Читать книгу Das Tagebuch der Jenna Blue - Julia Adrian - Страница 13
ОглавлениеAls es klingelt, kennt Marias Euphorie keine Grenzen mehr. Sie schwebt auf Wolke sieben den Flur entlang, mit mir als drohendem Gewitter im Schlepptau.
»Ich brauche das Kleid, Jenna! Es passt perfekt zu den Chucks, für die ich so lange gespart habe.«
Seltsamerweise überlagert sich die Erinnerung an das Kleid mit der an die Reißzwecke, in die ich heute Morgen getreten bin. Es ist ein dumpfes, irgendwie drückendes Gefühl.
»Das wird die beste Party aller Zeiten!«, schwärmt Maria.
»Auf der letzten Party ist jemand ertrunken«, werfe ich ein. »Wird schwer zu toppen.«
»Fast ertrunken«, korrigiert sie fröhlich. »Die Neue wäre nicht gestürzt, hätte sie besser aufgepasst. Ich meine, wir wohnen am Meer! Da sollte man schon wissen, wo es beginnt, zumal das Bootshaus naturgemäß am Kai steht. Wenn du mich fragst, war es ihre eigene Schuld. Lässt sich herausfischen und beschwert sich dabei auch noch, jemand habe sie geschubst! Also bitte!«
»Danach«, sage ich.
Das bringt Maria aus dem Takt. »Wonach?«
»Nach der Reanimation. Sie hat sich danach beschwert.«
Nicht dass einer von uns beiden dabei gewesen wäre, als die Neue ins nachtschwarze Hafenbecken stürzte und – sollte man den Gerüchten glauben – nur knapp dem Tod entronnen ist. Nein, die Partys sind einzig einer bestimmten Klientel vorenthalten und besitzen wahren Kultstatus, wie Maria nicht müde wird zu betonen. Die Vorstellung, dass auf dieser ihr so heiligen Veranstaltung ein Mensch beinahe sein Leben verlor, ist für sie so absurd, dass sie es kurzerhand beiseitewischt. »Wie auch immer … Hast du gefragt?«
»Habe ich was?«
Beleidigt hebt sie die Brauen. »Das Kleid, Jenna!«
Ah, das. »Nein.«
»Aber du wolltest sie fragen!«
Wollte ich nicht. Aber das hat Maria schlicht überhört.
Ich zeige zu den Fahrradständern. »Da ist sie. Frag selbst.«
Tatsächlich sehe ich sie gar nicht, dafür ist zu viel los. Doch wenn sich der Fluss staut, ist Scarlett für gewöhnlich der Damm, der alles zum Erliegen bringt. Ihr Name ziert zahllose Tische, die Wände der Toiletten und ist in scharlachroten, beinahe verzweifelt um Aufmerksamkeit heischenden Lettern an die Turnhalle gesprüht.
SCARLETT. Eine Offenbarung.
»Spinnst du?« Maria lacht eine Spur zu hoch. »Sie weiß nicht einmal, dass ich existiere, geschweige denn, dass ich deine Freundin bin.«
»Tja.«
»Tja?«, wiederholt sie gekränkt.
Innerlich stöhnend unterdrücke ich den Wunsch, Maria einfach stehen zu lassen. Im Gegensatz zu meiner Schwester besitze ich bloß diese eine Freundin, auch wenn ihr Interesse einzig und allein Scarlett, Scarlett, Scarlett gilt.
»Kannst du sie nicht fragen?«, fleht Maria und das Stöhnen, das ich so wunderbar unter Kontrolle hatte, droht mich zu überwältigen. Ich bezwinge es mit einem Lächeln; es fühlt sich an, als würde ich die Zähne fletschen, und offensichtlich sieht es auch so aus, denn Maria rudert zurück. »Du könntest mich auch mit zu dir nehmen –«
»Nein«, sage ich.
»Wieso nicht?«, jammert sie.
Diesmal lasse ich sie stehen. Sie ruft mir etwas hinterher, doch ich ignoriere es. Sie kennt die Antwort. Ich nehme sie nicht mit zu mir. Selbst Scarlett bringt keine Freunde heim. Unser Hof ist tabu. Scarlett schämt sich zu sehr, mir hingegen ist er heilig.
»Hallo, Schwesterherz.«
Wenn man vom Teufel spricht.
Scarlett lächelt.
Ist das wirklich sie? Oder mein Spiegelbild?
Wir sprechen für gewöhnlich nicht miteinander. Weder in der Schule noch auf dem Weg dorthin, und erst recht nicht vor ihren Freunden, von denen einer ihr Rad hält.
»Hast du es eilig?«, fragt sie und legt doch tatsächlich eine Hand auf meinen Lenker. »Das trifft sich gut, ich will auch los.« Als wäre es das Normalste der Welt, sich mit mir zu unterhalten oder gar gemeinsam heimzuradeln. Dabei kommt das der Entdeckung einer außerirdischen Spezies gleich. Es ist absolut unglaublich. Oder eher: unwahrscheinlich.
Ich wittere einen Hinterhalt.
»Was willst du?«, fahre ich sie an, kaum dass wir außer Hörweite sind. »Und hör auf, so dämlich zu grinsen.«
»Deine Laune stinkt ja zum Himmel!«
»Lass das Geplänkel.«
Sie zieht die Brauen zusammen. »Ich weiß, dass unsere Beziehung recht unterkühlt ist« – die Untertreibung des Jahrhunderts – »doch ich bezweifle wirklich, dass ich so tiefe Abneigung verdient habe.«
Hass trifft es eher, denke ich; oder sage ich es laut?
»Komm zum Punkt«, verlange ich.
»Wie du willst.« Die Weichheit fällt von ihr wie das Laub von den Bäumen. Das ist Scarlett, die echte Scarlett. Kühl und überlegen. »Ich möchte, dass du zur Party gehst.«
Ich blinzele irritiert. »Heute Abend?«
Sie wirft mir einen Seitenblick zu. »Bist du zu anderen eingeladen, von denen ich nichts weiß?«
»Ach was, die Einladung galt auch mir?«
Scarletts Lächeln bekommt etwas Wölfisches. »Natürlich.«
Ich frage mich, wann ich den Pelz verlor und das Cape überstreifte. Jetzt trägt Scarlett die Wolfshaut und ich bin ihr unterlegen – wie Maria vorhin mir. Meine Hände sind schweißkalt, der Lenker droht mir zu entgleiten.
»Also, begleitest du mich?«
»Begleiten?«, echoe ich ungläubig.
»Nun, wir haben den gleichen Weg.«
Sie lässt den Satz verklingen. Vielleicht ist ihr selbst aufgegangen, dass wir tagtäglich den gleichen Weg nutzen, doch niemals zusammen radeln. Alles an ihrer Bitte ist falsch. Ich soll sie begleiten? Dass ich nicht lache!
»Wie geht es deiner Nase?«, fragt Scarlett da und betrachtet mich von der Seite. Ich zwinge den Blick nach vorn. Keine Schwäche zeigen, nicht einen Zentimeter breit. »Das war wirklich ein unglückseliger Wurf. Mitten ins Gesicht. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so viel Blut gesehen habe.«
Ich hasse sie.
Ich hasse sie.
Ich hasse …
»Derek hätte besser aufpassen müssen. Keine Sorge, das wird ihm so schnell nicht wieder passieren.«
»Ach nein?«, zwinge ich hervor.
»Nein.« Sie klingt fast bedauernd. »Wir sind Schwestern und ich sorge für dich. Auf meine Weise.«
Ich schnaube. Sie seufzt.
»Weißt du, Jenna, wir müssen nicht so sein. Zueinander, meine ich. Wir könnten –«
»Was? So tun, als wäre nichts geschehen?«
»Warum nicht?« Diesmal sehe ich sie an. Ihr Blick wirkt erneut fragil. Ist es nun das Laub oder der Wolfspelz, den sie trägt? Ich traue ihr nicht. Geschweige denn mir selbst.
»Komm zur Party. Begleite mich. Wie früher.«
Früher. Bevor unsere Familie entzweibrach. In ein Davor und ein Danach. Als Mutter noch da war und dann nicht mehr.
Mit ihr verloren wir uns selbst.
»Es gibt kein Zurück.« Ich bleibe stur.
»Nein«, sagt sie und lächelt sanft. »Aber ein Weiter.«