natürlichkeit und gewinnende Vertrautheit, wie ich sie bei keiner kontinentalen Vertreterin des schönen Geschlechts gefunden habe. –
Als englisches Transportschiff besaßen wir auch das Recht, einen Wimpel führen zu dürfen, in Folge dessen wurde alles so organisiert, als ob wir uns auf einem Kriegsschiffe befänden. Die NORWOOD machte eine vorzügliche Fahrt und wünschte ihre dezimierten Vorräte auf den Capverdischen Inseln zu ergänzen; hier erhielten wir auch alles, was dem Magen eines Seefahrers aufs höchste behagt: Geflügel, frisches Gemüse und prachtvolle Früchte. Bei gutem Wetter wurde das Mittagsmahl auf Deck unter Assistenz einer heiteren Tafelmusik eingenommen, auch Spiele, Bälle und sogar Theatervorstellungen dienten zu unserer Unterhaltung, kurz und gut, es gab ein recht fröhliches Leben, das ich nur teilweise genießen durfte, weil ich für die schnelle Reise zu sorgen hatte. Aber ich fand einen Ersatz. Sobald es mir nur irgend dienlich erschien, ließ ich alle Segel setzen; wenn dann unser Schiff gleich einer Wolke über die klaren Meeresfluten glitt, in rasender Eile dahinschnellte, dann wurde mir so recht wohl um mein Seemannsherz und ich fühlte, dass alle Vergnügungen, mit denen sich meine Umgebung unterhielt, doch nur recht kindliche seien.
Die rasche Manövrierfähigkeit des Schiffes verdankte ich zum großen Teile auch den zu meiner Verfügung stehenden Soldaten, welche abwechselnd regelmäßig mit auf Wache zogen und beim Manövrieren des Schiffes hilfreiche Hand leisten mussten. Auch eine Überraschung sehr ernster Natur wurde uns eines Tages bereitet.
Bevor wir eigentlich wussten, was geschehen, war eine lang geplante Meuterei der Soldaten in vollem Gange; alle Ordnung, jede Disziplin verschwunden, unser Leben bedroht.
Einen Moment schien es, als ob wir die Herrschaft über das Schiff verlieren müssten. Mit einer guten Waffe in der Hand ist mir die Gesellschaft eines Tigers weit angenehmer, als in der Umgebung einer zügellosen, von gemeinster Begierde entbrannten Menschenmasse weilen zu müssen. Wer die menschliche Bestie in ihrem rohen Gebaren, in ihrer sinnlosen Zerstörungswut beobachtet hat, der wird meine Verehrung für das vierfüßige Raubtier gerechtfertigt finden.
Naturgemäß fehlt es der irregeführten Masse an Mut, so dass es mir mit einigen entschlossenen Seeleuten nach einem kurzen Kampfe gelang, die Rädelsführer ihrer wahnsinnigen Herde zu entreißen und nach einem sehr praktischen Schiffsgebrauch in Eisen zu legen. Noch einmal zuckte es in dem aufrührerischen Haufen, er drang auf uns ein, um seine Führer zu befreien; aber unsere Revolver waren abermals zum Empfang bereit, in Folge dessen der drohende Angriff unterblieb und die gestörte Ordnung wieder hergestellt wurde.
Zunächst mussten sämtliche Soldaten ihre Waffen abliefern und durften das Zwischendeck ohne Erlaubnis nicht verlassen. Die zum Waffendepot gewordene Kajüte erhielt eine doppelte Bewachung, alle Sicherheitsmaßregeln wurden beobachtet und dann sogleich ein Kriegsgericht gehalten. Das Urteil desselben kam erst später zu meiner Kenntnis, danach sollte das Haupt der Rädelsführer nach Ankunft in dem Bestimmungshafen erschossen und jeder seiner vier unmittelbaren Genossen zu einer vierzehnjährigen Verbannung verurteilt werden.
Eine Veranlassung zur Meuterei wurde nicht festgestellt, die urteilslose Masse war den aufreizenden Führern blindlings gefolgt und diese hatten ihre selbstsüchtige Absicht mit keinem Worte verraten. Ohne diese fünf ehrlosen Subjekte würden die 295 Männer wohl niemals ihre Pflicht verletzt haben, und ich bin bei aller Humanität doch der festen Überzeugung, dass die härteste Strafe, welche den die Masse ins Unglück stürzenden Rädelsführer trifft, noch immer zu gelinde ist.
Wind und Wetter blieben uns immer günstig. Schon am vierundsechzigsten Tage nach unserer Abfahrt von England passierten wir südlich der Länge von Melbourne und am achtzigsten Tage lag der Bestimmungsort Auckland vor unseren Blicken. Nahe der Einfahrt wehte es uns heftig entgegen, die am inneren Ende des Hafens von den vor Anker liegenden Schiffen gebildete Fahrstraße war nur sehr eng, aber ich setzte meinen Stolz darein, mit vollen Segeln hindurchzukreuzen; bei der sehr steif wehenden Brise kein leichtes, aber prachtvolles Manöver, das mir ohne geringsten Unfall glücklich gelang. Die Anker rasselten zum Meeresgrund und im nächsten Moment waren alle Segel dank der willfährigen Hilfe der Soldaten fest.
Unser geschicktes Einlaufen war auf den dort stationierten englischen Kriegsschiffen bemerkt worden. Sofort kamen mehrere Offiziere an Bord, die unseren Kapitän in Anerkennung des brillanten Manövers herzlich beglückwünschten und sich in den schmeichelhaftesten Lobeserhebungen ergingen.
Unser Kapitän dankte in der liebenswürdigsten Weise, lehnte aber, indem er mich als den eigentlichen Urheber vorstellte, jedes Lob als unverdient ab.
„Well Sir“, begann sofort der älteste jener Herren, mir die Hand reichend, „that was well done!“
Ich erwiderte den Druck der Hand und meinte, dass unser Manöver wohl kaum eine so ehrende Auszeichnung verdiene. Einen Moment schien die Aufmerksamkeit des freundlichen Offiziers auf eine andere Betrachtung gerichtet, wozu vielleicht meine fremdartige Aussprache oder meine vom englischen Typus abweichende Gesichtsbildung Veranlassung gab:
„Aber Sie sind doch Engländer“, meinte jetzt der etwas betroffene Frager in Ermangelung eines geschickten Überganges, „ein solches Manöver kennt man bei keiner anderen Nation!“
„Dennoch bin ich kein Engländer.“
„Nein! Kein Engländer? Nun, dann sind Sie es jedenfalls wert, einer zu sein!“ Ein solcher Ausspruch galt zu jener Zeit als das größte Kompliment...
Nachdem wir unsere Passagiere und mannigfaltige Ladung vorschriftsmäßig gelöscht,... nahmen wir Ballast ein und richteten unseren Kurs, Fracht suchend, nach Madras. Leider herrschte hier zu jener Zeit eine große Geschäftslosigkeit, die eine zahllose Anzahl von Schiffen ebenfalls zur Untätigkeit zwang...
Unser Kapitän war kein Freund von langem Ausharren. Abermals wurde der Kurs verändert und dann nach Penang in der Malakkastraße gesegelt. Das Glück war uns hier günstiger. Wir erhielten eine volle Ladung Zucker für London und kamen jetzt in die Stimmung, die landschaftlichen Reize aufmerksamer zu betrachten. Time is money, sagt der Engländer und wir Deutschen huldigen dieser merkantilischen Regel in der zarteren Form: Erst das Geschäft, dann das Vergnügen. – Penang, die hervorragendste Stadt auf der Insel Prince of Wales übt selbst auf den an Naturschönheiten gewöhnten Beschauer einen angenehmen Eindruck, allein dem monatelang zwischen Himmel und Wasser geschaukelten Seemanne gewährt die pittoreske, mit üppiger Vegetation gesegnete, farbenschimmernde Umrahmung einen besonders erquickenden Anblick. Der sogenannte Government-Hill, welcher die terrassenartig erbaute Stadt krönt, bietet bei einer regelmäßigen frischen Brise einen gesunden und zugleich angenehmen Aufenthalt. Während in der tief gelegenen Stadt am Tage meist eine unerträgliche Hitze und nachts eine empfindsame Kälte herrscht, erfreut man sich hier oben einer regelmäßigen, dem italienischen Klima ähnlichen Temperatur und genießt außerdem eine über die Malakkastraße hinausreichende, entzückende Fernsicht...
Der Aufenthalt in dem fruchtreichen Penang war mit der völligen Übernahme unserer Ladung beendet. Die NORWOOD wandte sich wieder heimwärts. Wochenlang von einer prachtvollen Fahrt begünstigt, wurde sie auf der Höhe von Mauritius von einem jener heftigen Orkane heimgesucht, die unter den Schiffen eine grausame Zerstörung anrichten, welche der hervorragendsten Insel des Indischen Ozeans nicht zur besonderen Empfehlung gereicht. Fast scheint es, als ob die wütenden Stürme den Zweck verfolgten, die finanzielle Lage der Insel zu verbessern, indem sie die beschädigten Schiffe zum Anlaufen und Ausbessern zwingen. Auch die NORWOOD hatte vieles opfern müssen und war zu einem mehrwöchentlichen Aufenthalte zwecks Anschaffung neuer Masten und sonstiger von der See verschlungener Gegenstände verurteilt.
Besonders Angenehmes wüsste ich von Mauritius nicht zu berichten, unzählige Ratten spazieren hier mit einer Dreistigkeit herum, als wären sie ganz allein Herren der Insel, weder die einheimische Bevölkerung, noch die eingewanderten indischen Kulis erschweren die Existenz dieses hässlichen Ungeziefers, auch von den massenhaft auftretenden Insekten, Skorpionen und Tausendfüßlern hat man keine sehr angenehme Unterhaltung zu gewärtigen; nur die Jagd auf wilde Schweine und Ziegen, welche zu Tausenden in den nahen Bergen hausen, bietet eine angenehme, dabei recht lohnende Abwechslung.
Übrigens besitzt die Insel einen sehr fruchtbaren Boden, welcher seinen Bewohnern meist eine reiche Zuckerernte liefert; aber es fehlt der zum größten Teile aus Malaien, Madagassen, Ungern, Chinesen und Singalesen bestehenden Bevölkerung ein energisches Streben, wodurch Mauritius sehr leicht zu einer größeren Bedeutung, höheren Kultur und ansehnlicherem Reichtum gelangen könnte.
Wind und Wetter waren beim Antritt unserer Weiterreise so vorzüglich, dass wir die unliebsame Verzögerung sehr bald wieder ausgleichen konnten und doch wenigstens eine ziemlich gute Reise verzeichnen durften. Die Zweckmäßigkeit unseres Anlaufens von St. Helena habe ich nie recht begreifen können, es scheint die Annahme begründet, dass jeder englische Kapitän zu jener Zeit es als eine patriotische Pflicht erachtete, die Insel zu betreten, welche einst dem gewaltigen Korsen zum Aufenthalt angewiesen war. Hier oben in der Meierei Longwood, die ich mit dem Kapitän selbstverständlich besuchte, war das große Irrlicht erloschen.
Eine eigenartige Empfindung hatte sich meiner bemächtigt; unwillkürlich musste ich an mein teures Vaterland denken, das jahrelang unter den Krallen des Eroberers geblutet, an all das Elend, das die Kriegsfackel auf deutschen Boden geschleudert – aber auch an die glorreiche Erhebung unseres Volkes, das die Henkersketten gewaltsam gesprengt hatte...
Ohne weiteren Unfall wurde Englands Vorratskammer, das mächtige London, erreicht. Noch bevor unsere Ladung gelöscht, erhielt ich die Mitteilung, dass die NORWOOD abermals von der englischen Regierung gechartert und demnächst eine Fracht zu befördern habe, wie sie erfreulicherweise nur sehr selten am Markt ist. Dreihundert Verbrecher sollten ihrem Verbannungsorte Freemantle in S. W. Australien zugeführt werden; die NORWOOD hatte den Vorzug erhalten, diese unbehagliche Expedition auszuführen. Voraussichtlich verging eine längere Zeit, bevor unser Fahrzeug in der Verfassung war, diese geschlossene Gesellschaft an Bord empfangen zu können.
Die Ausführung der geplanten Sicherheitsmaßregeln war zwar meiner Beaufsichtigung unterstellt, aber sie gewährte mir angenehmerweise noch so viele freie Zeit, um meine längst gehegte Absicht, das englische Kapitänsdiplom zu erlangen, jetzt ausführen zu können. Wohlweislich hatte ich bei jeder Gelegenheit danach gestrebt, mir die für meinen Beruf erforderlichen Kenntnisse anzueignen. Mein ganzes Sehnen und Trachten galt nur dieser Bestrebung und der väterlichen Mahnung: Begnüge dich nicht mit dem Erreichten, suche die höchste Stufe, welcher deiner Lebensaufgabe beschieden ist, zu ersteigen. Nach Beendigung des ziemlich umfangreichen Examens empfing ich mein Diplom, das zu jener Zeit von jedem Seefahrer hoch geschätzt wurde, und das ich im Urtext dem geehrten Leser hiermit unterbreite. Das auf Pergamentpapier ausgeführte Schriftstück lautet:
By the Lords of the Committee of Privy Council for Trade.
Certificate of Competency
as
Master,
to Alfred Friedrich Tetens
Whereas it has been reported to us that you have been found duly qualified to fulfil the duties of Master in the Merchant Service we do hereby in pursuance of the Merchant Shipping Act 1854 grant you this Certificate of Competency.
Given under the Seal of the Board of Trade, this twenty seventh day of December 1861.
By order of the Board
Registered
Alex. Johnson W. H. Walker
Entered at the General Register and Record Office of Seamen
On the 28 th. day of December 1861.
Edward Stone Coleman
No. of Certificate 20, 283.
Address of Bearer 9 Burtian Road, Blackwll.
Date and Place of Birth 1835 Wilster, Denmark ect. ect. -
Dieses Dokument gehört noch immer zu meinen hervorragenden „Wertpapieren“. Wenn ich jetzt noch die im Laufe meiner Dienstzeit von fast allen Schifffahrt treibenden Staaten erworbenen Diplome durchblättere, macht mir das englische sehr viel Freude. Nicht etwa, weil dasselbe am meisten geschätzt wurde, sondern weil ich es mir unter den schwierigsten Verhältnissen erworben habe...
Die für den bevorstehenden Transport notwendigen Einrichtungen waren nunmehr vollendet und verliehen unserem harmlosen Schiffe ein unbehagliches, düsteres Aussehen. Der größte Teil des Zwischendecks war als Gefängnis eingerichtet und vermittelst einer mit Schießscharten versehenen starken Holzwand von dem übrigen Raume getrennt. Die große und die Vorderluke waren ringsherum mit dreizölligen eisernen Stangen versehen, durch die hier angebrachte recht schmale Tür konnte sich zurzeit nur ein Mensch hindurchzwängen.
Außer dieser Vorsichtsmaßregel etablierte man oben auf dem Verdecke hinter dem Großmast eine starke, die Breite des Schiffes umfassende Barrikade, ebenfalls mit einer schmalen Tür. Die aus zehn Soldaten bestehende, mit scharf geladenen Gewehren versehene Wache war auf der rückwärtigen Seite des Quarterdecks postiert. Vier nach vorne gerichtete, mit Kartätschen geladene Kanonen, sowie eine große Anzahl hier aufgehäufter Waffen gaben dem ganzen kriegerischen Bilde einen imponierenden Anblick, der seine beruhigende Wirkung nicht nur auf die Gefangenen, sondern auch auf die Wächter hervorrief.
Außer unserer aus 50 Mann bestehenden Schiffsbesatzung kamen noch 30 von der Regierung kommandierte Soldaten mit ihren Frauen und Kindern an Bord. In Erwartung der uns bevorstehenden Aufgabe herrschte natürlich eine ernste Stimmung; das heitere, lustige Treiben, wie es meistens beim Auslaufen eines Schiffes stattfindet, war hier nicht zu bemerken. Und dabei hatten wir die Schauder erregende Ladung noch nicht einmal gesehen, wie würde es erst werden, wenn die 300 von der menschlichen Gesellschaft ausgestoßenen Verbrecher unserer Verantwortung übergeben wären!
Jedenfalls war die größte Vorsicht geboten; von Menschen, die ihr Leben verwirkt, Hass und Erbitterung gegen jede menschliche Ordnung empfinden, war gewiss alles zu erwarten. Es wurden daher unter dem gemeinsamen Schiffspersonal Alarmsignale für den Fall eines Angriffs vereinbart und immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sicherheit aller von der Wachsamkeit jedes Einzelnen abhänge.
Gegen Ende des Jahres 1863 verließen wir die Themse, als wir dann nach wenigen Tagen jene 300 entsetzlichen Passagiere in Portsmouth aufgenommen hatten, wurde die Reise nach Australien in Begleitung eines Regierungsarztes und Seelsorgers angetreten. Hatten wir uns im Geiste den Anblick unserer Ladung recht düster ausgemalt, so zeigte die Wirklichkeit ein weit entsetzlicheres, herzerschütterndes Bild. In einer langen, von Polizisten begleiteten Doppelreihe kamen die mit starken, eisernen Ketten gefesselten Verbrecher an Bord.
Ihr Anzug: braune Galeerenmütze, gelbe Jacke und Beinkleid, war aus dickem, grobem, wollenem Stoff gefertigt und erhöhte den düsteren Eindruck. Auf fast allen Gesichtern dieser 300 verbannten Menschen lagerte der unverkennbare Ausdruck des Verbrechers, auch nicht das leiseste Zeichen war bemerkbar, dass in der Brust dieser Verstoßenen noch eine menschliche Regung vorhanden war. Ingrimm und Verbissenheit hatten die bleichen Gesichter durchfurcht, ein brutaler Trotz sprach aus den unsteten Blicken...
Teilnahmslos folgten die unglücklichen Geschöpfe unseren Weisungen, sie nahmen ihr beschränktes Lager ohne jede Bewerkung ein und waren durchaus nicht von unserer strengen Vorsicht überrascht. Nur manchmal, wenn ein Soldat oder Matrose sich erlaubte, einen selbständigen Befehl zu geben, oder die vorschriftsmäßige Umgangsform verletzte, dann zuckte es wie ein Blitzstrahl im Auge des Beleidigten, ein konvulsivisches Zittern bewegte seinen Körper, man konnte sehr deutlich die nicht zu bewältigende, innere Empörung bemerken.
Ich hatte den strengen Befehl gegeben, jeden derartigen Anstoß zu vermeiden, um die ohnehin schon sehr missliche Lage der armen Menschen nicht noch unerträglicher zu gestalten. Schon während der ersten Tage nach unserer Abfahrt konnte ich die gesetzlichen Bestimmungen wesentlich mildern, die Lage der Unglücklichen nach mancher Richtung verbessern. Hatte ich die unheildrohende Erbitterung der Verbrecher bemerkt, wenn sie sich verletzt fühlten, so wurde ich jetzt von ihrer weichmütigen Regung geradezu überrascht...
Vom guten Wetter begünstigt, erreichte die NORWOOD nach zweimonatiger Fahrt ihren vorläufigen Bestimmungsort Freemantle. Beim Anblick des Landes wurde mir recht froh ums Herz, jetzt war ja die schwierige Aufgabe gelöst...
Die NORWOOD segelte in Ballast ihrem nächsten Reiseziel Singapore, der britischen Insel an der Südspitze der hinterindischen Halbinsel Malakka entgegen. In diesem bedeutendsten Handelsmittelpunkt zwischen Vorderindien und China hofften wir auf eine lohnende Fracht für Europa – leider vergeblich. Die von Manila einlaufenden günstigen Nachrichten veranlassten uns schon nach eintägigem Aufenthalte, die „Löwenstadt“ zu verlassen und Luzon, die Hauptinsel der Philippinen, deren Ausfuhr gleichfalls hervorragend ist, aufzusuchen. Merkur zeigte sich hier sehr liebenswürdig und verschaffte uns eine nach London bestimmte, äußerst lohnende Fracht.
Unsere Arbeit wurde von jenem entsetzlichen Erdbeben unterbrochen, das einen großen Teil Manilas zerstörte, Hunderte von Menschen unter seinen Trümmern begrub und zahlreiche Verheerungen unter den Schiffen anrichtete.
Dem lang anhaltenden Getöse folgte plötzlich eine furchtbare Erschütterung mit Blitzeshelle. Die Ankerkette klirrte heftig, das Schiff bebte in allen Fugen und begann zu kreisen. Der gewaltige Stoß hatte sich auch dem Meeresboden mitgeteilt und dadurch viele Fahrzeuge ins Treiben gebracht. Nachdem für uns die Gefahr vorüber, Anker und Kette der Erschütterung widerstanden, richteten sich unsere Blicke nach dem nahen Ufer. Deutlich konnte man die Bewegung des Erdbodens beobachten, wie eine ungeheure Riesenschlange schnellten die Häuserreihen einen Moment empor, - ein kurzes Schwanken, alles Sichtbare war vom Erdboden verschwunden.