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III

Zerrissenes Land, oder:
Warum Nancy und Dick nur selten über Politik diskutieren

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SEBASTIAN HESSE-KASTEIN

»Da sind sie: die widerlichen Fake-Fake-News-Journalisten!«, brüllt der Präsident der Vereinigten Staaten. Und zeigt mit dem Finger direkt auf mich.

Es ist kurz vor Weihnachten 2019, genauer gesagt der 17. Dezember. Es ist der Tag, an dem der Kongress in Washington das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump auf den Weg bringt. In demonstrativer Geringschätzung seiner Ankläger verbringt der Präsident den Abend lieber dort, wo man ihn feiert und wo man bedingungslos zu ihm steht: auf einer »Rally«, einer seiner berüchtigten Wahlkampfveranstaltungen. Dieses Mal in einer Kleinstadt im Bundesstaat Michigan, deren Name passender nicht sein könnte für diesen historischen Abend: Battle Creek. Trump redet sich in Rage, teilt aus, zieht alle Register seiner Reality-TV-geschulten Entertainer-Kunst. Die Menge johlt. Trump ist in seinem Element. Alles ist so, wie er es mag. Hier kann er genüsslich austeilen gegen die »Enemies of the people«; Feinde des Volkes, so nennt dieser Präsident die Medien. Die Lügenpresse, die ihm nicht ausreichend huldigt. Immer wieder im Verlauf seiner Ansprache hetzt Trump gegen die anwesenden Journalisten, die am hinteren Ende der Halle in einem abgesperrten Bereich hinter Metallzäunen eingepfercht sind. Jedes Mal, wenn Trump zur Medienschelte ausholt, drehen sich 5 000 Menschen um, blicken feindselig zum Medienpferch, schreien: »Buh!«, »Fuck off!«, und drohen mit dem Stinkefinger.

Es ist kalt auf den Straßen von Battle Creek, Michigan, bitter kalt. Es ist kurz vor Weihnachten und man sollte meinen, dass sich die Einwohner der 50 000-Einwohner-Stadt in einer Dezembernacht wie dieser zu Hause einmummeln. Doch 20 000 Menschen haben sich aus nah und fern auf den Weg gemacht zur »Kellogg Arena«, der größten Veranstaltungshalle weit und breit. Alles ist Kellogg in Battle Creek. Der Cornflakes-Hersteller ist der größte Arbeitgeber weit und breit. Und Kultursponsor. In der »Kellogg Arena« treten sonst Def Leppard, Fleetwood Mac oder Kiss auf. Und hier finden Basketball- und Eishockeyspiele statt. Die heutige Attraktion toppt alle anderen: »Ist ein Trump-Wahlkampfauftritt nicht der großartigste Ort, auf dem man auf Erden sein kann?«, fragt der Präsident die Teilnehmer von Battle Creek. Tausende Neugierige sind an diesem Dezemberabend gekommen, um die Trump-Show zu sehen. Die Allermeisten sind trotz stundenlangen Anstehens nicht in die Halle gekommen. Erstaunlich viele bleiben trotz der Eiseskälte. Der Auftritt wird vor den Arena-Toren auf Großbildleinwände übertragen.

Obwohl ich zu den »very, very dishonest people« (Trump über Berichterstatter, die kein Dauerloblied auf ihn singen) gehöre, genieße ich das Privileg eines separaten Presseeingangs, was mir das Bibbern in der Adventsnacht erspart. In der Halle, kurz bevor Trump unter tosendem Beifall den Saal betritt, stehle ich mich aus dem Pressepferch hinaus und mische mich unter die Teilnehmer. Tippelschritt für Tippelschritt arbeite ich mich vor in Richtung Rednerpult. Um mir die volle Dröhnung der Trump-Performance abzuholen. Um mich zwischen die Hardcore-Fans zu mogeln, die es zu Füßen ihres Idols geschafft haben. Mit ihnen, die den New Yorker Immobilienhai ins Weiße Haus gebracht haben, möchte ich ins Gespräch kommen.

Doch kaum habe ich mein Mikrofon gezückt, da taucht wie aus dem Nichts ein Secret-Service-Mann auf. »Sir, Sie müssen hier weg«, sagt er, »Sie dürfen den Pressebereich nicht verlassen!« Ich protestiere, halte dem Mann entgegen, dass ich nur hier, wo die Fans sind, meinen Job machen kann. Doch er bleibt unerbittlich. »Sir, es ist zu Ihrem eigenen Wohl!« Zunächst bin ich sauer. Was fällt ihm ein, mich bei der Recherche zu behindern? Es reizt mich, ihm einen Vortrag über Pressefreiheit und Demokratie zu halten. Doch das verkneife ich mir dann. Kurze Zeit später ereilt mich dann der Gedanke, dass der Sicherheitsmann vielleicht recht haben könnte. Dann nämlich, als der Präsident seinem Wutausbruch gegen meinen Berufsstand freien Lauf lässt. Ich hatte diese Tiraden vorher schon im Fernsehen gesehen. Und Trumps Formulierungen, seine Stanzen sind ja immer dieselben. Aber unmittelbar dabei zu sein, die ganze Wucht der Aggression frontal abzukriegen, das ist ein ganz anderer Schnack. Über 5 000 Augenpaare, die dich hasserfüllt anstarren. Der ohrenbetäubende Lärm der Buhrufe. Der Hass, den dieser Präsident schürt, ist auch ohne direkten Körperkontakt physisch spürbar. Auf einmal bin ich dankbar für den hüfthohen Aluminiumzaun, der mich von der wütenden Menge trennt. Der erinnert mich an Haikäfige, die Taucher schützen vor tödlichen Raubfischattacken. Womöglich sind die Personenschützer Trumps, die unzählige Mal dabei waren, wenn der Präsident die Massen gegen anwesende Journalisten aufhetzte, tatsächlich ernsthaft besorgt, dass es irgendwann nicht bei Beschimpfungen bleiben könnte. Sondern dass sich Trump-Anhänger bemüßigt fühlen, das Unrecht, das ihrem Idol durch feindselige Berichterstattung widerfährt, auf handgreifliche Weise zu sühnen.

Feindseligkeit gegenüber Journalisten war mir auch vor Battle Creek begegnet. Dafür muss man dieser Tage nicht mehr über antidemokratische Regime schreiben oder sich mit Diktatoren anlegen. In den Jahren vor der Rückkehr in die USA hatte ich mich als Reporter mit dem Themenkomplex Rechtspopulismus, AfD, Pegida und auch Rechtsterrorismus beschäftigt. Mein Berufsstand ist nicht gerade populär bei den Neuen Rechten. »Lügenpresse, Lügenpresse« – das Geschrei kenne ich von ostdeutschen Marktplätzen und vor allem von Dresdener Demonstranten. Bei einem Pegida-Aufmarsch auf der Dresdener »Cockerwiese« musste ich erleben, was Sportreportern gelegentlich von ultragewalttätigen Hooligans widerfährt: Das sogenannte Ü-Wagen-Schütteln. Der verharmlosende Begriff meint tätliche Angriffe auf Übertragungswagen. Das Demolieren der Fahrzeuge, aber auch physische Angriffe auf Tontechniker und Reporter. An jenem Abend in Dresden hatten uns äußerst aggressive Pegidisten umzingelt. Hatten versucht, unser Fahrzeug umzuwerfen. Hatten uns Prügel angedroht. In den USA habe ich Handgreiflichkeiten zwischen Trump-Anhängern und Journalisten nie erlebt. Auch nicht davon gehört. Aber es sagt viel aus über eine Gesellschaft, wenn nicht ein Freizeitagitator wie Lutz Bachmann in Dresden seine Anhänger gegen Reporter aufhetzt, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten das tut. Wie in Battle Creek. Fühlt sich nicht gut an.

Auf der Trump-Rally in Battle Creek habe ich es nur kurz im sicheren Journalistengehege ausgehalten. Schließlich war ich hierhergereist, um mit Anhängern des polarisierenden Präsidenten ins Gespräch zu kommen. Ging nicht in der Halle, geht vielleicht außerhalb, in den Gängen mit den Bierständen und den Souvenirbuden. Das ist einen Versuch wert: Hier müssen die Menschen Schlange stehen, hier müssen sie Zeit totschlagen und hier würden sie vielleicht erfreut sein über eine kleine Abwechslung. Ich stelle mich also bei den Wartenden als Reporter aus Deutschland vor. »Ach, von so weit sind Sie gekommen?« – »Nein, nein, ich bin ja als USA-Korrespondent in DC stationiert.« – »Ach so …«

Zunächst komme ich mit Christin ins Gespräch. Die Mittvierzigerin ist extra aus dem Nachbarstaat Indiana angereist. »Ich liebe ihn!«, sagt Christin über Trump, »weil er den Sumpf trockenlegt. Nicht nur zum Wohle Amerikas, sondern für die ganze Welt!« Den Sumpf trockenlegen: »Drain the Swamp!« Das hört man immer wieder, wenn außerhalb von Washington DC die Rede auf Politik kommt. »The Swamp«, der Sumpf, das ist das faulige, modrige Politmilieu. Der »Deep State«: eine Verschwörung aus korrupten Bürokraten, die sich seit Jahr und Tag auf Kosten des übrigen Amerikas bereichern. Die nicht das Allgemeinwohl im Sinne haben, sondern ausschließlich ihre eigenes und das ihrer Subkultur. Elitär sind die, und Globalisten, keine Patrioten. »Globalist elitists« – das ist unter Trump-Anhängern das vernichtendste Schimpfwort. Sogar noch vor Fake News. Den »globalistischen Eliten« hat Trump, der politische Quereinsteiger, den Kampf angesagt: »Drain the Swamp!« Und wie recht er damit hat, zeige sich am erbitterten Widerstand des »Deep State«, findet Christin. Die Demokraten seien die Partei der elitären Globalisten. Elitär, weil sie auf Leute wie Christin herunterblicken. Globalisten, weil sie an der Globalisierung verdienen, während Leute wie Christin ihre Jobs verlieren. Trump hole die Jobs zurück nach Amerika. Deshalb wollten die Globalisten ihn vernichten. »Was mich am meisten stört, was mich mehr als alles andere wütend macht«, sagt Christin, »ist, dass die unseren Präsidenten als russischen Spion anklagen wollten, wegen Hochverrats!« Gemeint ist die Untersuchung wegen angeblicher russischer Wahlmanipulation zugunsten Trumps. »How dare they?«, fragt Christin an die Adresse von Trumps Widersachern, »how dare they?« Eine bewusste Anspielung auf die berühmte Greta-Thunberg-Phrase. »Wir sind wütender denn je!«, sagt sie. Wie Greta.

Ein älterer Herr, ein paar Schritte weiter, hat weniger Schaum vor dem Mund als Christin. »Gegen Erfolg lässt sich schlecht argumentieren«, sagt er mir. Gemeint ist Trumps Wirtschaftsbilanz. Das Jobwunder, das Amerika unter diesem Präsidenten erlebt hat. Die Corona-Krise ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abzusehen. Weiter hinten in der Schlange steht ein jüngerer Mann. »Das ist der am härtesten arbeitende Präsident aller Zeiten«, schwärmt er. »Eine ehrliche Haut!« Ehrlich? Wirklich? Ausgerechnet Trump, der sich die Realität so gerne zu seinen Gunsten zurechtbiegt? »Der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube«, sagt mir Lisa, eine ältere Dame aus Battle Creek. Trump sei authentisch. Man wisse immer, was er denkt! Und seine Tweets seien eine prima Sache: Wann hatte man je einen derart tiefen Einblick in das, was der Präsident der Vereinigten Staaten gerade denkt. Was ihn umtreibt. Etwas kleinlaut frage ich, ob es Lisa nicht stört, wie zornig und hasserfüllt Trump gegen seine Gegner austeilt. »Ich finde es gut, dass er so gradeheraus ist«, kontert Lisa. Das Impeachment-Verfahren jedenfalls sei eine völlige Zeitverschwendung; darin sind sich alle, mit denen ich in Battle Creek spreche, einig. Seit 2016 würden der Sumpf und der »Deep State« versuchen, Trump aus dem Amt zu befördern und die Wahl ungeschehen zu machen. Das sei ein Dauerangriff auch auf sie, die Trump-Unterstützer. »Je härter sie zuschlagen«, sagt Christin, »desto stärker werden wir!« Und wer nicht in völlige Verzückung über Trump gerät, der rechnet mir ganz nüchtern dessen Erfolgsbilanz vor: »Was haben denn die Demokraten in all den Jahren unter Obama erreicht?«, fragt mich ein älterer Herr. Und hat gleich auch die Antwort parat: »Nichts!« Trump habe in kürzester Zeit so viel geschafft: »I want more of it!« Davon habe er noch lange nicht genug. Authentisch sei dieser Präsident: Der hält, was er verspricht. »Promises made, promises kept!«

Ich schlendere wieder zurück in den Pressepferch. Trump steht noch immer am Rednerpult. Rechts und links davon stehen Weihnachtsbäume, auf deren Spitzen Wahlkampfkappen mit dem »Make America Great Again«-Logo, MAGA, thronen. Gerade erklärt Trump, dass man es ihm persönlich zu verdanken habe, dass Amerika wieder »Merry Christmas!« wünschen dürfe. Und nicht mehr politisch korrekt »Happy Holidays!« sagen müsse, wie es die säkularen Eliten eingeführt hätten. »Ihr seid die Elite!«, brüllt Trump seinen Fans zu. Die Halle kocht.

Zum Ausklang des Abends plärrt wie immer »You can’t always get what you want!« von den Rolling Stones aus den Lautsprechern. Keine Ahnung, warum Trump ausgerechnet an diesem Song einen Narren gefressen hat. Ich kann mir kein Motto vorstellen, das noch weniger zu seiner Person passt. Während der Trump-Show läuft eine Handvoll von anderen Songs in Dauerschleife: »Sympathy for the devil«, noch ein Stones-Titel. Und »Macho man!«, von den Village People. Bei dem singen fast alle mit. Trumps Dauer-Tournee bringt die immer gleiche Show auf die Bühnen. Variationen gibt es je nach tagespolitischer Themenlage. Aber das Kerngerüst bleibt gleich. Trump teilt aus. Verletzend, gehässig, unter der Gürtellinie. Dem Publikum stockt der Atem. Na, der traut sich was! Eine Mischung aus Befremden und Bewunderung entsteht bei seinen Zuhörern. Ein bisschen wie bei Dieter Bohlen in Deutschland. Dann breitet Trump seine Arme aus. Geschickt versteht er es, sich zum Anwalt und Interessenwahrer seiner Unterstützer zu stilisieren. Seine Kulturrevolution: Das ist kein Egotrip. Das ist eine Massenbewegung! Sie kommt eigentlich aus der Mitte des Volkes. Trump hat sie lediglich entfesselt. Nun ist es ein Gemeinschaftsprojekt. Weil Trump selbstlos vorausschreitet, lässt man ihm auch so manches durchgehen. Das endlose, eitle Eigenlob? Geschenkt! »Everything he does is for the American people«, hatte mir ein Teilnehmer in Battle Creek erklärt. »We the people!« Mit diesen drei Worten – »Wir, das Volk« – beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten.

Seit jenem Winterabend in Battle Creek habe ich immer wieder nachgedacht über die Menschen, denen ich dort begegnet bin. Landauf, landab gibt es Legionen von ihnen. Als Publikum der Trump-Shows sind sie auf einmal sichtbar. Sie feiern ihr Idol. Aber noch mehr feiert er sie. Wie konnte es passieren, dass einer wie Trump kommen musste, um diese Menschen aus dem Verborgenen ins Rampenlicht zu holen? Wo waren die vorher? Warum wurden sie übersehen? Klar ist, dass Trump ihnen Würde verspricht und Aufmerksamkeit verleiht. Der Working Class Hero des 21. Jahrhunderts: ein habgieriger und selbstverliebter Immobilienmogul. Wer hat dieser Revolution den Boden bereitet? Wer hat diesen Kulturkampf provoziert? Ein Name fällt auffällig häufig, wenn man Amerikaner nach der Verkörperung des Elitären in der Politik fragt: Hillary Clinton, Trumps unterlegene Gegenspielerin von 2016.

Am 9. September des schicksalhaften Wahljahres beging die demokratische Präsidentschaftskandidatin den vielleicht schwerwiegendsten Fehler ihrer politischen Karriere. Die Szene war aus der Sicht eines republikanischen Wahlkampfstrategen eigentlich zu gut, um real zu sein. Hier passte alles. Als habe Donald Trump sich die Situation für eine polemische Wahlkampfrede zusammenspintisiert. Wenn es noch Zweifel daran gab, dass Clinton die Kandidatin einer abgehobenen, arroganten Küstenelite war: Sie hatte sie selber ausgehoben. Hier ist die Szene:

Ausgerechnet von einer LGBTQ-Versammlung (LGBTQ, das steht für »Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender, Queer«) ließ sich Clinton dafür feiern und beklatschen, dass sie Teile der Trump-Verehrer als Bemitleidenswerte oder auch Klägliche schmähte. In einen »basket of deplorables«, einen »Korb für Bedauernswerte«, gehöre die halbe Anhängerschaft Trumps. Das Etikett saß: Nach anfänglicher Entrüstung konterten die Geschmähten strategisch klug. Sie funktionierten den Schmähbegriff in sein Gegenteil um: in ein selbstbewusst geführtes Markenzeichen. Wir sind die Deplorables! Ihr da oben mögt auf uns herabschauen, uns verachten, uns für vernachlässigbar halten! Aber wir sind viele! Wir sind die Mehrheit, die bislang schwieg, jetzt aber ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Deplorables! So, wie Schwarze sich manchmal selbst als »Nigger« bezeichnen. Oder Homosexuelle sich »Schwuchteln« nennen. Schmähbegriffe entwerten, indem man sie sich aneignet. Bis heute veranstalten republikanische Frauenorganisationen, wie »Women for Trump«, sogenannte »DeploraBalls«. Also Partys, Bälle, bei denen das ländliche, konservative, gottesfürchtige Mittelklasse-Amerika selbstbewusst seinen eigenen Lebensstil feiert. Und sich nicht mehr verschämt kleinmacht gegenüber metrosexuellen Jetsettern, die Amerikas Mainstreamkultur so lange idealisierte. »DeploraBalls« für »deplorables«. Kampfbegriffe, die eine ungeheure Wucht entfalteten. Viel wirkungsvoller noch als das deutsche »Wir sind das Volk!«, das in der Pegida-Umdeutung etwas ganz Ähnliches meint. Oder die AfD-Ankündigung: »Wir holen uns unser Land zurück!« An Sprachwitz sind die Amerikaner ihren deutschen Seelenverwandten bisweilen überlegen: »Adorable Deplorable« ist auf T-Shirts mancher Trump-Fans zu lesen, »bewundernswerter Bedauernswerter«. Das amerikanische »deplorables« stiftet als Selbstbezeichnung nicht nur ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Es führt gleichsam noch den Nachweis für die Arroganz der anderen mit sich.

Der Begriff hat sich schnell verselbstständigt. Clinton hat die Wirkung ihrer Worte unterschätzt, als sie das Bild vom »basket of deplorables« in die politische Debatte einführte. Ein Gefäß zur Entsorgung von denjenigen, die man aufgegeben hat, die man politisch ohnehin nicht mehr erreichen kann. Die verloren sind. »Deplorable«, das lässt sich mit »bedauernswert« übersetzen, mit »bedauerlich«, »kläglich« oder auch »verurteilungswürdig«. Klingt im Deutschen noch ein wenig nach Mitgefühl, im Englischen aber herablassend. Klanglich irgendwie nach Deportieren. Bei einer Spendengala in New York hatte Hillary Clinton den »basket of deplorables« erstmals eingesetzt: eine Art Abfallbehälter für Trump-Anhänger, die, so Clinton wörtlich, »rassistisch, sexistisch, homophob, xenophob, islamophob« sind. Volle Keule! Und um alle Klischees zu komplettieren, bestand diese Gala aus Spendern und Clinton-Unterstützern aus der LGBTQ-Community. Was in den liberalen Küstenstädten längst eine kulturell bedeutsame und politisch einflussreiche Lobbygruppe ist, das steht im konservativ-ländlichen Amerika für etwas ganz anderes: Sinnbild des gesellschaftlichen Umsturzes, der Menschen mit traditionellerem Lebensstil an den Rand drängen soll. Clinton mag nur extreme, hasserfüllte Rassisten gemeint haben, aber die Instinktlosigkeit ihrer Wortwahl hatte effektvoll ihr eigenes Negativimage als arrogante Klientelpolitikerin bestätigt – und die dramatische Spaltung des Landes weiter vertieft.

Der Riss quer durch das Land, dem Trump seine einstige »greatness« zurückzugeben versprach, verläuft nicht entlang einer klar gezogenen Linie. Der Spalt trennt nicht einfach progressive Metropolen und traditionelle Landregionen. Der Frontverlauf im amerikanischen Kulturkampf ist so komplex, dass er sich sogar durch die kleinste gesellschaftliche Einheit zieht: die Familie. Trump spaltet sogar im Mikrokosmos. Einer Umfrage zufolge sagen 39 Prozent der Ehepaare in den USA, dass Trump in ihrer Beziehung, ihrer Partnerschaft, für Stress gesorgt hat. Was massenhaft im Verborgenen geschieht, hat ein prominentes amerikanisches Ehepaar zur öffentlichen Inszenierung gemacht: die notorischen Conways. Kellyanne Conway (Jahrgang 1967) ist Trumps Chefberaterin und hat seine Wahlkampagne im Jahre 2016 geleitet. Ehemann George T. Conway III. (Jahrgang 1963), Verfassungsrechtler, ist einer von Trumps schärfsten Kritikern. Die Conways sind Amerikas kuriosestes Ehepaar. Ihren politischen Rosenkrieg hat die New York Times treffend als die »George and Kellyanne Conway Show« beschrieben.

Die frühe Liebesgeschichte der Conways ist auf bizarre Weise mit Donald Trump verknüpft. Sie beginnt in New York City. Im Sommer 1999 begegneten sich Kellyanne und George zum ersten Mal, im Trump-Tower auf der Fifth Avenue. Conway war Partner in einer New Yorker Anwaltskanzlei. Fitzpatrick, so Kellyannes Mädchenname, war Kampagnenmanagerin für die Republikanische Partei. Zwei Jahre später heiratete das Powerpaar, das sich wunderbar ins Personeninventar eines Tom-Wolfe-Romans einfügen würde. Das sprichwörtliche »Fegefeuer der Eitelkeiten« hüllte diese Liebesgeschichte in stimmiges Licht. Die Conways bezogen ein Luxusapartment im Trump-Tower in Manhattan. Im Foyer des glamourösen Skyscrapers sind sie erstmals dem Erbauer und Eigner des Towers über den Weg gelaufen: Donald Trump. Eine schicksalshafte Begegnung. Der Beginn einer eigenartigen Freundschaft. Im Trump-Tower haben die vier Conway-Kinder ihre ersten Lebensjahre verbracht. Nach Trumps Wahlsieg wurde Kellyanne Conway Trumps Chefberaterin im Weißen Haus. Die Familie zog um nach Washington DC, in ein 8-Millionen-Dollar-Haus. George Conway hatte dem Vernehmen nach auf einen gutdotierten Posten im Justizapparat gehofft. Er ging leer aus.

Kaum jemand aus dem konservativen Lager in Washington schießt so scharf und unerbittlich gegen Präsident Trump wie George Conway. Trump sei der »Idiot-in-Chief«, ein pathologischer Lügner, ein Krimineller, findet George. Und twitterte an die Adresse Trumps: »Sobald man versteht, was eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist, versteht man Sie! Und man versteht, warum Sie nicht geeignet und unfähig sind für die angesehene Stellung, die Sie vorübergehend innehaben.« Gleichzeitig verteidigte Kellyanne ihren Boss mit unnachgiebiger Hartnäckigkeit. Von einem Conway geschmäht, vom anderen Conway gestützt: Trump versucht den Spaltkeil anzusetzen. George, ein »absoluter Versager«, sei nur eifersüchtig auf den Erfolg von Kellyanne, spottet Trump. An anderer Stelle nennt er ihn den »Ehemann aus der Hölle«. Doch während nur wenige Paare die ständige Spannung aushalten könnten, andere Ehen längst zerbrochen wären über eine derart dramatische Differenz, kommen die Conways offenbar damit klar. Gelegentlich lassen sie durch einen öffentlichen Schlagabtausch Druck aus dem Kessel. So hat George seine Frau vorgeworfen, sie sei hirngewaschen von einem Kult. Kellyanne leide am Stockholm-Syndrom, an einem Übermutterkomplex, um einen selbstzerstörerischen Kind-Mann zu beschützen. Die Gemahlin schießt zurück: »Niemand kennt mich nur wegen meines Ehemanns. Aber viele Leute kennen meinen Mann nur wegen mir!«

Mitte Mai 2020 sorgt dann eine Gruppe von Republikanern für Aufsehen, die sich »Lincoln Project« nennt. Es ist die Woche, in der sich Trump vor der pompösen Kulisse des Washingtoner Lincoln-Memorials von seinem Haussender Fox News zur Pandemie befragen lässt. Das »Lincoln Project« lässt zeitgleich ein TV-Video ausstrahlen, das sich ästhetisch bewusst an Wahlkampf-Spots von Ronald Reagan, dem republikanischen Übervater, anlehnt. In dem Video heißt es unter anderem: »Dank Donald Trumps Führung ist unser Land schwächer, kränker und ärmer.« Mit der Wortwahl machen sich die Initiatoren über Vizepräsident Mike Pence lustig, der Trumps Corona-Task-Force geleitet hat und bei den TV-Briefings jeden zweiten Satz unterwürfig mit den Worten begann: »Dank der großartigen Führung von Präsident Trump …« Treibende Kraft des »Lincoln Projects« ist George Conway.

Trump tobt. Und feuert per Twitter voll unter die Gürtellinie: »Ich weiß nicht, was Kellyanne ihrem geistesgestörten Loser von einem Ehemann, Mondgesicht, angetan hat«, so der Präsident der Vereinigten Staaten, »aber das muss ziemlich schlimm gewesen sein!« Trump liebt es, seinen Gegnern nicht nur gehässige Beinamen zu verpassen (Sleepy Joe Biden, Crazy Nancy Pelosi, Shifty Adam Schiff, Mini Mike Bloomberg etc.), er verteilt gerne auch herabwürdigende Spitznamen (etwa Alfred E. Newman, nach der Witzfigur aus den MAD-Heften, für Pete Buttigieg). Jetzt also Moonface, Mondgesicht, für George Conway. Und der lässt erwartungsgemäß nicht locker und legt am 7. Mai in der Washington Post nach: »Extreme Narzissten überhöhen ihre Leistungen und Befähigungen – und so hat Trump sein ganzes Leben damit verbracht, ein falsches Bild seiner selbst zu schaffen – nicht nur für andere, sondern für sich selber, um sein zutiefst zerbrechliches Ego zu schützen.«

Die »George and Kellyanne Conway Show« ist ohne Ende unterhaltsam. Der »Never Trumper« (das ist die gängige Bezeichnung für diejenigen, die nie ein gutes Haar an dem Präsidenten lassen) und die Chef-Propagandistin: US-Journalisten schlecken sich die Finger danach, eine Homestory über die zwei machen zu können. Um herauszukriegen, was hier Inszenierung ist und was echt. Conways konservativer Rosenkrieg triff auch deshalb einen Nerv, weil viele Amerikaner aus Erfahrung wissen, wie sich ein Trump-gemachter Riss durch die eigene Familie anfühlt.

In Julias und meinem engsten Freundeskreis gibt es auch ein Paar, das politisch nicht auf gleicher Wellenlänge liegt. Wenn man Nancy Flinn und Dick Weiss besucht, dann liegen immer zwei Tageszeitungen auf dem Wohnzimmertisch. Die Washington Post und die Washington Times. Nancy liest die Post. Dick liest die Times. Die Post ist das Leib- und Magenblatt der weltoffenen Liberalen. Die Times dagegen bedient das andere Lager. Mehr Reagan als Trump. Aber während der Corona-Krise (wie im ersten Kapitel erwähnt) rückte das Blatt stramm auf die Linie der sogenannten »Alt-Right«, der ultrakonservativen »alternativen Rechten«, der jegliches staatliche Handeln ein Gräuel ist und die entsprechend scharf gegen die Corona-Schutzmaßnahmen schoss. Liest man die beiden Washingtoner Zeitungen parallel, dann gewinnt man schnell den Eindruck, die Blätter schildern unterschiedliche Realitäten aus getrennten Paralleluniversen. Doch Nancy und Dick sind ein zauberhaftes Beispiel dafür, dass gegensätzliche politische Philosophien der Liebe nicht im Wege stehen müssen.

Beide leben in Nancys Haus auf der Poplar Street in Georgetown. Das ist eher ein Seitengässchen als eine wirkliche Straße. Nancys Backsteinhäuschen im Kolonialstil hat die kuriose Hausnummer 2714 ½, wie in einem Harry-Potter-Roman. Das Townhouse ist so schmal und hutzelig, dass es wohl keine vollwertige Hausnummer verdient. Es verfügt zwar über drei Stockwerke, ist aber gerade einmal drei Meter breit. Wenn überhaupt. Das Wohnzimmer, in dem wir sitzen, ist wie ein Schlauch geschnitten und wunderbar vollgestopft mit allerhand kuriosen Dingen. Den meisten Platz nehmen ein altes Karussellpferd aus Holz, dessen Farbe weitgehend abgeblättert ist, und ein Stutzflügel ein. Auf dem Kaminsims stehen hölzerne Sakralfiguren, die aus mittelalterlichen Kirchen in Südfrankreich und Katalonien stammen. Im nordspanischen Girona lebt Nancys Sohn Jason. Dort züchtet er mit seinem Partner Appaloosa-Pferde und handelt mit Antiquitäten. Hin und wieder schickt er Nancy einen seiner Funde. Als Wohnzimmertisch fungiert eine alte Seemannskiste. Darauf liegt das Einzige, was Nancy und Dick trennt: die Washington Post und die Washington Times. Kein anderer Haushalt in Washington DC dürfte beide Blätter gleichzeitig beziehen.

Julia und ich haben Nancy Flinn im Jahre 2000 kennengelernt. Nancy war frisch verwitwet. Ihr zweiter Mann Rick, den sie heute noch »die Liebe meines Lebens« nennt, war im Alter von 56 Jahren gestorben. Nancy lebte allein mit Winston, einem kalbgroßen Labradoodle, in dem kleinen, schmalen Townhouse auf Georgtowns Poplar Street, das sie einst mit Rick teilte und jetzt mit Dick. »Ich besitze elf Toiletten«, erzählte sie damals. Ansonsten sei sie »hausarm«. Beides Anspielungen darauf, dass sie in Washington, auf Cape Cod und in Vermont Immobilien besaß. Allerdings mit hoher Hypothekenbelastung. Unsere erste Begegnung fand im Hundepark statt, im Rose Park, in dem allabendlich die Hundebesitzer von Georgetown zusammenkamen, die Hunde spielen ließen, ausgelesene Bücher austauschten und einem Sundowner niemals abgeneigt waren.

Am 13. März 2002 lernte Nancy Dick Weiss kennen. Das genaue Datum blieb deshalb im Gedächtnis, weil das Kennenlernen über ein Dating-Portal im Internet zustande kam. Nancy war 61, Dick 62, und ebenfalls verwitwet. Nach drei Jahren platonischer Freundschaft funkte es dann richtig: Auf einem gemeinsamen New-York-Trip wurde erstmals ein Hotelzimmer geteilt. Vom Temperament her ergänzen sich die beiden bestens: Sie leicht chaotisch, auffallend, redselig und extrovertiert; er kontrolliert, zurückhaltend, eher schweigsam und in sich gekehrt. Für ein Biopic würde ich sie mit Diane Keaton besetzen, ihn mit Tommy Lee Jones. Achtzehn Jahre nach ihrem Kennenlernen sitze ich mit den beiden bei unserem Lieblings-Mexikaner in Georgetown, bei »Don Lobo’s«. Und staune unvermindert, wie sich zwei so zusammenraufen können, die aus so unterschiedlichen Vorleben kommen. Nancys leichten Hang zum Chaos gleicht Dick mit Engelsgeduld aus. Ein symbiotisches Paar. Wenn da nicht die Politik wäre. Dick ist Erz-Republikaner. Nancy durch und durch progressiv. Knallt’s da nicht oft? »Mir gefällt ein gepflegter Streit!«, lacht sie. Er schweigt. Am 3. November 2012, als Barack Obama wiedergewählt wurde, waren die beiden bei Nancys Buchklub-Freundinnen eingeladen, allesamt leidenschaftliche Demokratinnen. Es ging hoch her an diesem Abend. »Für mich grenzte das an Missbrauch«, erinnert sich Dick grummelnd an diesen Abend. Und erzählt kopfschüttelnd von einer Freundin von Nancy, die gelegentlich vorbeischneit, die Zeitung aufschlägt und ihn anfaucht: »Dann wollen wir doch mal schauen, was deine Republikaner uns heute wieder angetan haben!«

Dass ein politischer Riss durch ihre Familie geht, ist Nancy von Kindesbeinen an gewöhnt. Ihr Vater war Republikaner, ihre Mutter Demokratin. Kein einfaches Elternhaus, aus dem sie stammt. Nancys Vater, Herausgeber mehrerer Zeitungen in Vermont, fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Unter Mordverdacht stand Nancys Mutter, eine Alkoholikerin, deren Trinken ständiger Anlass für erbitterten Streit war. Die Tat wurde nie aufgeklärt. Nancys Vorfahren, die Belknaps, sind familiengeschichtlich so etwas wie amerikanischer Adel. »Meine Großmutter hat immer voller Stolz betont, unsere Familie sei auf der Mayflower in die Neue Welt gekommen«, erzählt sie. Im Jahre 1620 hatte das mythische Schiff 102 Pilger aus Plymouth im Hafen von Provincetown, heute Massachusetts, abgesetzt. Die Mayflower wurde zu einer amerikanischen Ikone. In den Adern waschechter Mayflower-Nachfahren fließt blaues Blut. Nancys Großmutter war aufgrund dieses Stammbaumes Mitglied der ebenso prestigeträchtigen, wie elitären Frauenorganisation »Daughters of the Revolution«. Doch die hat sie später aus Protest gegen deren Rassismus verlassen. Nancys Großeltern väterlicherseits waren aus Irland eingewandert, während der Großen Hungersnot auf der Grünen Insel. Wie so viele Iren ließen sie sich in Boston nieder. Später zogen die Belknaps weiter nach Vermont, wo Nancys Großvater mehrere Lokalzeitungen herausgab.

So verwurzelt Nancy schon lange in Washington ist, sosehr ist sie doch Vermonterin geblieben. Bis heute hat sie ihren Führerschein, der in den USA auch als Personalausweis dient, nicht auf Washington umgeschrieben. Niemals würde sie die Vermont-Kennzeichen von ihrem Mercedes abschrauben. Vermont, sagt sie, sei eben eine ganz andere Art zu leben als im Rest des Landes. Vermont war immer linker, liberaler, ökologischer als der Rest der USA. Kein Zufall, dass das politische Urgestein Bernie Sanders, ein selbsterklärter »demokratischer Sozialist«, aus Vermont stammt.

Dick stammt aus Chicago und weiß nur wenig über seine Familiengeschichte. Die war in seinem Elternhaus kein Thema. »Ich bin im gleichen Krankenhaus geboren wie Ernest Hemingway«, erzählt er gerne. Seine Geschwister kamen in Philadelphia und in Boston zur Welt. Die Eltern waren Arbeitsmigranten. Dick hat als Lobbyist für die Agrarindustrie Karriere gemacht. Lange Jahre war er beruflich auf Puerto Rico stationiert. Spanisch gelernt hat er als Student im spanischen Salamanca. Bei politischen Debatten hält er sich zurück.

Anders Nancy: Politisches Engagement zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Nancys erste Ehe mit einem kanadischen Architekten scheiterte daran, dass diesem ihr Engagement in der Kommunalpolitik nicht passte. »Paul wollte, dass ich daheim am Herd bleibe«, erzählt Nancy, »und nichts anderes tue, als unsere vier Söhne aufziehen.« Aus dieser Ehe brach sie aus, brannte durch nach Europa, wo sie sich einige Zeit herumtrieb, in Jugendherbergen übernachtete, in Hameln dem Rattenfänger nachspürte und in Lübeck ihre Lieblingssüßigkeit entdeckte: Marzipan von Niederegger. Nancy war 38 Jahre alt, als sie von ihrem Selbsterfahrungstrip zurückkam.

Es folgten die kreativsten und energiegeladensten Jahre ihres Lebens. Nancy beriet Haftanstalten darin, Gefängnisgärten anzulegen. Und schrieb ein Buch darüber: »The Prison Garden Book«. Sie heiratete Rick Douglas, der mit 24 an multipler Sklerose erkrankt war und im Rollstuhl saß. Mit ihm arbeitete sie an der bahnbrechenden Gesetzgebung »Americans with Disabilities Act«, kurz ADA, die bis heute Menschen mit Behinderung das Leben leichter macht. Rick starb, kurz bevor wir Nancy kennenlernten.

Knapp zwanzig Jahre später sitzen wir gemeinsam an Nancys Grab. In Vermont. Wo sonst? »Douglas/Flinn« steht auf dem Grabstein. Rick liegt dort bestattet. Nancys Namen hat der Steinmetz schon hinzugefügt. Nach ihrem Tod will sie bei Rick liegen. Doch das hat sie verfügt, bevor sie Dick kennenlernte. Nancy sieht sich selbst als Katze. Mit neun Leben. Weil sie mehrere schwere Krebserkrankungen überstanden hat. So chaotisch und lebensuntüchtig sie manchmal erscheint: Nancy liebt das Leben. Und das Leben lässt sie nicht los.

Dick ist ein Republikaner der alten Schule. Er befürwortet einen schlanken Staat, niedrige Steuern, wenig Wohlfahrt und ausgeglichene Haushalte. Ein Reagan-Republikaner. Konservativ in Haushaltsangelegenheit, in sozialen Fragen eher liberal. Die Spaltung des Landes besorgt ihn mehr als alles andere. Gleichzeitig hat Dick »seinen Frieden damit gemacht, heute deutlich weiter links zu sein als in jüngeren Jahren«. »Ist das wegen mir so?«, will Nancy gleich wissen. »Nein!«

Für Republikaner ist nichts ehrenrühriger, als sich für sein Land zu entschuldigen; »to apologize«, das bedeutet im konservativen Jargon, sich anderen gegenüber kleinzumachen. Schwäche zu zeigen. Ich frage Dick, warum Barack Obama so ein rotes Tuch für ihn ist. Er habe sich ständig entschuldigt für Amerika, findet Dick. Den Vorwurf kenne ich: »Er war acht Jahre auf Entschuldigungstour«, schreiben rechte Publizisten gerne über Obama. Acht Jahre lang habe der Amerika kleingemacht. Dick nennt das Beispiel Klimapolitik: »Wir zerstören unsere eigene Kohleindustrie«, argumentiert er, »und lassen China oder Indien ihre krasse Umweltverschmutzung durchgehen!« Und Michelle Obama, die habe bei der Amtseinführung ihres Mannes gesagt: Zum ersten Mal im Leben sei sie stolz, eine Amerikanerin zu sein. »Dafür habe ich kein Verständnis!«, schnaubt Dick. Amerikas Patrioten sind allergisch dagegen, wenn die USA schlechtgemacht werden. »Wir entschuldigen uns nicht dafür, wer wir sind und wie wir leben!«, hört man häufig. Auch das meint Trump mit »great again«: Ohne Relativierung stolz sein auf Amerika. Dick hat als Konservativer kein Problem mit Patriotismus. Als Gentleman-Republikaner ist Vaterlandsliebe für ihn jedoch verknüpft mit althergebrachten Tugenden wie Anstand, Aufrichtigkeit, guten Manieren, Bescheidenheit und ehelicher Treue. Deshalb ist ihm Trump zuwider, der auf diese Ideale pfeift. So wenig Dick Obama mochte (»Er gehörte zur Elite«), dessen Nachfolger findet er noch schlimmer. »Trump ist verrückt«, sagt er.

Dick ist zwar ein »Never Trumper« der ersten Stunde. Dennoch mochte er 2016 nicht die arrogante Hillary Clinton wählen. Also hat er auf dem Wahlzettel den Namen Donald Trump durchgestrichen und durch Jeb Bush ersetzt, seinen Favoriten bei den Vorwahlen. Je länger Dick Trumps Regierungsstil beobachtet, desto mehr kommt er in Versuchung, zum ersten Mal im Leben demokratisch zu wählen. Die Abscheu vor dem Prahlhans im Weißen Haus hat Nancy und Dick, anders als die Conways, politisch zusammenrücken lassen. »Wenn Mickey Mouse der Gegenkandidat zu Trump wäre, würde ich mein Kreuz bei Mickey Mouse machen!«, scherzt Dick. Ich frage die beiden, was sie all den Familien raten, die sich über Trump in die Wolle kriegen. »Macht weiter damit!«, sagen die beiden wie aus einem Munde. Und so ist die Trump-Präsidentschaft doch nicht nur spalterisch. Zumindest in der Abscheu gegen seine Person ist dieser Präsident durchaus in der Lage, das Land zusammenzubringen.

Great again?

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