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ОглавлениеVierzigstes Kapitel
Cap Saknussemm
Seit Anfang der Reise habe ich viel Erstaunliches erlebt, und ich durfte glauben nun vor Überraschungen sicher und gegen Verwunderung abgestumpft zu sein. Doch beim Anblick dieser beiden seit dreihundert Jahren hier eingegrabenen Buchstaben erstaunte ich ganz über die Maßen. Nicht nur die Handschrift des gelehrten Alchymisten stand auf dem Felsen, sondern auch das Stilet, womit er sie eingegraben hatte, war in meinen Händen. Wollte ich nicht ganz allen Glauben verleugnen, so konnte ich die Existenz des Reisenden und die Wirklichkeit seiner Reise nicht mehr in Zweifel stellen.
Während diese Gedanken meinen Kopf in Bewegung setzten, gab sich der Professor Lidenbrock einem Schwung der Begeisterung gegen Arne Saknussemm hin, indem er das Vorgebirge, wo er dieses Meer, entdeckt hatte, nach seinem Namen Cap Saknussemm benannte.
Diese Begeisterung zündete in mir ein gleiches Feuer. Ich vergaß alle Gefahren der Reise und der Rückkehr; was andere vollbracht, wollte ich auch fertig bringen, und nichts, was menschlich ist, schien mir unmöglich.
»Vorwärts, vorwärts!« rief ich aus.
Ich stürzte schon auf den dunkeln Gang zu, als der Professor mich hemmte, und der ungestüme Mann riet mir Geduld und Gemütsruhe an.
»Erst wollen wir zu Hans zurück und das Floß herbeiholen.«
Ich folgte der Weisung nicht ohne Mißbehagen, und schlüpfte rasch zwischen den Felsen des Ufers hin.
»Wissen Sie, Oheim, sagte ich beim Fortgehen, daß wir bisher viel Glück gehabt haben!
– So, Du meinst, Axel?
– Allerdings, und sogar der Sturm hat uns glücklich auf den rechten Weg geführt; gutes Wetter hätte uns davon entfernt. Dann wäre uns Saknussemm’s Name nicht zu Gesicht gekommen, und wir befänden uns jetzt verlassen ohne Ausweg.
– Ja, Axel, es ist eine Art göttlicher Fügung, daß wir, südwärts schiffend, nach dem Norden verschlagen wurden zum Cap Saknussemm. Diese Tatsache enthält wirklich etwas Unerklärliches.
– Nun, gleichviel! Es gilt hier nicht die Tatsachen zu erklären, sondern zu benutzen.
– Allerdings, lieber Junge, aber …
– Aber wir wollen uns jetzt wieder nach dem Norden wenden, unsern Weg unter Schweden, Rußland, Sibirien und was es sonst für Nordländer Europas gibt, einschlagen, anstatt unter den Wüsten Afrikas oder den Fluten des Ozeans.
– Ja, Axel, Du hast Recht, und das Alles ist ganz gut, weil wir jetzt das horizontale Meer verlassen, welches zu nichts führen konnte. Wir werden jetzt abwärts dringen, immer abwärts! Weißt Du, daß wir bis zum Zentrum nur noch fünfzehnhundert Lieues7 zurückzulegen haben!
– Bah! rief ich aus, das ist wahrhaftig nicht der Rede wert! Also vorwärts! Auf den Weg!«
Solche unsinnige Reden führten wir noch, bis wir zu dem Jäger kamen. Alles war zur sofortigen Abfahrt gerüstet, wir bestiegen das Floß, das Segel wurde aufgespannt, und Hans steuerte längs der Küste nach dem Cap Saknussemm.
Der Wind war für ein solches Fahrzeug nicht günstig. Wir mußten daher an manchen Stellen unsere Stöcke zu Hilfe nehmen, um vorwärts zu kommen. Ost waren wir durch Felsen, die bis an die Oberfläche des Wassers strichen, genötigt, einen weiten Umweg zu nehmen. Endlich, nach drei Stunden, gegen sechs Uhr Abends, kamen wir an einen günstigen Landungsplatz.
Ich sprang ans Land, hinter mir mein Oheim und der Isländer. Diese Überfahrt hatte mich nicht ruhiger gemacht. Ich schlug sogar vor, »unsere Schiffe zu verbrennen«, um uns die Rückkehr abzuschneiden. Aber mein Oheim war dagegen; ich fand ihn äußerst lau.
»Wenigstens, sagte ich, wollen wir unverzüglich uns auf den Weg machen.
– Ja, lieber Junge; aber zuvor müssen wir diese neue Galerie untersuchen, um zu wissen, ob wir unsere Leitern dazu bereit machen müssen.«
Mein Oheim setzte seinen Ruhmkorff’schen Apparat in Tätigkeit; das Floß wurde am Ufer angebunden; übrigens war die Mündung der Galerie kaum zwanzig Schritte von da, und wir begaben uns, ich voran, unverzüglich dahin.
Die fast kreisrunde Öffnung hatte etwa fünf Fuß Durchmesser; der dunkle Tunnel war in lebendig Gestein gebrochen und durch ausgeworfene Gegenstände, welche durch denselben ihren Weg gefunden, geglättet; unten reichte sie an den Boden, so daß man ohne Schwierigkeit hinein konnte.
Wir gingen erst ganz horizontal, als uns nach sechs Schritten der Weg durch einen ungeheuren Felsblock versperrt war.
»Verdammter Block!« rief ich zornig, als ich mich plötzlich durch ein unübersteigliches Hinderniß gehemmt sah.
Wir mochten suchen, wie wir wollten, rechts und links, oben und unten, es fand sich kein Zugang, keine Spaltung. Ich fühlte mich sehr herabgestimmt und wollte die Wirklichkeit des Hindernisses nicht gelten lassen. Ich bückte mich nieder, schaute oben über den Felsblock. Kein Zwischenraum, überall dieselbe Schranke von Granit. Hans beleuchtete mit der Lampe die Wand allerwärts, aber sie zeigte nirgends eine Lücke. Man mußte darauf verzichten, hier weiter zu kommen.
Ich hatte mich auf den Boden gesetzt; mein Oheim ging mit großen Schritten auf und ab.
»Aber wie ging’s denn Saknussemm? rief ich.
– Ja, sagte mein Oheim, ist er durch diesen Felsen gehemmt gewesen?
7 15.000 Kilometer