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Frerich Schüler aus Emden
ОглавлениеFrerich (Fritz) Schüler, Geburtsjahrgang 1932 aus Emden wollte noch selbst soviel über seine Seefahrt schreiben, dass es für einen eigenständigen Band in dieser maritimen gelben Buchreihe gereicht hätte. Darüber wurde er jedoch sehr krank und verstarb. Hier seine eigenen fragmentarischen Aufzeichnungen:
Aller Anfang ist schwer
Mein erstes Seefahrtsabenteuer
Ich hatte mir in den Kopf gesetzt zur See zu fahren, und nun konnte ich es tatsächlich verwirklichen. Mein Seefahrtbuch und meine Gesundheitskarte hatte ich bereits in der Tasche und die seemännische Ausrüstung schon fast zusammen. Mir fehlten nur noch ein Paar Gummistiefel und ein Seesack. Eingetragen war ich schon bei der seemännischen Heuerstelle. Eines Morgens bekam ich dann den erwarteten Bescheid, dass ich mich melden sollte, denn man hatte ein Schiff für mich. Ich packte meinen Seesack und einen Pappkarton und fuhr nach Norddeich, wo das Schiff liegen sollte, auf welches ich angeheuert hatte. Ich konnte das Schiff aber nicht gleich finden. So fragte ich einen Fischer, der gerade in der Nähe zu tun hatte. Er gab mir zu verstehen, ich sollte mich einmal genau umschauen, dann würde ich das Schiff schon finden. Ich tat dies dann auch, und da entdeckte ich ein kleines Schiff mit dem Namen „SEEHUND", welches hinter einem Fischkutter lag.
Ich war sehr erschrocken, denn mit so einem kleinen Schiff hatte ich nicht gerechnet. Der Matrose, der an Deck stand, schmiss mir eine Leine zu, und so konnte ich meine sieben Sachen an der Kaimauer runter lassen. Es war gerade Niedrigwasser, und ich hatte einige Schwierigkeiten an Bord zu kommen. Als ich dann an Deck war, stellte sich heraus, dass sich der Kapitän nicht an Bord befand und der Matrose allein auf dem Schiff war. Nachdem ich meine Sachen in der Kajüte verstaut hatte, stellte ich mich dem Matrosen vor. Er hieß Gerd und kam aus Thüringen. Danach zeigte er mir erst mal das ganze Schiff und erklärte mir meine zukünftigen Aufgaben. Anschließend musste ich Tee aufbrühen.
Die SEEHUND hatte Libby-Milch-Dosen geladen, in große Kisten verpackt und für Hamburg bestimmt. Es waren ca. 125 Tonnen. Der Kapitän kam am nächsten Morgen an Bord. Ich musste mich vorstellen und mein Seefahrtbuch abgeben. Er erklärte mir, dass ich 25,- DM Heuer pro Monat bekäme plus Essen und Logis. Ein Matrose bekam etwa 200,- DM.
Dann ging es auch gleich zur Sache. Ich musste vorne die Leinen loswerfen, und dann fuhren wir auf die offene Nordsee. Das Wetter war nicht besonders freundlich, es regnete, wir hatten Windstärke 6 bis 7, und so sollte es auch bleiben bis Hamburg. Nach etwa einer Stunde erreichten wir den Normeyer Seegat. Unsere SEEHUND fing heftig an zu schaukeln, so dass mir schlecht wurde und ich ziemlich blass war. Der Kapitän sagte, ich sei wohl seekrank. Ich musste mich dann auch mehrmals übergeben. An Essen war erst gar nicht zu denken. Dieser Zustand hat insgesamt zwei Tage gedauert. Der Matrose Gerd musste mich bei meiner Arbeit unterstützen. Nachdem ich wieder einigermaßen zu mir gekommen war, lagen wir bereits auf der Elbe bei Krautsand vor Anker. Es war Nebel aufgekommen, der sich erst am nächsten Morgen wieder auflöste, so dass wir danach unsere Fahrt fortsetzen konnten. Am Nachmittag legten wir dann im Hamburger Hafen am Bestimmungskai an. Als unser Schiff entladen war, bekamen wir sofort eine Ladung Getreide für Duisburg. Es lagen sehr viele Kleinschiffe längsseits eines großen Getreidedampfers. Ich habe mich gewundert und mich gefragt, wo die alle herkamen. Den Hamburger Hafen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war ziemlich überrascht, dass der Hafen und die Stadt so schlimm zerstört waren. Die Elbbrücken sowie der Elbtunnel waren noch gut passierbar.
Bis nach Duisburg war es eine lange See-, Fluss- und Kanalfahrt. Das heißt, wir fuhren die Ems hoch, und zwischendurch passierten wir viele Kanäle. In Duisburg sah es auch nicht viel besser aus als in Hamburg.
Unsere SEEHUND mit ihrem runden Steven war sehr schlecht zu steuern. Ich habe das Steuern schnell gelernt, musste teilweise aber auch mal sechs bis acht Stunden am Steuer stehen. Viele Kleinschiffe lagen in Cuxhaven und warteten darauf, wer die Führung übernehmen würde auf dem Weg durch die Außenelbe in die Nordsee Richtung Borkum und dann wieder in die Ems. Die meisten Schiffe kamen aus Haren an der Ems. Alle Schiffe, egal ob groß oder klein, mussten den so genannten Zwangsweg einhalten, da noch immer viele Treibminen gesichtet wurden. Ab und zu kam es auch vor, dass ein Schiff auf solch eine Treibmine auflief. Man konnte die Explosion weit entfernt noch gut hören.
Wir transportierten auf unserem Schiff viele verschiedene Güter, zum Beispiel Kohle von Emden nach Hamburg, Milch von Leer nach Hamburg, Getreide von Hamburg nach Duisburg sowie Steine von Ditzum für den Wiederaufbau nach Hamburg.
Wir hatten mal wieder Steine in Ditzum geladen, um sie nach Hamburg zu bringen, als wir in schlechtes Wetter kamen. Plötzlich befanden wir uns zwischen dem Weser-Feuerschiff und der „ELBE 1" in einem Meer von Apfelsinen, welche einem anderem Schiff bei dem schlechten Wetter über Bord gegangen waren. Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals so begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Elbe gefischt, an Bord verstaut und anschließend in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig pro Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Unerwartetes Nachspiel
Die 130 Tonnen Ziegelsteine, welche wir in Ditzum (Ostfriesland) geladen hatten, wurden im Hamburger Hafen gelöscht. Sie wurden auf Pferdewagen verladen und dann weiter zu den Baustellen in Altona gebracht. In Hamburg-Altona waren während des Krieges viele Häuser zerstört worden, die nun wieder aufgebaut wurden.
Nach der kompletten Entladung des Schiffes, fuhren wir weiter zum Hamburger Fischmarkt, um dort auf neue Order zu warten. In Hamburg wurde zu damals auch viel Getreide verladen, so ließ die Order nicht lange auf sich warten. In Hamburg lagen zu dieser Zeit ca. 20 bis 30 Kleinschiffe, die auf Ladung warteten, die allermeisten hatten Haren an der Ems als Heimathafen.
Es war Samstag, und nach Freitagmittag wurden keine Ladungen mehr durchgeführt. Aus diesem Grund mussten wir bis zum Montag warten. Damit wir am Montag ladebereit waren, musste der Laderaum gefegt und gereinigt werden. Normalerweise hatte ich erst so gegen 19:00 Uhr Feierabend, da ich auch für das Kochen, Abwaschen und das Sauberhalten der Kajüten zuständig war. Der Matrose Gerd war für das Deck zuständig, während der Skipper, der in der Stadt Norden wohnte, nach Hause fuhr.
In dieser Zeit besaß keiner von uns ein Radio, so dass wir auch keinen Wetterbericht hören konnten. Wir bemerkten nur, dass der Wind auffrischte und sich zu einem Sturm entwickelte. Uns konnte er jedoch nichts anhaben, da wir ja geschützt im Hafen lagen. In der Nacht wurde ich mehrmals wach, da die Elbe ziemlich unruhig war und die Schiffe gegeneinander stießen. Daraufhin weckte ich den Matrosen, und wir holten die Leinen durch und befestigten Fender an der Bordwand. Da Vollmond war, konnten wir die Umgebung deutlich erkennen. In der Zwischenzeit waren noch ein paar Schiffe hinzugekommen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kleinschiffe zwischen 150 und 250 Tonnen, die noch mit Kies und Sand beladen waren.
Das Wetter beruhigte sich während der ganzen Nacht nicht mehr, und am nächsten Morgen herrschte Windstärke 10 und in Böen sogar bis 11 aus südwestlicher Richtung. Das Wetter hatte zu einer Sturmflut geführt, und der gesamte Altonaer Fischmarkt war bereits überschwemmt. Der Weg an Land war uns versperrt. Einige der anderen Schiffe hatten Ihre Beiboote ausgesetzt und konnten so ihre Leute an Land bringen.
Ich war am Montag mit einem Landgang an der Reihe, da sich meine Infektion verschlimmert hatte. Der Kapitän hatte die Adresse eines Arztes in der Nähe besorgt, zu dem ich unbedingt gehen musste. Es war aber erst Sonntag, und ich musste Fleisch anbraten und das Gemüse vorbereiten, während der Matrose Gerd die Kartoffeln schälte. Den Pudding hatte ich schon am Morgen zubereitet und kalt gestellt. Das Kochen hatte ich hauptsächlich von meiner Großmutter abgeschaut, bei der ich mehrere Jahre meiner Kindheit verbracht hatte.
In der Zwischenzeit kamen wir mit anderen Seeleuten in Kontakt, um zu erfahren, wie sich die Wetterlage entwickelte. Alles in allem sah es nicht gut aus. Der Sturm war auf Nordwest gedreht und sollte sich noch verstärken. Damit bestand weiter die Sturmflutsituation. Da es noch keinen Sprechfunk und an Bord keinen Rundfunkempfänger gab, hatten die Hafenbehörde und die Wasserschutzpolizei alle Hände voll zu tun. Alle Schiffsführer und Kapitäne mussten mit Hilfe eines Megaphons gewarnt werden.
Am Montagmorgen flaute der Sturm endlich etwas ab. Die Elbe war immer noch stark aufgewühlt, die Kaimauer und die Hafenanlagen standen teilweise noch unter Wasser. Ich hatte leichtes Fieber, und somit wurde es Zeit für mich, zum Arzt zu gehen. Ich wurde mit einem Beiboot an Land gebracht.
Der Arzt hatte seine Praxis in St. Pauli. Als ich dort ankam, herrschte im Wartezimmer bereits Hochbetrieb. Nach einer etwa eineinhalbstündigen Wartezeit war ich dann endlich dran. Nachdem ich dem Arzt alles geschildert hatte und von ihm gründlich untersucht worden war, erklärte er mir, dass ich an einer schweren Blasenentzündung leide und diese nur zu Hause in Ruhe auskurieren könne. Daraufhin gab er mir ein Rezept für die Apotheke und eine Bescheinigung für den Kapitän. Er ermahnte mich, sofort von Hamburg direkt nach Emden zu fahren, um mich richtig auszukurieren. Das bedeutete für mich nur eines: ausmustern.
Nachdem ich in der Apotheke drei verschiedene Medikamente erhalten hatte, machte ich mich auf den Rückweg zum Schiff. Am Schiff angekommen, unterrichtete ich den Kapitän von meiner Lage. Er war darüber sehr traurig, da er mich gerne an Bord behalten hätte. Nun musste er zur Heuerstelle, um einen anderen Schiffsjungen anzuheuern.
Ich packte in der Zwischenzeit meine Sachen zusammen, um dann mit dem Kapitän zusammen zum Seemannsamt zu gehen, um die Abmusterung im Seemannsbuch eintragen zu lassen. Ich bekam noch einen Rest meiner Heuer und das Fahrtgeld für die Reise nach Emden mit auf den Weg.
Als ich in Emden ankam, war meine Mutter zwar froh, dass ich wieder zu Hause war, aber auch traurig darüber, dass ich krank war. Ich blieb ca. 14 Tage zu Hause, bis mich ein anderer Arzt wieder gesund schrieb. Gleich am nächsten Tag ging ich wieder zur Heuerstelle und ließ mich als Schiffsjungen eintragen. Dort sagte man mir gleich, dass die Chancen für Schiffsjungen derzeit sehr schlecht seien. Viele Jungen wollten zur See fahren, und es gebe nur wenige Lehrstellen, die an Bord Verfügung stünden. Mittlerweile war in Juni 1948 die neue Währung eingeführt worden, und alle Menschen, ob jung oder alt, wollten Geld verdienen und suchten nach Arbeit.
Ich fand dann eine andere Arbeitsstelle bei einer Schiffsreinigungs-Firma auf den Nordseewerken. Dort wurden alte Fischdampfer, welche im Krieg als Vorpostenboote gedient hatten, wieder zu Fangschiffen umgerüstet. Ich hatte einen Stundenlohn von 60 Pfennigen plus einen Zuschlag von 10 Pfennigen als so genanntes Schmutzgeld. Die älteren Kollegen bekamen etwas mehr. Freitags war Zahltag. Ich war mit meiner Arbeitsstelle zufrieden. Netto bekam ich ca. 36 DM ausgezahlt. Davon gab ich meiner Mutter Kostgeld, aber für mich blieb auch immer noch was übrig.
Nach einem halben Jahr gab es für uns immer weniger Arbeit, da sich noch zwei weitere Reinigungsfirmen niedergelassen hatten. Daraufhin wurden einige jüngere, unverheiratete Kollegen, zu denen ich auch gehörte, entlassen.
Ich suchte also wieder nach Arbeit. Eines Tages traf ich einen meiner Vettern in der Stadt, der einen Karton auf dem Fahrrad befestigt hatte, in dem er Korb- und Schwarzbrot transportierte. Ich erfuhr von ihm, dass er eine Arbeitsstelle als Laufbursche bei dem Kaufmann Folkerts, dessen Geschäft am Appelmarkt lag, gefunden hatte. Falls ich auch an einer Stelle als Laufbursche interessiert wäre, könnte er mir eine besorgen, denn die Bäckerei Hermann & Martin Meyer in der Nordertorstraße würde jemanden suchen. Ich ging gleich am nächsten Morgen dorthin und stellte mich vor. Einer der Meister erklärte mir, was ich tun sollte, und schon am nächsten Tag um 7:30 Uhr konnte ich anfangen. Meine erste Aufgabe war es, einen großen Beutel mit Brötchen, ein paar Weiß- und Korbbrote zu Herrn Joseph Roden an der Ecke Auricher- / Eggena-Straße zu bringen.
Von nun an lieferte ich jeden Tag von 7:30 Uhr bis 18:30 Uhr Brot, Brötchen oder Kuchen aus. Ich belieferte auch Privatkunden mit allerlei Torten, welche im Karton verpackt waren oder Backbleche mit Teekuchen. Bei den Kunden gab es für mich auch hin und wieder ein Trinkgeld. Die meisten der Kunden wohnten in einem zentralen Gebiet der Straßen Zwischen-beiden-Bleichen und der Neutorstraße. In diesem Bereich waren während des Krieges nicht so viele Häuser bombardiert worden, wie in anderen Teilen der Stadt. Zum Transport standen uns zwei Fahrräder mit Anhänger und ein Kastenwagen, der mit zwei Rädern aus einem alten Flugzeug bestückt war, zur Verfügung.
Der Umgang mit diesem Wagen war ein sehr schwieriges Unterfangen. In den Wagen passten ca. 100 Brote. Eine solche Ladung wurde jede Woche einmal nach Borssum gebracht - unabhängig vom Wetter.
Mein Arbeitslohn betrug 15 DM, dazu freies Mittagessen. Zusätzlich bekamen wir zwei Korbbrote und ein Rosinenbrot am Samstag. Bei Hochbetrieb vor Feiertagen kam es schon mal vor, dass ich erst um 20:00 Uhr Feierabend machen konnte. Dann bekam ich immer ein Abendessen beim Bäcker und noch 5 DM extra.
Vor Weihnachten half auch mein Bruder mit, der sich ebenfalls ganz gut auskannte. Er arbeitete zwar auf den Nordseewerken, hatte aber Samstagmittag und natürlich am Heiligabend frei. Wir bekamen immer genug Brot und Kuchen mit nach Hause, so dass die Haushaltskasse meiner Mutter entlastet wurde.
Leider gab es auch ab und zu mal Unfälle. Mir passierte es in der Mittagsstunde, als ich noch schnell einen großen Beutel mit ca. 100 Brötchen und ein paar Weißbrote ausliefern musste. Die Weißbrote waren in einem Korb auf dem Gepäckträger platziert, und die Brötchen befanden sich in einem Sack am Lenker, den ich mit der linken Hand festhalten musste. Der Empfänger war Friedrich Jansen, die Lieferung sollte schnell erfolgen. Ich fuhr gerade am Delft entlang, und vor mir fuhr eine Straßenbahn. Überholen war da zwecklos. Plötzlich kam ich mit dem Vorderreifen in die Schienenspur, dies brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich stürzte. Mein Brötchensack platze auf, der Inhalt der Tüte und die Brote auf dem Gepäckträger wurden auf der Straße verteilt. Im Nu stürzten sich die größeren Jungs, die zufälligerweise gerade aus der Berufsschule kamen, auf die Backwaren und nahmen sie mit. Ich habe mir dabei am ganzen Körper üble Verletzungen zugezogen und konnte drei Wochen lang nicht arbeiten. In der Zwischenzeit haben zwei Lehrlinge meine Aufgaben übernommen und die Backwaren ausgetragen.
Durch eine Verletzung am linken Arm hatte ich oft Schwierigkeiten beim Auf- und Absteigen vom Fahrrad, sowie beim Tragen von Backblechen.
Es wurde nun langsam Frühling, die Tage wieder länger und wärmer. Eines Tages beschloss ich, mal bei der Seemännischen Heuerstelle vorbei zu schauen, um zu sehen, ob es vielleicht wieder ein Schiff gab, und siehe da, es klappte. Man hatte tatsächlich etwas für mich. Da ich meine Infektion nun schon gut ein halbes Jahr auskuriert hatte, konnte ich endlich wieder auf einem Schiff anheuern.
Kohle nichts als Kohle – Auf der ELISE SCHULTE
Laut Potsdamer Vertrag war es Deutschland erlaubt, Schiffe bis 3.500 Tonnen zu bauen oder zu kaufen. Viele der Reedereien kauften hauptsächlich ältere Schiffe von den Engländern. Ich konnte dann auf solch einem Schiff anmustern, das „ELISE SCHULTE“ getauft war. Es gehörte der Reederei Schulte und Bruns aus Emden.
Nachdem das Schiff aus England geholt worden war, wurde es zur Einhaltung der deutschen Vorschriften auf der Werft von Schulte & Bruns umgerüstet.
Zuerst unternahm die ELISE SCHULTE zwei Reisen mit Schlammkohle für verschiedene Gaswerke in Hamburg. Erst dann wurde die volle Mannschaft in Emden angeheuert. Ich gehörte ebenfalls dazu. Angemustert wurde ich als Decksjunge, sollte aber auch den Heizern in der Messe helfen, bis in Hamburg ein Messejunge dazu stoßen würde. Ich kündigte also meine Stelle bei dem Bäcker, und mit dem Restlohn und etwas Urlaubsgeld konnte ich mich dann für die Reise mit Seife, Waschmitteln und anderen Toilettenartikeln ausrüsten.
Da ich bereits im Aufwaschen von Tellern und Tassen, sowie im Backen Erfahrung hatte, konnte ich leicht am ersten Morgen an Bord mithelfen. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, und direkt seekrank bin ich auch nicht mehr geworden. Wenn ich gegessen hatte, wurde mir zwar ab und zu noch mal etwas übel, aber das ging schnell vorbei.
Wir hatten bereits drei Reisen von Emden nach Hamburg, genauer gesagt, nach Waltershof, nach Altona und zum India-Hafen hinter uns gebracht. Der neue Messejunge, der aus Kiel kam, war inzwischen auch an Bord. Da bekamen wir die Order für zwei Ladungen nach England. Wir sollten Kohle von Blyth in England nach Hamburg bringen. Dies war meine erste Auslandsreise, und ich war sehr neugierig, was mich nun erwarten würde.
Blyth stellte sich als typische Bergarbeiterstadt an der Ostküste Englands heraus. Dort wurde die Kohle direkt aus der Nordsee gefördert. Das Beladen dauerte etwa drei bis vier Stunden. Zusätzlich zu meinen Arbeiten in der Messe und den Kajüten musste ich auch an Deck Arbeiten verrichten. An den Wachen an Bord durfte ich jedoch noch nicht teilnehmen. Durchschnittlich machten wir ca. zwei Fahrten in der Woche von Emden nach Hamburg. Wenn es gut lief und die Kohle aus dem Ruhrgebiet pünktlich in Emden eintraf, konnten es auch drei Fahrten in der Woche werden.
Unser Schiff lag direkt vorne am Erzkai und zwar so, dass ein mit Erz oder Kohle beladener Kahn zwischen unserem Schiff und der Kaimauer Platz hatte. Zur Vorsicht wurde unser Schiff durch zwei Baumstämme an der Kaimauer abgestützt. Die Beladung erfolgte dann mit zwei Kränen von Land aus, und ein Schwimmkran übernahm die Beladung der Außenbordseite. Durchschnittlich wurden für den gesamten Vorgang vier Stunden benötigt.
Meine Bordkameraden und ich natürlich auch gingen gern einmal ins Kino. Leider waren viele der Kinos in Emden im Krieg zerstört worden. 1950 waren bereits zwei davon, die Lichtspiele und das Apollotheater, wieder in Betrieb, und drei weitere wurden gerade wieder aufgebaut. Bis 1949 waren das Apollotheater in der Herrentorschule und die Lichtspiele in der Gaststätte Sternburg untergebracht gewesen. Wenn unser Schiff am Donnerstag in Emden einlief und noch beladen wurde, dann waren wir garantiert am Samstag wieder in Emden. Falls dies eintraf, richtete ich mich darauf ein und fuhr mit dem Fahrrad in die Stadt und kaufte gleich vier oder fünf Kinokarten für eines der beiden Kinos. Lagen wir in Hamburg, war es immer schwierig, samstags ins Kino zugehen, da im Hamburger Hafen auch am Sonntag gearbeitet wurde.
Hatten wir Schlammkohle oder Bunkerkohle für den Eigenbedarf geladen, waren wir immer sehr schmutzig. Wir hatten Glück, dass wir auf unserem Schiff einen Baderaum für die Deckbesatzung und einen zweiten für die Heizer hatten. Dieser Luxus war nicht auf jedem Schiff zu finden. Da Deutschland auf Grund des verlorenen Krieges die gut ausgerüsteten neuen Schiffe hatte abgeben müssen, waren zumeist ältere Schiffe wieder an die Reeder verkauft worden. Auf den meisten Schiffen bestand die Waschgelegenheit nur aus so genannten Pützen (Eimer). In diesen Pützen wusch man sich selbst und auch die Arbeitskleidung.
Bei den kurzen Reisen war es nicht möglich, die nötigen Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Musste das Schiff gestrichen werden, dann unternahm man Zwischenreisen nach Schweden, um in Oxelsund oder Gävle Eisenerz zu laden. Während dieser Fahrten hieß es dann: „Alle Mann an Deck!", und auch die Freiwachen mussten nach der Wache mit an Deck, um den nötigen Anstrich aufzubringen. Dadurch gab es viele Überstunden, und auch die Hilfe von uns Jüngeren wurde benötigt. Für eine geleistete Überstunde bekam ich 1,25 DM. Eine Stange Zigaretten kostete an Bord 5 DM, welche ich dann für 10 bzw. 11 Kronen oder 10 DM an Land verkaufte. Eine Flasche Schnaps kostete am Bord ebenfalls 5 DM. Man konnte sie aber an Land für 35 bis 40 Kronen verkaufen. Unser Kapitän Fritz Brinkmann, der ein rauer Geselle, aber guter Mensch aus Westrhauderfehn war, warnte mich immer vor dieser Art von Geschäft. Er sagte, falls er mich beim Schmuggeln erwischen würde, könnte ich sofort nach Hause gehen, und er lachte dann schelmisch dazu. Ich wurde jedoch während meiner gesamten Seefahrtszeit nie erwischt.
Die „HERMANN SSCHULTE“, ein weiteres von der Reederei Schulte eingesetztes Schiff, war in der Lage, ein paar Tausend Tonnen Ladung mehr aufzunehmen als unser Schiff. Als es uns bei Brunsbüttel einmal überholen wollte, da fragte unser Kapitän unseren Leichtmatrosen und mich, ob wir die Heizer für ein bis zwei Stunden unterstützen könnten, um die Bunkerkohle näher an die Öfen zu schaufeln. Wir taten es, und gemeinsam schafften wir es, dass die HERMANN SCHULTE uns nicht überholte und wir noch zwei Stunden eher in Hamburg waren. Jeder von uns bekam dafür acht Überstunden bezahlt.
Ich wollte nicht mehr länger auf einem Kohlefrachter fahren, da mir die Fahrten von Emden nach Hamburg zu langweilig wurden. Außerdem konnte man durch den Kohlestaub nichts richtig sauber halten. So kündigte ich meinen Dienst auf der ELISE SCHULTE und heuerte auf der „PERGAMON" an.
Hier musste Frerich Schüler krankheitsbedingt seine Schilderung seiner Seefahrtserlebnisse abbrechen. Er verstarb bald darauf.
Ab hier ein Bericht der Emder Zeitung:
In der Emder Zeitung berichtete EZ-Mitarbeiter GERD REDENIUS im Rahmen einer Serie über Ereignisse aus der Seefahrt von Begebenheiten, die sich mit Menschen verbinden, die in Emden ihre Heimat haben, hier am 14. Dezember 1996 und 25. Januar 1997: Aus dem Leben von Frerich Schüler
Schon als Kind zog es mich in den Emder Hafen
In der Emsmauerstraße, gegenüber dem Luftschutzbunker wurde ich im Mai 1932 geboren. Nachdem wir im Krieg ausgebombt wurden, wohnten wir in den Olympia-Baracken an der Nesserlander Straße.
Obwohl es nach dem Krieg an fast allem mangelte, verbrachten wir eine unbeschwerte Jugendzeit. Mit dem Wenigen, was wir hatten, waren wir zufrieden. Nach der Schule zog es mich und meine Freunde in den Hafen, wo wir uns bald gut auskannten. Wir gingen an Bord ausländischer Schiffe, wo wir als Abwäscher in der Kombüse mithalfen und dafür mit reichlich gutem Essen belohnt wurden. Des Öfteren halfen wir auch beim Festmacher Janssen aus.
Damals lagen auch viele Schiffe an der West- und Ostseite im Freihafen. Auf einem amerikanischen Schiff, das Zucker löschte, wurden mein Freund Fritz van Lengen und ich eines Tages mit einem Hafenarbeiter einig, zwei Säcke mit Schmuggelgut aus dem Hafen zu bringen. In diesen Säcken befanden sich Tee, Kaffee und Zigaretten. Mit einem geliehenen Ruderboot starteten wir bei Dunkelheit in Richtung Delft, wurden aber in Höhe der Teufelsinsel von der deutschen Dockpolizei aufgegriffen und zur Wache in die Eichstraße gebracht. Von einem englischen Militärgericht wurden wir zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verdonnert, die wir in einem Jugendheim der evangelischen Kirche in Hannover verbrachten. Ich war damals 15 Jahre alt.
Nach der Währungsreform im Jahre 1948 heuerte ich auf der 130-Tonnen-Tjalk „SEEHUND“ (Kapitänseigner Hermann Janssen, Norden) für 25 Mark Heuer als Schiffsjunge an. Während einer Reise von Ditzum nach Hamburg-Altona – das Schiff war mit Steinen beladen – befanden wir uns plötzlich zwischen Weserfeuerschiff und „ELBE 1“ in einem Meer von Apfelsinen, die einem anderen Dampfer bei Schlechtwetter über Bord gegangen waren.
Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Nordsee gefischt, an Bord verstaut und anschließend auf St. Pauli in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig das Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Als dann im Jahre 1950 die deutsche Seefahrt langsam wieder aufblühte, heuerte ich auf dem von Kapitän Fritz Brinkmann (Westrhauderfehn) geführten Dampfer „ELISE SCHULTE“ an, der Schlammkohle von Blyth (England) nach Hamburg brachte.
Danach folgte eine für mich sehr lehrreiche Fahrzeit als Jungmann auf der „PERGAMON“ der Deutschen Levante-Linie. Da sowohl die Offiziere (allesamt ehemalige Kapitäne) als auch die Matrosen (alles frühere Bootsmänner) über langjährige Erfahrungen verfügten, habe ich dort das seemännische Know-how gelernt.
Im Sommer 1951stieg ich auf dem in Costa Rica beheimateten Holzschoner „RANNA“ ein, musste jedoch das fast ausschließlich mit Esten bemannte Schiff bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen, weil ich aufgrund eines Arbeitsunfalls in Rotterdam wieder abmustern musste. Diesem Umstand verdanke ich wohl mein Leben, denn kurz darauf kollidierte die RANNA bei dichtem Nebel in der Ostsee mit einem großen Pott. Das Schiff sank, und lediglich der Steuermann konnte lebend gerettet werden. Unter den Opfern war auch mein Freund Helmut Gindera aus Borkum.
Nach meiner Genesung heuerte ich mit dem Emder Matrosen Fritz Djuren auf dem unter belgischer Flagge fahrenden 11.000-Tonner „ANVERS“ an. Als Leichtmatrose verdiente ich 50 Prozent mehr als auf einem deutschen Schiff. Mit der ANVERS waren wir in der Erzfahrt von Narvik oder Lulea nach Emden, Rotterdam oder Antwerpen eingesetzt.
Aufgrund meiner zwischenzeitlich erlangten Englischkenntnisse folgte dann ab Ende 1951 eine lange Fahrzeit als Matrose auf der mit 36 Seeleuten aus acht Nationen bemannten „SAINT ANDRE“ der schwedischen Reederei O. Wallenius. Ich blieb eineinhalb Jahre auf dem Schiff.
Viele Seeleute wollten auf diesem Schiff nicht gerne anmustern, da das Schiff in Ballast bis zu 35 Grad überholte. Wir nahmen immer wenig Bunkerkohle an Bord, um mehr Erz laden zu können. Das führte dazu, dass auf einer Reise von Narvik nach Emden wegen Schlechtwetter die Kohle nur bis Borkum reichte und wir alle Lukendeckel aus dem Zwischendeck verfeuern mussten, um in Emden anzukommen.
Die SAINT ANDRE war in den Jahren 1952/53 Stammgast im Emder Hafen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass allein 24 Besatzungsmitglieder in Emden oder Umgebung ihr Zuhause hatten. Fast alle hatten eine gemeinsam: Es waren nicht nur Seeleute, sondern auch gute Fußballspieler.
Viele Emder Seeleute fuhren damals auf schwedischen Schiffen aufgrund höherer Verdienstmöglichkeiten gegenüber deutschen Schiffen. Ich erhalte übrigens heute noch eine monatliche Rente von 177 schwedischen Kronen.
Da Ende 1951 längere Wartezeiten im Emder Hafen anstanden, dirigierte die Reederei das Schiff zu Weihnachten kurzfristig nach Glasgow um. Dort wurden wir von einem Sturmtief überrascht. Am Morgen des Heiligabends waren noch rund 700 Tonnen Erz im Schiff, die bis Mittag gelöscht werden sollten. An diesem Vormittag hatte ich Bordwache und war damit beschäftigt, die Leinen zu kontrollieren. Der Sturm nahm stetig zu, und plötzlich flog mir die erste Vorleine um die Ohren, eine zweite folgte. Auch die Manilaleinen, die etwas durchhingen, rissen. Mehrere Matrosen kamen mir zur Hilfe, und wir ließen den Steuerbordanker fallen, der über Grund schlidderte, aber nicht hielt. Als das Schiff dann über Steuerbord wegdrehte, rissen sämtliche Achterleinen. Nun trieben wir im Hafenbecken und rammten zwei Schiffe auf der gegenüberliegenden Seite. Als der Anker endlich gefasst hatte, lagen wir achtern bereits „auf Schiet“.
Wir haben Heiligabend und am 1. Weihnachtstag nur Leinen gespleißt, und da der Sturm zwischenzeitlich abgeflaut hatte, verholten wir das Schiff mit Hilfe von Winschen und sechs aneinander geschäkelten Leinen zum ursprünglichen Liegeplatz. Bei der Kollision war unser Schiff noch relativ glimpflich davongekommen; so konnten wir noch eine Ladung in Narvik übernehmen, bevor das Schiff für drei Wochen bei der AG Weser eindockte.
An Bord gab’s eine überaus erfolgreiche Fußballmannschaft.
Anschließend verkehrten wir wieder zwischen Narvik und Emden, und wenn das Wetter und die Zeit es erlaubten, spielten wir auf den Ballastreisen nach Narvik Fußball in Luke III. Der schwedische 1. Offizier, Jonas Häglöv, war ein Fußballfanatiker und beauftragte meinen Freund Hinni Rinderhagen und mich, eine Bordmannschaft zu gründen. So entstand die später überaus erfolgreiche Fußballmannschaft der SAINT ANDRE.
Zur damaligen Zeit waren 24 der 36 Besatzungsmitglieder aus Emden und Umgebung. Wir spielten gegen skandinavische Schiffe und gewannen auch ein Freundschaftsspiel gegen Frisia Emden mit 4:1 Toren. Unsere Turnierspiele fanden in Narvik, Emden und Antwerpen statt, und wir holten den 1. Preis der schwedischen Handelsmarine. Im Oktober 1952 fand eine Abschlussfeier im „Lindenhof“ in Emden statt.
Auf der nächsten Reise kam es in Narvik zu einem Zwischenfall, der jedoch glücklicherweise glimpflich endete: Bei Ausbesserungsarbeiten am Heck waren vier Besatzungsmitglieder auf Stellagen heruntergelassen worden. Weil es nachmittags gegen 15 Uhr bereits dunkel wurde, holte ich Sonnenbrenner. Plötzlich machte eine Winsch sich selbständig, ein Jolltau riss, und die Stellagen baumelten wie Schiffsschaukeln hin und her. Dabei fiel mein Freund Jonny Düpree ins kalte Wasser. Geistesgegenwärtig warf ich ihm eine Schmeißleine zu, mit deren Hilfe wir ihn bis zur Gangway zogen. Auch heute noch, nach nunmehr 44 Jahren, heißt es, wenn wir uns treffen: „Weißt du noch?“
An jenem Heiligen Abend griff niemand zum Punsch-Glas
Am 22. Dezember 1952 lagen wir mit dem schwedischen Dampfschiff SAINT ANDRE von der Reederei Wallenius Stockholm unter Kapitän S. Ekwall in der Emder Großen Seeschleuse. Wir waren auf dem Weg nach Narvik in Norwegen, um eine Ladung Eisenerz nach Baltimore in den USA zu bringen. Das Wetter war sehr schlecht, und die Stimmung an Bord war auch nicht sehr viel besser.
Wir hatten bereits fast 25 Reisen mit Eisenerz von Narvik nach Emden und einmal davon noch Glasgow hinter uns gebracht. Der Vertrag mit der schwedischen Gesellschaft für Erzförderung war ausgelaufen, und nun ging es auf große Fahrt in die Vereinigten Staaten. Einige meiner Kollegen und ich freuten uns sehr auf diese Fahrt, obwohl ich die letzten vier Jahre Weihnachten nicht zu Hause gewesen war. Dies fiel mir jedoch nicht schwer, da ich ja alle zwei Wochen in Emden einlief.
Wir standen gerade mit mehreren Leuten an Deck, als plötzlich der Kapitän zu uns kam, um uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Etwas aufgeregt berichtete er uns, der Funker hätte gerade eben mitgeteilt, dass das neue Frachtschiff „MELANIE SCHULTE“ aus Emden mit einer Ladung Eisenerz auf der Fahrt von Narvik nach Mobile in den USA verschollen sei. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen. Keiner von uns konnte das so richtig fassen. Die MELANIE war ein nagelneues Schiff und gerade mal vier Monate alt. Der Kapitän sagte noch, dass wir die Nachricht vorerst noch nicht weiterverbreiten sollten, da noch viele Familienangehörige von der Besatzung an Bord waren, darunter 15 Seeleute aus Emden, sechs Schweden, drei Lettländer, ein Holländer und mehrere Seeleute aus dem Bremer Raum.
Am Heiligen Abend waren wir etwa auf der Höhe von Bergen. Eine weihnachtliche Stimmung wollte aber nicht so richtig aufkommen, denn das Hauptthema war das Unglück, welches die MELANIE SCHULTE ereilt hatte. Auf einer der Bunkerluken in der Nähe der Kombüse stand ein großer Topf mit Punsch. Jeder konnte sich daraus so viel nehmen, wie er wollte. Doch an diesem Tag blieb der Topf fast voll und wurde kalt. Dafür wurde mehr gegessen.
Weihnachten wird in Schweden traditionell groß gefeiert, und dabei wird zwei Tage lang ausgiebig geschlemmt. An Heiligabend gab es Stockfisch, Fischsuppe und Knäckebrot. Dabei wurden wir immer von unserem Funkoffizier mit den neuesten Nachrichten versorgt, doch es gab keine Neuigkeiten über die MELANIE SCHULTE.
Falsch beladen? – Diese Zeichnung von Frerich Schüler verdeutlicht, dass die Luke 1 der MELANIE SCHULTE nicht mit Erz gefüllt worden war
Wir wussten nur, dass das Schiff 9.307 Tonnen Eisenerz für Mobile geladen hatte und am 17. Dezember 1952 in See gestochen war. Das Wetter war schlecht gewesen, wie es zu dieser Jahreszeit üblich war, aber das Schiff war so solide gebaut, dass ihm ein solches Wetter nichts anhaben sollte.
Dieser Rettungsring der MELANIE SCHULTE wurde im Februar 1953 an der schottischen Westküste angespült. Er hängt heute im Emder Seemannsheim
Vier Monate auf der „HERTA ENGELINE FRITZEN“
Ein Teil der Deckscrew der HERTA ENGELINE FRITZEN im Jahre 1953.
Von links nach rechts: Erich Remmers (Leer), Leichtmatrose Wolfgang, Matrose Hans aus Leer, Matrose Egon Honefeld (Emden) sowie ein Jungmann. Im Rettungsring unten: Matrose Karl Scheel (Emden)
Mein nächstes Schiff, die „HERTA ENGELINE FRITZEN“, war ein 10.000-Tonner der „Emden“-Klasse. Im August 1953 musterte ich auf den Nordseewerken an, wo das Schiff damals zu Garantiearbeiten lag. Weil der eigentliche Kapitän Urlaub hatte, führte Reederei-Inspektor Heinrich Looft das Kommando.
Von Emden ging die Reise in Ballast (leeres Schiff) nach Norfolk (USA), wo wir in Charter einer amerikanischen Firma Kohle für Japan an Bord nahmen. Zum ersten Mal fuhr ich durch den Panama-Kanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Ich kann mich noch daran erinnern, dass das Schiff in den Gatunschleusen durch drei Kammern 26 Meter hoch geschleust wurde. Dabei wurden wir von drei Dieselloks gezogen, die über Zahnradantrieb verfügten, weil es ziemlich steil bergauf ging.
Auf der anderen Seite des Kanals angekommen, nahmen wir Kurs auf Hawaii. In einem kleinen Hafen mit dem schönen Namen Navillivilli wurde Öl nachgebunkert.
Danach ging es nonstop weiter nach Moji auf der japanischen Insel Kiushu. Dort löschten wir einen Teil der Ladung in Schuten. In den Laderäumen schaufelten an die hundert Männer und Frauen die Kohle in Netbrooks, mit Segeltuch ausgekleidete Netze. Diese wurden dann mit unseren Ladebäumen außenbords gehievt. Alle Hafenarbeiter trugen eine Art Turnschuhe, die wie Fausthandschuhe aussahen, weil die große Zehe seinen extra Platz hatte. Ob dieses eigenartige Schuhwerk dafür verantwortlich war, dass einer der japanischen Arbeiter in den Laderaum stürzte und sofort tot war, vermag ich nicht zu sagen.
Japanisches Bier schmeckte nach Chemie
In der Nähe der damals noch völlig zerstörten Stadt Nagasaki löschte die HERTA ENGELINE FRITZEN die restliche Ladung. Yawata hieß der Hafen. Abends gingen wir mit vier Mann an Land; meine Handharmonika nahm ich mit. Wir steuerten die erstbeste Kneipe an. Zuerst wollte man uns gar nicht reinlassen, weil man uns für Amis hielt. Als sie aber merkten, dass wir Deutsche waren, wurden wir herzlich willkommen geheißen und mit allem bewirtet. Am besten schmeckte uns noch der „Sake“, ein Reiswein. Das japanische Bier dagegen, egal ob „Sapporor“, „Asahi“ oder „Kirin“, schmeckte irgendwie nach Chemie. Später kamen noch einige Gäste, die ganz gut deutsch sprachen. Es waren frühere Geheimdienstoffiziere der Marine, für die ich immer wieder das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“ spielen musste. Dieses Lied machte die Japaner ganz sentimental.
Als das Schiff am anderen Morgen auslief, waren die Laderäume leer, die Postkammer aber bis obenhin vollgestaut mit rund 70 großen Holzkisten, in denen sich wertvolles Porzellan befand. Sie gehörten der Mannschaft, die auf ihrer ersten Japan-Reise die Gelegenheit nutzte, für sich und ihre Angehörigen daheim ein oder gleich mehrere japanische Teeservices zu erwerben. Meine Kollegen und ich besitzen sie noch heute.
Weiter ging die Reise quer über den Pazifik mit Kurs auf die Westküste Kanadas. Unterwegs gab es viel zu tun, denn das Schiff sollte Getreide für Rotterdam und Bremen laden. Als erstes mussten die Laderäume gewaschen und anschließend mit Rappeltuch ausstaffiert werden. Außerdem wurden die Bilgen gereinigt und mit einem Gebläse getrocknet. Beim anschließenden Setzen der Getreideschotten hingen die Brüder Heinz und Karl Scheel aus Emden und ich noch in den Bootsmannsstühlen, wenn das Schiff bei Windstärke 10 heftig rollte. Die einzelnen Schottenplanken mussten in die Schienen bugsiert werden, eine gewiss nicht ungefährliche Arbeit. Aber wir waren damals junge Kerle, und Angst hatten wir nicht.
Zahltag
Als wir drei Wochen später in Prince Rupert in der Nähe von Vancouver einliefen, war die Knüppelarbeit beendet und das Schiff ladebereit. Gleich am ersten Abend war Zahltag. Der amerikanische Charterer, für den wir die Getreideschotten gebaut hatten, war zufrieden mit unserer Arbeit und zahlte jedem Matrosen 240 Dollar bar auf die Hand. Bei einem Umrechnungskurs von 4,50 Mark war das mehr als eine zusätzliche Heuer. Natürlich machten wir auch sofort einen Abstecher an Land. In Erinnerung geblieben sind mir die vielen Holzfäller aus Schweden, Finnland, aber auch aus Bayern, die wir an Land trafen. Sie alle hatten einen Arbeitsvertrag über fünf Jahre.
Moses über Bord
Auf der Heimreise kam es dann noch zu einem Zwischenfall, der aber noch glimpflich ablief. In der Karibik war am helllichten Tag unser Moses über Bord gesprungen. Weil es dort Haie gab, mussten wir ihn möglichst schnell wieder herausholen. Nach dem Ruf „Mann über Bord“ wurde die Maschine gestoppt und das Schiff auf Gegenkurs gebracht und das Steuerbord-Rettungsboot in Rekordzeit zu Wasser gelassen. In ihm befanden sich der 3. Offizier, Bootsmann H. Buss, Jonny Thoben und Karl Scheel. Weil der Moses sich wehrte, hatten die vier ihre liebe Mühe, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Anschließend wurde er 19jährige zu seiner eigenen Sicherheit an Bord in Gewahrsam genommen und in Rotterdam an Land gegeben. Nach Rotterdam verholten wir mit der Restladung Weizen zur Rolandmühle in Bremen. Dort ging eine unvergessene Reise zu Ende, die vier Monate gedauert hatte.
Die Reederei Fritzen:
Es war 1919, ein Jahr nach dem 1. Weltkrieg, als der 40jährige Johannes Fritzen keine Lust mehr hatte, nur Angestellter eines Binnenschifffahrtsunternehmens zu sein. Die seit Jahrhunderten in Emden ansässige Familie bestand bis dahin aus Kapitänen und Schiffbauern, nun sollte ein Reeder dabei sein – und das Glück war auf seiner Seite. Zehn Jahre nach der Firmengründung in schwärzester internationaler Wirtschaftskrise zeigten schon rund hunderttausend Tonnen Schiffsraum die blau-weiß-blaue Hausflagge mit dem roten „F“ in der Mitte. Bei Kriegsausbruch 20 Jahre nach der Gründung waren es gar 130.000 tdw – und sechs Jahre später war nichts mehr.
Statt Flotten zu lenken, handelten Johs. Fritzen Sohn mit Wäscheklammern und Kleinstherden oder ließen Kochtöpfe aus Stahlhelmen pressen.
1948 gab es den ersten Silberstreif am Horizont. Der kriegsbeschädigte Dampfer „JÜRGEN FRITZEN“ war repariert, mit 800 BRT nicht eben groß, aber es war ein Anfang. Ein Jahr später holte man vom Grunde des Hamburger Hafens die alte „HERMANN FRITZEN“, lange vor dem ersten Krieg entstanden und einer der letzten so genannten Turret-Decker der Welt. Bei den Emder Nordseewerken wird er überholt und geht an einem strahlenden Sonnentag Ende der vierziger Jahre unter buntem Flaggenschmuck auf Probefahrt – nur am Heck weht eine seltsame „Nationalflagge“. Das Hakenkreuz war bekanntlich gründlich demontiert und abgesoffen, die alten Reichs- und Bundesfarben galten nicht mehr, und so hatten die damaligen Alliierten den Deutschen die Flagge „C“ des Internationalen Flaggenalphabets „verordnet“. Die HERMANN FRITZEN war mit ihren 6.500 Tonnen, die sie tragen konnte, damals das größte deutsche Schiff. Und es fuhr und fuhr und fuhr vornehmlich zwischen Nordschweden und Emden. Jetzt beginnt der Flottenausbau erst richtig. In schneller Folge kommen immer neuere und größere Schiffe hinzu. Die Reederei Johs. Fritzen & Sohn war in der Anfang der 1960er Jahre von der Thyssen-Bornemisza-Gruppe gegründeten neuen Reederei aufgegangen. Klaus Fritzen hatte die Geschäftsführung der neuen Gesellschaft übernommen. 33 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von insgesamt eineinhalb Millionen Tonnen wurden vom Emder Neptunhaus aus dirigiert.
(Nach Wolfgang Gerth am 18. Januar 1992 in der Emder Zeitung)
Wieder ein Fritzen-Schiff
Anfang 1954 musterte ich zum zweiten Mal auf einem Fritzen-Schiff an, das auf den Nordseewerken zur Reparatur lag. Es handelte sich um den alten Dampfer „KATHARINA DOROTHEA FRITZEN“, der damals schon 25 Jahre auf dem Buckel hatte. Mit einer Tragfähigkeit von 11.000 Tonnen war der Frachter damals der größte Dampfer ohne Zwischendeck.
Nach Abschluss der Reparaturarbeiten und dem anschließenden Kompensieren im Neuen Hafen übernahm die „KDF“, wie das Schiff allgemein genannt wurde, am Erzkai eine Ladung Schlammkohle, die für ein Gaswerk in Mestre bei Venedig bestimmt war. Von dort verholten wir in Ballast nach Ploce in Jugoslawien. Mit einer primitiven Förderanlage luden wir Erz für Rotterdam. Die Ladung wurde mit einer Art Skilift, an dem etwa alle hundert Meter ein mit Erz beladener Kübel hing, an Bord gebracht und in die Luken gekippt. Die Liegezeit betrug zehn Tage.
Aus dem erfischenden Bad wurde nichts
Von Rotterdam aus ging es in Ballast über den großen Teich nach Wabana, einem reinen Erzverladehafen auf der kanadischen Insel Neufundland. Unterwegs hatten Kapitän Klinger (Emden) und Bootsmann Ernst Maintz aus Leer die Idee, den Laderaum V unter Wasser zu setzen, weil das Schiff nur wenig Ballast nehmen konnte und deshalb bei Schlechtwetter immer fürchterlich rollte oder stampfte. Außerdem lag so die Schiffsschraube tiefer im Wasser und schlug nicht so oft „blind“. Als wir aber eines Tages bei gutem Wetter die Luke öffneten, um darin zu baden, erlebten wir eine böse Überraschung. Aus dem erfrischenden Bad wurde nichts, denn die Bugdielen, der hölzerne Schiffsboden, hatten sich gelöst und schwammen in einer dicken Brühe aus Erz- und Kohlenstaub an der Oberfläche.
In Schweden blühte das Schmuggelgeschäft
Das Wabana-Erz brachten wir nach Emden, wo die „KDF“ anschließend mit Kohle für Stockholm beladen wurde. Auf der Heimreise übernahmen wir in Lulea und auf den nachfolgenden Reisen gelegentlich auch in Gävle und Öxelösund Eisenerz für Emden.
Wir blieben mehrere Monate in diesem Törn, der uns allen sehr zusagte, und das nicht nur, weil wir regelmäßig – meist zum Löschen und Laden – den Heimathafen Emden anliefen, sondern auch wegen der lukrativen Schmuggelgeschäfte in den schwedischen Häfen. In Schweden war damals der Alkohol rationiert. Die Zuteilung beschränkte sich auf eine Flasche pro Mann und Monat. Nicht einmal Bier war davon ausgenommen. Wollten die Svenskas in einem Restaurant eine Flasche Öl (das schwedische Wort für Bier) trinken, war das nur in Verbindung mit einem Imbiss möglich.
Vor allem in Stockholm blühte der Handel mit zollfreien Spirituosen und Zigaretten, wobei letztere weit weniger gefragt waren als die Hochprozentigen. Zwar wurde seitens der Schiffsführung darauf geachtet, dass das Ganze nicht ausuferte, aber ich hatte jede Reise vier Flaschen billigen Weinbrand-Verschnitt und zwei Flachen „Hamburger Vorreiter“ – ein Kümmelschnaps – zur Verfügung, für die ein Hafenarbeiter anstandslos je 40 Kronen – umgerechnet 32 Mark – auf die Back blätterte. Noch größer war die Verdienstspanne beim „Eau de Vie“, den wir an Bord als „Rückwärtsbenzin“ bezeichneten. 24 Mark zahlten die Hafenarbeiter für eine Flasche, die im Freilager noch keine zwei Mark kostete. Das Geschäft lief so gut, dass ich mir schon nach der zweiten Reise in Stockholm eine Lederjacke kaufen konnte.
Für mein Schmuggelgut hatte ich zwei gute Verstecke. Bei beladenem Schiff wurde die Ware in zwei leere Farbeimer im Farbenstore unter der Back verstaut, und auf Ballastreisen leistete eine Pütz, die ich mit einem Fleischhaken an eine Eisensprosse im gefüllten Ballasttank hängte, gute Dienste. Beide Verstecke blieben bis zum Schluss unentdeckt.
Ein Risiko: die „schwarze Gang“
Die ganze Schmuggelei war natürlich mit dem Risiko verbunden, von der „schwarzen Gang“, den Zöllnern mit ihren blauen Overalls, geschnappt zu werden. Die Zollstrafen waren nicht von Pappe. Wenn ich mich recht erinnere, durfte man für eine Flasche Schnaps 250 Kronen löhnen. Im Wiederholungsfalle drohte sogar ein zusätzliches Landgangsverbot.
Meine Fahrzeit auf der KATHARINA DOROTHEA FRITZEN ging Mitte August 1954 zu Ende. Drei Monate später musterte ich auf dem Dampfer „ELIZA NÜBEL“ an.
Die „Emder Dampfercompagnie“ verfügte Anfang der 1960er Jahre über neun Frachter, davon sieben Seeschiffe in weltweiter Trampfahrt. Sie trugen alle den Namen „Emden“ als Heimathafen am Heck, und mehr als 300 Beschäftigte wurden vom Kontor in den oberen Räumen der Commerzbank aus gelenkt. Wilhelm Nübel hatte zusammen mit einem Partner die „Emder Reederei AG“, kurz ERA, 1919 gegründet. Nach einigen Problemen musste die ERA aufgegeben werden, und so wurde dann 1923 die „Emder Dampfercompagnie“ gegründet. Das erste Schiff hieß „RADBOD“. Später kamen die „WITTEKIND“ und die „TAGILA“ hinzu. Als Folge des 2. Weltkrieges gingen alle Schiffe verloren. Das erste Nachkriegsschiff mit 4.170 Tonnen war bei den Emder Nordseewerken gebaut worden und trug den Namen des Reeders „WILHELM NÜBEL“. Die „ELIZA NÜBEL“, 7.800 Tonnen tragend, kaufte man in England. Dieses Schiff machte erstaunliche Reisen. Einmal kam es mit Düngemitteln aus Durban in Südafrika nach Liverpool und musste gleich anschließend Nordostkurs fahren. Vorbei an der Eismeerinsel Nowaja Semlja ging es bis zum sibirischen Strom Jenisei, der vom Baikalsee kommt und 3.800 Kilometer lang ist. Hier fuhr man bis Igarka, um Holz zu holen, was aber nur von Juni bis September möglich ist, dann ist wieder alles vereist. Aber dieses Schiff kam heil zurück, wie alle, die nach dem Krieg unter der „Nübel“-Flagge mit den schräggestreiften Emder Farben fuhren. Bei der Emder Schiffswert Schulte & Bruns ließ man vier weitere Schiffe zwischen 1.280 und 1.600 Tonnen bauen. Das erste vom Stapel laufende Schiff war am 8. Juli 1952 die „BERNI NÜBEL“. Bis in den Anfang der sechziger Jahre wuchs die Flotte. Ab 1969 traten, wie bei anderen Reedereien auch, Probleme durch die internationale Frachtenlage ein, denn die Raten wurden bei ständig steigendem Schiffsraumangebot immer niedriger, und so musste man ein Schiff nach dem anderen verkaufen.
(Nach Wolfgang Gerth am 13. Februar 1992 in der Emder Zeitung)
Von Anfang Oktober 1954 meldete ich mich wieder auf dem „Heuerstall“, wie wir Seeleute die seemännische Heuerstelle in der Brückstraße nannten. Herr Obes war damals der Leiter. Außerdem waren dort Herr Vollrath und Fräulein Behrens beschäftigt. Matrosen wurden gesucht, erfuhr ich. Dagegen hatten Heizer und Trimmer kaum noch Chance, vermittelt zu werden, weil auf deutschen Werften Motorschiffe am laufenden Band vom Stapel liefen und viele Dampfschiffe inzwischen von Kohle- auf Ölfeuerung umgerüstet hatten.
Um bei Kasse zu bleiben und die Wartezeit zu überbrücken, kloppte ich erst einmal Schichten im Emder Hafen. Es dauerte aber nicht lange, bis ein Telegramm der Heuerstelle eintraf.
Als ich nicht sofort reagierte, erschien zwei Tage später der Reederei-Inspektor Eberhard Nannen von der Emder Dampfercompagnie höchst persönlich bei uns zu Hause. Das war zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Personalchefs anderer Emder Reedereien machten ebenfalls Haus- oder Kneipenbesuche, wenn sie Schwierigkeiten hatten, ihre Schiffe zu bemannen.
Offenes Geheimnis
Meistens waren diese von vielen fälschlicherweise als „Shanghaien“ bezeichnete Werbeaktionen von Erfolg gekrönt, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass der in der Regel gutmütige Seemann ganz einfach nicht „nein“ sagen kann.
Ich selber machte da keine Ausnahme. Also packte ich meinen Seesack und fuhr mit dem Emder Matrosen Werner Voss zusammen mit der Bahn nach Kiel-Hotelnau, wo wir in der Schleuse auf dem Dampfer ELIZA NÜBEL einstiegen. Mit einem Matrosen namens Robby aus Eckernförde wurde ich zur 8-12-Wache eingeteilt.
Unser wachhabender Steuermann Ludwig Stühr kam ebenso aus Neermoor wie Kapitän Müller. Das Schiff kam von Stettin und hatte Kohle für Valencia im Bauch. Da das Franco-Regime zur damaligen Zeit keine Handelbeziehungen zu den Ostblockstaaten unterhielt, mussten in Holtenau erst einmal neue Ladungspapiere ausgestellt werden. Papier ist bekanntlich geduldig, und so löschten wir in Valencia Kohle, die nicht aus Polen, sondern aus Deutschland stammte.
Anschließend verholten wir nach Mellila, einem Hafen in Spanisch-Marokko, wo wir Erz für Stettin an Bord nahmen. Auf der Heimreise wurden wir im Oderhaff von einem russischen Eisbrecher auf den Haken genommen. Urplötzlich hatte der Winter zugeschlagen. Nach zwei Wochen Liegezeit in Stettin war die ELIZA NÜBEL wieder klar zum Auslaufen. 8.000 Tonnen Kohle für Barcelona hatten wir an Bord. Dieses Mal kamen in Holtenau nicht nur neue Frachtpapiere, sondern auch Passagiere an Bord. Es waren Kapitän a. D. Förschner, seine jüngere Tochter und Dr. med. Theo Eiben, ein bekannter Emder Arzt. Das Auto, mit dem sie von Barcelona aus die Heimreise antreten wollten, hievten wir in der Schleuse auf Luke Ill. Ich glaube, es war ein Opel Kapitän, den wir sorgfältig abdeckten, mit alten Schwimmwesten polsterten und seefest verzurrten.
Wie fast alle nach lern 2. Weltkrieg aus dem Ausland angekauften Kohlensteamer war auch die ELIZA NÜBEL ein gutes Seeschiff. Allerdings hatte der Dampfer eine Schwachstelle: die Ruderanlage. Das zeigte sich, als das Schiff in der Biscaya so richtig einen auf die Mütze kriegte. All hands an Deck! hieß es, als eines Nachts die Ruderanlage ausfiel, nachdem sich ein Bolzen aus dem Rudergestänge gelöst hatte. Immer wieder krachten Brecher über Deck, und wir standen bis zum Bauch im Wasser. Zwei Matrosen gelang es aber schließlich, mit dem auf dem Achterdeck installierten Notruder das Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Ausweichmanöver
Als sich das Wetter besserte, kamen auch die Passagiere wieder auf die Kommandobrücke. Besonders Dr. Eiben interessierte sich für alle Arbeiten, die mit dem Schiffsbetrieb zusammenhingen. Er kam auch schon mal nach achtern, um mit uns Skat zu spielen. Dr. Eiben war auch mit von der Partie, als wir eines Tages auf Wache den Steuermann veranlassten, Ausweichmanöver zu fahren, obwohl weit und breit kein Schiff in Sicht war. Wir hatten vorher seinen Kieker (Fernglas) mit einem kleinen Insekt präpariert. Als der Alte uns deswegen zur Rede stellte, nahm unser Doktor die Schuld auf sich.
Über diesen gelungenen Streich haben wir an Bord noch lange gelacht. Übrigens sind mit einem dünnen Faden präparierte Fernglaser seit eh und je fester Bestandteil einer jeden Äquatortaufe an Bord deutscher Schiffe. Altgedienten Fahrensleuten zufolge soll es in der Vergangenheit nicht wenige Täuflinge gegeben haben, die nach einem Blick durch ein solches Fernglas allen Ernstes behaupteten, die magische Äquatorlinie mit eigenen Augen gesehen zu haben.
In Barcelona verabschiedeten sich unsere Gäste, um mit dem Auto die Heimreise nach Old Germany anzutreten. Wir aber fuhren weiter nach Alicante. Voll abgeladen mit Erz nahmen wir dann ein weiteres Mal Kurs auf Stettin. Meine Fahrzeit auf ELIZA NÜBEL endete dort, wo sie angefangen hatte: in Kiel-Holtenau.
In der Folgezeit traf ich erste Vorkehrungen, den Hafen der Ehe anzulaufen. Vorbei war es nun mit meiner Freiheit auf den Weltmeeren. Aus dem Weltenbummler zur See wurde nun ein Seemann, der darauf bedacht war, in Küstennähe zu bleiben. So arbeitete ich eine Zeitlang als Matrose auf dem Kabelleger und Bergungsschiff „OTTAR HARMSTORF 3“. Wir verlegten Post- und Bundesbahnkabel im Emder Hafen und vom Festland nach Norderney. Bevor ich 1956 heiratete, heuerte ich ein letztes Mal auf einem Seeschiff an. Mit der „JOACHIM HENDRIK FISSER“ fuhren wir im Liniendienst von Hamburg nach Nordspanien. Wir fuhren in Charter der OIdenburg-Portugiesischen-Dampfschiffs-Reederei, deren Kürzel „OPDR“ (Ohne-Proviant-durch-Russland) sicherlich allen Fahrensleuten noch heute geläufig ist.
26 Jahre bei der EHUG
Nach meiner Heirat erwarb ich an der Seefahrtsschule in Leer das A1-Patent und fuhr dann mehrere Jahre als Schiffsführer auf Tankschiffen der Reederei Schulte & Bruns, die an der Küste und im Emder Hafen im Einsatz waren. Es folgte eine 26jährige Tätigkeit bei der Emder Hafenumschlagsgesellschaft (EHUG), bevor ich mit 58 Jahren in den Vorruhestand eintrat. Fünf Jahre lang war ich noch Museumsführer auf dem Seenotrettungskreuzer „GEORG BREUSING“. Heute bin ich nur noch als Handharmonikaspieler bei den Transvaaler Musikanten aktiv.
Frerich Schüler schrieb ein inzwischen antiquarisches Buch über den Bombenkrieg mit dem Titel: „Als Emden in Schutt und Asche fiel“