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Hotel Diana

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Vence sollte ihnen anfangs in schlechter Erinnerung bleiben: Zeltplatz Nummer fünf teilte ihnen mit Hilfe einer Papptafel mit (man wollte die verzweifelt suchenden Touristen schon vor der Rezeption abwimmeln), dass er (wie die anderen vier davor auch) „Complete“ (also überfüllt) wäre, keine große Überraschung für ihn. Die Frau blätterte angestrengt in ihren Reiseunterlagen und mit einem Blick in den Rückspiegel meinte der Mann erste Anzeichen von Unsicherheit in ihrem Gesicht zu erkennen. Sie hatten die Stadt jetzt mehrfach durchfahren, weil vielleicht der municipal noch eine Stellfläche bieten würde oder der große, im Norden liegende Zeltplatz, ihnen Unterschlupft gewähren könnte. Langsam glaubte er am keinen Zufall mehr und Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn, immer wieder schaltete er die Klimaanlage kurz ein und dann wieder aus.

„Wir probieren es noch mal im Westen, da muss es noch einen Zeltplatz geben der ist nicht so groß“ legte die Frau fest, der Uhrzeiger näherte sich der sechs. Sie kannte den Mann bestens und wusste ganz genau, was sie ihm noch zumuten konnte. Manchmal erinnerte er sie mit seiner Langmut und der Gutmütigkeit an einen Schäferhund (an einen deutschen selbstverständlich, denn in Bezug auf Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein war er typisch deutsch) und als er schweigend weiterfuhr ahnte er schon, dass es wieder ein Schlag ins Wasser werden würde. Die Straße führte sie über Serpentinen in ein abgelegenes Waldstück, hier, mitten in der Pampa sollte doch noch etwas zu haben sein, Fehlanzeige. Der Mann schaute auf die Uhr: Achtzehn Uhr dreißig.

„Wir hören jetzt auf zu suchen“ sagte er noch ruhig zu der Frau „heute haben wir eh kein Glück mehr, lass‘ uns ein einem Hotel einchecken, es wird langsam Zeit.“

Sie nickte zustimmend, allerdings hatte der deutsche Spähtrupp jetzt jegliches Angriffskonzept verloren und irrte mehr oder weniger planlos durch die Gegend.

„Vorhin habe ich beim Vorbeifahren ein Hotel gesehen, „Royal Hotel oder so, sah allerdings recht vornehm aus“ informierte der Mann die Frau.

„Na gut“ erwiderte sie „schauen wir uns das mal an.“

Das Hotel machte schon von außen einen gediegenen und teuren Eindruck, zwei Autos verloren sich auf dem großen Parkplatz. Wie üblich schickte der Mann die Frau vor, das stimmte eigentlich so nicht, denn sie war nun mal der Organisator und übernahm diese Rolle auch jetzt wie selbstverständlich. Mit einem verstörten Gesichtsausdruck kam sie zurück, ließ sich in das Auto fallen und sagte lapidar:

„Wir hätten ein Zimmer für vierhundertfünfzig Euro bekommen können, falls noch eins frei gewesen wäre. Die sind ausgebucht, der Mann an der Rezeption hat es mir gezeigt.“

Heilige Scheiße, er versuchte gar nicht sich vorzustellen wie es weiterging, jedes Hotel, das sie jetzt noch anfahren würden, wäre vollständig belegt, zu guter Letzt müssten sie im Auto schlafen und er wusste, dass es dann nicht mehr lange dauern würde, bis sie sich gegenseitig mörderisch auf die Nerven gingen und Gebrüll würde das Ventil ihrer Verzweiflung sein. Klar, Restaurants gab es wie Sand am Meer hier, das war nicht das Thema, aber ungewaschen, möglicherweise mit enormem Druck auf Blase und Schließmuskel und in der stickigen Luft im Auto könnten sich Aggressionen entwickeln, die den Traum vom schönen Urlaub zerplatzen ließen, bevor er überhaupt begonnen hatte.

„Was machen wir jetzt“ fragte der Junge (der in großer Sorge darum war, nichts zu essen zu bekommen, er wuchs beinahe stündlich und sein Appetit war dementsprechend groß).

„Na weitersuchen“ teilte ihm der Mann kurz angebunden mit, er merkte, dass sich sein Tonfall ungünstig veränderte. Dabei konnte der Junge doch auch nichts dafür, dass ihr Operationsplan nur noch Makulatur war, da konnte die Frau in ihren Unterlagen bis zum jüngsten Tag blättern. Langsam fuhren sie weiter, das nächste Hotel war wohl eine Preiskategorie niedriger, aber auch dieses war ausgebucht. Zurück in der Stadt fuhren sie auf gut Glück durch die Straßen, der Junge sah einen Hinweis auf das Hotel Diana, allerdings fehlte die nächste Anzeige. Plötzlich schrie die Frau auf:

„Da, da vorn links, dort ist es, versuch‘ mal zu halten.“

Diesmal hatten sie Glück, der Mann konnte direkt vor dem Eingang auf einer Fläche halten, die wohl zum Be- und Entladen vorgesehen war, die Frau hatte ihre Tatkraft wieder gewonnen und verschwand in dem Haus. Als sie nach drei Minuten immer noch nicht zurück war klopfte der Mann dem Jungen, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, auf die Schenkel, produzierte so etwas wie ein grimassenhaftes Lächeln und nickte nur mit zusammen gebissenen Zähnen, mein Gott, hatte er die Schnauze voll!

Erst die Kutscherei über die Autobahnen mit ihren unzähligen Mautstellen, dann ein Schlag in die Magengrube nach dem anderen. Er überlegte krampfhaft, wenn das wieder nichts wurde, woran er seinen Frust auslassen sollte. In der Armeezeit war der Spind sein Punchingball gewesen. Erst wenn er den Schrank mit Füßen und Händen so lange traktiert hatte bis ihm die Knochen wehtaten flaute die Wut ab, er musste unbedingt (im Fall der Fälle) ein Objekt finden, das er bearbeiten konnte, denn an der Frau und dem Jungen konnte er seine maßlose Enttäuschung über den ganzen Mist nicht auslassen, sie hatten das nicht verdient!

Natürlich wäre es nicht die feine französische Art, wenn er beispielsweise die Rückspiegel an den dicht gedrängt stehenden Fahrzeugen abtreten (falls er sein Bein so hoch bekäme) und dazu Karatelaute ausstoßen würde. Wer weiß, wie lange die Einheimischen seinem Tun tatenlos zusehen würden, jedenfalls hätte er für diese Nacht dann mit Sicherheit ein Quartier, nämlich im Knast. Das wiederum konnte er der Frau und dem Jungen schlechterdings antun, schließlich war er der Fels in der Brandung der Übernachtungssuche. Scheiben einzuschmeißen hätte wohl die gleiche Wirkung, alles was mit Sachbeschädigung zu tun hatte schied aus (wenig später sollte es doch noch auf eindrucksvolle Art dazu kommen), er musste subtiler vorgehen. Freilich war ihm klar, dass er sich als Deutscher keineswegs besondere Sympathien bei den Franzosen erwerben würde wenn er laut brüllend auf sein Dilemma hinwies, ändern könnte das an der vertrackten Situation ohnehin nichts.

Schließlich verfiel er darauf, das Auto zu verlassen und sich wie ein Spastiker mit eigenartig verdrehten Gliedmaßen vor dem Eingang des Hotels hin und her zu bewegen und unnatürliche Laute auszustoßen. Dazu hielt er seinen im vorigen Jahr in Grignan erworbenen Strohhut vor sich hin, so als würde er um eine Spende bitten, möglicherweise hielt er mit dieser Aktion weitere potentielle Zimmersuchende davon ab, sich dem Hotel Diana zu nähern. Die Frau stand am Tresen des Hotels und bekam von seinem Tun nichts mit, nur der Junge schaute ihn entgeistert an, auch die Passanten zogen es vor, besser den Fußweg auf der anderen Straßenseite zu nutzen. Als sich ein Auto mit holländischem Kennzeichen näherte und der Fahrer aus dem geöffneten Fenster seinen Blick hoffnungsvoll auf das Hotel richtete trat der Mann mit abgehackten und spastischen Bewegungen an ihn heran, hielt ihm den Strohhut vor die Nase und sagte „Spende, bitte Spende, Tagung von psychisch Kranke hier in Hotel“ (wohl wissend, dass der Holländer ihn verstehen würde).

Der Holländer gab Gas, würgte den Motor aber aufgrund des Schocks ab, dann starte er wieder und der Mann sah, dass sich vier blonde Kinder auf der Rückbank drängten, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anblickten. Für das Erste war sein Plan aufgegangen, nach dieser Einlage fühlte er sich deutlich besser und gerade in dem Moment, als er sich wieder normal bewegte, kam die Frau aus dem Hotel.

„Wir können zwei Zimmer kriegen, allerdings kostet uns das insgesamt 225 Euro, ohne Frühstück.“

„Machen wir, machen wir“ erwiderte er.

„Geht’s dir gut“ fragte sie besorgt.

„Ja, ja, alles in Ordnung, alles in bester Ordnung“ stammelte er jetzt.

Sie sah ihn nachdenklich an, dann gingen sie gemeinsam zur Rezeption und die Frau hinter dem Tresen begrüßte ihn freundlich. Radebrechend machten sie ihr klar, dass ihr Auto (welches die Rezeptionistin gut im Blick hatte) auch untergebracht werden müsste, kein Problem, sie würde das Tor zur Tiefgarage öffnen, er könnte dort parken. Die Frau und der Junge griffen sich einige Sachen aus dem Auto, sie wollten auf ihn an der Rezeption warten.

Die Einfahrt war eng aber er schaffte es. Als das Auto langsam die Rampe herunter rollte öffnete sich surrend das Tor. Geduldig wartete er ab bis es ganz oben war, dann ging er von der Bremse und als die Vorderräder die ebene Parkfläche berührten war es nur noch ein Moment, bis er einparken, hoch gehen, ein Bier aufreißen und sich erst mal entspannt auf das Klo verziehen würde (in dieser Reihenfolge). Plötzlich gab es ein widerliches Geräusch, so als ob eine riesige Feile über einen gewaltigen Metallklotz streichen würde, im gleichen Moment schoss es ihm siedend heiß durch den Kopf: verdammter Mist, er hatte nicht an die Dachbox gedacht!

Panisch warf er den Rückwärtsgang hinein, das Auto schien wie festgeklebt, nichts tat sich. Dann versuchte er vorwärts voranzukommen, das brutale Kreischen marterte seine Ohren, er gewann keinen Millimeter. Mit etwas mehr Gas rückte das Auto langsam vor aber das Geräusch war so schlimm, dass er sicher war, dass die Dachbox im nächsten Moment vom Auto gerissen werden würde (was dann alles zu Bruch ging wagte er sich nicht vorzustellen), jetzt war er zur Hälfte durch und was auch immer kommen würde, er konnte nicht mehr zurück. Fatalistisch starrte er nach vorn und streichelte das Gaspedal, es ruckte vernehmlich und das Auto kam frei. Vor Anspannung musste er dreimal ansetzen, um auf einen der freien Stellplätze zu kommen, dann holte er tief Luft und stieg aus. Die Box war noch oben, er öffnete die Türen, stieg auf die Schweller und sah sich das Ergebnis der Durchfahrt an: auf beiden Seiten war das Material der Box abgeschabt, an den höchsten Stellen kleine Risse sichtbar. Schwein gehabt, der Schaden hielt sich in Grenzen. Mittlerweile hatte sich das Tor wieder geschlossen (gleichzeitig ging das Licht aus), jetzt stand er allein in der stockfinsteren und verschlossenen Garage, kein Drücker weit und breit zu ertasten, nahm denn die Scheiße heute gar kein Ende!

Plötzlich ging das Tor surrend hoch, mit eiligen Schritten entkam er der Gruft und wie ein lange verschütteter Bergmann wollte er auf der Rampe in die Knie sinken und dem lieben Gott für seine Errettung danken. Am Ende der Auffahrt fiel er (vorsichtig, das war Beton) auf die Knie, verschränkte die Hände zum Gebet (davon hatte er eigentlich keine Ahnung, aber irgendwie würde er es schon richtig machen). Er murmelte Dankesworte, als vier blonde Kinder, die ihm bekannt vorkamen, sich vorsichtig dem Hotel näherten, ihn in der Beterhaltung erblickten und sofort wieder wegrannten. Mein Gott, die sollten sich doch nicht so haben, schließlich konnte er beten wo er wollte und was war denn so besonderes daran, dass jemand auf einer Tiefgaragenzufahrt aus Dank zu seinem Schöpfer sprach. Nachdenklich ging er zur Rezeption.

„Was war das denn für ein Geräusch“ fragte die Frau, er winkte bloß ab und sagte „erzähle ich dann oben“.

„Ich bin mit der Dachbox am Tor hängengeblieben“ sagte er nach dem ersten Schluck Bier (die Frau wusste, dass jegliches Drängeln, von ihm etwas zu erfahren nichts brachte, er würde erst reden, wenn er dazu bereit war). Das Zimmer protzte mit schicken Möbeln und einem komfortablen Bad, ein Balkon zeigte in den Innenhof, zur Freude des Jungen war ein Fernseher vorhanden.

„Und, ist was passiert“ drängelte die Frau nun doch.

Manchmal brachte er sie aus der Ruhe, wenn er mit ruhigem Tonfall Bericht gab und sich so gar nicht erregte.

„Bisschen Plaste ist ab, sind auch zwei Riefen drin. Kucke ich mir morgen an. Ist bloß die Frage, wie wir wieder rauskommen. Vielleicht Dachbox abmontieren, raus fahren und dann wieder drauf machen.“

Der Tag hatte ihm zugesetzt, am liebsten wäre er jetzt in das Bett gekrochen. Leider wusste er, dass die Frau bereits wieder tatendurstig war. Wie um seine Überlegungen zu bestätigen sagte sie jetzt:

„Wir machen noch eine kurze Pause, ich räume ein bisschen auf, dann gehen wir in die Stadt zum Abendessen“, er hatte es gewusst!

An der Rezeption empfahl ihnen die freundliche Rezeptionistin (die blöde Kuh hätte ihn daran erinnern können, dass er die Box auf dem Auto hatte!) einige Restaurants, alles war in fünf Minuten zu erreichen. Ihre Getränke waren zur Neige gegangen, der in einer kleinen Straße liegende Lebensmittelladen kam gerade recht. Der Junge griff sich eine Cola, der Mann zwei Bier und die Frau eine Flasche Wein.

An der einzigen Kasse scannte die Verkäuferin die Waren gewissenhaft (also sehr bedächtig). Obwohl nur wenige neue Kunden den Laden betraten wuchs die Schlange der Wartenden immer mehr an, aber außer den gelangweilten Blicken der anderen Kunden fiel dem Mann nicht auf, dass jemand ungeduldig wurde. Nach geraumer Zeit hatten sie die Kasse passiert, die Frau rannte mit den Getränken zum Hotel zurück, schnell war sie wieder da und sie setzten sich Richtung Stadtzentrum in Marsch. Die Gaststätten waren schon gut frequentiert und als sie der Kellnerin ihren Bedarf an drei Plätzen anmeldete, bereitete sie ihnen den Tisch entsprechend vor. Das Essen war gut, danach liefen sie noch ein bisschen die Gassen entlang und machten es sich in dem vornehmen Zimmer gemütlich. Der Mann und der Junge liebten keine Überraschungen, ihnen war es weitaus lieber zu wissen, woran sie waren. Daraus ergab sich beim Eintreten unverhoffter Situationen bei beiden eine gewisse Unsicherheit, was aber keineswegs bedeutete, dass sie sich nicht darauf einstellen konnten. Dennoch war der Junge in vielen Dingen sehr genau, zum Beispiel was die konkrete Uhrzeit anbetraf. Da konnte er sich sehr wohl mit Philias Fogg, dem exzentrischen Gentleman aus dem Buch „Die Reise in 80 Tagen um die Welt“ messen, welcher immer die exakte Zeit parat hatte. Der Mann war da großzügiger, aber wie spät es war, war ihm momentan egal, er musste eine Lösung für das Dachbox-Problem finden. Natürlich könnte er sie abmontieren, dann würde das Auto ja problemlos das Tor passieren können, aber eigentlich hatte er keine Lust darauf, er vertagte die Sache einfach auf den nächsten Morgen.

Das Frühstück nahmen sie im Garten des Hotels ein, vornehm, vornehm, so ließ es sich speisen, aber diese Hotelübernachtungen waren nach dem Urlaub im vorigen Jahr so gar nicht mehr sein Ding. Er sehnte sich schon danach vor dem Zelt zu sitzen und am Kaffee zu nippen (falls es ihnen jemals gelingen sollte einen freien Platz zu bekommen). Das Ausfahrtproblem klärte sich auf einfache Art und Weise: die Tiefgarage hatte ein zweites Tor, welches wesentlich höher war (für die Warenanlieferung). Der Mann an der Rezeption wies ihn in der engen Garage ein und sie kamen ohne Schaden hinaus. Auf, die Suche ging weiter.

Die zarte Fee und die Garage

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