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Plötzlich waren wir uns der Gefahr bewusst...

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Hans-Gerorg Eurich

Die Berichte über eine Umbildung der kubanischen Regierung, in die sich auch der 2008 aus den Ämtern ausgeschiedene ehemalige Staatschef Fidel Castro einschaltete, haben bei mir einige Erinnerungen wach werden lassen.

Kurz nach Fidel Castros gewaltsamer Machtübernahme kam ich nach Kuba. Von 1961 bis 1962 fuhr ich auf der MS „KLOSTERTOR“ der Emder Reederei Fisser & van Doornum. Wir sollten mehrere Reisen mit Zucker von Kuba nach Odessa ins Schwarze Meer durchführen.

Nach einem vierzehntägigen Werftaufenthalt in Antwerpen fuhren wir zunächst nach Ventspils / Lettland. Mit dabei waren der Zimmermann Theo Ahlfs und der Matrose Wolfgang Ludewigs aus Emden. In Lettland luden wir Kunstdünger sowie Stückgüter im Auftrag der sowjetischen Armee. An Deck hatten wir Militärwagen und sonstige Armeeteile geladen.

Nach einem etwa dreiwöchigen Seetörn erreichten wir Havanna. Die Militärgüter wurden sofort gelöscht. Der lose Kunstdünger wurde wohl nicht sofort benötigt, denn wir blieben erst einmal eine Woche an der Pier ohne Tätigkeit liegen. Natürlich gingen wir jeden Abend an Land. Wir befanden uns in einem der für Seeleute schönsten Häfen der Welt: hübsche Mädchen, viele Bars und Kneipen, überall Musik und nette Menschen – wenn nur diese ewige Ebbe im Portemonnaie nicht gewesen wäre. Als Matrose verdiente ich 415 Mark. Das waren gerade einmal rund 100 amerikanische Dollar. Damit konnte man keine großen Sprünge machen.


MS KLOSTERTOR 1961/62 in Havanna

Nach dem Löschen des Düngers und Säubern der Laderäume Luden wir den Zucker in mehreren Häfen rund um Kuba. Unter anderem lagen wir in Manzanilo, Santiago de Cuba, Mantanzas, Mariel und vielen anderen Häfen zeitweise vor Anker, wenn der Zucker mit Kähnen gebracht wurde. Oft blieben die Hafenarbeiter nach getaner Arbeit an Bord und schliefen in der Ladeluke. Einen eigenen Koch hatten die Leute auch dabei. Manchmal wurden wir zum Essen eingeladen. Es schmeckte alles vorzüglich, nur bei der Zubereitung durfte man nicht so genau hinsehen. Sie verarbeiteten Hühner mit Kopf und Krallen. Besonders gefragt war der Kaffee, wenn wir müde vom Landgang kurz vor Arbeitsbeginn zurückkehrten. Der kubanische Koch hatte einen Stofffilter mit rund drei bis vier Pfund Kaffee gefüllt. Unten heraus tropfte der Extrakt. Eine kleine Menge reichte, um sofort topfit zu sein.

In dieser Zeit war bereits eine Wirtschaftsblockade durch die Amerikaner verhängt worden. Das machte sich im täglichen Leben der Kubaner sehr stark bemerkbar. Die großen Straßenkreuzer konnten nicht fahren, weil unter anderem keine Zündkerzen, sonstiges Autozubehör oder Benzin vorhanden waren, aber es wurde überall geschraubt und gebastelt. Die großen Chevrolets oder Buicks waren der ganze Stolz der Kubaner. Sehr zu unserem Leidwesen mussten wir unser Lieblingsgetränk, Cuba-Libre, warm und ohne Coca Cola trinken, da es keine Kühlflüssigkeit für die Eisschränke gab.

Wir wunderten uns, dass leere Bierflaschen bei den Hafenarbeitern so begehrt waren. Der oberste Teil wurde entfernt, indem man das Ende des Flaschenhalses mit einem Bändsel, einem dünnen Tau, umwickelte, dann wurde das Band sehr schnell hin und hergezogen und mit Wasser übergossen. Dadurch platzte der obere Teil ab, und schon hatte man ein neues Trinkglas ohne scharfe Ränder. Viele Dinge wurden mit großem Geschick improvisiert.

Amerikanische Zigaretten wie Chesterfield oder Pall-Mall waren bei den Kubanern heiß begehrt, was uns natürlich sehr gut passte, denn bei unserem ständigen und chronischen Geldmangel war der Schmuggel mit Zigaretten ein sehr einträgliches Geschäft. Wir kauften die Zigaretten bei unserem Steward pro Stange für 4,25 Mark und verkauften diese mit hohem Gewinn vorwiegend an die Zöllner. Der Gewinn war zwar nicht so hoch wie außerhalb des Hafens, aber dafür ungefährlicher. Für den Gegenwert der Zigaretten konnten wir manche Party mit den sehr hübschen Kubanerinnen feiern, nur leider wurden wir des Öfteren durch die Angehörigen der Miliz gestört, die dann wieder einmal eine Razzia durchführten, weil sie uns Westdeutschen allgemein nicht unbedingt trauten. Als wir alle Tabakwaren verkauft hatten, drehten wir unsere Zigaretten selber oder rauchten kubanischen Tabak, welcher sehr gewöhnungsbedürftig war.

Die Kubaner begegneten uns recht freundlich. Sie waren nicht alle mit Fidel Castro einverstanden. Besonders die Barbesitzer beklagten entweder große Verluste oder mussten ihre Bars sogar schließen. Der Hafen von Havanna mit seinen Bars und Kneipen war zu Zeiten des vorherigen Präsidenten Baptista der größte Vergnügungsort der Amerikaner und ein sehr beliebter Ort für Seeleute aus aller Welt gewesen.

In den Straßen von Havanna, vor den Regierungsgebäuden, waren nun mit bewaffneten Milizionären besetzte Sandsackstellungen errichtet. In die Zufahrtstraßen waren große Löcher gesprengt, um einen eventuellen Vormarsch feindlicher Truppen zu erschweren. Parolen wie „Cuba Si -Yankee No!" oder „Viva Fidel" sahen wir überall an Hausmauern und auf Plakaten geschrieben. In der Stadt bewegten sich viele kubanische Milizionäre und auch sowjetische Soldaten. Schon auf See war uns die große Anzahl russischer und ostdeutscher Schiffe aufgefallen. Die Milizionäre kamen des Öfteren an Bord, um sich günstig Zigaretten und sonstige Dinge zu besorgen. Es waren abenteuerlich aussehende Gestalten mit langen Haaren und Bärten. Mitstreiter der Guerilla, die mit Fidel Castro direkt im Dschungel gekämpft hatten, trugen Bambusketten um den Hals. Auch viele Frauen waren unter ihnen. Einige trugen Revolver wie in Wildwestfilmen. Es kam auch schon einmal vor, wenn sie bei uns an Bord zu viel Alkohol getrunken hatten, dass sie übermütig ein Wettschießen durchführten.

Ich kann mich noch erinnern, dass sich zwei Leute aus der Maschine für die kubanische Miliz anwerben lassen wollten. Sie waren bereits in der Kaserne in einer alten spanischen Festung. Unser Kapitän Voss konnte die beiden Seeleute im letzten Moment mit Geld und vielen Worten wieder auslösen.

Es war im April 1961, als wir gerade an Land in unserer Stammkneipe saßen. Der Besitzer war ein Schweizer und ehemaliger Seemann, der vor Jahren achteraus gesegelt war, das heißt, er hatte sein Schiff verpasst und sich dann in Havanna niedergelassen und eine Kubanerin geheiratet. Plötzlich hörten wir Gewehrschüsse und Explosionen auf der Straße, dann Flugzeuglärm. Ein im Hafen liegendes Marineschiff feuerte mit seinen Bordwaffen. Mein Freund, Zimmermann Theo Ahlfs, ebenfalls aus Emden, und ich sowie andere Gäste gingen auf dem Fußboden in Deckung. Als wir dann später zurück an Bord wollten, mussten wir einige Straßen zum Hafen überqueren, was uns ein sehr ungutes Gefühl verursachte, denn die Lage war sehr angespannt. Überall lauerten Soldaten mit schussbereiten Waffen. Zum Glück brachte uns ein Militärfahrzeug an Bord, so dass wir mit einem riesigen Schrecken davonkamen. Später hörten wir, dass Exilkubaner mit Unterstützung Amerikas eine Landung in der Schweinebucht durchführen wollten. Die Gegenrevolution sollte zeitgleich auf ganz Kuba stattfinden. Da dieser bevorstehende Angriff aber schon vorher verraten wurde, waren Fidel und seine Guerilleros vorbereitet und konnten den Angriff erfolgreich abwehren.

Große Siegesfeiern fanden statt. Auf dem großen Platz vor dem Regierungsgebäude in Havanna hielt Fidel Castro seine Siegesrede. Wir waren alle eingeladen. Es wurde uns aber - wahrscheinlich aus Angst vor Spionage - verboten zu fotografieren oder Fotoapparate mitzuführen. Doch unser Funker hielt sich nicht an dieses Verbot. Er hatte den Fotoapparat kaum aus der Tasche geholt, als er auch schon verhaftet wurde. Wir standen also unter ständiger Beobachtung. Nach einigen Stunden ließ man ihn zwar wieder frei, aber seinen Fotoapparat bekam er nicht zurück.

An einem 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, lagen wir in einem kleinen kubanischen Hafen. Es wurde nicht gearbeitet. Am Morgen fuhr plötzlich ein LKW vor, beladen mit Palmenblättern. Kapitän Voss bekam Order, das (Schiff mit den Palmenzweigen in den Masten schmücken zu lassen. Außerdem sollten einige Besatzungsangehörige als Gäste zum Maifest in die Stadt mitfahren. Ich war auch dabei. Es wurde ein sehr schöner Tag, und nach einigen Glas warmem Rum kamen uns die Parolen wie „Cuba Si, Yankee No!“ sehr leicht über die Lippen. Überall wurde Musik gemacht und mit großem Temperament ausgelassen getanzt.

Wir fuhren noch einige Reisen mit Zucker nach Odessa am Schwarzen Meer. Auf der letzten Reise - wir waren in der Höhe von Florida - tauchten plötzlich der kubanische Lotse und sein Begleiter auf der Brücke auf. Sie hatten sich bei uns an Bord versteckt - ob mit Genehmigung unserer Schiffsführung, erfuhren wir nicht. Ein Boot der amerikanischen Coast-Guard übernahm die Leute.

Nach Ende der Reise fuhren wir nach Tel Aviv und gingen in Charter der israelischen ZIM-Line, für die wir weltweit unterwegs waren. Auf der Heimreise im Februar 1962 nach Hamburg gerieten wir in den Orkan, der für die Sturmflutkatastrophe an der Nordseeküste verantwortlich war. Durch enormen Seegang und hohe Brecher entstanden viele Schäden. Ein Rettungsboot wurde beschädigt, große Lüftungshauben, die Windhutzen, waren abgeknickt oder verbogen. An Deck gestaute Fässer hatten sich losgerissen, die Persenning von Luke 1 war teilweise aufgerissen und musste erneuert werden.

Kapitän Voss ließ das Schiff beidrehen, so dass wir eine neue Persenning auflegen konnten, was sich als gefährliche Arbeit erwies. An diesen Tagen kamen wir kaum aus den nassen Sachen heraus. Besonders unser Zimmermann, Theo Ahlfs, hatte alle Hände voll zu tun, Verpallungen und Verblockungen von losen und rutschenden Ladungsteilen durchzuführen.

Später auf der Elbe beim Einlaufen in Hamburg sahen wir neben vielen Schäden einen kleinen Frachter hoch und trocken weit an Land liegen. Erst jetzt wurde uns bewusst, mit welcher Macht der Orkan gewütet hatte.

Nach 14 Monaten musterten fast alle Besatzungsmitglieder ab. Herr Wiers, der Reederei-Inspektor aus Emden holte uns von Hamburg ab. Nach meinem Urlaub Ende Mai 1962 mus­terte ich auf der MS „BROOKTOR“ an. Wieder ging es in die Karibik. Wir kamen von Miami durch die Straße von Florida, schließlich nach Port-au-Prince auf Haiti.

Ich war auf Zwölf-vier-Uhr-Wache eingeteilt, als der Funker sehr starke Störungen in seinen Geräten feststellte. Auch das Radar war gestört. Nach einer Weile meldete sich die amerikanische Marine mit der Order, dass alle Handelsschiffe diesen Seeraum sofort zu verlassen hätten. Natürlich bekamen wir mit, dass eine Krise bevorstand. Wir hatten uns schon gewundert, dass Kuba in dieser Nacht völlig abdunkelt war. Nur Guantanamo im Osten Kubas war hell erleuchtet.

Bei Sonnenaufgang befanden wir uns mitten in einem Flottenver­band. Mit unseren 13 Knoten hatten wir natürlich keine große Chance, diesen gefährlichen Bereich schnell zu verlassen. Somit befanden wir uns mitten in dem Aufmarsch der durch Präsident Kennedy angeordneten Seeblockade durch die Amerikaner. Es war ein gewaltiger Flottenverband. Kriegsschiffe aller Größen fuhren mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei. Ein Aufklärungsflugzeug flog mehrere Male im Tiefflug über uns hinweg. Die an Deck gestauten Gasflaschen hatte man wohl zuerst als verdächtige Waffen eingestuft. Wahrscheinlich nach Auswertung der Aufklärungsbilder wurde uns über Funk mitgeteilt, wir sollten die lagernden Fässer abdecken. Nicht auszudenken, wenn die Gasflaschen nicht als solche erkannt worden wären. Jetzt wurde uns be­wusst, in welcher gefährlichen Lage wir uns befanden und dass die Welt kurz vor einem Atomkrieg stand. Später wurde über die Medien bekannt, dass auch sowjetische U-Boote in diesem Gebiet im Einsatz waren. Endlich - nach einigen Tagen - konnten wir diesen gefährlichen Bereich verlassen.

Ich fuhr noch einige Jahre auf Großer Fahrt für Emder Reedereien Zur See. Nach meiner Zeit bei der Handelsmarine wechselte ich 1966 Zur Bundesmarine und war bis 1985 Berufssoldat. Nach der Bundeswehr-Zeit machte ich mich mit der Firma BOS (Bewachung, Objektschutz und Sicherungsberatung selbstständig. 2005 verkaufte ich das Unternehmen und ging in den Ruhestand. Mit meinen damaligen Kameraden von der KLOSTERTOR, Theo Ahlfs, Wolfgang Ludewigs und Werner Lorenz, der später anmusterte, habe ich noch immer Kontakt. Wir treffen uns manchmal in unserem Verein im Museum „Freunde der Seefahrt“ in Emden. Dann werden alte Erinnerungen wach und manche Story erzählt…


Seefahrtserinnerungen – Anthologie

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