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Die Idee mit dem Konzertbesuch

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Frieder Bergmanns Ansprüche an Unterhaltung waren nach diesen Erlebnissen deutlich niederklassiger als die an die hohe Kunst. Vielmehr hatte er sich eine große Vorliebe für Rockmusik bewahrt und hörte in seinem riesigen Haus gern lautstarke Musik von Led Zeppelin, Deep Purple oder ACDC. Bergmanns Frau Petra stand mehr auf Volksmusik, was ihr Mann mit hämischen Kommentaren wie „den Leuten eine schöne heile Welt vorgaukeln“, „unterstes Niveau“ oder „so ein niveauloser Schund“ abtat. Petra Bergmann ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen und konterte in Bezug auf den Musikgeschmack ihres Mannes mit „sinnloses Rumgebrülle“, „ewig gleicher Rhythmus“ oder „hirnloser Krach“. Frieder Bergmann liebte es hart, Petra Bergmann eher sentimental. Das ging so weit, dass die ansonsten immer so überlegt und beherrscht vorgehende Chefärztin zum überzeugten Fan der „Arzgebirgschen Krüppelkiefern“ wurde und in eine Art Personenkult verfiel, was sich vor allem im Aufstöbern von Bildern der vier Musikanten im Internet äußerte. Dass die „Arzgebirgschen Krüppelkiefern“ große Musikhallen mühelos mit ihren begeisterten Fans füllten und die Stimmung zum Kochen brachten lag sicher an ihren beachtlichen musikalischen Fähigkeiten. Ihr Aussehen konnte weiß Gott nicht der Grund dafür sein. Die vier so um die 50 Jahre alten Männer waren vor der Wende alle schon Hobbymusikanten gewesen, gingen aber damals noch ihren Berufen nach. Zwei von ihnen hatten in einer LPG als Maschinisten gearbeitet, einer hatte seine Brötchen als Förster verdient, der vierte war in einem Gießereibetrieb tätig gewesen. Körperliche Ausarbeitung gehörte für sie damals also fest zum Berufsleben. 1993 taten sie sich dann zusammen und starten mit Tingeltouren über die Dörfer, zwei Jahre später hatten sie mit einem Fernsehauftritt den Durchbruch geschafft. Zwar waren die Konzerte auch öfter einmal schweißtreibend, aber keineswegs so kräfteraubend wie die ehemalige Arbeit. Da die vier dem Kalorienverlust früher mit ordentlichen Essenportionen begegnet waren, und diese Verhaltensweise auch nicht änderten, gingen sie im Verlauf der Jahre als Berufsmusiker alle mächtig aus dem Leim. Frieder Bergmann hatte seine Verachtung für die aus seiner Sicht seichte Musik auch am Erscheinungsbild der Musiker festgemacht und sie gern einmal als „Fettsäcke“ oder „schwabbelige Heulbojen“ bezeichnet. Petra Bergmann hatte sich das nicht bieten lassen, und die Rocker von ACDC wegen ihrer schmächtigen Gestalten als „ausgezehrte Alkoholiker“ tituliert. Bergmanns waren in den meisten Dingen des Lebens einer Meinung, was Musik anbetraf trennten sie jedoch Welten.

Wenn Frieder Bergmann wieder einmal laut die von ihm geliebte harte Musik hörte und dann noch ein paar Biere und den einen oder anderen Schnaps gekippt hatte, sang er des Öfteren bestimmte Passagen mit und spielte leidenschaftlich Luftgitarre dazu. Um das Ganze auch authentisch wirken zu lassen – aber das tat er nur, wenn seine Frau zum Dienst im Krankenhaus war – zog er dann noch Lederklamotten an und schlang sich ein buntes Tuch um den Kopf. Die Männer vom Sicherheitsdienst hatten sich schnell an die extreme Beschallung gewöhnt, und wenn Bergmann wieder einmal vergessen hatte die Jalousien vor der Glasfront zum See hin herunterzulassen, sahen sie ihn dann ab und an wie einen Derwisch und Luftgitarre spielend durch das Wohnzimmer fegen. Als an einem Abend auch noch einige Getränke mit zu viel mit im Spiel gewesen waren hatte sich Frieder Bergmann bei „Highway to hell“ im wahrsten Sinne des Wortes vergaloppiert und war in die Flaschenbatterie der Bar gestürzt. Da er sofort wieder auf den Beinen war hatten die Männer vom Sicherheitsdienst keinen Grund gesehen, irgendwie einzugreifen. Dass einige der sündhaft teuren Schnapsflaschen bei dieser Aktion zu Bruch gegangen waren spielte bei Bergmanns mehr als üppigem Bewirtungsfonds überhaupt keine Rolle. Als er überlegte, was er mit seinen vier Gästen anstellen könnte, hatte er auf einmal eine Idee.

„Wie willst du das denn mit dem Personenschutz in den Griff kriegen“ fragte Herbert Büchsenschuss „ich halte es für eine vollkommen abwegige Idee, dass du mit den vieren in ein Rockkonzert gehen willst.“

„Herbert, bitte“ erwiderte Frieder Bergmann „ACDC spielt nur in diesem Jahr hier bei uns, dann werden die jahrelang nicht mehr zu uns kommen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, bitte, Herbert. Außerdem sind die alle nicht mehr die Jüngsten, vielleicht sind es die letzten Konzerte.“

„Sei nicht albern Frieder, du kannst nicht mit vier Staatenlenkern in ein Stadion hineinmarschieren und dir einen netten Abend unter zehntausenden von fremden Leuten machen. Vergiss‘ die ganze Sache, es ist viel zu gefährlich.“

„Herbert, bitte“ setzte Bergmann erneut an „ich rede mit allen und hole mir von ihnen eine Erklärung ein, dass sie ohne Personenschutz mit mir zum Konzert gehen wollen. Wir schmeißen uns in Rockerklamotten und setzen Sonnenbrillen auf. Kein Schwein wird uns erkennen. Bitte, Herbert, bitte!“

„Na ja“ überlegte Herbert Büchsenschuss „die Sache ist vielleicht doch nicht ganz so abwegig. Wenn die Kerle durch das Konzert richtig aufgeheizt sind und dann bei dir ein paar Schnäpse kippen kommt es vielleicht doch noch zu einem Ergebnis bei den Verhandlungen. Also gut, dann nehme mit den vieren Kontakt auf und stimme dich mit ihnen ab. Bist du auch damit einverstanden, Chang?“

„Wenn du willst etwas velstecken odel dich als ein andelel ausgeben, dann tue es so offensichtlich, dass keinel dalauf kommt“ erklärte der Chinese „keinel wild velmuten, dass Fliedel und die andelen Fühlel ohne Pelsonenschutz zum Konzelt gehen. Ich welde mitkommen und im Elnstfall eingleifen. Helbelt, Fliedel albeitet halt, also soll el haben auch Momente del Entspannung.“

Frieder Bergmann hatte dann sofort tatendurstig seinen Laptop in Betrieb genommen und folgendes geschrieben:

„Lieber Babbel, lieber Deng, lieber Sylvio, lieber Vadim,

wir müssen dringend über den gerechten Zugang zu den Bodenschätzen auf der Welt miteinander reden. Hiermit lade ich euch für zwei Tage in meinen Dienstsitz ein. Ich erwarte euch am späten Nachmittag. Da ihr am Anreisetag alle dann eine weite Reise hinter euch haben werdet können wir nach einer Erholungspause für euch zur Entspannung am Grillplatz abends dann noch etwas entspannt plaudern und was trinken. Am nächsten Tag habe ich für euch eine kleine Rundreise zu Sehenswürdigkeiten in Sachsen organisiert. Mit dabei ist der Besuch der staatlichen Sektkelterei sowie einer Whisky Destillerie, dort könnt ihr euch erst einmal einen hinter die Binde kippen. Ihr werdet gegen 16 Uhr wieder zurück sein. Abends werden wir ein Konzert von ACDC besuchen. Das beginnt 19 Uhr und soll gegen 21 Uhr zu Ende sein. Zum Konzert selbst werden wir ohne Personenschutz gehen, schließlich sind wir ja gestandene Männer und wissen uns unserer Haut zu wehren. Überlegt euch bitte, welche Sachen ihr tragen wollt. Unser Aufzug sollte dem Anlass schon angemessen sein. Ich habe meine Beziehungen spielen lassen und erreicht, dass wir mit den Musikern von ACDC nach dem Konzert Backstage noch einen draufmachen können. Diese Typen werden übrigens dann denjenigen von uns auswählen, der in ihren Augen am besten einen Rocker verkörpert und ihm ein ganz spezielles Geschenk übergeben. Wie sich der Abend dann weiterentwickelt werden wir sehen. Am nächsten Vormittag werden wir bei einem Arbeitsfrühstück über diese Sache mit den Rohstoffen reden. Bringt gute Laune mit, ich freue mich auf euch.

Viele Grüße

Euer Frieder“

Frieder Bergmann war gespannt auf die Antworten und rauchte zur Beruhigung erst einmal eine Zigarette auf der weitläufigen Terrasse seines Hauses. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es 11 Uhr 37 und damit Zeit für ein Bier war. Seit dem Vorfall im vergangenen Jahr hatte er immer ausreichend Getränke im Kühlschrank der Küche gebunkert. Leider war es so, dass es immer nur zwei Sorten gab. Bergmann trank das Bier aus und das führte dazu, dass er fast schlagartig ermüdete. Leicht benebelt auf dem Sofa sitzend überlegte er, wie er sich für das Konzert kleiden sollte. Die Sachen, die er manchmal zur Musik im Haus trug, erschienen ihm zu läppisch und nicht angemessen für ein Livekonzert mit ACDC. Er musste deutlich härter und martialischer rüberkommen. Um seinen Denkapparat weiter anzukurbeln genehmigte er sich ein weiteres Bier. Bergmann kam jetzt in Stimmung und entwarf im Kopf seinen Aufzug. Ganz klar musste er eine ausgewaschene Jeans tragen. Als Hemd kam eins mit Karomuster in Frage. Stiefel waren Pflicht. Die Jacke musste in jedem Falle aus Leder sein, aber kein gewöhnliches Teil. An dieser Stelle stand Frieder Bergmann gedanklich in einer Sackgasse. Natürlich wollte er den harten Rocker verkörpern, aber auch nicht zu auffällig wirken. Es galt also einen Kompromiss zu finden, und diesen gedachte Bergmann mit Hilfe seines Laptops und des Internets hinzubekommen. Er googelte ausgiebig, aber wurde nicht richtig fündig. Zum Nachdenken ging er wieder auf die Terrasse und rauchte. Dann hatte er eine Idee. Eine schwarze mit Nieten und Fransen besetzte Lederjacke erschien ihm geeignet. Er klickte auf „Bestellen“. Dann suchte er Motorradhelme. Schon auf der zweiten Seite eines Anbieters hatte er Glück. Da war er, ein Helm in der Form des Stahlhelmes der Deutschen Wehrmacht. Frieder Bergmann hatte zielgerichtet nach diesem Gegenstand gesucht, und das hatte zwei Gründe gehabt. Zum einen wollte er mit diesem Helm als ganz harte Sau daherkommen, und zum anderen Vadim Putkinow ärgern, der den Helm sicher sofort erkennen würde.

An seinem Laptop angekommen sah Frieder Bergmann, dass vier Nachrichten eingegangen waren. Die von ihm Eingeladenen hatten alle ihr Kommen zugesagt und bestätigt, dass sie zusammen mit Bergmann das Konzert ohne störende Personenschützer besuchen wollten. Vadim Putkinow hatte etwas kryptisch geschrieben, dass er sich „auf das Spektakel und meine Kluft, mit der ich euch alle in den Schatten stellen werde“ schon heute freuen würde. Die anderen hatten sich dazu nicht geäußert. So wie es aussah, lief alles wieder auf einen Wettbewerb zwischen Frieder Bergmann und Vadim Putkinow hinaus.

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre!

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