Читать книгу 27 Jahre Himmelslotse im Seemannsheim - Jürgen Ruszkowski - Страница 7
Himmelslotse bei der Seemannsmission
ОглавлениеAm 3.05.1970, am Sonntag Rogate, werde ich im Beisein meines Brüderältesten, Paul Hatje, in der alten Kapelle des Seemannsheimes von Seemannspastor Theodor Mundt in mein neues Amt als Seemannsdiakon offiziell eingeführt.
Dort, wo sich in der alten Kapelle der Altar befand, wird heute an der Bar Bier ausgeschenkt.
Für die Seeleute, die zwischen Pastor und Diakon ohnehin kaum zu unterscheiden wissen, bin ich als „Himmelslotse“ in der Regel „Herr Pastor“ oder später bei den Afrikanern „Pasta“.
Träger meiner neuen Arbeit ist die 1891 von Seemannspastor Julius Jungclaußen mit Hilfe von Hamburger Reedern, Kaufleuten und Senatsmitgliedern gegründete „Deutsche Seemannsmission in Hamburg R.V.“
Die Buchstaben R.V. stehen für Rechtsfähiger Verein. Diese Rechtsform stammt aus der Zeit vor Gültigkeit des BGB in Hamburg. Eine aus etwa zwei Dutzend Herren (überwiegend Reeder und einige Männer der Kirche) gebildete Mitgliederversammlung trägt diesen altehrwürdigen Verein und „wählt“ alle zehn Jahre einen Vorstand aus vier Herren. Er besteht 1970 aus drei Reedern und einem Kapitän. Jeweils zwei dieser Vorstandsmitglieder vertreten den Verein gemeinsam nach außen. Vorsitzender ist seit 1937 der Mitinhaber der alten Hamburger Reederei Rob. M. Sloman jr., Robert Miles Reincke, ein nobler Gentleman alter Schule. Dem Schatzmeister, Claus Edye, ebenfalls Mitinhaber der Firma Sloman, der später den Vorsitz übernehmen wird, überbringe ich regelmäßig die Monatsabrechnungen. Zu beiden Herren habe ich ein recht gutes Verhältnis. Zwischendurch war nach Reinckes Tod einige Jahre Kapitän Emil Memmen Vorsitzender. Er stellte in diesem Amt eine Art Galionsfigur dar. Nach Memmen übernimmt Claus Edye den Vorsitz. Ich komme jahrelang in guter Zusammenarbeit prächtig mit ihm aus. Erst nachdem Assessor Sigurd Stabenow, Jurist und Abteilungsleiter beim Reedereikonzern Hapag-Lloyd, zum Vorsitzenden gewählt wird, gibt es öfter Differenzen, meistens um pingeligen Kleinkram, mit denen ich aber leben kann. Ein überwiegend aus Reederfrauen gebildetes Damencomité kümmert sich um Weihnachtspäckchen, Winterschmuck des Seemannsfriedhofs und erforderlichenfalls um Beratung bei der Farbgestaltung der Gardinen im Seemannsheim. Einige Jahre später werden aus den Comitédamen vollwertige Mitglieder und die Legislaturperiode des Vorstandes wird von zehn auf fünf Jahre verkürzt. Die Mitglieder achten jedoch sehr darauf, dass kein artfremdes Blut den erlauchten Kreis stört. „So einen Gewerkschaftsheini wollen wir hier nicht haben.“ Allerdings muss ich zur Ehrenrettung erwähnen, dass mein Vorgänger Otto Brunschede nach seiner Pensionierung als stimmberechtigtes Mitglied aufgenommen wird!
Auch Fiete Jahnke wird auf meinen Vorschlag als Ersatz für Pastor Wilhelm Schmidt vom Diakonischen Werk Hamburg Mitglied.
Die Kirche stellt die von ihr besoldeten Seemannspastoren und Diakone im Seemannspfarramt zur Verfügung. Ich bin in Personalunion als Diakon des Seemannspfarramtes Geschäftsführer des Vereins und Heimleiter und unterstehe in personeller Hinsicht der kirchlichen Dienstaufsicht, in puncto Finanzen und Heimbetrieb dem Vereinsvorstand.
Die personelle Situation in der Seemannsmission: Ein Theologe als Seemannspastor ist für den Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburger Staate zuständig. Dazu gehört damals auch noch die Exklave Cuxhaven. Theo Mundt, der dieses Amt innehat und von seinem Studienfreund, Bischof Hans-Otto Wölber, in die Seemannsmission gebracht worden war, ist ein lieber, oft etwas hilfloser Zeitgenosse. In seiner vorherigen Pfarrstelle in Cuxhaven hatte man ihn „Opa müde“ genannt. Meine anfänglichen Befürchtungen vor territorialen Machtkämpfen zwischen Pastor und Diakon (eine Berufskrankheit vieler Diakone) sind völlig unbegründet. Brunschede hatte vor Mundt mit dessen Vorgänger, Kurt Rössing, mit dem er zunächst dick befreundet gewesen war, entsprechende Kämpfchen auszufechten gehabt. Mundt ist todunglücklich, dass die Seeleute so wenig von ihm wissen wollen. Er sitzt oft einsam in seinem großen Amtszimmer im 2. Stock des Seemannsheimes und wartet BILD-Zeitung lesend darauf, dass mal jemand beim Seemannspastor um einen Heiermann nachfragt. Die Mitarbeiter, und was vor allem wichtig ist, die Seeleute, sehen von vorn herein uneingeschränkt im Heimleiter den „Chef“. Ganz anders sieht das im Seemannsheim Altona an der Großen Elbstraße aus, wo Pastor Harald Kieseritzky bis ins Detail des Alltags unumschränkter Herrscher ist und die Hausväter deshalb alle paar Monate wechseln.
Etwas überspitzt wird behauptet, der Altonaer Hausvater müsse seinen Pastor fragen, ob er ein halbes Pfund Nägel kaufen dürfe. Das ändert sich erst, als der sehr tüchtige Carl Osterwald Seemannspastor in Altona wird.
Mit mir auf gleicher Ebene arbeitet Diakon Karl-Heinz Hansen als Seemannsmissionar. Er ist bereits seit seinem Diakonenexamen im Jahre 1953 bei der Seemannsmission tätig.
Diakon Karl-Heinz Hansen mit Senioren aus dem Seefahrer-Altenheim
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Krankenhaus- und Bordbesuche, Bücherkistendienst und das Spendenwesen.
Wir kommen recht gut und kollegial miteinander zurecht. Jeder respektiert den Arbeitsbereich des anderen und wir vertreten uns bei Bedarf gegenseitig. Nach Hansens Ruhestand im Jahre 1983 wird durch meine Vermittlung Jan Borowski, der Sohn des Rauhhäusler Diakons Lothar Borowski, sein Nachfolger.
Einige Wochen nach meinem Dienstbeginn in Hamburg erhalte ich einen Anruf von Pfarrer Kottschlag aus Werl. Zur evangelischen Kirchengemeinde Werl im Kirchenkreis Soest gehört auch die kleine Diasporadorfgemeinde Bremen an der Möhne. Hier habe ich bisweilen von Soest aus als Urlaubsvertreter gepredigt. Der bisherige Pastor von Bremen geht in den Ruhestand. Kottschlag bietet mir die Nachfolge an. Es wäre ein verlockendes Angebot gewesen und die „Chance“, in die „höheren Weihen“ aufzusteigen. Etliche Rauhhäusler Diakone sind diesen Weg gegangen. Meistens hatten sie Pastorentöchter zu Ehefrauen! Kurz entschlossen lehne ich das Angebot – nicht ohne heimliches Bedauern – ab. – Etwas später will mich Bruder Fahrni, als er in Ruhestand geht, für das Schröderstift abwerben. Auch diese Aufgabe hätte mich sehr gereizt. Aber ich sage wiederum ab.
Im Seemannsheim finde ich folgende Belegschaft vor: Die Wirtschaftsleiterin, Frau Marlene Dernedde, sie ließ sich damals nur mit „Fräulein“ anreden, bleibt bis nach meinem Ruhestand im Jahre 1997.
Sie verantwortet selbständig Küche und Hauswirtschaft.
In der Küche wirkt als Köchin eine dem Klosterleben entronnene Nonne, Fräulein Elisabeth Nordheider, die später einen Seemann namens Werner Lösekow heiratet, der wiederum Jahre später meine rechte Hand im Hause wird und sie bleibt weit über zwei Jahrzehnte, bis sie in Rente geht.
Zwei Küchenhelferinnen bleiben ebenfalls bis über meine Pensionierung hinaus. Die Wäscherin und sieben Raumpflegerinnen sind auch fast alle jahrzehntelang treu dabei, bis sie das Rentenalter erreichen. Ein Hausmeister und vier Pförtner, ehemalige Seeleute, und eine männliche Halbtagskraft im Büro verstärken die Mannschaft. Pförtner „Timo“, Detlef Nören, ein netter, stets einsatzbereiter Kerl, mag gerne einen guten Tropfen und schüttet bei Personalfeiern ein Glas nach dem anderen in sich hinein, bis er unter den Tisch rutscht. Beim Mittagessen muss er meistens das ganze Programm hintereinander durchprobieren. Das bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen. Eines Tages finden wir ihn tot in seinem Zimmer. Auch ein zweiter Pförtner, Fleing, säuft sich tot. Der Hausmeister „Bazi“, Emil Morban, auch Ex-Seemann und Weltbürger, der bereits zu Hitlers Zeiten das KZ Neuengamme erleiden musste, jammert immer darüber, dass ihm sein Chef nicht einmal seine Arbeitskleidung finanzieren will. Als er nach einigen Jahren stirbt, finden wir ein kleines Vermögen vor, das der Bruder erbt, mit dem er unversöhnlich im Streit gelebt hatte.