Читать книгу Zwischenfall auf Astros - Jürgen Schwarz Blum - Страница 6

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Es war inzwischen bereits beinahe dunkel geworden. Auch wenn es hier eigentlich nie richtig hell wurde, dachte Mara. Sie schaute zum Himmel hinauf, an dem sich die Sterne abzeichneten. Kurz über dem Horizont stand die Sonne, um ein letztes Mal für diesen Tag ein wenig kaltes Licht auf das Gelände zu werfen. Die Sonne war viel zu weit entfernt, als dass ihre Strahlen Wärme verbreiten konnten. Die Atmosphäre hier auf dem Asteroiden 2012 AW – der nach der Entdeckung dann später offiziell als (221141) Astros bezeichnet worden war und von den Menschen hier kurz Astros genannt wurde – war so dünn, dass das Licht der Sonne nur unwesentlich gebrochen wurde. Daher gab es am Tage nicht wie zum Beispiel auf der Erde ein diffuses, über den ganzen Himmel ausgebreitetes Licht, das die Helligkeit verteilte. Stattdessen war die Sonne eher wie ein Punktstrahler an der Decke einer Halle. Alles, was irgendwie im Schatten lag, war finster, falls es nicht künstlich beleuchtet wurde.

Die Zeit für den auf Astros unspektakulären Sonnenuntergang war immer sehr kurz. Es gab keine besondere Dämmerung, sondern es war gleich dunkel. Der kleine Mond von Astros bildete dann – sofern nicht gerade Neumond war – das hellste, wenn auch sehr kleine Licht am Sternenhimmel. Aber die Landschaft erhellen, wie es ein Vollmond auf der Erde vermochte, konnte dieser winzige Felsblock, der Astros umkreiste, nicht.

Mara tat einen tiefen Atemzug. Die dünne Atmosphäre machte es ebenfalls notwendig, außerhalb der klimatisierten Räume ein Atemgerät zu benutzen. Die Maske über Mund und Nase war nicht sehr groß, und auch der kleine Rucksack mit dem Sauerstoffvorrat fiel nicht weiter ins Gewicht. Aber trotzdem erinnerte dies immer wieder alle daran, dass sie sich hier in einer lebensfeindlichen Umwelt befanden. Daher hielten sich die Menschen meistens nur in den Gebäuden und den großen Hallen mit den Gärten auf, die eine Außenwelt simulieren sollten.

Von der kleinen Anhöhe aus ließ sich die felsige und wüstenartige Umgebung überblicken. Im Gegensatz zur Erde gab es allerdings nicht das geringste Anzeichen von Leben in dieser Wüste. Pflanzen, verdorrte oder eher erfrorene Kakteen waren hier nicht entstanden. Die Lampen an den wenigen Hütten, die diesen Außenposten bildeten, beleuchteten nur einen sehr geringen Umkreis. Schnell verschwand die Landschaft in der zunehmenden Dunkelheit. Hinter Mara am Fuße des Hügels stand der Transporter, mit dem sie hierher gekommen waren.

Der Außenposten bestand aus drei kleineren Hütten zur Unterkunft der Menschen. Zwei davon waren mit einem überdachten Gang miteinander verbunden. Weiter entfernt war ein etwas größeres Gebäude mit der notwendigen Technik vorhanden. Dort liefen die Klimaanlagen, und der Strom wurde produziert. Außerdem gab es noch eine Werkstatt. Denn falls etwas ausfallen sollten, mussten sich die Bewohner erst einmal selbst helfen. Bis aus der Zentralstadt ein Versorgungsfahrzeug kommen sollte, dauerte es immer ein paar Tage.

Neben dieser Anlage befand sich noch, beinahe zur Hälfte genau wie ein Stück der Umgebung, mit einem luftdichten Zelt umschlossen ein älteres Steingebäude. Dort am Haus und auch überall um die Ansiedlung herum gab es frische Grabungen in den Boden. Mara nahm an, dass es sich bei den Wissenschaftler, die zur Zeit allein den Außenposten bewohnten, um Geologen handelte. Doch warum diese so ein Geheimnis um ihre Tätigkeit hier machten, war ihr unklar.

Die Wissenschaftler hatten jetzt die Ladung gut verstaut im Laderaum des Transporters. Sie waren sehr besorgt gewesen und hatten ziemlich viel Aufwand für die paar Kisten getrieben. Der Transporter war ein Landfahrzeug. Flugbetrieb war in der kaum vorhandenen Atmosphäre mangels Auftriebs nicht möglich. Es musste schon mit weltraumtauglichen Raketentriebwerken und entsprechenden Raumkapseln geflogen werden. Das war nicht nur sehr teuer. Es sollte – so jedenfalls die Wissenschaftler – auch dem Inhalt der Kisten wegen der hohen Beschleunigungen und der großen Druckunterschiede nicht zuträglich sein. Daher waren Mara und ihre Begleiter mit dem Landtransporter auf diesen Außenposten berufen worden, um die wertvolle und empfindliche Fracht sicher in die Zentralstadt zu bringen.

Die Zentralstadt war aus dem ersten Siedlungsposten entstanden, der vor 23 Jahren auf dem Asteroiden errichtet worden war. Die Stadt hatte sich dann sehr schnell entwickelt. Heute gab es neben einigen wenigen, nur von einer kleinen Anzahl von Menschen bewohnten Außenposten nur noch zwei weitere Siedlungen auf Astros. Das waren aber im Vergleich zur Zentralstadt sehr viel kleinere Orte, die kaum als Stadt bezeichnet werden konnten. Merkwürdig war dabei, dass während dieser ganzen Zeit weder die Zentralstadt noch die anderen Siedlungen jemals besondere Eigennamen bekommen hatten. Es gab für die Orte noch nicht einmal einen inoffiziellen, nur von den Bewohnern benutzten Namen. Nur der Asteroid selbst wurde von den Siedlern immer Astros genannt, auch wenn diese Bezeichnung in dieser Kurzform nirgendwo offiziell auftrat. Es schien ganz so, als wenn die Menschen sich nicht dauerhaft auf ein Leben hier einrichten wollten und daher auf Namen, die eine innere Bindung bedeuteten, lieber verzichteten.

Die Menschen waren natürlich wegen der Bodenschätze zu diesem Asteroiden gezogen. Ein großer Teil des Bergbaubetriebs auf Astros konnte automatisiert und von den zentralen Steuerposten in der Zentralstadt abgewickelt werden. Dabei handelte es sich vor allem um Tagebaue, bei denen die kompletten oberen Gesteinsschichten des Asteroiden abgetragen, zerkleinert und nach den gesuchten Mineralien und Metallen mechanisch und chemisch gefiltert wurden. Nur in den beiden anderen Orten neben der Zentralstadt gab es Bergwerke mit Schächten in die Tiefe und ausgedehnten Gangsystemen. An diesen Stellen wurden tiefliegende Formationen für den Abbau erschlossen. Da der Asteroid eine für derartige Himmelskörper ungewöhnliche Größe besaß, hatte es in seiner Frühzeit durch die noch vorhandene Restwärme des Himmelskörpers eine teilweise Differenzierung der Gesteinsschichten gegeben, bei der schwereres Material nach unten gesunken war. Der Abbau dieser so entstandenen Bodenschätze in der Tiefe war der einzige Grund gewesen, neben der Zentralstadt weitere Orte anzulegen.

Erfahrungen im extraterrestrischen Bergbau hatte man bei den Unternehmungen auf dem Erdmond gesammelt. Die geringe Gravitation und der Mangel an einer Atmosphäre machte es notwendig, die Vorgehensweisen, die auf der Erde im Bergbau genutzt wurden, diesen besonderen Verhältnissen anzupassen. Die Techniker hier auf Astros waren vor allem für Wartung und Steuerung der Maschinen notwendig. Regelmäßig verkehrten die Raumtransporter, um die begehrten Bodenschätze, die hier gewonnen wurden, zur Erde zu bringen. Die Metalle wurden für die modernen elektronischen Systeme und die Waffentechnik benötigt. Waffentechnik hieß natürlich mittlerweile Freiheitssicherung. Doch für Mara machte dieser Wortwandel keinen Unterschied. Die übrigen Materialien wurden zur Energiegewinnung verwendet.

Zur Zeit waren allerdings nur wenige Raumfähren zur Erde unterwegs, da diese auch nur unwesentlich früher dort ankommen würden, als die Transporte, die erst im nächsten Jahr starteten. Das lag daran, dass sich bis dahin Astros weiter auf seiner Bahn voran bewegt haben würde und dann sehr viel näher an der Erde wäre, als es jetzt der Fall war. Im Moment war die Entfernung zur Erde etwa an ihrem Maximum.

Ansonsten fanden sich auf Astros viele weitere Beschäftigungen, um das tägliche Leben der Menschen aufrecht zu erhalten. Es mussten schließlich erst die Bedingungen geschaffen und dauerhaft erhalten werden, die überhaupt ein menschliches Leben und Überleben hier ermöglichten. Produktion von Energie, Sauerstoff und Lebensmitteln erforderte beinahe mehr Aufwand an Personal und Maschinen als der Abbau der Bodenschätze selbst.

Ursprünglich hatte Mara eine wissenschaftliche Karriere angestrebt. Nach dem Studium hatte sie an einem geheimen staatlichen Forschungsprojekt gearbeitet. Doch dann brach dieser große Skandal aus. Die gesamte Belegschaft des Instituts war entlassen worden, obwohl niemand wusste, was den Einzelnen überhaupt vorgeworfen wurde oder was tatsächlich geschehen war. Mara hatte daraufhin erst einmal die Gelegenheit zu der Arbeit hier auf dem Asteroiden angenommen – weit entfernt von der alten, irdischen Welt und ihren Problemen. Vielleicht ergab sich dann hier die Möglichkeit, in ein interessantes Forschungsprojekt einzusteigen. Und damit gelang dann vielleicht auch wieder die Rückkehr zur Erde an eine der wissenschaftlichen Einrichtungen.

Aber auch hier auf Astros hatte sich dieselbe Bürokratie irgendwelcher, in allseitiger Geheimniskrämerei arbeitender Institutionen gezeigt. Und die Wissenschaftler auf diesem einsamen Außenposten, den sie von der Anhöhe heute überblicken konnte, bildeten da keine Ausnahme. Sie hielten es nicht für notwendig, Mara und ihren Leuten irgendwelche weitere Informationen zur Ladung zu geben. Dabei war doch Teil der Wissenschaften, das Wissen zu veröffentlichen und weiterzuverbreiten? Es war Mara unverständlich. Den Wissenschaftlern vor Ort schien es aber zu genügen, dass sie ihre Kisten los wurden. Sie waren scheinbar froh, als alles an Bord verladen war, und konnten es nicht erwarten, dass der Transporter aufbrach und sie und ihren Außenposten – in Sicherheit? – zurückließ.

Mittlerweile empfand Mara das Leben auf Astros zunehmend als Endstation denn als ein Sprungbrett für einen Neuanfang.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Sie fühlte mit Hand nach dem Armband, das sie immer an ihrem linken Handgelenk trug. Es war eine altmodische Erinnerung an die vergangenen Zeiten auf einer alten Welt. Dann drehte sie sich um, stieg den Abhang hinab und betrat durch die Schleuse den Transporter. Dort traf sie auf Lim, ihren Navigator und Bordtechniker für die Fahrt. Sie wies ihn an, noch einmal alle Instrumente vor der Abreise zu prüfen. Aufgrund des angekündigten Wartungsfensters für das Satellitennavigations- und -kommunikationssystems würden sie auf einem kleinen Teilstück der Fahrtstrecke kurzfristig in einen Funkschatten gelangen. Dort gab es dann nicht nur keine Verbindung über die Satelliten, sondern es fehlten auch ausreichend landbasierte Funkmasten für eine Verbindung zur Kommunikation mit der Zentralstadt. Ein großes Problem war das allerdings nicht. Denn alle Bordrechner waren natürlich dafür ausgelegt, autark zu arbeiten. Dafür sollte aber auch sichergestellt sein, dass sie störungsfrei funktionierten.

Lim machte sich an diese Routinetätigkeit und arbeitete die Checklisten ab. Die Maschinenräume und das Äußere des Transporters hatte er bereits zuvor selbst in Augenschein genommen.

Zwischenfall auf Astros

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