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Samstag, 03. Februar 2018

David

„Hörst du mir überhaupt zu?“

Genervt hob er den Kopf und legte die Speisekarte zur Seite.

„Ja, natürlich höre ich dir zu“, erwiderte David mit monotoner Stimmlage. Das reichte Katja als Antwort aber anscheinend nicht: „Es sieht nämlich nicht danach aus.“

„Wie ich schon sagte, …“

„Herrgott, es geht um unsere Tochter, David!“

Er war perplex. Dass sie auf einmal ihre Stimme erhob, überraschte ihn. Sie tat ja schon fast so, als hätte Lena Schwierigkeiten, dabei war sie einfach eine ganz normale Achtzehnjährige. Sie selbst waren nicht besser gewesen. Das traf besonders auf David zu …

Er versuchte, sein Gegenüber zu beruhigen: „Hör zu, Katja. Ich sehe keinen Grund, jetzt ein Theater deswegen zu machen …“

„Das tue ich doch gar nicht. Warum unterstellst du mir sowas?“

Tränen traten in ihre Augen.

Nein, bitte nicht … Nicht jetzt … Und vor allem: nicht hier …

Das konnte er gar nicht gebrauchen. In ihrem ehemaligen Stammlokal eine Szene gemacht zu bekommen, stand nicht auf seiner Wunschliste. Er beschloss, nicht auf ihre Frage einzugehen und studierte stattdessen wieder die Speisekarte. Um die angespannte Situation, die vor wenigen Minuten entstanden war, als Katja das Thema angesprochen hatte, aufzulockern, fragte er sie beiläufig: „Weißt du schon, was du essen möchtest?“

„Was ist denn das für eine Frage?“, gab sie zurück und kicherte. David hatte sie lange nicht mehr lächeln sehen. Viel zu lange. Dieses Lächeln war einer von zahlreichen Gründen gewesen, warum er sich vor neunzehn Jahren in sie verliebt hatte.

Na gut, anfangs war da keine Verliebtheit gewesen. Die beiden hatten sich über Freunde kennengelernt und waren eines Nachts sturzbetrunken in seinem Auto übereinander hergefallen. Dass das Kondom, das sie benutzt hatten, einen Riss hatte, war ihnen damals nicht aufgefallen. Sie hatten einmal miteinander geschlafen und sich danach monatelang nicht wiedergesehen. Beide hatten ihren Spaß gehabt und damit hatte es sich für sie erledigt. Dass aus dem Spaß im Nachhinein bitterer Ernst wurde, erkannte David, als Katja eines Tages an der Tür seines Elternwohnhauses in Bruck an der Mur läutete.

Zunächst hatte er nicht gewusst, was sie von ihm wollte, geschweige denn, wer sie überhaupt war. Umso erstaunter war er gewesen, dass das Mädchen, das vor ihm stand, seinen Namen kannte: „David, ich … ich … Es ist was passiert …“

Daraufhin begann sie unaufhörlich zu weinen und versetzte David damit in eine Art Schockzustand. Wer war dieses Mädchen? Er hatte keine Ahnung. Es war helllichter Tag und vor seiner Tür heulte eine ihm fremde Person so drauf los, dass sogar Passanten zu ihnen herüberblickten.

Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, legte er eine Hand um ihre Schultern und zog sie ins Haus. Während sein Vater im Wohnzimmer unverständliches Zeug dahinmurmelte, rief seine Mutter nach ihm: „Hast du Besuch, Junge?“

Oh Gott, was sollte er darauf sagen? Er konnte seinen Eltern doch kein Mädchen vorstellen, das ihm völlig unbekannt war. Aber da sie nicht aufhörte zu weinen, konnte er auch nicht abstreiten, dass jemand ins Haus gekommen war.

„Ich muss nur schnell was abklären!“, rief er seinen Eltern zu. Was Besseres fiel ihm im Moment nicht ein. Er schloss die Haustür und ließ seine Hand von der Schulter des blonden Mädchens gleiten.

„Was ist los?“, fragte er sie. Eigentlich hätte er sie fragen sollen, wer sie war, aber da sie seinen Namen (und seine Adresse!) gewusst hatte, wollte er sich nicht blamieren und hoffte, durch ihre Antwort schlauer zu werden.

„Wir … Wir hätten besser aufpassen sollen“, sagte das Mädchen mit tränenerstickter Stimme.

„Okay?“

„Ja. Fuck, David, das ist alles echt beschissen …“

„Was ist los, zur Hölle?“

„Ich …“

Wieder rannen ihr Tränen über die Wangen.

„Nein, nein, nein“, begann David aufgeregt. „Nicht rumheulen. Reden.“

„Ich bin schwanger.“

Ihn traf fast der Schlag. Jetzt konnte er sich wieder erinnern. Wie lange war es her gewesen? Fünf Monate? Sie waren betrunken in seinem Auto gewesen. David war danach zu Fuß nach Hause gegangen, um nicht erneut einen Fehler zu begehen … Und sie hatte diese ultradünne Bluse angehabt, die beinahe schon durchsichtig gewesen war. Sie hatte absolut umwerfend darin ausgesehen. Im Gegensatz zu jetzt. Na gut, sie war nach wie vor hübsch, aber ihre tränenverschmierte Mascara ließ sie ein bisschen wie Alice Cooper aussehen. Wie war nochmal ihr Name? Kathrin? Kathi? K… irgendwas mit K.

Katja! Genau! Oh, Mann.

Katja … Ein heißer unbedeutender Fick und nun stand sie da. Schwanger. David war es peinlich, dass ihm erst jetzt eingefallen war, wer sie war.

Das Erste, das er darauf sagte, war nicht gerade feinfühlig. Es war einfach nur unverschämt, aber die Worte hatten schon seinen Mund verlassen, bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte: „Bist du dir sicher, dass es von mir ist?“

Mit der anschließenden Ohrfeige hatte er nicht gerechnet, obwohl er sie verdient hatte. Katja sah wütend aus, als sie ihn anfuhr: „Ich bin doch keine Hure! Und glaub ja nicht, dass du mich mit diesem Scheiß alleine lassen kannst. Dazu gehören immer zwei.“

Da hatte sie recht. Seine Eltern schienen den Zwischenfall mitbekommen zu haben und seine Mutter rief erneut nach ihrem Sohn: „David, ist alles in Ordnung?“

„Ja! Keine Sorge!“

Einen Moment lang überlegte er, ob er sie seinen Eltern vorstellen sollte. Aber das wäre jetzt vermutlich der ungünstigste Zeitpunkt dafür. Seine nächste Frage klang zwar ebenfalls nicht sensibel, aber da er keine Beziehung zu Katja hatte, war ihm irgendwie egal, ob er nett war oder nicht. Sie kannten sich ja kaum. „Willst du es behalten?“

Katja schwieg für einen Moment. Sie sah unsicher aus, als sie antwortete: „Weiß nicht. Schätze schon.“

David wusste nicht, bis wann man eine Schwangerschaft abbrechen konnte, aber da sie nicht felsenfest davon überzeugt war, es abzutreiben, war das irrelevant. Ein Kind passte ihm so gar nicht in den Kram, er war doch gerade mal achtzehn! Und er stand am Beginn seiner Polizeiausbildung, er hatte also genug andere Dinge, um die er sich kümmern musste. Aber Katja hatte hierbei das letzte Wort und wenn sie das Kind bekommen wollte, musste er wohl oder übel damit klarkommen. Er blickte verstohlen auf ihren flachen Bauch und meinte: „Das sieht man dir gar nicht an.“

Er glaubte, ein Grinsen um ihre Mundwinkel erkennen zu können, als sie sagte: „Wenn ich nackt bin, kann man schon ein bisschen was sehen. Anfangs dachte ich, ich habe einfach nur zugenommen, weil ich keinerlei Beschwerden hatte.“

„Echt?“, fragte David fasziniert. Er hatte sich noch niemals zuvor mit einer Schwangeren unterhalten. Und nun redete er mit einer, die von ihm ein Kind erwartete.

„Ja. Das kann schon mal vorkommen. Aber da das Bäuchlein trotz Training nicht weggegangen ist, bin ich mal zum Arzt gegangen und der hat es mir dann bestätigt. Ich bin bereits in der einundzwanzigsten Woche.“

„Wow.“

Wow. Na toll. Etwas Reiferes hätte ihm nicht einfallen können. Katja schien seine Überforderung nicht zu stören und nahm stattdessen seine Hand, um sie sich auf den Bauch zu legen. „Fühl mal.“

„Wow.“

Es nutzte alles nichts. Ihm fiel wirklich nichts Besseres ein.

„Kannst du es spüren?“

„Mhm.“

Konnte er nicht. Aber er wollte sie nicht enttäuschen. David zog seine Hand zurück und meinte: „Ich schätze mal, jetzt werden wir uns öfter sehen.“

„Das glaube ich auch.“

„Ich gebe dir mal die Nummer von unserem Festnetzanschluss.“

Er kramte einen Kugelschreiber aus der Kommodenschublade im Vorzimmer und schrieb die Zahlen auf ihren Unterarm. Wie erwachsen!

Sie lächelte und in ihren braunen Augen schimmerten schon wieder Tränen. Aber es sah nicht so aus, als wäre sie weiterhin traurig. Im Gegenteil. Sie flüsterte: „Danke.“

„Danke wofür?“

„Dafür, dass du so lieb bist.“

„Ach, das ist doch …“

„Nein, ernsthaft. Andere Jungs hätten nicht so erwachsen reagiert wie du.“

„Oh …“ Da fehlten ihm die Worte. Anscheinend hatte er sich doch nicht so blöd angestellt. Aber gut, sie war vermutlich genauso alt wie er, was wusste sie schon? Sie sprach leise weiter: „Ich hatte schon Schiss, dass du durchdrehst.“

„Nein, warum sollte ich? Das war doch nicht deine … Schuld. Zumindest nicht … Du weißt schon.“

„Ja, aber das verstehen nur die Wenigsten. Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht blöd, weil wir uns ja eigentlich gar nicht kennen, aber … Ich bin froh, dass du der Vater meines Kindes bist und nicht irgend so ein blöder Wichser.“

„Das ist nett von dir.“

In der Tat fand er es nett von ihr, auch wenn der Satz mit einem Schimpfwort endete. Sie hatte ja nicht ihn damit gemeint. Irgendwie fand er sie sympathisch. Und er glaubte, dass sie ihn auch mochte.

„Vielleicht stelle ich dich das nächste Mal meinen Eltern vor“, rutschte es ihm plötzlich heraus. War er zu weit gegangen? Doch seine Sorge verflüchtigte sich, als sie ihn anstrahlte und sagte: „Das wäre schön.“

David öffnete Katja die Tür und sie gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange, bevor sie das Haus verließ. Es war ein komisches Gefühl.

Dieser Tag veränderte alles. War er bereit für ein Kind? Bereit für ein Kind mit einer … einer Fremden? Natürlich war er das nicht, aber er hatte sich die Suppe selbst eingebrockt, also würde er sie auch auslöffeln, denn in seinen Augen war das Leben das verdammt nochmal schönste Geschenk, das es gab. Warum hätte ein kleines unschuldiges Wesen seines hergeben sollen? Nur, weil sie nicht aufgepasst hatten? Er würde schon alles unter einen Hut bekommen.

In den Wochen darauf trafen sie sich des Öfteren und David wurde bewusst, dass er Katja immer mehr mochte. Sie hatten trotz ihrer schwierigen Situation viel Spaß zusammen. Beinahe alle Sorgen waren vergessen, als er ihr ein Eis spendierte und ihrem Bauch auch eines anbieten wollte. Sie fand ihn lustig. Er fand sie erwachsen. Sie mochten sich. Er besuchte sogar die Geburtsvorbereitungskurse mit ihr. Dort war ihr Verhältnis immer zum Zerreißen gespannt, wenn sie gemeinsam verschiedene Übungen durchgehen mussten und er gezwungen war, sie anzufassen. Er fürchtete sich davor, weil sie ihm so verletzlich vorkam. Ihr Bauch war um einiges gewachsen und er hatte Angst, ihr oder dem Kind wehzutun.

Als er sie schließlich anfasste, fühlte es sich toll an. Sobald er Katja mit seinen Händen berührte, spürte er eine tiefe Verbundenheit. Während sie so die Übungen durchgingen, fragte er sie ständig, ob alles in Ordnung sei und ob sie Schmerzen habe. Hatte sie nicht. Also war er in der Lage, sich um die Mutter seines Kindes zu kümmern. Das motivierte ihn, sie mehr zu unterstützen.

Die Abstände zwischen ihren Treffen wurden immer kürzer und aus dem Winken als Begrüßung wurden Umarmungen. Aus den Umarmungen wurden Wangenküsse und aus denen wiederum wurden innige, lang andauernde Küsse, bei denen sie minutenlang vor Katjas Tür standen und eng umschlungen rumknutschten.

David wusste gar nicht, wann der Zeitpunkt gekommen war, an dem sie ein Paar wurden. Es passierte einfach. Sie mochten sich immer mehr und konnten sich eines Tages nicht mehr zurückhalten. Sie hatte ihn mit auf ihr Zimmer genommen und innerhalb weniger Minuten waren sie beide splitterfasernackt. David machte es nichts aus, dass Katja einen Babybauch hatte, denn er mochte sie so wie sie war. Sehr sogar. Der darauffolgende Sex mit ihr war nicht übermäßig gut, aber das hatte er auch nicht erwartet. Sie hatten wegen ihrer Kugel gewisse Verrenkungen machen müssen, die keiner von ihnen zuvor ausprobiert hatte. Katja schien aber anschließend traurig zu sein und sagte, dass sie sich schämte, weil sie nicht mehr sexy war. David legte schützend die Arme um sie und flüsterte ihr zu, dass sie für ihn die schönste Frau der Welt sei und er sie liebe.

Das überraschte nicht nur sie, sondern auch ihn selbst. Er hatte sich bisher gar keine Gedanken über seine Gefühle für Katja gemacht. Zumindest nicht darüber, ob es wahre Liebe war. Aber er hatte es gesagt und es gab kein Zurück mehr. Für sie schienen es die richtigen Worte gewesen zu sein, denn daraufhin übersäte sie seinen Körper mit unzähligen Küssen.

Ihre Eltern waren nicht gerade froh darüber, dass die beiden ein Kind erwarteten, aber was hätten sie denn tun sollen? Also machte jeder das Beste daraus und Katja durfte so oft zu David kommen, wie sie wollte und umgekehrt. Da beide noch bei ihren Eltern wohnten, bekamen sie genügend Hilfe und Unterstützung, wofür sie sehr dankbar waren.

Als ihre Tochter zur Welt kam, war David ganz aus dem Häuschen. Er nahm sie in die Arme und wollte sie gar nicht mehr hergeben. Nie im Leben hätte er gedacht, jemals so etwas Schönes erleben zu dürfen. Es war alles vollkommen: Er hatte eine atemberaubende Freundin und eine wunderschöne Tochter – und beide waren gesund! Für ihn stand fest, dass der One-Night-Stand im alkoholisierten Zustand damals das Beste war, was ihm jemals widerfahren war.

Nach Lenas Geburt lief ein halbes Jahr alles gut, dann fingen die Streitereien zwischen Katja und David an. Die Pendelei zwischen beiden Elternhäusern und der ungewohnte neue Alltag wirkten sich negativ auf ihre Beziehung aus. Sie konnten sich nicht mehr ertragen. Sie schrie ihn an – er beschimpfte sie. So ging es Tag ein Tag aus – bis Katja David schließlich nicht mehr besuchte. Sie meldete sich einfach nicht mehr bei ihm und er sich nicht mehr bei ihr.

Es dauerte ein paar Monate, bis David eine neue Freundin hatte. Er wollte Katja nicht nachheulen und er sah nicht ein, warum er derjenige sein sollte, der sich meldete. Das Glück mit seiner neuen Flamme hielt nicht lange an, dazu vermisste er seine kleine Tochter viel zu sehr. Das sagte er seiner Freundin auch, die ernsthaft von ihm verlangte, sich zwischen ihr und Lena zu entscheiden. Also beendete er die Sache nach ein paar Monaten wieder, traute sich dann jedoch nicht, Katja anzurufen. Er hätte sie gerne gefragt, wie es ihr ginge … und ob er Lena sehen dürfe. Zu diesem Anruf kam es aber nicht.

Die Trennung von Katja lag neun Monate zurück, als er sie eines Tages mit dem Buggy auf der anderen Straßenseite sah. Ohne darüber nachzudenken lief er auf sie zu. Zwei Meter vor ihr blieb er stehen und starrte sie an. Sie starrte zurück. Keiner der beiden brachte einen Ton hervor.

„Was will der denn?“, hörte David eine männliche Stimme fragen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass neben ihr ein junger durchtrainierter Mann stand, der vermutlich um die zwanzig Jahre war, also etwa in ihrem Alter. Katja sah nur erschrocken zwischen den beiden Männern hin und her und wendete schließlich den Buggy, um mit ihrem Begleiter davonzugehen. Das brach David das Herz. Warum tat sie so etwas? Und wer war der Kerl?

Die Tage vergingen, in denen David diese Begegnung nicht mehr aus dem Kopf ging. Seine Eltern redeten andauernd auf ihn ein, dass er endlich seinen Arsch hochkriegen sollte, um sich bei Katja zu melden. Eines Abends hatte er schließlich den Mut dazu. Er wählte die Nummer von Katjas Festnetzanschluss und verlangte nach ihr, ohne sich überhaupt mit Namen zu melden, nachdem ihre Mutter rangegangen war. Er wusste nicht, ob sie ihn aufgrund seiner Stimme erkannt hatte, aber es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Katja das Gespräch entgegennahm: „Ja, hallo?“

„Ich bin’s.“

Sie brauchte nicht nachzufragen. Dass sie ihn auf der Stelle erkannt hatte, wusste er. Da sie daraufhin nichts sagte, nahm er an, dass sie wütend war. David beschloss, nicht um den heißen Brei herumzureden und fragte sie: „Wer war der Clown?“

„Clown? Meinst du vorige Woche?“

„Nein, ich meine den in Stephen Kings Verfilmung! Natürlich den von letzter Woche, verdammt!“

„Das war Tom. Und rede nicht in so einem Ton mit mir.“

„Ist er dein Freund?“

„Was geht’s dich an?“

„Ich bin der Vater deiner Tochter, also geht es mich sehr wohl was an.“

„Also eines kann ich dir sagen: Deine Tochter hat zurzeit keinen festen Freund!“

Nun wurde auch David wütend: „Schläfst du mit ihm?“

„Wie bitte?“

„Also nein.“

„Was? Was ist nur los mit dir?“

„Wie ist es so für deine Tochter, zwei Väter zu haben, hm? Tust du so, als wäre der Clown jetzt ihr Vater?“

„Das ist nicht fair.“ Katja klang so, als würde sie jeden Moment zu weinen beginnen. Doch David war zu aufgebracht, um einen sanfteren Ton anzuschlagen: „Das weiß ich, verdammte Scheiße, aber daran bin ich nicht alleine schuld.“

„Willst du mir jetzt etwa erzählen, dass du dich nicht mit anderen Mädchen triffst?“

„Das tut nichts zur Sache.“

„Ach so! Du darfst so etwas also!“

„Darum geht es nicht.“

„Worum geht es dann, David?“

„Ich …“

So hatte er sich den Verlauf des Gesprächs nicht vorgestellt. Wie sollte er jetzt die Wahrheit sagen, ohne dass es aufgesetzt klang? Er vermisste nicht nur Lena, sondern auch sie. Als er sie mit diesem Kerl gesehen hatte, hätte er ihn am liebsten zur Seite geschubst und seine Katja mit ihrer gemeinsamen Tochter auf Händen davongetragen. Aber mit diesem Tom legte er sich besser nicht an, der war das reinste Muskelpaket. David war aufgrund seiner Ausbildung zum Polizisten zwar körperlich fit und durchtrainiert, aber sein Kontrahent bestand nur aus Anabolika- und Fleischmassen.

David konnte ihr nicht die ganze Wahrheit sagen, also offenbarte er nur die Hälfte davon: „Ich würde Lena gerne wiedersehen.“

„David … Ich weiß nicht …“

„Was? Sie ist doch auch mein Kind!“

„Ja, aber … Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, wenn ich dich mit ihr alleine lasse.“

„Musst du nicht. Wie wäre es, wenn ich dich mal besuche? Dann kannst du daneben sitzen.“

„Hmmm ...“

„Bitte, Katja.“

„Na gut. Aber nur für einen Nachmittag. Und dann sehen wir, wie’s läuft.“

„Danke. Eine Bitte hätte ich noch …“

Katja sagte darauf nichts, also redete er weiter: „Halt mir diesen Fleischberg Tom vom Leib.“

Er glaubte, sie am anderen Ende der Leitung kichern zu hören, ehe sie wortlos auflegte. David stellte sich vor, wie Katja gerade lächelte. Lächelte, weil sie ihn witzig fand und immer noch Gefühle für ihn hatte.

In der darauffolgenden Woche besuchte er sie und war erleichtert, weil dieser Tom tatsächlich nicht bei ihr war. Ihre Eltern waren nicht zu Hause, was ihm nur recht sein konnte. Sonst hätte er sich bei ihnen rechtfertigen müssen, weil er sich fast ein Jahr nicht hatte blicken lassen.

Als er Lena sah, war er erstaunt. Das sollte seine Tochter sein? Sie war riesig im Vergleich zum letzten Mal. Vorige Woche hatte er sie zwar aus zwei Metern Entfernung im Buggy gesehen, aber da war es ihm nicht so aufgefallen. Er freute sich trotzdem tierisch und war gleich wieder in seiner fürsorglichen Vaterrolle. Als er mit Lena auf dem Teppich herumalberte, konnte er im Rücken Katjas Blicke spüren. Sie saß auf dem Sofa hinter ihm und er wusste, dass sie ihn anstarrte. Langsam drehte er sich um und sah in ihr Gesicht, das zufrieden aussah.

„Was?“, fragte er sie mit unschuldiger Stimme. Er glaubte, zu sehen, wie sie eine Träne wegblinzelte. „Du bist so wunderbar zu ihr.“

„Danke. Ist Tom denn nicht …“

„Sprich nicht von ihm, bitte.“

Dieser Satz erfüllte sein Ego mit Stolz. David presste die Lippen aufeinander, um ein breites Grinsen zu unterdrücken. Anscheinend war dieser Tom ein Tölpel. So wie der aussah, konnte sich David gut vorstellen, dass er nicht wusste, wie man mit Kindern umging.

Während das Stoffhäschen in seiner Hand seine Tochter mit Küsschen übersäte, fragte er Katja: „Was meinst du? Kann ich wiederkommen?“

„Natürlich.“

Dass sie bei dieser Antwort keine Sekunde zum Nachdenken gebraucht hatte, freute ihn.

„Du bist einfach perfekt“, sagte sie plötzlich hinter ihm und noch ehe er sich fragen konnte, ob sie nun ihn oder Lena gemeint hatte, war sie schon neben ihm und legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel. Ein warmer Schauer durchströmte seinen Körper und er lächelte ihr zu. „Wir sind perfekt“, flüsterte er, um der kitschigen Situation noch das i-Tüpfelchen zu verleihen. Als Zeichen ihrer Zustimmung lehnte Katja ihren Kopf gegen seine Schulter. Dieses Treffen lief besser, als er es sich vorgestellt hatte. Gemeinsam und friedlich spielten sie nun mit ihrer Tochter und von außen betrachtet mussten sie aussehen wie eine Bilderbuchfamilie. Vielleicht sind wir das ja auch, dachte er sich.

Es kam, wie es kommen musste: Schon nach kurzer Zeit landeten Katja und David wieder miteinander in der Kiste. Dieses Mal mit einem sicheren Kondom. Tom war schneller von der Bildfläche verschwunden als erwartet und sie wagten einen Neustart. David beschloss, dieses Mal alles richtig zu machen und gab gleich Vollgas, indem er Katja fragte, ob sie mit ihm zusammenziehen wollte. Diese Frage überrumpelte sie und sie wünschte sich Bedenkzeit. Nach ein paar Tagen willigte sie schließlich ein. Es dauerte gar nicht lange, bis sie die passende Wohnung gefunden hatten, die zum Großteil von ihren Eltern finanziert wurde, da David mitten in der Polizeiausbildung steckte und Katja Vollzeitmama war. Das Apartment war zwar winzig, aber es machte ihm nichts aus, auf engstem Raum mit seinen zwei Lieblingsmenschen zu wohnen – im Gegenteil.

David half zu Hause mit, so gut er konnte und Katja unterstützte ihn während seiner Ausbildung, sowie sie ihn in allem unterstützte. Er wusste, dass sie die Frau war, die er eines Tages heiraten würde.

Und nun saßen sie hier. Knapp zwei Jahrzehnte später. In ihrem ehemaligen Stammlokal in Kapfenberg. Im Schicker. Es war fast so, als wären sie noch ein Paar.

„Einen griechischen Salat. Natürlich“, gab David lächelnd zurück, worauf Katja ihm zunickte.

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