Читать книгу Acevado - Wann bleibst du? - Jule Heer - Страница 14
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ОглавлениеDer restliche Montag hatte sich ätzend langsam dahingezogen, ich wollte nur noch nach Hause und mit meinen Gedanken und Gefühlen allein sein, um überhaupt einordnen zu können, was da mit mir passiert war, dass ich dermaßen viel für einen Wildfremden empfinden konnte. Doch schließlich um Punkt 13 Uhr, ich hatte montags glücklicherweise nur sechs Stunden Unterricht, läutete es, ich sprang auf und verabschiedete mich reichlich knapp von Chloe.
Ich hatte den ganzen Tag über nur noch die nötigsten Worte mit ihr gewechselt, weil ich immer noch sauer auf sie war. Wieso wollte sie unbedingt verhindern, dass ich in Ace verliebt war, es würde ohnehin nichts daraus werden, dann konnte es ihr doch genauso gut egal sein, oder? Vielleicht lag es auch nur daran, dass es sie nervte, mit jemandem Zeit zu verbringen, der hingerissen guckte und Schnappatmung bekam, wenn ihr bester Freund auftauchte, das war Ace nämlich für sie. Vermutlich war das der Grund und irgendwie sogar verständlich.
Ich fuhr also mit dem Bus zurück nach Rain Village und erzählte meinen Eltern einsilbig von meinem ersten Schultag, der sich nicht in London abgespielt hatte. Danach verzog ich mich in mein Zimmer und verbrachte den restlichen Nachmittag mit Grübeln. Nun ja, bis mir siedend heiß einfiel, dass ich bereits am ersten Tag nach den Ferien Hausaufgaben in Deutsch bekommen hatte, und ich die junge Lehrerin Frau Schmidt verfluchte, die mich schon die ganze Stunde über mit lauter fremden Vokabeln auf Trab gehalten hatte. So kam es, dass ich nach einem stressigen Abend viel zu wenig Schlaf bekam und nichts zu Abend aß.
Das Ergebnis bekam ich am Dienstagmorgen zu sehen und zu spüren. Denn ich fühlte mich nicht nur völlig übernächtigt, sondern hatte auch dicke, gut sichtbare Augenringe, was mich dazu brachte, an diesem Tag nun doch reichlich Schminke aufzutragen. Das würde mir wohl einen Eintrag ins Klassenbuch einbringen, aber damit konnte ich leben. Dieses kleine Verbrechen hatte ich schon oft begangen. Was war das auch bitte schön für eine Regel? Sie sollte Gleichberechtigung unter den Schülerinnen bewirken, aber was war das denn für eine Gerechtigkeit, wenn manche Mädchen von Natur aus eine reine Haut hatten und andere zu Pickeln oder, wie ich, zu Augenringen neigten? Das war einfach Schwachsinn. Ich seufzte und gab es wieder einmal auf. Ace würde mich sowieso keines Blickes würdigen.
An der Bushaltestelle standen wie gestern nur Goldlocke und der Irokesentyp, den ich der Einfachheit halber Punkie getauft hatte. Die beiden waren wohl Schulverweigerer auf ihre Art, denn Goldlocke war im Vergleich zu mir wirklich heftig geschminkt, sodass man ihre Gesichtszüge unter dem Make-up nur erahnen konnte, und Punkie ... der war eben ein Punker, was sollte man noch groß dazu sagen? Das Haarefärben war schon strengstens verboten, mal ganz abgesehen von unangemessener Bekleidung, zu der seine Kluft von einem Mantel auf jeden Fall gehörte. Ich bekam plötzlich Mitleid mit ihnen und verfluchte wie so oft schon das englische Schulsystem. Ich hätte auch viel lieber Jeans und T-Shirt getragen statt des blau karierten Rocks, der weißen Bluse, der sackartigen Jacke natürlich mit dem Schullogo darauf – und der ätzenden weißen Kniestrümpfe.
Wenn Goldlocke, Punkie oder auch ich uns so wohler fühlten, konnte man uns das doch kaum verbieten, oder? Ganz ehrlich, in diesem Moment überlegte ich ernsthaft, aus reiner Solidarität zu den Punkern, Gothics oder sogar den Emos überzutreten, verwarf den Gedanken aber schnell wieder, als ich bemerkte, wie Punkie mich kritisch musterte, als würde er gerade überlegen, ob ich wohl in seine Clique passen würde, sich dann aber dagegen entschied.
Auch mein Mitleid für Goldlocke verflog, als sie mit rausgestreckter Brust und gequält klingender Stimme, als würde es wehtun, mit mir zu reden, sagte: „Und du willst also in die zehnte Klasse gehen, Bügelbrett?“
Ich hatte den Eindruck, dass sie sich gerade noch zurückhalten konnte zu fragen, ob ich schon früher eingeschult worden war oder einige Klassen übersprungen hatte trotz fehlender Intelligenz. Ich bedachte sie mit einem möglichst vernichtenden Blick, was sie aber nur mit einem nachsichtigen Lächeln quittierte. Ich kochte innerlich. Bügelbrett???
„Gut, dass ich deinen zurückgebliebenen Anblick nur im Bus ertragen muss, ich bin in deiner Parallelklasse. Weißt du, das ist irgendwie bemitleidenswert, wenn ein Mädchen in der Senior Highschool aussieht, als wäre es drei Jahre jünger als die anderen. So kriegt man nie einen Typ ab, der über dreizehn ist.“
Ich kochte vor Wut und hätte ihr am liebsten das dämliche Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, doch ich blieb ganz ruhig und sagte mir: „Gewalt ist keine Lösung.“ Dann holte ich zum Gegenangriff aus und erwiderte lässig: „Ach, weißt du, wenn man so viel Schminke wie du benötigt, wird das wohl einen berechtigten Grund haben, oder? Und überhaupt, Goldlocke, auf dein Aussehen, also dreißig Kilo mehr auf der Waage, würde ich nichts geben. Da ist es ja kein Wunder, dass nicht nur der Bauch wächst, eine solche Ladung muss sich irgendwie verteilen und bei der Entwicklung spielt auch der IQ eine Rolle, was meinst du?“ Ich biss mir nervös auf die Unterlippe und bereute sofort, was ich gesagt hatte, als sie mit geballten Fäusten auf mich zuging und ihr vor Wut Tränen in den Augen standen.
Doch bevor Goldlocke mich verkloppen konnte, trat Punkie beschwichtigend zwischen uns und zischte: „Hey, Stacy ...“ Er unterbrach sich kurz, grinste mich fast schon anerkennend an und fuhr fort: „... oder Goldlocke meinetwegen, lass Amber in Ruhe, okay? Sie mag vielleicht nicht unbedingt ein Schmuckstück sein, aber immerhin ist sie keine solche Schlampe wie du!“
Stacy bedachte ihn gerade mit einem kühlen Blick, als endlich, endlich der Bus um die Ecke kam und ich erleichtert darauf zuging. Punkies Worte würde ich jetzt einfach mal als Kompliment auffassen. Doch eines war klar: Nachdem ich Goldlocke alias Stacy gerade sinngemäß als übergewichtige Hohlbirne bezeichnet hatte, sollte ich mich in Zukunft vor ihr in Acht nehmen. Die Schüler hier schienen ihre Meinung sehr klar und deutlich zu sagen, wie beleidigend sie auch sein mochte, daran würde ich mich wohl gewöhnen müssen. Nun ja, damit hatte ich ja eben angefangen.
Ich setzte mich wieder auf einen freien Zweier, denn Chloe fuhr leider mit einem anderen Bus, weil sie aus der entgegengesetzten Richtung kam. Da ich ziemlich weit vorne Platz genommen hatte, kam es dazu, dass ich mich angeregt mit dem Busfahrer, der aus Deutschland kam, erst über unterschiedliche Schulsysteme und ihre Vor- beziehungsweise Nachteile sowie schließlich über die deutsche Grammatik und ihre Schwierigkeiten unterhielt. Zu guter Letzt fragte ich Herrn Hunert, so hatte er sich vorgestellt, noch nach der Richtigkeit meiner Deutschhausaufgaben und war erfreut zu hören, dass sich die Nachtarbeit gelohnt hatte. Doch trotz der lustigen und lehrreichen Unterhaltung spürte ich die ganze Fahrt über Stacys abfällige und zugleich feindselige Blicke in meinem Rücken und das war kein sehr angenehmes Gefühl.
In der Deutschstunde konnte ich, wie vorhergesehen, mit den Hausaufgaben punkten, was mir einen lobenden Blick von Frau Schmidt und eine abfällige Bemerkung von Floyd einbrachte, die ich hier lieber nicht ausführen will.
Ich hatte ziemlich schnell erkannt, dass er in meiner neuen Klasse den Ton angab. Und Chloe war so ziemlich die Letzte, mit der man sich abgeben sollte, wenn man eine einigermaßen erträgliche Stellung innerhalb der Klassengemeinschaft haben wollte. Aber ganz ehrlich, in Bezug auf diese Mitschüler war mir das so was von egal, denn ich war mir nicht mal sicher, ob es hier überhaupt eine richtige Gemeinschaft gab.
Wenn Floyd seine Meinung zu etwas äußerte, dann war ihm die Zustimmung aller anderen sicher, egal, um was es ging. Außer die von Chloe und mir natürlich. Nachdem er bemerkt hatte, dass ich im Begriff war, mich mit ihr anzufreunden, war ich sowieso bei ihm und damit auch beim Rest der Klasse unten durch.
Dabei war ich mir nicht mal sicher, was für ein Problem die anderen mit Chloe hatten, doch ich vermutete, da Floyd immer wieder lautstark über ihren Bodyguard herzog, dass er und die anderen Jungs eifersüchtig waren, dass sie immer mit Ace herumzog. Und die Mädchen waren es auf eine andere Art und Weise ebenso. Als Floyd mir genussvoll diverse Beleidigungen entgegenschleuderte, trat Chloe neben mich und zog mich weg. Im Vorübergehen warf sie ihm einen absolut herablassenden Blick zu, der mir, obwohl ich nicht dessen Ziel war, das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Floyd, mein Lieber, bitte lass doch einfach unschuldige Mädchen wie Am in Ruhe und guck mal in den Spiegel. Dann, das verspreche ich dir, wird es auf einmal ganz einfach sein, all deine Schimpfwörterchen auf eine Person abzufeuern, glaub mir!“
Sie schenkte ihm ein letztes überlegenes Grinsen, dann zerrte sie mich mit sich auf den Flur. Dort angekommen schob sie mich ein Stück von sich weg, musterte mich abschätzig und grinste schließlich zufrieden. „Am, du siehst heute umwerfend aus, Ace wird es nicht so leicht wie sonst haben, dich abzuservieren, da bin ich sicher.“
Ich beobachtete sie irritiert, in der Hoffnung, dass sie das nicht ernst meinte, aber ihr Gesicht mit den funkelnden grünen Augen zeigte keine Regung und ich seufzte erschüttert. Dann holte ich tief Luft, um sie endlich zu fragen, was mir schon seit gestern Vormittag auf der Zunge lag. „Chloe?“, begann ich mit zitternder Stimme und versuchte, ihre Reaktion abzuschätzen.
„Ja, Süße, was ist?“, fragte sie nur und blickte mich etwas ungeduldig an, da wir nur fünf Minuten bis zur nächsten Unterrichtsstunde hatten, doch ich musste das jetzt loswerden.
„Wieso willst du unbedingt verhindern, dass zwischen mir und Ace etwas sein könnte?“ Okay, das hatte jetzt ganz doof geklungen, zumal ich ja selbst nicht damit rechnete, dass Acevado auch nur einen winzigen Funken Interesse an mir haben könnte, doch Chloe schien verstanden zu haben, worum es mir ging.
Sie war stehen geblieben, wie zur Salzsäure erstarrt, und verschiedene Emotionen flackerten kurz hintereinander über ihr makelloses Gesicht, dann setzte sie mit gebrochener Stimme zu einer Erklärung an: „Äh, also, Am, es ist nicht so, dass ich ... äh ... verhindern will, dass ihr ... also, dass ihr zusammenkommt ...“ Sie unterbrach sich kurz und sah mich zweifelnd an, um mir zu zeigen, wie völlig absurd ihr allein der Gedanke daran erschien. „Aber es ist so: Ich weiß, dass es nichts wird mit euch. Ich habe ihm jetzt schon so viele Mädchen angeschleppt und es war keines dabei, das er nicht zurückgewiesen hat.“
Ich starrte sie ungläubig an und versuchte, die eben gesprochenen Worte zu verstehen. „Also, er hatte noch nie eine Freundin?“, stammelte ich schließlich, fassungslos, dass ein Traumtyp wie er noch nie ein Mädchen gefunden hatte, das er als würdig ansah. Seine Ansprüche schienen noch höher zu sein, als ich vermutet hatte.
Chloe nickte stumm und hauchte: „Noch keine einzige.“
Ich suchte ratlos den Sinn in dem, was ich eben erfahren hatte, und schüttelte dann den Kopf. „Aber wieso meinst du denn zu wissen, dass das so bleibt, irgendwann wird er sich ja wohl mal verlieben, oder?“ Chloes Blick war trübsinnig, aber sie sagte nichts, sie sah mich nur an und wartete, dass ich verstand. Als es so weit war, zuckte ich heftig zusammen und sagte: „Nein, das nicht, oder? Sag mir nicht, dass er schon verliebt ist! Wieso organisierst du dann dieses Treffen, wenn ich ohnehin keine Chance bei ihm habe?“ Wut stieg in mir auf und ich ballte die Fäuste.
Chloe jedoch hielt meinem Blick ruhig stand. „Er hat nicht direkt gesagt, dass er verliebt ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, also solltest du dir keine großen Hoffnungen machen. Und in die Cafeteria habe ich ihn bestellt, weil ich mir schon vorstellen konnte, dass du trotz meiner Berichte über ihn nicht aufhören würdest, von ihm zu schwärmen. Daher solltest du dich selbst davon überzeugen, wie kalt Ace sein kann. Aber wenn du nicht mehr willst ...“
„Doch“, platzte ich heraus, bevor ich richtig darüber nachdenken konnte, und Chloe reagierte darauf mit einem Hab ich es dir doch gesagt-Lächeln, das mich ärgerlich machte. Aber mir war klar, dass ich Acevado trotz meines Respekts vor seiner Schönheit und Chloes Verdacht, er sei verliebt, unbedingt treffen wollte. Und wenn es nur dazu diente, ihn aus der Nähe zu bewundern.
„Also, war’s das, Miss Quetsch-mich-aus, oder soll ich eine Rede halten? Denn ansonsten könnte ich dir in genau“, sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr, „54 Sekunden Reliunterricht bei Miss Miller anbieten, wie wär’s?“
Ich starrte sie einige Millisekunden sprachlos an, für mehr war keine Zeit, versteht sich, dann stürmten wir los.
Es war nicht einfach, im Sprinten darauf zu achten, Chloe in die richtigen Gänge zu folgen und nicht aus Versehen gegen eine heimtückische Wand zu laufen, aber schließlich kam ich atemlos und ohne erwähnenswerte Verletzungen hinter meiner neuen Freundin zum Stehen. Sie drehte sich zu mir um und bot mir ihre Hand zum Abklatschen, bevor sie schwungvoll die Tür aufstieß. Wir waren pünktlich und der Religionsunterricht gefiel mir eigentlich ziemlich gut, denn Ms Miller war ausgesprochen sympathisch, unter anderem, weil sie mehrmals mit Floyd schimpfte, der die Nase nicht vom Handy lösen konnte, weshalb sie es ihm schließlich kurzerhand abnahm und sagte, er solle es sich nach Schulschluss zusammen mit einer saftigen Bestrafung abholen.
Chloe und ich wechselten einen triumphierenden Blick, doch ich merkte, wie mit dem Näherrücken der Mittagspause auch meine Konzentration nach und nach schwand. Und nach zwei weiteren Unterrichtsstunden war es schließlich so weit, ich würde ihn sehen, Auge in Auge, und ich hatte unheimliche Angst.
Ich schnitt meinem Spiegelbild eine Grimasse. Dann wandte ich mich mit einem letzten Blick ab. So würde es schon gehen. Ich hatte Chloe schon mal in die Cafeteria vorgeschickt, da ich kurz auf der Toilette allein sein wollte. Außerdem sollte es, wenn ich dort eintraf, so aussehen, als wäre ich rein zufällig aufgetaucht. Obwohl Ace wahrscheinlich schon wusste, worum es bei diesem etwas speziellen Date ging. Okay, da Chloe ihm schon oft Mädchen angeschleppt hatte, war es vielleicht doch nicht ganz so speziell. Aber dann sollte es wenigstens den Anschein haben, dass mir das Ganze nicht so wichtig war und ich es nicht eilig hatte.
Jetzt stand ich, mal abgesehen von der Verabredung selbst, nur noch vor der Herausforderung, die Cafeteria zu finden. Was nicht so einfach war, wie ich erwartet hatte. Ich lief erst planlos kreuz und quer durch die gesamte Schule, bevor ich rein zufällig aufs Sekretariat traf. Ich wusste, von hier aus war es nicht mehr weit, aber weit genug, dass ich mich wieder verirren konnte. Und dann hätte ich niemanden, der mir den Weg sagen konnte, denn die Gänge waren in der Mittagspause quasi menschenleer. Also öffnete ich kurzerhand die Tür und diesmal musste ich Ms Green nicht erst suchen.
Sie saß gut sichtbar hinter dem Tresen und sah mich über ihre Lesebrille hinweg erstaunt an. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nicht angeklopft hatte. Verlegen machte ich einen Schritt auf sie zu und endlich schien sie mich zu erkennen. Sie lächelte herzlich und sagte: „Hallo Amber, das freut mich aber, dass du mal wieder reinschaust, wie läuft es denn? Und was suchst du denn überhaupt mutterseelenallein während der Mittagspause hier? Da musst du doch was essen!“ Sie musterte mich kurz prüfend und schüttelte dann fassungslos den Kopf. „Nein, nein, so wie du aussiehst, fällst du mir sonst noch vom Fleisch, komm, ich bring dich in die Cafeteria, damit du etwas isst. Über deine Probleme können wir später noch reden. Ach, Himmel! Du bist doch nicht magersüchtig, oder? Oh mein Gott, kann ich dir irgendwie helfen?“
Ich spürte, wie ich rot wurde, während ich noch darüber staunte, dass ich nichts hatte sagen müssen und sie trotzdem genau wusste, wie sie mich glücklich machen konnte. Okay, nicht ganz genau, schließlich hatte ihr Redeschwall sie dazu gebracht, zu denken, dass ich magersüchtig sei und gekommen wäre, um mit ihr darüber zu reden.
„Äh ...“, stammelte ich. „Also, nein, ich bin nicht magersüchtig, eigentlich wollte ich nur fragen, wo die Cafeteria ist ...“
Ms Green sah mich zwar immer noch zweifelnd an, nickte aber zustimmend und erhob sich. „Alles klar, aber wenn irgendetwas ist, kannst du jederzeit zu mir kommen!“
Ich lächelte, fragte mich allerdings, wie sie dazu gekommen war, sich wie eine Mutter um mich zu sorgen, aber vielleicht verhielt sie sich allen Schülern gegenüber so.
Wieder lief ich wie ein ausgesetzter Hund hinter ihr her, um Ecken herum, durch Gänge hindurch, schließlich ins Freie, einmal über den Innenhof und direkt auf die kreisrunde Cafeteria zu.
Ein Stück vor der Tür blieb ich abrupt stehen, was Ms Green erst nach einigen Schritten auffiel. Ich lächelte gequält und sagte vorsichtig: „Ich danke Ihnen, aber ab hier schaffe ich es alleine.“
Sie nickte, sah aber etwas enttäuscht aus. „Alles klar, dann ... äh ... tschüss. Und, Amber? Nimm nicht den Chicken Burger, der schmeckt fürchterlich!“
Jetzt konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und erwiderte: „Danke, ich werde es mir zu Herzen nehmen.“ Dabei dachte ich: „In Aces Gegenwart werde ich sowieso keinen einzigen Bissen runterkriegen, Chicken Burger hin oder her.“
Ms Green nickte noch einmal, dann ging sie.
Ich atmete tief ein. Dann schloss ich für einen Moment die Augen, sammelte mich und stieß die Tür auf. In der Cafeteria war es rappelvoll und ohrenbetäubend laut. Ich sah mich suchend nach Chloe um und natürlich nach ihm. Schließlich entdeckte ich die beiden im hinteren Teil, etwas versteckt in einer Art Nische. Sie unterhielten sich und ich ging unsicher näher heran.
Als ich direkt am Rand ihrer separaten Nische stand, wo sie mich nicht sehen konnten, versuchte ich noch ein letztes Mal, mein rasendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Und genau in diesem Moment hörte ich zum ersten Mal seine Stimme und er brachte erneut mein eben noch wild klopfendes Herz zum Stillstand.
„Du verstehst es einfach nicht, oder?“ Sechs einfache Worte, deren Sinn und Zusammenhang ich tatsächlich nicht verstand. Doch seine Stimme vibrierte in meinen Ohren, sodass ich mich unwillkürlich dort kratzen musste. Er sprach und jeder Ton verwandelte sich in meinem Kopf zu Musik.
Ich weiß, das klingt unheimlich kitschig, aber das liegt wohl daran, dass ich nun einmal bis über beide Ohren verliebt war. Ich zitterte immer noch alleine vom Klang dieser Stimme, als es mir schon wieder das Trommelfell zerriss.
„Chloe, hör mir doch zu, sie ist es! Verstehst du?“
Ich spähte um die Ecke, verwirrt und neugierig zugleich. Ace hatte seine Stimme gesenkt und sich über den Tisch hinweg zu Chloe gebeugt, doch trotzdem verstand ich alles, was sie sagten.
Jetzt sprach sie: „Wie ... sie? Soll das etwa heißen ... Nein, das ist nicht dein Ernst!“ In ihrem Blick spiegelten sich Überraschung und Fassungslosigkeit wider und ich fragte mich erneut, um was genau es in diesem Gespräch eigentlich ging.
Was meinte Ace mit sie ist es oder vielmehr wen meinte er damit? Doch nicht etwa ... mich? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, was bildete ich mir denn ein? Und selbst wenn, was sollten seine Worte schon zu bedeuten haben? Ich beobachtete, wie er sich wieder zurücklehnte, zwar nichts mehr sagte, Chloe aber ernst ansah.
Und in genau diesem Moment, als ich mich noch ein Stück näher an die Ecke heranschob, hinter der die beiden saßen, wandte Acevado seinen Kopf und blickte mir direkt in die Augen. Wir zuckten beide gleichermaßen zusammen. Ich, weil es mir peinlich war, dass er mich beim Lauschen erwischt hatte, und er vermutlich, weil er fassungslos war, dass ich ihrer Unterhaltung heimlich beigewohnt hatte. Ich richtete mich auf und tat, als wäre ich gerade erst gekommen, bevor ich in lässigem Tempo auf ihn zuschlenderte.
Jetzt entdeckte mich auch Chloe, und obwohl sie im Vergleich zu Ace nicht ahnte, dass ich gelauscht hatte, sah sie mir mit eisigen Augen entgegen. Ich fröstelte unter diesem Blick und fragte mich, was er wohl zu bedeuten hatte.
„Hi“, hauchte ich mit bebender Stimme und ließ mich möglichst unauffällig auf den Stuhl neben Chloe sinken, um weit weg von ihm und seiner magischen Ausstrahlung zu sein. Keine gute Idee, wie sich gleich darauf zeigte, denn nun musste ich ihn die ganze Zeit über ansehen, was mich nur noch nervöser machte.
Er starrte mich nur an mit diesen dunklen, wissenden Augen, die mich zu durchbohren schienen, und das reichte aus, um mich und meine Sprachfähigkeit völlig außer Gefecht zu setzen.
So kam es, dass erst mal betretenes Schweigen zwischen uns herrschte, denn selbst Chloe sagte nichts, sie schien immer noch sprachlos nach Aces mysteriöse Verkündung zu sein. Aber natürlich dauerte es nicht lange, bis sie wieder fröhlich vor sich hinplapperte, wenn auch mit einem kaum wahrnehmbaren, leicht bitteren Unterton.
Ace und ich schwiegen.
Chloe schien es nicht weiter aufzufallen, dass wir nicht viel beziehungsweise gar nichts sagten. Ich versuchte, desinteressiert in der Gegend herumzublicken und nicht in Aces perfektes Gesicht. Doch immer wenn ich zu ihm rüberschielte, sah ich, dass seine unergründlichen schwarzen Augen auf mir ruhten.
Nach einer schweigsamen Dreiviertelstunde, von der wasserfallartig redenden Chloe mal abgesehen, war die Mittagspause vorbei und Ace und ich hatten nicht ein einziges Wort gewechselt. Außer man zählte mein schüchternes „Hi“ dazu. Als Chloe aufstand und mich mit den Worten „Der Unterricht wartet!“ dazu aufforderte, mit ihr zu kommen, wollte ich ihr schon ohne Verabschiedung in Richtung Ace folgen, doch ich bemerkte, dass er unsere gemeinsame Freundin mit einem Blick ansah, der eine unterschwellige Warnung enthielt, die ich allerdings nicht zu entschlüsseln vermochte.
„Äh ...“, stotterte Chloe und warf ihm einen ebenso zornigen Blick zu. „Ich geh schon mal vor, Am, ich wollte sowieso noch mal zum Klo, okay?“ Ich sah sie völlig entgeistert an, sie wollte mich doch nicht wirklich hier allein lassen, oder? Allein mit Ace.
Eine wohlige Gänsehaut strich über meine Arme, doch gleichzeitig hatte ich schrecklichen Bammel davor, mit ihm hierzubleiben. Und überhaupt ... „Das geht nicht, Chloe, du kannst mich nicht allein lassen, ich würde dich doch niemals wiederfinden!“, stieß ich mit leicht panischer Stimme hervor.
Ace jedoch blieb ganz gelassen, er streckte eine Hand aus, um mir beruhigend über den Arm zu streichen. „Das geht schon klar, ich bring dich hin.“
Ich war von seiner Berührung und seinen ersten an mich gerichteten Worten noch immer wie erstarrt, als Chloe sich mit einem gezwungenen Lächeln von uns verabschiedete und davonging.
Danach brach wieder das Schweigen über uns herein.
Die Angst, zu spät zum Unterricht zu kommen, und der Wunsch, immer hier sitzen zu bleiben und diesen Jungen anzusehen, vermischten sich in meinen Gedanken.
Außer uns waren in der Cafeteria jetzt nur noch Mitarbeiter und Köche.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er endlich etwas sagte, es konnte eine halbe Stunde gewesen sein, vielleicht aber auch nur wenige Minuten.
„Komm“, flüsterte er, stand auf und zog mich auf die Füße. Er sah mir in die Augen und es war, als würden wir uns schon ewig kennen, völlig natürlich erschien es mir auf einmal, so nah bei ihm zu stehen und dem Klang seiner Stimme zu lauschen. „Du solltest jetzt in den Unterricht, wir wollen ja schließlich nicht, dass du zu spät kommst!“ Er sagte das so sanft und zärtlich, dass mir ganz warm ums Herz wurde, und auch sein Blick war weich geworden, nicht mehr so kühl und verschlossen wie gestern auf dem Pausenhof.
Vorsichtig griff er nach meiner Hand und ich ließ mich widerstandslos von ihm mitziehen. Während wir also Hand in Hand nebeneinander herliefen, fragte sich mein letzter Rest Verstand, was hier eigentlich gespielt wurde. Der schönste Junge der Schule, den ich gestern zum ersten Mal gesehen hatte und mit dem ich nicht mehr als einen Satz gesprochen hatte, hielt mit mir Händchen?
Mein Herz hüpfte wie wild auf und ab und meine Haut kribbelte vor Aufregung. Viel zu schnell waren wir bei dem Raum angekommen, in dem meine nächste Stunde stattfinden würde oder vielmehr schon stattfand. Schweren Herzens löste ich meine Hand aus seiner und sah zu ihm auf.
„Tja, dann ...“, begann ich zögernd. „Tschüss.“ Ich sagte es und zugleich schien es mir unmöglich, mich jemals wieder von ihm und seinen geheimnisvollen Augen zu trennen.
Er sah mich ernst an, und gerade als ich mich schon abwenden wollte, hob er mit seiner Hand sanft mein Kinn an, sodass ich ihm direkt in die Augen blicken musste. Dann beugte er sich zu mir herunter und seine Lippen berührten meine, nur ganz kurz, kürzer als eine Millisekunde und doch so schön.
Bevor ich in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, sagte er leise: „Du darfst mich jetzt gerne hassen oder das von eben einfach ignorieren, aber du sollst wissen, dass ich so etwas normalerweise nicht mache!“
Ich holte zitternd Luft, dann versuchte ich ein Lächeln, was mir nicht so gut gelang, weil immer noch alles in mir von diesem Kuss aufgewühlt war. „Ich hasse dich nicht“, brachte ich schließlich heraus, obwohl ich ihm viel lieber um den Hals gefallen wäre und „Ich liebe dich“ gerufen hätte. Aber das kam mir dann doch etwas übereilt vor.
Seine Mundwinkel zuckten und ein Leuchten trat in seine Augen, das mich restlos aus der Fassung brachte. „Also dann, tschüss!“
Ich wurde rot und nickte, bevor ich mich seinem Blick entzog. Doch bevor ich den Raum betrat, fragte ich mich noch, wie Chloe auf die Idee gekommen war, Ace zu treffen würde mich abschrecken. Denn wenn ich davor in ihn verknallt gewesen war, so war ich nun unbestreitbar unsterblich in ihn verliebt.