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2. Auf Morpheus’ Pfaden

Nachts durchlebte ich einen wirren Traum. Ich befand mich in einem engen, vollkommen schwarz gestrichenen Raum, in dem eine Kreatur, die auch menschenähnliche Züge hatte, hauste. Steif und verängstigt stand ich in der Mitte des Zimmers und bemerkte, dass diese Kreatur Schwierigkeiten hatte, ihre Motorik zu kontrollieren. Mal bewegte sie sich zeitlupengleich, und dann, einen Augenblick später, huschte sie bedrohlich agil mit widernatürlicher Geschwindigkeit durch den Raum. Beeinflussen konnte sie diesen Vorgang offenbar nicht. Beunruhigend an diesem klaustrophobischen Alptraum war, dass sich dieses surreale Wesen mit zunehmender Agilität immer aggressiver gebärdete. Es schrie diabolisch und konnte sich nur im zurückkehrenden Zeitlupentempo von mir beschwichtigen lassen. Sobald sich dieses Etwas aber wiederholt, immer schneller werdend, völlig unkontrolliert, in einen ekstatisch zuckenden Wiedergänger transformiert hatte, verlor ich augenblicklich die Kontrolle. Doch anstatt schweißgebadet zu erwachen, kam es unerwartet zu einem abrupten Orts- und Personenwechsel. So erschien in meiner Imagination nun plötzlich James Last. Eine unspektakulärere Hauptperson einer Traumphase ist wohl nur schwer vorstellbar. Herr Last spielte mit dem Gedanken, auf dem alten Friedhof hinter der Kirche meines Stadtviertels ein Philharmoniekonzert zu geben, beziehungsweise ein Orchester zu dirigieren. (Seine Musiker waren übrigens noch nicht eingetroffen.) Unglücklicherweise zeigte sich der ortsansässige Pfarrer nicht gerade erfreut über die musikalischen Absichten des Herrn Last. Es kam zu einem heftigen Disput zwischen dem Dirigenten und dem Stellvertreter Gottes, in dessen Verlauf Herr Last langsam zum Clochard mutierte. Sein feiner, weißer Seidenanzug verschmutzte zunächst und zerfiel dann. Zudem fielen ihm die Haare und die Zähne aus. Je mehr sich Herr Last in ein bemitleidenswertes Geschöpf verwandelte, desto angeekelter wirkte der Pfarrer. Mittlerweile hatten sich zwei spärlich bekleidete, junge Vorstadtschönheiten eingefunden, die das Treiben aufmerksam und sexuell stimuliert beobachteten. Von Zeit zu Zeit spendeten sie dem Geistlichen einen euphorischen Applaus, wenn dieser dem Orchesterleiter besonders energisch die Leviten las. Schließlich wandte sich der Kirchenmann endgültig angewidert von Herrn Last ab und verschwand mit den beiden Damen im Arm in seinem Gotteshaus, dessen schwere Türen er hinter sich zuzog und verschloss. Herr Last trottete niedergeschlagen, beinahe völlig in sich zusammengesunken, auf eine mit Gras bewachsene Anhöhe, von der aus er traurig und resigniert auf die Stadt hinabblickte. An seinem alten und geschundenen Körper hingen nur noch ein paar Kleidungsfetzen.

Ich erwachte mit leichten Kopfschmerzen. Mein erster Gedanke, als ich die Augen öffnete: Ladies first, James Last.

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