Читать книгу Gesammelte Erzählungen - Jules Verne - Страница 76
ОглавлениеGegen sechs Uhr fing dieser Glanz an merklich schwächer zu werden, fast zu verschwinden; die Wände nahmen eine krystallisierte, aber düstere Färbung; der Glimmer mischte sich inniger mit dem Feldspat und Quarz, um das allerhärteste Gestein zu bilden, welches, ohne zerdrückt zu werden, die vier Stockwerke des Erdreichs trägt. Wir befanden uns mitten im Granit.
Es war Abends acht Uhr. Immer noch kein Wasser. Ich litt fürchterlich. Mein Oheim schritt immer voran, wollte nicht stehen bleiben. Er lauschte mit dem Ohre das Murmeln einer Quelle zu erhaschen. Vergebens!
Inzwischen versagten mir meine Beine den Dienst. Ich widerstand meinen Qualen, um nicht meinen Oheim zum Stillestehen zu nötigen. Es wäre für ihn ein Verzweiflungsschlag gewesen, denn der Tag lief zu Ende, der letzte, welcher ihm gehörte.
Endlich gingen mir die Kräfte aus. Ich fiel nieder mit einem Schrei: »Hilfe! Ich sterbe!«
Mein Oheim kam augenblicklich herbei. Er sah mich an mit gekreuzten Armen; dann murmelte er dumpf: »Es ist alles aus!«
Eine fürchterlich zornige Bewegung war das letzte, was ich sah, als ich die Augen schloß.
Beim Wiederausschlagen derselben gewahrte ich meine Gefährten unbeweglich in ihre Decken gewickelt. Schliefen sie? Ich meines Teils konnte nicht einen Augenblick in Schlaf kommen. Ich litt allzu sehr, zumal bei dem Gedanken, daß nicht zu helfen sein solle. Meines Oheims letzte Worte, »Alles ist aus!« hallten in meinem Ohre wieder, denn bei dem hohen Grade meiner Schwäche war kein Gedanke, wieder auf die Erdoberfläche zu kommen.
Wir befanden uns fünfzehn Kilometer in der Tiefe!
Es war mir, als laste diese ganze Masse auf meinen Schultern. Ich fühlte mich wie zerschmettert und strengte mich vergebens an, mich auf meinem Granitlager umzudrehen.
So verflossen einige Stunden. Tiefe Stille herrschte um uns, Grabesstille. Kein Laut drang durch diese zum Mindesten fünf Meilen dicken Mauern.
Inzwischen glaubte ich mitten in meinem Schlummer ein Geräusch zu vernehmen. Es war dunkel im Tunnel. Als ich recht achtsam blickte, schien mir’s, als sähe ich den Isländer mit der Lampe in der Hand verschwinden.
Weshalb entfernt er sich? Will Hans uns verlassen? Mein Oheim schlief. Ich wollte schreien; die Stimme versagte mir zwischen den ausgetrockneten Lippen. Es war völlig dunkel geworden, und das letzte Geräusch war verstummt.
»Hans verläßt uns! schrie ich. Hans! Hans!«
So rief ich, jedoch nur im stillen Innern. Inzwischen, nach der ersten Anwandlung des Schreckens, schämte ich mich wieder meines Verdachts gegen den braven Menschen. Unmöglich wollte er fliehen. Er ging die Galerie abwärts, nicht nach oben, wohin üble Absicht ihn gezogen hätte. Dabei beruhigte ich mich ein wenig, und ich kam auf andere Gedanken. Hans, dieser friedliche Mann, mußte einen wichtigen Beweggrund haben, der ihn vom Lager trieb. Ging er, um eine Quelle zu finden? Hatte er in der Stille der Nacht ein Murmeln gehört, das nicht bis zu meinem Ohr gedrungen war?