Читать книгу Diamond Legacy - Juli Summer - Страница 7

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„Greta? Ich glaube, sie kommt zu sich.“

Langsam öffne ich die Augen. Kneife sie aber gleich darauf zusammen, weil das Licht mich blendet. Ich liege auf meinem Bett. Einen Moment muss ich mich sammeln, dann erinnere ich mich. Ich will mich aufsetzen.

„Hey, nicht so schnell.“ Lara sieht mich besorgt an „Ich bin froh, dass es dir gut geht. Der Typ hat mir einen riesigen Schreck eingejagt. Wir sollten die Polizei anrufen.“

„Nein!“ Ich schieße nach oben. Ein klein wenig zu schnell, wie mir mein Kopf mit einer wilden Karussellfahrt bestätigt. Ich drücke die Handballen gegen meine Schläfen. „Keine Polizei“, meine ich weniger aggressiv.

Zwei Augenpaare schauen mich irritiert an.

„Greta, da ist gerade jemand in eure Wohnung eingebrochen.“ Laras Blick wandert durch den Raum. „Hier herrscht das absolute Chaos. Und du bist verletzt.“

„Ich glaube nicht, dass etwas geklaut wurde. Und mir geht es gut. Es geht bestimmt um den Ring. Wie sollten wir das der Polizei erklären?“

„Und wenn du falsch liegst?“

„Dann ist der Kerl längst über alle Berge. Aber findest du nicht auch, das ist mehr als Zufall? Ausgerechnet jetzt bricht jemand bei uns ein? Zwei Tage nachdem ich mit dem Ring aus New York zurückgekehrt bin. Und Evelyn hat gesagt, irgendwer ist auf dem Weg. Seitdem ist sie unerreichbar und hier wird eingebrochen. Nein, der Typ, er war auf der Suche nach etwas Bestimmten. Und wenn ich tatsächlich richtig liege, hat er es nicht gefunden.“ Ich hole den Ring aus der Hosentasche und lege ihn neben mir auf die Bettdecke.

„Du denkst also wirklich, es geht um den Ring“, fragt Finn ungläubig.

„Du hast gesehen, welche Fähigkeiten er einem verleiht. Wenn es bei mir funktioniert, warum dann nicht bei jemand anderem?“

„Dann sollten wir dringend deine Großmutter anrufen. Oder schick ihn ihr am besten zurück. Das Ding ist gefährlich und es macht mir Angst.“ Laras Stimme zittert.

Beruhigend greift Finn nach ihrer Hand. Sie wehrt sich nicht gegen seine Berührung.

„Okay, ich rufe sie an. Aber erst bringen wir die Wohnung in Ordnung. Mum muss nichts davon wissen. Sie ist im Moment eh schon schräg drauf, eine verwüstete Wohnung macht es nicht besser.“ Ich hänge den Ring wieder an die Kette und lege sie mir um den Hals.

„Dann los.“

Zimmer für Zimmer nehmen wir uns vor. Uns bleiben einige Stunden, bis Mum nach Hause kommt. So wie es aussieht, werden wir fast jede Minute davon benötigen. Wer auch immer hier eingebrochen ist, hat ganze Arbeit geleistet.

Nach fast drei Stunden mit aufräumen, saugen und fegen sieht die Wohnung aus wie zuvor. Bis auf einige wenige Gläser aus dem Wohnzimmerschrank ist unerwarteter Weise alles heil geblieben. Ich hoffe einfach darauf, dass es Mum so schnell nicht auffällt. Erschöpft sinken wir nebeneinander auf die Couch.

„Danke für eure Hilfe.“

„War doch selbstverständlich.“ Lara nimmt meine Hand in ihre und drückt sie ganz leicht.

„Darf ich jetzt endlich erfahren, wo du den Ring her hast?“, meldet sich Finn zu Wort.

Ich drücke eines der Sofakissen an meine Brust, verschränke die Arme davor und erzähle Finn, was er wissen möchte.

„Wie haben sich deine Eltern eigentlich kennengelernt?“, hakt Lara nach.

Sie weiß vom frühen Tod meines Vaters und dass ich die ersten Jahre in Amerika gelebt habe, aber wir haben nie näher darüber gesprochen.

„Mum und Dad haben sich kennengelernt, da war sie neunzehn. Nach dem Abi ist sie als Au-pair in die Staaten. In diesem einen Jahr haben sich die beiden verliebt. Als Mum ihren Eltern gesagt hat, dass sie heiraten wird und dort leben möchte, muss das ein riesiges Drama gewesen sein, aber am Ende hat Mum sich durchgesetzt.“

„Ziemlich romantisch.“

„Ja, ich hätte mir nur ein anderes Ende gewünscht.“

„Ach Süße, tut mir leid.“

„Schon gut, ist lange her und nicht zu ändern. Kümmern wir uns um die Gegenwart. Ich versuche es jetzt nochmal bei Evelyn.“

Es knackt und knistert in der Leitung. Ich befürchte schon, der Anruf kommt diesmal gar nicht erst zustande, als das Freizeichen ertönt. Oh bitte, lass sie endlich zu Hause sein, flehe ich stumm. Evelyn muss doch klar sein, dass ich Fragen habe. wieder schwanke ich zwischen Wut und Sorge.

„Hallo?“

Am anderen Ende der Leitung ertönt eine tiefe Männerstimme. Mein sowieso schon nervös pochendes Herz kommt für ein paar Takte ganz aus dem Rhythmus.

„Wer ist da?“, fragt die Stimme barsch.

„Bin ich richtig bei Evelyn Spencer?“

„Wer möchte das wissen?“

Ich reibe mir mit der kalten Hand über meinen Oberschenkel.

„Greta?“

Meinen Namen zu hören, bringt mich vollends aus der Fassung. Woher kennt der Mann ihn? „Wo ist Evelyn? Ich muss dringend mit ihr reden“, bringe ich mühsam hervor.

„Deine Großmutter kann gerade nicht ans Telefon kommen. Ich richte ihr deine Worte aus.“

Da stimmt was nicht. Da stimmt was ganz und gar nicht. Wer ist dieser Kerl? Wo ist Evelyn? Was, wenn es sich um die Typen handelt, von denen Evelyn gesprochen hat? „Ich wollte nur mal Hallo sagen. Nichts Wichtiges. Ich rufe einfach später wieder an.“

Ich nehme den Hörer vom Ohr und will die Verbindung beenden. „Greta, warte“, kommt es aus der Leitung. Diesmal freundlicher. Zögernd lege ich das Telefon zurück an mein Ohr. „Hast du den Ring noch?“

Ich schweige.

„Du glaubst mir nicht, aber du kannst mir vertrauen. Ich bin auf deiner Seite.“

„Stimmt, ich glaube Ihnen nicht.“ Diesmal lege ich auf, bevor er noch etwas sagen kann.

Meine Hände sind feucht, mein Herz klopft weiterhin zu schnell. Statt Antworten zu liefern, hat das Telefonat nur noch mehr Fragen aufgeworfen.

„Mein Englisch ist nicht das Beste, aber ich gehe richtig in der Annahme, dass nicht deine Großmutter am Telefon war.“ Finn schaut mich eindringlich an.

„Nein, es war ein Kerl. Er hat nach dem Ring gefragt.“

„Meinst du, sie waren deswegen bei deiner Großmutter?“ Laras Augen weiten sich. Vermutlich hat sie den gleichen Gedanken wie ich. „Sie würden doch nicht … oder doch?“

„Keine Ahnung, zu was die fähig sind. Ich muss herausfinden, was es mit dem Ring auf sich hat. Wozu diese Kräfte gut sind. Erst dann wissen wir, wie gefährlich die Typen sind.“ Ich klinge entschlossener, als ich mich fühle.

„Das ist so krass.“ Finn zieht sich sein Basecap auf den Kopf.

Im nächsten Moment wird die Wohnungstür geöffnet und Mum betritt zusammen mit Mario das Wohnzimmer.

„Oh, hallo ihr drei.“ Sie sieht lächelnd von einem zum andern. „Ihr sitzt so brav nebeneinander. Man könnte fast meinen, ihr habt etwas angestellt.“

„Wir sind nur faul. Sie wissen doch, wie das mit Teenagern ist.“ Lara steht auf und sieht Finn auffordernd an.

Eilig erhebt er sich. „Wir gehen dann jetzt auch mal.“

„Bitte, ihr müsst euer Treffen wegen uns nicht auflösen.“

„Schon gut. Die beiden wollten gerade los.“ Ich begleite Lara und Finn zur Tür.

„Kommst du zurecht?“, flüstert Lara mir zu.

„Na klar! Ich hoffe nicht, dass sie sich so schnell wieder hierher trauen. Bestimmt wollte der Kerl nicht erwischt werden. Wir haben ihn überrascht.“ Und daran wird sich mein Kopf noch ein paar Tage erinnern, füge ich im Stillen hinzu.

Lara umarmt mich und auch Finn drückt mich kurz an sich. Ich bin froh, die beiden eingeweiht zu wissen. Von der ersten Sekunde an hat keiner von ihnen an mir oder an dem, was sie gesehen haben, gezweifelt. Ihr Vertrauen hält mich davon ab, mich selbst für verrückt zu erklären.

Mum und Mario sitzen am Küchentisch. Ich fülle mir ein Glas mit Wasser und lehne mich mit dem Rücken an die Arbeitsplatte. Schnell wird mir klar, dass Mums gute Laune von eben nur gespielt war. Sie spricht den Ring zwar nicht mehr an, aber ihre Miene verdüstert sich sichtlich, als sie sieht, dass ich ihn immer noch um den Hals trage. Trotzdem bleibt sie still. Kurz überlege ich, die beiden aufzuklären. Ich hatte bisher nie Geheimnisse vor Mum. Doch mein Instinkt sagt mir, sie würde es nicht verstehen. Zu lange schon trägt sie die Abneigung gegen meine Großeltern in sich. Sie möchte die Vergangenheit ruhen lassen. Aus einem Grund, den nur sie kennt, will sie mit Dads Familie nichts zu tun haben. Denn eines ist mir heute klar geworden. Mum kann von den Kräften des Rings nichts wissen. Niemals würde sie mich im Unklaren lassen und mich leichtsinnig in Gefahr bringen. Wenn sie auch nur eine Ahnung hätte, würde sie es mich wissen lassen.

Mit einem scheuen Lächeln verabschiede ich mich am nächsten Morgen von Mum. Sie wirkt noch immer leicht bedrückt. Ich wünschte, alles wäre wie vor unserer Reise. Doch schon in der U-Bahn werde ich daran erinnert, dass dem nicht so ist. Nervös schaue ich mich nach allen Seiten um, fühle mich unwohl zwischen so vielen fremden Menschen. Gleichzeitig möchte ich nicht, dass die Angst mein Leben bestimmt. Möchte mich nicht ständig umdrehen und nach Augen suchen, die auf mich gerichtet sind. Darüber habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht. Ich will nicht, dass sich daran etwas ändert. Gefahren existieren. Und jeden von uns kann es jederzeit treffen, immer und überall. Wir alle müssen damit leben. Ich sehe in die Gesichter um mich herum. Sie unterhalten sich, lachen, hören Musik, telefonieren, hängen ihren eigenen Gedanken nach. Angst ist nur ein Störfaktor. Er vermindert unsere Lebensqualität. Damit bin ich definitiv nicht einverstanden. Trotzdem bin ich ihr für den Moment hilflos ausgeliefert.

In Gedanken versunken laufe ich den Gehweg entlang.

„Greta?“

Ich zucke zusammen. Ein schwarzer Van mit getönten Scheiben rollt im Schritttempo neben mir her. Die hintere Schiebetür ist offen. Ein Mann in Anzug und schwarzem Mantel sitzt auf der Rückbank. Ich laufe schneller.

„Greta, wir sollten uns unterhalten.“ Sein Ton ist freundlich, aber ich höre die Bestimmtheit, die darin lauert.

„Sie müssen mich verwechseln.“ Ich versuche den Abstand zwischen mir und dem Auto so groß wie möglich zu halten.

Plötzlich hält der Van und der Typ springt vor mir auf den Gehweg. Überrascht bleibt mir der Schreckensschrei im Hals stecken. Zum Glück reagiert mein Körper trotzdem, und ich beginne zu rennen. Mehrmals schaue ich dabei hinter mich. Weder der Mann im Anzug noch das Auto scheinen mir zu folgen. Ich bleibe erst stehen, als ich das Schulgelände erreicht habe. Nach Atem ringend stütze ich die Hände auf den Knien ab. Mich überkommt eine unbändige Wut auf Evelyn. Niemals hätte sie mir den Ring ohne Erklärung geben dürfen. Egal, was Mum davon hält. Sie hätte sich durchsetzen müssen. Das ist kein harmloses Spiel, so viel ist inzwischen klar.

Eine Berührung an der Schulter lässt mich zusammenzucken. Noch immer wütend, drehe ich mich angriffsbereit um. Ich schaue in ein mir fremdes Gesicht. Gleichzeitig kippt ein Stück entfernt ein Mülleimer um, zwei Mädchen kreischen erschrocken auf. Für ein paar Sekunden bin ich abgelenkt, denn ich erkenne allmählich einen Zusammenhang. Diese kleinen Zwischenfälle geschehen immer dann, wenn ich aufgebracht bin. Als würde sich mein Zorn auf diese Weise entladen. Und ich trage den Ring nur an einer Kette. Was passiert, wenn ich ihn am Finger habe und wütend bin? Schon beim letzten Mal habe ich die Kräfte nicht kontrollieren können. Ein Schauder jagt mir über den Rücken. Am liebsten würde ich diesen Klunker in der Toilette versenken.

„Hey, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Du sahst aus, als ginge es dir nicht gut.“

Das fremde Gesicht gehört zu einem Jungen in meinem Alter.

„Ging mir nie besser“, erwidere ich etwas zickig, merke es aber sofort. „Sorry, das kam falsch rüber. Mir geht’s wirklich gut.“

Skeptisch schaut er mich aus türkisblauen Augen an. Sein Blick bringt mich zum Lächeln. Er ist süß. Nicht sehr groß, ich schätze knapp eins fünfundsiebzig. Sein dunkles Haar ist kurz geschnitten.

„Ich bin übrigens Elias.“

„Greta“, stelle ich mich vor. „Du bist neu hier.“

„Stimmt.“ Sein Grinsen wird breiter. Dabei bilden sich zwei tiefe Grübchen in seinen Wangen.

Der Schulgong erinnert uns daran, warum wir eigentlich hier sind.

„Also dann. War nett dich kennenzulernen, Greta.“

Auf dem Weg in die Klasse spüre ich nichts mehr von meiner vorangegangenen Wut, auch der Schrecken haftet nicht mehr an mir. Deshalb verwerfe ich den Gedanken, den Ring in die Toilette zu befördern. Mit jedem Vorfall deutlicher, wie wichtig der Ring ist. Ich bin fest entschlossen zu glauben, dass Evelyn nicht aus einer Laune heraus gehandelt hat. Mich im Unklaren zu lassen, war nicht durchdacht, das steht außer Frage. Aber vielleicht hat sie die Konsequenzen unterschätzt und ihr Plan lief aus dem Ruder. Himmel, diese Unwissenheit treibt mich in den Wahnsinn.

Während unser Tutor mit Elan das Herz-Kreislauf-System des Menschen bis ins Detail auseinandernimmt, male ich gedankenversunken die Kästchen auf meinem Spiralblock aus. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Tür zum Klassenzimmer öffnet. Frau Rosenthal, unsere Direktorin, tritt ein. Dicht gefolgt von Elias.

„Das gibt’s doch nicht“, murmele ich.

„Kennst du ihn?“, will Lara wissen.

Ich erzähle ihr kurz von unserer Begegnung.

„Leckeres Kerlchen.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Das Getuschel an den Tischen verstummt, Herr Lehmann beendet seinen Monolog und nickt Frau Rosenthal stumm zu. Alle Blicke sind auf die Tür gerichtet. Elias scheint die Aufmerksamkeit, die ihm in dem Augenblick zuteilwird, nichts auszumachen.

„Ich bitte um Entschuldigung. Herr Lehmann, Sie können in wenigen Minuten fortfahren. Meine Lieben, das ist Elias Brennan. Er wird ab heute diese Klasse besuchen.“ Sie nickt dem Neuen zu. „Elias, möchten Sie ein paar Worte sagen?“

„Klar. Hi, ich bin Elias. Ich bin mit meinem Vater hergezogen. Wir sind aus New York, falls sich jemand über meinen Akzent wundert.“

Lara stupst mich an. „New York, wie deine Großmutter“, flüstert sie mir ins Ohr.

„So ein Zufall.“ Oder?

„Du sprichst gut Deutsch.“ Mareike streckt den Rücken durch und bringt so ihre nicht zu verachtende Oberweite zur Geltung.

„Ich bin mehrsprachig aufgewachsen.“ Elias zuckt mit den Schultern, als wäre es das Normalste der Welt. Mareike beachtet er dabei kaum. „Ich freu mich auf jeden Fall, hier zu sein.“ Er lässt seinen Blick lächelnd über die Klasse schweifen.

„Gut, dann suchen Sie sich ein Plätzchen aus.“

Auf der Suche nach einem freien Stuhl wandert Elias’ Blick durch den Raum. An mir bleibt er hängen. Seine blauen Augen verursachen ein Kribbeln in meinem Bauch. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, bevor er sich abwendet und den Platz neben Finn ansteuert.

„Hallo, darf ich?“, fragt er höflich.

„Tu dir keinen Zwang an.“ Finn mustert ihn kritisch, macht dann aber bereitwillig Platz.

Während ich die Szene beobachte, treffen sich noch einmal unsere Blicke. Mein Herz kommt für einen Moment aus dem Takt. Schnell wende ich mich ab. Jetzt reiß dich mal zusammen, tadele ich mich. Elias ist zwar echt niedlich aber noch lange kein Grund, die Nerven zu verlieren. Sicher weiß er, wie gut er aussieht. Die Mädchen werden ihm zu Füßen liegen. Ich kann es schon vor mir sehen. Entsprechend brauche ich mir keine Illusionen machen. Was mich nicht davon abhält, mir vorzustellen, wie wir uns küssen.

„Elias ist zum Anbeißen, oder?“ Laras Augen funkeln.

„Kann sein.“

„Ach, komm schon.“ Sie zwickt mich in die Seite.

Ich muss lachen. „Ja, er ist nicht schlecht.“

„Und er steht auf dich.“

„Natürlich, er konnte sich gerade so davon abhalten, über mich herzufallen.“

„Wir werden sehen.“ Sie dreht sich um und schenkt ihm ein breites Grinsen.

Die Pausenklingel beendet für den Moment meine Träumereien.

„Welcher Folterknecht hat sich eigentlich diese Doppelstunden ausgedacht?“ Finn grummelt genervt vor sich hin.

„Bei dir müsste es doch eigentlich heißen, wer hat sich Schule ausgedacht.“ Lara schubst ihn mit der Hüfte an. Finn nutzt die Gelegenheit und legt den Arm über ihre Schultern.

„Hey Neuer, kommst du mit an die frische Luft?“ Lara dreht sich zu Elias um und zwinkert mir anschließend zu.

Ich weiß genau, was sie hier plant und schüttele lachend den Kopf.

„Klar, gerne“, kommt es von Elias und die ersten Schmetterlinge flattern aufgeregt durch meinen Bauch.

Gemeinsam treten wir aus dem Gebäude. Elias läuft neben mir. Als wir die Richtung wechseln, bekommt es Elias zu spät mit und stolpert halb über mich. Seine Hände legen sich auf meine Schulter und den Rücken. Mir bleibt die Luft weg bei seiner plötzlichen Berührung.

„Oje, tut mir leid.“ Er grinst. „Ich scheine ein Talent zu entwickeln, dich zu erschrecken.“

„Dann pass mal auf, dass es nicht zur Gewohnheit wird.“

„Beim dem Blick, den du mir vorhin zugeworfen hast, ist das wohl besser für mich.“

Ich schaue betreten. „War ich so angsteinflößend?“

Elias sieht mich an, als müsste er überlegen, doch schnell zucken seine Mundwinkel.

„Sehr witzig.“

„Hey, ihr beiden. Was tuschelt ihr denn die ganze Zeit?“ Lara hakt sich bei mir unter. „Gretas Großmutter wohnt übrigens auch in New York.“

„Tatsächlich? Cool. Wo denn genau?“

„Manhattan.“

„Nicht schlecht. Ich bin aus Jackson Heights. Sagt dir sicher nichts. Bist du öfter mal dort?“

„Nein, eigentlich nie. Ist eine längere Geschichte.“

Elias’ Gesicht nimmt einen nachdenklichen Ausdruck an, dann zuckt er mit den Schultern. „Na dann, und was läuft hier so am Wochenende?“

Bei dieser Frage fühlt sich Finn angesprochen und lässt Elias für den Rest der Pause nicht mehr aus seinen Fängen.

„Hervorragend, dann weiß ich ja, an wen ich mich demnächst wenden kann. Als Gegenleistung könnte ich euch mit dem Auto abholen.“

Er hat einen Führerschein? Dann ist er schon achtzehn und damit fast eineinhalb Jahre älter als ich. Zu dumm, dass ihn das nur noch interessanter werden lässt.

Lara quetscht ihn weiter aus. Elias erzählt bereitwillig.

„Wenn du schon achtzehn bist, müsstest du nicht einen Jahrgang über uns sein?“

„Vor zwei Jahren hatte ich meine rebellische Phase und bin abgehauen. Zwar habe ich mich irgendwann wieder eingekriegt, aber den Schulstoff konnte ich nicht nachholen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein Jahr zu wiederholen.“

„Du bist mit deinem Vater hergezogen, hast du gesagt. Was ist mit deiner Mutter?“

„Sie ist bei meiner Geburt gestorben.“

Diese Information löst ein besonderes Mitgefühl in mir aus. Wir teilen eine traurige Erfahrung. Es ist albern, aber dadurch fühle ich mich nur noch mehr zu ihm hingezogen.

Die nächsten fünfundvierzig Minuten kann ich einfach nicht aufhören Elias anzustarren. Das Licht aus den großen Fenstern lässt seine Haut in warmen Tönen leuchten und ich erwische mich dabei, mir vorzustellen, die Wärme seiner Haut auf meinen Fingerspitzen zu fühlen. Oh Greta, dich hat es voll erwischt. Zumindest konnte ich dadurch sogar den Ring für eine Weile vergessen.

Wieder zu Hause lege ich mich aufs Bett und schließe die Augen. Warum taucht Elias ausgerechnet jetzt auf, wo in meinem Kopf schon genug Chaos herrscht? Andererseits, ich schmunzele vor mich hin, ist er definitiv eine willkommene Abwechslung.

Als es an der Haustür schellt, stöhne ich genervt, stehe aber auf. Ich schaue durch den Türspion und erschrecke. Es ist der Typ aus dem Van. Ich verhalte mich ruhig, traue mich nicht mal mehr zu atmen. Es klingelt ein weiteres Mal.

„Greta, wir wissen, du bist zu Hause. Wir haben dich hineingehen sehen.“

Na toll. „Hauen Sie ab, sonst rufe ich die Polizei.“

„Ich bin nicht hier, um dir etwas zu tun.“

Das zu glauben, fällt mir schwer. „Klar, als wollten Sie nur ein wenig Smalltalk halten.“

„Mein Name ist Craig Donovan. Deine Großmutter, Evelyn Spencer, hat dir einen Ring gegeben, der sehr kostbar ist.“

„Keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Wir könnten uns in der Wohnung in Ruhe unterhalten.“

Ich schnaufe. „Glauben Sie ernsthaft, Sie locken mich mit dem Namen meiner Großmutter? Dann sind Sie noch dümmer, als Sie aussehen.“ Okay, der Typ sah vorhin nicht wirklich dumm aus, aber mal ehrlich. Für wen hält der mich? „Die Nummer mit dem Einbruch hat nicht geklappt, jetzt versuchen Sie es auf die sanfte Tour?“

Einen Moment ist es still. „Bei euch wurde eingebrochen?“

Ich bin unsicher. Weiß er tatsächlich nichts oder verarscht er mich?

„Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen auch nur im Ansatz glaube, holen Sie Evelyn ans Telefon. Ich erreiche sie nämlich nicht.“ Gespannt warte ich.

Ich lehne mit dem Rücken an der Wand und zucke zusammen, als es an der Tür klopft. „Greta, du kannst mit Evelyn sprechen.“

Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Dazu müsste ich allerdings die Tür einen Spalt öffnen. Zum Glück gibt es eine Türkette. Sie bietet zwar nicht wirklich Sicherheit, wenn sich jemand unbedingt Zutritt verschaffen will, aber immer noch besser als nichts. Ich öffne vorsichtig und lasse mir das Handy durchreichen.

„Hallo?“

„Greta, bist du es? Ach, es ist so gut deine Stimme zu hören. Geht es dir gut?“

Sie ist es, ich habe keinen Zweifel. „Naja, wie man es nimmt. Du hast mich ziemlich im Regen stehen lassen.“ Ich bin froh, dass ihr nichts zugestoßen ist, kann aber meine anderen Emotionen augenblicklich schlecht einordnen.

„Man hat mich in Sicherheit gebracht, es war alles etwas hektisch, aber Craig wird dir helfen zu verstehen, du kannst ihm vertrauen.“

„Vertraust du ihm?“

„Ja, ohne Einschränkung.“

Mein Körper ist weiterhin in Alarmbereitschaft, als ich das Schloss zur Seite schiebe, um die Tür komplett zu öffnen, doch meine Neugier ist größer. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass ich vielleicht Antworten bekomme. Auf den ersten Blick macht Donovan keinen kriminellen Eindruck. Ich hoffe nur, ich lasse mich von seinem gepflegten Äußeren nicht täuschen und Evelyns Vertrauen in ihn ist groß genug für uns beide.

„Bitte.“ Ich lasse ihn eintreten und gebe ihm das Handy zurück.

„Ich danke dir. Setzen wir uns doch.“

Wir nehmen am Esszimmertisch Platz. Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Er scheint mittleren Alters zu sein, sein dunkles Haar ist an den Schläfen ergraut, sein Gesicht glattrasiert.

„Du sagtest, bei euch wurde eingebrochen.“

„Richtig.“

„Wurde etwas geklaut?“ Angespannt sieht dieser Donovan mich an.

„Nein, aber der Typ war noch in der Wohnung. Ich durfte ihm kurz begegnen. Er hat mich gegen die Wand geschleudert.“ Mein Ton ist vorwurfsvoll.

„Das tut mir leid. Wir hätten nicht gedacht …“ Donovan unterbricht sich. „Konntest du ihn erkennen?“

„Nein.“

„Also gut, dann ganz von vorn. Du weißt, von welchem Ring ich spreche?“

Ich schweige.

„Das ist nicht irgendein Ring, Greta. Schon über mehrere Jahrhunderte hinweg wird er innerhalb deiner Familie weitergereicht. Doch es gibt Menschen, die damit nicht einverstanden sind und ihn für sich beanspruchen.“

„Sie meinen diese Erben irgendwas, von denen Evelyn gesprochen hat?“

„Die Erben Erebos’, richtig. Nachdem dein Großvater starb war klar, dass sie ihn zuerst bei Evelyn suchen würden. Sie hatte gehofft, dass er bei dir sicher sei. Dass sie nicht auf die Idee kämen, bei dir zu suchen.“

„Haben sie aber.“

„Ja, und schneller, als wir es für möglich gehalten haben. Deshalb ist es das Beste, du gibst ihn uns. Wir werden dafür sorgen, dass er sicher aufbewahrt wird.“

„Wer ist wir und wer sind diese Typen und warum sind die so scharf auf den Ring?“

„Greta.“ Jetzt sieht er mich an wie ein fürsorglicher Vater. „Ich denke, es ist besser, nicht immer alles zu wissen. Das kann gefährlich sein. Deine Großmutter würde mir nie verzeihen, wenn dir etwas geschieht.“

War das eine Drohung oder nur ein gutgemeinter Rat? Sein

Blick ist weiterhin freundlich.

„Das ist nicht mein Problem. Warum hat Evelyn ihn nicht gleich Ihnen anvertraut? Wäre das nicht noch schlauer gewesen?“

„Wäre es wohl.“ Donovan presst die Lippen aufeinander. „Evelyn, sie ist manchmal, sagen wir … eigensinnig. Aber inzwischen hat sie eingesehen, dass sie vorschnell gehandelt hat.“

Am Telefon hat Evelyn nichts davon gesagt, dass ich Donovan den Ring geben soll. Kann ich ihm wirklich vertrauen? Mein Herzschlag verdoppelt sich.

„Wer sagt mir, dass ich danach nicht mehr in Gefahr bin? Woher werden die wissen, dass ich den Ring nicht mehr habe? Wie kann ich mir sicher sein, ob Sie die Wahrheit sagen?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust.

Donovan lächelt. „So viele kluge Fragen. Du bist eindeutig Evelyns Enkelin. Ich schätze, du musst mir einfach vertrauen. Wenn nicht, vertrau zumindest deiner Großmutter. Ich kenne sie schon sehr lange, genau wie ich deinen Großvater kannte.“ Er kratzt sich am Kinn und beugt sich dann vor. „Und jetzt verrate mir, wo der Ring ist, und gib ihn mir. Zu deiner Sicherheit wird jemand von uns noch eine Weile in deiner Nähe bleiben. Du gehst unterdessen wie gewohnt zur Schule, lebst dein Leben und vergisst am besten, was gewesen ist.“

„So einfach, ja?“

„So einfach.“

„Ich würde Ihnen gern helfen, aber ich habe den Ring überhaupt nicht. Er ist mir schon in Amerika verloren gegangen. Deswegen habe ich versucht, Evelyn anzurufen, um es ihr zu beichten“, lüge ich. „Wenn ich gewusst hätte, dass er so wertvoll ist, hätte ich besser darauf aufgepasst.

Donovans Blick bohrt sich in mich hinein. Aber er hat seine Emotionen ziemlich gut im Griff. Ich kann sehen, wie er tief einatmet, um die Fassade des verständnisvollen Freundes aufrechtzuerhalten. Allerdings neigt sich seine Geduld dem Ende entgegen. Ich kann selbst nicht begreifen, weshalb ich mich widersetze. Es wäre so einfach, den Ring hier und jetzt loszuwerden. Sollen sie damit doch machen, was sie wollen. Glück hat er mir bisher schließlich nicht gebracht. Doch irgendetwas in mir wehrt sich mit Händen und Füßen. Lässt mich genügend Mut aufbringen, um die Dinge zu hinterfragen. Dummheit, Leichtsinn oder der einzig richtige Weg?

„Sie sollten gehen.“ Ich stehe auf.

Sein Blick verweilt auf meinem Hals. Ich halte den Atem an.

„Ja, das sollte ich wohl. Grüß deine Mutter von mir.“

Ich gehe hinter ihm her durch den Flur. Fast geschafft. Ein Anflug von Erleichterung macht sich breit. An der Tür dreht sich Donovan um. Bedauernd sieht er mich an. Ehe ich mich fragen kann, was der Ausdruck in seinem Gesicht zu bedeuten hat, hebt er blitzschnell seinen Arm und ich spüre einen Stich am Hals. Nicht schmerzhaft, nur unangenehm. Reflexartig fasse ich an die Stelle und registriere in seiner Hand eine Spritze.

„Tut mir leid, mir bleibt keine Wahl.“

„Was war das?“, frage ich ängstlich.

„Keine Sorge, die Wirkung hält nur kurz.“

Die Welt verschwimmt vor meinen Augen. Ich will wegrennen, aber mir fehlt die Kraft. Benommen stolpere ich einige Schritte über den Flur. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als würde er aus Watte bestehen. Donovan stützt mich, bevor ich hilflos zu Boden sacke. Ich will sprechen, bekomme aber keinen Ton heraus. Mit aller Gewalt versuche ich meine Augen offenzuhalten.

„Wehr dich nicht, Greta. Alles wird gut. Wir passen auf dich auf. Das ist nicht dein Kampf.“

Sein Gesicht ist das Letzte, was ich sehe. Danach fallen mir endgültig die Augen zu.

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