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Zwei Tage später …

Samstag, 02. November 2019

Auf ein Neues …

Zum dritten Mal saß der Kommissar der Frau gegenüber. Er konnte sich nicht erklären, warum, aber er hatte von Anfang an das Gefühl verspürt, dass sie ihm noch nicht alles erzählt hatte. Sie wirkte verunsichert. Bis jetzt hatte keiner der beiden etwas gesagt. Er hatte auch nicht vor, das so schnell zu ändern, er wollte sie nur einen Moment lang beobachten, bevor er ihr erneut die Fragen stellte. Schweigend sah er ihr in die Augen. In ihre großen braunen Rehaugen. Überraschenderweise hielt sie seinem Blick tapfer stand. Trotzdem sah er ihr an, dass sie sich nicht wohlfühlte in ihrer Haut.

Sie waren alleine in seinem Büro, das er von der Brucker Polizei zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Er sah ihr dabei zu, wie sie begann, auf ihrer Unterlippe herumzukauen. Sie versuchte, cool zu wirken, verschränkte ihre dünnen Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Ihre Hand fuhr langsam an ihrem linken Unterarm auf und ab. Beim letzten Mal hatte sie ihren rechten Oberarm gerieben. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen.

Na gut, vielleicht solltest du doch mal mit dem Gespräch beginnen …

„Frau Kaufmann, was führt Sie zu mir?“

„Ja, also … Das ist … Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es im aktuellen Fall Neuigkeiten gibt.“

„Sind Sie wirklich nur deswegen gekommen?“

„Ja?“

Ihre Antwort klang wie eine Frage. Nun wirkte sie misstrauisch. Der Kommissar fuhr fort: „Lassen Sie uns nochmal über den Tatabend sprechen. Ich glaube nämlich, Sie haben uns bei den letzten beiden Malen nicht alles erzählt …“

„Wie meinen Sie das?“

„Kann es vielleicht sein, dass Sie etwas vergessen haben, zu erwähnen? Oder dass Sie uns etwas verschwiegen haben?“

Ihre großen Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Was wollen Sie damit andeuten?“

„Ich kaufe Ihnen Ihre Version nicht ganz ab.“

„Wollen Sie mich etwa verhaften, Officer?“

Officer … Wie aus einer US-Serie. Sie wollte wohl witzig rüberkommen, aber ihre Nervosität war nicht zu übersehen. Wurde sie etwa ungeduldig? Hatte sie doch mit dem Mord zu tun? Obwohl sie nicht gerade eine weiße Weste hatte, traute er ihr so etwas nicht zu. Er versuchte, sie auf eine andere Art aus der Reserve zu locken: „Kann ich mal Ihren linken Unterarm sehen, bitte?“

Stille.

„Warum?“

„Warum nicht?“

„Weil es da nichts zu sehen gibt.“

„Dann können Sie ihn mir doch zeigen.“

Er ahnte, dass sie etwas zu verbergen hatte. Sie verstummte und machte keine Anstalten, den Ärmel ihres schwarzen Oberteils nach oben zu schieben. Jola Kaufmann saß nur da und ließ ihn das erste Mal seit ihrer heutigen Begegnung aus den Augen und starrte nach unten auf den Fußboden. Wie ein kleines Kind. Als würde sie dort einen ihrer flapsigen Sprüche, die ihr momentan nicht einfallen wollten, finden. Aus ihrer Akte hatte er vorab entnommen, dass sie kein unbeschriebenes Blatt war. In der Vergangenheit war sie immer mal wieder in kleinere Schlägereien verwickelt gewesen – seit etwa anderthalb Jahren war Schluss damit. Zumindest laut den Aufzeichnungen.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie ihn wieder ansah. Er glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen.

„Da … Da ist nichts“, erwiderte sie und ließ ihren Unterarm los, um sich mit der Hand durch ihre kurzen dunklen Haare zu fahren. Überzeugend klang das nicht. Dem Kommissar kam ein Verdacht und er tastete sich vorsichtig vor: „Hat er …“

„Nein!“

Das kam für seinen Geschmack etwas zu schnell. Er fuhr unbeirrt fort: „Sie müssen ihn nicht schützen.“

Plötzlich sah sie nicht nur mehr nervös, sondern regelrecht verängstigt aus. Ihre Augen weiteten sich und starrten ihn durch einen schimmernden Film aus Tränenflüssigkeit an. Er würde die Frau auf keinen Fall gehen lassen. Eine einzelne Träne bahnte sich den Weg aus ihrem Augenwinkel und lief über ihre Wange. Wortlos reichte der Kommissar ihr ein Taschentuch.

„Wissen Sie, es ist eigentlich gar nicht so schlimm“, begann sie, während sie es annahm. „Es ist in letzter Zeit alles nur ziemlich viel geworden. Sie wissen schon …“

„Natürlich.“

„Jeder hat seine Probleme. Keine Beziehung ist perfekt, verstehen Sie?“

„Ich weiß schon, was Sie meinen. Trotzdem ist Ihre Aussage von großer Bedeutung. Frau Kaufmann, Sie würden uns sehr weiterhelfen, wenn …“

Er beendete den Satz nicht und zeigte stattdessen auf ihre Arme. Sie brauchte eine Weile, gehorchte dann aber doch. Langsam und mit zittrigen Bewegungen streifte sie den Ärmel nach oben und entblößte ihren linken Unterarm …

Nun gab es kein Halten mehr: Sie heulte wie ein Schlosshund in das Taschentuch hinein. „Er wollte das nicht. Er hat es nicht mit Absicht gemacht!“

„Haben Sie Angst vor ihm?“

Sie presste ihre Lippen zusammen und nickte nur stumm. Dann war ja alles klar. Er und sein Kollege hätten ihm heute sowieso einen Besuch abgestattet, denn es gab Neuigkeiten im aktuellen Fall.

Der Kommissar lehnte sich nach vorne und fragte: „Um nochmal auf den Fall zurückzukommen: Glauben Sie, dass er es war?“

„Ich, ich weiß nicht …“

„Denken Sie genau nach, bitte. Würden Sie ihm zutrauen, dass er jemanden umbringt?“

„Ehrlich gesagt … ging mir der Gedanke schon mal durch den Kopf …“

Jetzt musste sie nur noch die folgende Frage wahrheitsgemäß beantworten.

Aller guten Dinge

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