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Studie Hotel

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Mit einer heulenden Frau und einem heulenden Jungen im Mannschaftstransporter war die Schlacht kaum zu gewinnen, geschweige denn der Feldzug (der Mann hatte ja ein großes Interesse für Militärgeschichte). Alles kam ihm bekannt vor: wieder waren alle Plätze belegt gewesen und er musste sich zusammen reißen, nicht die Schilder „Complete“ von ihren Befestigungen zu treten (falls er das Bein so hoch bekäme). Gleichzeitig mit ihnen zogen Touristen aus aller Herren Länder mit vernagelten Gesichtern wieder unverrichteter Dinge ab. Es war nicht zu fassen: innerhalb von zwei Tagen hatten sie bislang mehr als zehn Plätze angefahren, große (auf die sie eigentlich nicht wollten), gemütliche (die jetzt gar nicht mehr so gemütlich aussahen), es wäre ihnen vollkommen Wurscht gewesen wie viele Leute sich dort drängen würden, Hauptsache erst einmal ankommen und ein bisschen Ruhe gewinnen. Das war reines Wunschdenken, jedes Mal trat ihnen das „Complete“ Schild furchtbar in den Hintern und er fragte sich, wo der Fehler lag.

Voriges Jahr war alles kein Thema gewesen, sie fuhren vor, gingen zur Rezeption und konnten sich einen Platz aussuchen, nach einer halben Stunde saßen sie entspannt am Tisch und er zischte ein Bier (die Frau einen Rotwein und der Junge eine Cola). Verdammter Mist, was war dieses Jahr bloß los? Es war jetzt schon nach zwölf Uhr und der Mann steuerte wieder einmal einen Platz an. Die freundliche Rezeptionistin telefonierte sogar noch herum um ihnen zu helfen: ohne Erfolg. Als er den Motor wütend anließ und weiterfahren wollte sah er bei einem flüchtigen Blick in den Rückspiegel, dass die Frau wie ein Schlosshund (wieso eigentlich Schlosshund?) heulte. Dieses tapfere Mädchen war jetzt vollkommen am Ende!

Er erinnerte sich ganz genau, wie sie zu Hause stundenlang vor dem Computer gesessen hatte und den Plan aufstellte, alles war wohl durchdacht und eigentlich konnte nichts schiefgehen. Das Leben hielt aber bekannterweise genug Überraschungen bereit und hatte sie jetzt überdeutlich belehrt, dass es selbst den ausgeklügelsten Plan zunichte machen konnte, wenn ein paar Bedingungen nicht stimmten. Was diese genau waren wusste er nicht, die Dinge lagen dennoch vermutlich einfach und er erinnerte sich an irgendwelche Lehrveranstaltungen zur Modellaufstellung für ein beliebiges kybernetisches Problem: zweifellos war die Anforderung an das System Zeltplätze deutlich höher als die zur Verfügung stehende Kapazität (ihre Bedarfsanforderung wurde schlichtweg wegen Auslastung abgewiesen), ja, so einfach war es. Die Frau tat ihm in der Seele leid und er wusste, dass er jetzt den coolen Typen geben musste, der trotz aller Widrigkeiten lässig über den ganzen Ärger hinweg ging. Kurz entschlossen steuerte er einen Parkplatz in der kleinen Stadt an und legte fest:

„Wir gehen jetzt erst mal Mittag essen.“

Der Tränenfluss des Jungen versiegte sofort: die Aussicht auf eine ordentliche Mahlzeit ließ die verzweifelte Suche nach einer Unterkunft sofort in den Hintergrund treten. Auf dem Weg zum Restaurant flüsterte der Mann der Frau zu:

„Glaube nicht, dass mir das alles am Arsch vorbei geht, ich habe die Schnauze genau so voll wie du, aber einer muss jetzt für denJungen den lässigen und coolen Typen, der alles im Griff hat, spielen, das mache ich. Eigentlich möchte ich mich am liebsten dort in den Brunnen schmeißen und stundenlang da drinsitzen bleiben“; er küsste sie flüchtig.

Die Frau sah ihn dankbar an, diesmal hatte der Mann die Regie übernommen, und als er so schwitzend und mit verklebten Haaren aber entschlossen vor ihr stand konnte sie nicht anders, als ihn an sich heranzuziehen und zu umarmen, er war der Held in der Unterkunftssuche.

Das Mittagessen war schmackhaft, der Mann hatte der Frau eingeredet doch zur Entspannung einen Rosè zu trinken, er schlürfte eine Cola, schließlich war er sich ganz sicher, dass sie wohl noch einen Weile rumkutschen mussten und insgeheim stellte er sich schon darauf ein, nach einem geeigneten Hotel Ausschau zu halten. Bei ihrer vergeblichen Zeltplatzsuche handelte es sich keineswegs um Zufälle, das stand für ihn nunmehr fest. Vielmehr trat das Ereignis Abweisung wegen Überfüllung fortlaufend und systematisch ein. Man konnte also keineswegs davon ausgehen, dass die Belegung der Plätze keinem Schema folgte. Sah er sich die Systemelemente A für die Stellplatzkapazität und B für den Anforderungsstrom der Unterkunftssuchenden an, zog man weiter die Umweltbedingungen C für die Wetterlage ,D für die Ferienzeit der Franzosen und E für den Zustrom der Holländer und Belgier aus dem Norden in Betracht wurde klar deutlich, dass das System irgendwann an seine Grenzen stoßen musste, und dann zwangsläufig kollabieren würde. Dabei ließ er noch außer Acht, dass möglicherweise Reservierungen (Umweltbedingung F) vorlagen, die die zur Verfügung stehende Kapazität weiter einschränkte oder der Wetterbericht (Bedingung G) in seiner Prognose vollkommen falsch lag. Die abgewiesenen Anforderungen, also sie zum Beispiel, hätten dann keine andere Wahl, als marodierend durch die Lande zu ziehen und eventuell mehr im Norden (weil ja die Holländer und Belgier von dort aus in den Süden vorrückten) ihr Glück zu versuchen, genau das wollte er der Frau später vorschlagen. Mit diesem wissenschaftlichen Ansatz hatte er gerade eindrucksvoll bewiesen, dass sie demnächst also keinen Platz bekommen würden, aber das konnte er der Frau so nicht sagen.

Vielmehr musste er weiter Zuversicht heucheln, aber er hatte sich bereits auf eine weitere Übernachtung in einem Hotel eingestellt, und die nächste Abweisung würde ihn kalt lassen (so konnte er auch seine Coolness ausspielen indem er nur Schulter zuckend andeutete `Hab ich´s doch gewusst`), da er ja schon vorher wusste, wie die Sache laufen würde. Ja, es ging eben nichts über eine ordentliche Bildung und mit dieser wissenschaftlichen Erklärung im Hinterkopf fuhr er weiter. Während die Frau offenbar noch auf das Prinzip Hoffnung setzte war für ihn der Verlauf des Tages bereits vorhersehbar. Drei weitere Plätze waren logischerweise „Complete“. Bitte: da war die Bestätigung seiner Modellhypothese. Er lag vollkommen richtig (gerne hätte er die Systemelemente und die Umweltbedingungen noch in Formeln gebracht und das System mit Werten getestet ) und diese Ergebnisse brachten ihn nicht aus der Ruhe, nein; jetzt war er richtig (und nicht nur vorgetäuscht) cool und die Frau warf ihm eigenartige Blicke zu, als er scheinbar gut gelaunt vor sich hin pfiff.

„Dir scheint das ja gar nichts auszumachen, dass wir überhaupt kein Glück haben“ sagte sie leise und wieder traten Tränen in ihre Augen. Der Junge heulte eine Runde mit, dann hörte er wieder zu wie „Wolfsblut“ (diese CD mit der Geschichte lief gerade) einen Hund nach dem anderen aufmischte, ihnen die Schlagadern zeriss, die Knochen brach und sie auf jede erdenkliche Art und Weise über den Jordan beförderte. Das war eine unschöne Angewohnheit dieses Tieres, aber man hatte ihm ja auch ziemlich übel mitgespielt, so dass er seine Wut eben an den anderen Hunden ausließ.

„Na ja, gleich sind wir in Castellan, du hast doch gesagt, dass dort noch drei Plätze sind, vielleicht haben wir diesmal Glück“ antwortete er und wagte nicht zu erklären, was er mithilfe der Systemtheorie herausgefunden hatte. Logisch, dass an allen Zeltplätzen „Complete“ prangte, was sollte anderes passieren, sein System verhielt sich genau so wie vorhergesehen und innerlich klopfte er sich auf die Schulter. Die Frau sah ihn sonderbar an, er war so cool, wie sie ihn noch nie erlebt hatte (den Grund kannte sie natürlich nicht). Beim Durchfahren der Stadt war er aufmerksam gewesen (er wusste ja wie es ausgehen würde) und am Stadtrand war ihm das „Studie Hotel“ aufgefallen, dort würde er in absehbarer Zeit vorfahren (die Frau ahnte noch nichts davon).

„Ich verstehe das nicht“ klagte die Frau „das kann doch nicht sein, alles, alles voll. Denk‘ mal an voriges Jahr, alles, alles, ging glatt. Kannst du mir das erklären?“

Oh ja, er hätte es erklären können (die Systemtheorie) aber beschränkte sich darauf nur zu sagen:

„Feierabend, ich habe vorhin ein Hotel gesehen, wir fahren jetzt dort hin, hoffentlich haben die noch was frei.“

In seiner Stimme lag tiefe Entschlossenheit, die Frau staunte darüber, wie sich der Mann in den letzten Stunden verhalten hatte. Locker steckte er einen Tiefschlag nach dem anderen weg und unerschütterlich fuhr er zu diesem und jenen Zeltplatz, ohne ein einziges Wort des Ärgers oder gar eines Anzeichens der Verzweiflung wenn wieder „Complete“ zu sehen war. Meistens war die Frau es, die die Richtung vorgab, aber diesmal hatte er das Zepter in der Hand.

Das „Studie Hotel“ war keine architektonische Perle, es erinnerte eher an eine militärische Einrichtung oder einen Knast. Der Waschbeton war pockennarbig und eine eventuell früher vorhandene farbliche Anmutung schon lange nicht mehr sichtbar. In der kleinen Rezeption klärte die Frau, dass sie gern eine Nacht in dem Haus verbringen würden, kein Problem, der Rezeptionist führte sie zu dem Zimmer, der Mann warf einen kurzen Blick hinein und nickte, es war okay. Sie schleppten ihre Sachen die sie für die Nacht benötigten in den dritten Stock hoch, die Kühlbox kam an das Stromnetz, der Mann griff sich ein Bier heraus und schaute sich näher um, der Junge war dabei, den Fernseher in Betrieb zu nehmen. Direkt neben der Eingangstür quetschte sich ein Bett in eine Nische, das Doppelbett dominierte den übrigen Raum und eine kleine Kückenzeile komplettierte die Einrichtung, wobei die Küchenschränke mit Bändern verschlossen (die Nutzung war extra zu bezahlen) aber wenigstens der Kühlschrank frei zugänglich war, gut für ein gepflegtes kühles Bier. Innerhalb von zwei Tagen hatten sie jetzt fast 1.500 Kilometer hinter sich gebracht und der Mann fühlte sich ein bisschen geschlaucht. Über den Fortgang des Tages hatte allerdings er keine Zweifel, die Frau würde ihnen gleich ankündigen, dass es demnächst in die Stadt gehen würde.

„Wir machen jetzt eine kurze Pause, dann gehen wir in die Stadt Abendessen“ (oh Mann, sie war wie ein Stehaufmännchen, zäh wie Leder) legte sie fest. Der Mann musste sich zusammen reißen um nicht einzunicken, wenig später waren sie unterwegs. Ja, die Franzosen hatten schon Stil, die Städte strahlten Leben aus, sie waren nicht so steril wie bei ihnen zu Hause. Die kleinen Gassen quollen vor Leuten über die in den Auslagen vor den Geschäften kramten, die Restaurants begannen sich zu füllen und über allem lag ein gewisser Trubel, ohne dass es laut zuging, es war eher ein unterschwelliges Gemurmel und Lachen. Es roch nach Geschichte und die unverputzten Häuser kündeten davon, dass ihre Erbauer wohl geschickte Handwerker gewesen waren, denn die Gemäuer standen seit Jahrhunderten an ihren Plätzen.

Die Heimatstadt der Frau, des Jungen und des Mannes hatte im Krieg sehr gelitten. Das gesamte Stadtzentrum war damals pulverisiert geworden und als es mit dem großdeutschen Reich vorbei war gingen die Menschen daran, den Schutt wegzuräumen, und den Ort wieder aufzubauen. Herausgekommen war ein gesichtsloses neues Zentrum, das nach der Wiedervereinigung durch einfallslose Architektur abermals verunstaltet wurde. Der Bereich um die Frauenkirche war der Wunsch der Dresdner, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, aber es mutete doch vielfach wie ein Disneyland an weil es eben nicht authentisch war, trotzdem drängten sich dort massenhaft Touristen die den Platz stürmten. Nein, er liebte seine Stadt sehr, wenig weg vom Zentrum fanden sich herrliche Jugendstilhäuser, die Elbauen waren unverbaut und an warmen Tagen setzte dort eine Völkerwanderung ein. Auf dem träge dahin fließendem Fluss fuhren die alten Schaufelraddampfer und wenn ihn jemand gefragt hätte wo er gern leben würde wäre die Antwort ganz klar gewesen: in Dresden natürlich. Schon früher war er oft mit dem Moped durch die Straßen gefahren um etwas zu erspähen was gerade gebaut wurde. Jetzt strahlte alles wie neu, es war sauber und die Stadt zeichnete sich durch viel Grün und eine gewisse Luftigkeit aus. An den Elbhängen waren Schlösser zu sehen und von da aus hatte man einen schönen Blick auf die im Tal liegende Ansiedlung. Oper, Zwinger, Schloss und Hofkirche bildeten den historischen Kern, gerade am Abend ergab sich vom Fluss her ein zauberhafter Anblick.

Das war ein guter Ort zum Leben und eine halbe Stunde mit der

S-Bahn unterwegs erreichte man bereits die herrliche Sächsische Schweiz, die mit ihren beeindruckenden Panoramen für aufgerissene Münder sorgte, im Norden fanden sich Schlösser der Könige, die Gegend war also durchaus mit vielen Sehenswürdigkeiten gesegnet. Dass die Briten und Amerikaner 1945 die Stadt dem Erdboden gleich gemacht hatten hatte dazu geführt, die alten engen und muffigen Wohnquartiere verschwinden zu lassen, hier fand er sie wieder und war nicht sicher, ob er so wohnen wollte. Enge Gassen, wenig Licht, er vermisste eine Weitläufigkeit und Offenheit die er von zu Hause kannte aber hier war alles authentisch, nichts gekünstelt.

In einer Beziehung allerdings kam ihm die Verhaltensweise der Franzosen bekannt vor: sie muddelten wie die Sachsen rum, gingen also verschiedenen Tätigkeiten, die nicht so bedeutsam waren, relativ entspannt nach. Aus dem vorigen Jahr wusste er schon, dass die Franzosen auf eine makellos verputzte Hausfassade wenig Wert legten. Die teils abenteuerliche Verkabelung kam ihm russisch vor (ja, die Russen waren auch nicht gerade diejenigen, denen ein schönes Stadtbild besonders am Herzen lag) und alles erschien trotz der sengenden Sonne etwas düster, eine alte Stadt eben, aus deren Poren die Geschichte und viele Geschichten tropften. Auf dem zentralen Platz fanden sie ein Restaurant (eines von vielen dort) und der Mann entschied sich diesmal auch für einen Rosè, das Lammfilet war gut gewürzt und schmackhaft, der Junge verputzte eine riesige Pizza in Windeseile, die Frau eine andere langsamer.

„Was machen wir morgen“ fragte er die Frau, denn seine Energie und der Elan, mit der er seine Hypothese den Tag über getestet hatte, waren jetzt verflogen.

„Wir fahren nach Grasse“ war die Antwort „das ist die Hauptstadt des Parfüms. Wir müssen noch überlegen, ob wir nicht gleich eine Nacht länger hier bleiben.“

„Oh ja“ rief der Junge aus, der von der Kutscherei auch die Nase voll hatte (außerdem gab es im Zimmer ja einen Fernseher).

„Einverstanden“ äußerte der Mann seine Zustimmung, das war okay so, ein Ausflug, danach bisschen verschnaufen und übermorgen dann ein neuer Anlauf bei der Quartiersuche. Als sie das „Studie-Hotel“ wieder erreichten ging ein Wolkenbruch nieder, die Frau sagte:

„Gott sei Dank sind wir hier, stellt euch vor, wir müssten ein nasses Zelt abbauen, das ist immer blöd.“

Sie schauten noch ein bisschen in die Glotze (der Junge zerschoss sich, dass Harry Potter im Französischen zu Arry Pottär wurde). Zum Reden hatten sie keinen Elan mehr und bald ging das Licht in ihrem Zimmer aus. Der Mann quetschte sich in das an der Tür liegende Bett, da diese nicht passgenau eingesetzt war hörte er die nah vorbeifahrenden Autos deutlich aber innerhalb von zehn Minuten war er eingeschlafen.

Morgens brauchte er unbedingt etwas zu essen. So wie andere, die ohne Frühstück aus dem Haus gingen, konnte er den Tag nicht beginnen. In der Rezeption war ein kleines Buffet aufgebaut, Brötchen, Butter, Marmelade, etwas Wurst und guter Kaffee. Der junge Mann hinter dem Tresen sah aus, als hätte er die Nacht hindurch gesoffen, ungewaschen war er auch und ein tiefer Bartschatten unterstrich seine momentane noch schlechte Tagesform. Mit ihnen saßen noch zwei Typen in dem Raum. Da dem Mann früh Marmelade ausreichte kam er auf seine Kosten und der Kaffee war wirklich gut. Bis Grasse würden sie mehr als eine Stunde brauchen und es war klar, dass der Junge gebannt lauschen würde, wie Wolfsblut wieder einmal einen seiner Widersacher nach Strich und Faden auflaufen ließ und ihm letztlich doch das Lebenslicht ausblies, er konnte es einfach nicht lassen! Dabei sehnte sich das renitente Vieh eigentlich nur nach ein bisschen Zuwendung, und da er sie nicht bekam, musste die Umwelt eben unter seiner permanent miesen Laune leiden.

Grasse entpuppte sich als ausgesprochen autofahrerunfreundlich. Der Mann kurvte schon gut zwanzig Minuten durch die Stadt, weit und breit war kein einziger freier Parkplatz zu finden und langsam begann er Wut zu verspüren. Erst lockten die Leute die Touristen mit ihren markigen Sprüchen an (Parfümhauptstadt) und dann waren sie nicht einmal in der Lage, ein paar beschissene Parkplätze einzurichten. Weit vom Zentrum entfernt gab es noch einen, da sich die Stadt an einem Hang erstreckte war die Folge für sie, dort hinauf zu kraxeln. Das schwüle und feuchte Wetter lud nicht gerade zu langen Fußmärschen ein, aber was wollte man schon machen. Fünfzehn Minuten später stand der Mann auf einem Platz auf dem eine Kirche das Bild dominierte, er schwitzte wie ein Schwein und auch der Junge hatte Schweißtropfen auf der Stirn, die Frau selbstredend nicht. Vor dem Parfümmuseum spuckten Busse ganze Wagenladungen erlebnisgieriger Senioren aus die zielgerichtet in das Haus strömten aus dem ein aufdringlicher Geruch kam.

„Wollen wir da rein“ fragte die Frau unentschlossen.

„Na klar“ erwiderte der Mann, der Junge schaute weg.

Im Inneren des Hauses schoben sich Massen von Menschen von einem Raum in den anderen, sonderlich interessant war es nicht was es dort zu sehen gab. In einem größeren Bereich wurde Parfüm und Seife verkauft, der Mann fühlte aufgrund der Mischung der verschiedensten Düfte Übelkeit aufsteigen, die Frau wollte etwas für die Oma des Jungen kaufen. Der Mann ahnte auch, dass die Kaufentscheidung der Frau Zeit brauchen würde, sie ging immer sehr überlegt zu Werke. Zusammen mit dem Jungen verzog er sich nach draußen und stellte sich darauf ein, jetzt eine ganze Weile Freizeit zu haben. Immer noch war es schwül, wenigstens schwitzte er nicht mehr so stark und teilnahmslos betrachtete er jetzt das Treiben auf der Straße. So groß schien Grasse nicht zu sein, sie waren schon am historischen Stadtkern und auf dem Hinweg hatte er festgestellt, dass zwei, drei Gassen zum Marktplatz führten, der Stadtbummel würde also überschaubar bleiben. Zwei Zigaretten später, eine halbe Stunde war vergangen, kam die Frau aus dem Haus, leider hätte sie nicht das Richtige gefunden aber Parfümerien wären hier ja an jeder Ecke zu finden, sie würde ihr Glück dann nochmals versuchen.

Die steil emporsteigende Straße führte sie geradewegs auf den Marktplatz. Etliche Gasstätten hatten sich dort angesiedelt und vor dem jetzt heftig fallenden Regen fanden sie unter einem Schirm Schutz. Die Kellnerin nahm ihre Wünsche entgegen und als das Essen kam und der Mann kostete, fühlte er sich nicht wie Gott in Frankreich. Verdammt, was für ein Fraß! Dagegen war die Mittagversorgung die er auf Arbeit regelmäßig dort einnahm eine Offenbarung. Pfui Spinne, die Tomatensoße schmeckte, na wie denn eigentlich, jedenfalls nicht nach Tomaten sondern wie ein Cocktail verschiedener chemischer Substanzen, den ein perverser Lebensmitteltechnologe kreiert hatte. Der Junge war mit der Pizza zufrieden, die Frau kaute auch lustlos auf ihrem Essen herum, unglücklicherweise hatte sie panierte Tintenfischringe erwischt, etwas, was sie eigentlich gar nicht aß. Der Regen hatte nachgelassen und sie gingen wieder Richtung Auto, bergab war es einfacher, dann begann die Rückreise.

Wolfsblut war aus irgendwelchen Gründen (der Mann musste sich auf der kurvigen Strecke auf das Fahren konzentrieren und bekam deswegen nicht mit, was dem aufmüpfigen Vieh schon wieder die Petersilie verhagelt hatte) wieder einmal denkbar schlecht drauf: soeben hatte er einem Mann, der ihn nur streicheln wollte, in die Hand gebissen. Kapierte der denn gar nicht, dass sein Verhalten den anderen gehörig auf den Sack ging? Da wollte ihm einer mal was Gutes tun, Fresse aufgerissen und zugeschnappt, so konnte er sich doch keine Sympathien erwerben und mit der Integration war es wieder einmal nichts geworden. Er wusste auch nicht mehr, was er dem Tier noch raten sollte, am besten wäre wahrscheinlich ihn im Wald auszusetzen, dort könnte er nach Belieben die anderen Viecher terrorisieren und seine Aggressionen ausleben. Bei ihm schien Hopfen und Malz in Bezug auf die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses gänzlich verloren zu sein, sollte er doch im Unterholz wilde Sau spielen aber die anderen mit seinen Stimmungsschwankungen in Ruhe lassen.

Zum Ritual gehörte, täglich einen Supermarkt aufzusuchen, sie kauften Lebensmittel für den Abend ein und wollten auf dem Zimmer essen. Sie waren müde und schnell waren alle drei eingeschlafen.

Die zarte Fee und die Garage

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