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3.4.2 Graphematische Markierung der Namen

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Wie im vorangehenden Kapitel erläutert, wirken im Deutschen unterschiedliche sprachliche Ebenen an der Differenzierung zwischen Name und Appellativ mit. Bei der onymischen Markierung kommen dementsprechend prosodische und phonologische, morphologische, morphosyntaktische, syntaktische und graphematische Strategien zum Tragen. Der Beitrag der Graphematik wird hier in einem gesonderten Abschnitt beschrieben, da die Schreibung in vielen Namenklassen einen besonders wichtigen Beitrag zur onymischen Markierung leistet (NÜBLING ET AL. 2015: 86).1 Auf die bedeutende Rolle der Graphie als onymischen Marker hat bislang in erster Linie NÜBLING aufmerksam gemacht, die dieses Thema in verschiedenen Publikationen aufgreift und beispielsweise auch beschreibt, inwiefern sich dadurch Kontraste zu anderen Sprachen ergeben (NÜBLING 1997a, 2000, 2005, NÜBLING UND MARYNISSEN 2010, NÜBLING ET AL. 2015).2 Im Folgenden werden daher insbesondere die Ergebnisse aus NÜBLINGS Untersuchungen zusammengefasst.

Dass die Graphie als onymischer Marker fungieren kann, ist möglich, weil die Namen im Deutschen – im Gegensatz zu anderen europäischen Sprachen – nie orthographisch normiert worden sind (NÜBLING ET AL. 2015: 87):

[S]ie stehen damit jenseits der Norm. Dies ist beachtlich und wird nicht in jeder Kultur so gehandhabt. Hierdurch kann man Homographie mit APP[ellativen] vermeiden. Im Dt. befrachtet man die Schreibung außerordentlich stark mit der formalen Dissoziationsfunktion. (NÜBLING ET AL. 2015: 87)

Ganz anders gestaltet sich beispielsweise die Schreibung der Familiennamen im Niederländischen. Deren Schreibung wurde erst relativ spät – im Jahr 1811 – und damit nach Einführung der Orthographie fixiert (NÜBLING UND MARYNISSEN 2010: 317). Das bedeutet, dass die Schreibung der niederländischen Familiennamen stark an die Rechtschreibung angepasst wurde und „sich die meisten FamN in den Niederlanden orthographiekonform, z.B. Bakker, Haan, Lang, Kuiper(s) ‘Böttcher’“ schreiben (NÜBLING UND MARYNISSEN 2010: 317, Hervorh. i.O.).3

Dass im Deutschen die Graphematik der onymischen Markierung dient, lässt sich am besten an besonders alten, natürlich entstandenen Namensystemen wie den Familiennamen und den Ortsnamen aufzeigen. Diese konservieren häufig alte und auch regionale Schreibungen. So finden sich in Familiennamen besonders häufig „[p]eriphere Grapheme“ wie <c>, <y>, <x>, <v> und <q>, die im Lexikon, d.h. im nicht-onymischen Wortschatz, weitaus seltener vorkommen (NÜBLING ET AL. 2015: 89, Hervorh. i.O.).4 Es sind überwiegend Fremdwörter – zum Beispiel <Baby>, <Hobby>, <Chemie> und <Cello> –, die die besagten Grapheme enthalten, während diese als Bestandteil eines Namens nicht auf eine fremdsprachliche Herkunft verweisen. <Crämer> und <Mayer> werden ohne Weiteres als deutsche Familiennamen akzeptiert.

Eine weitere onymische Besonderheit besteht in der „Aufhebung des morphologischen Prinzips“ (NÜBLING ET AL. 2015: 87). So ist es für Namen nicht relevant, morphologische Beziehungen zu anderen Wörtern oder Wortformen anzuzeigen (NÜBLING ET AL. 2015: 87). Bei einigen Namen lassen sich dementsprechend graphematische Abweichungen in der Morphemfuge erkennen, durch die die ursprüngliche morphologische Struktur weniger klar ersichtlich ist (NÜBLING ET AL. 2015: 87). Dies zeigt sich beispielsweise an Familiennamen wie Matthießen und Lorenzen, die zurückgehen auf Matthias + das onymische Suffix –sen bzw. Lorenz + –sen, in denen die Morphemgrenze verunklart ist. Auch an Familiennamen wie <Becker>, <Meurer> oder <Hollender>, die typischerweise auf frühneuhochdeutsche und/oder dialektale Schreibungen zurückgehen, lässt sich erkennen, dass im Falle von Namen dem morphologischen Prinzip nicht gefolgt wird. Der morphologische Bezug zu backen, Mauer und Holland wird hier nicht angezeigt, weil dieser Bezug für die Referenzweise der Namen nicht relevant ist (NÜBLING ET AL. 2015: 88). NÜBLING ET AL. formulieren dazu treffend:

Solche Bezüge brauchen bzw. sollen nicht im FamN aktualisiert werden – im Gegenteil: Durch all diese onymischen Sonderschreibungen vermeidet der Name solch eine falsche, ja irreführende Verbindung. Er macht sich ausdrucksseitig onymischer und distanziert sich vom APP[ellativ]. (2015: 88)

So gibt es im Deutschen häufiger die Familiennamen <Becker> als <Bäcker>, <Haase> als <Hase> und <Schumacher> als <Schuhmacher>. Wie gängig Abweichungen von der orthographischen Norm bei deutschen Familiennamen sind, belegt auch das Beispiel <Weißbrot>, für das sich laut Telekomdatenbank 2005 lediglich 24 Telefonanschlüsse finden, demgegenüber 448 Anschlüsse für <Weisbrod>, 221 für <Weißbrodt>, 124 für <Weisbrodt> etc. (NÜBLING ET AL. 2015: 87).

Auch bei der Graphotaktik, die auch als Graphemsyntax bezeichnet wird, lassen sich Unterschiede zwischen Name und Appellativ erkennen: Für das Deutsche allgemeingültige Regeln der Graphotaktik sind bei Namen außer Kraft gesetzt. So kommt es, dass Graphemkombinationen wie in Bismarck und Roth, bei denen <r> und <ck> sowie <t> und <h> gemeinsam im Silbenendrand erscheinen, zwar orthographisch unzulässig sind, solche Kombinationen jedoch regelmäßig in Namen auftreten (NÜBLING ET AL. 2015: 88, NÜBLING 2005: 34).

Namen verhalten sich auch anders in Bezug auf die Graphem-Phonem-Korrespondenzen (NÜBLING ET AL. 2015: 88f., NÜBLING 2005: 33f.). NÜBLING schreibt dazu, dass im Deutschen generell „relativ eindeutige Lese- (Graphem-Phonem-Korrespondenzen), aber mehrfache Schreibregeln (Phonem-Graphem-Korrespondenzen)“ bestehen, sodass etwa ein Phonem wie [i:] in vierfacher Weise verschriftet werden kann (2005: 33).5 In einem Wort wie Bibel wird [i:] als <i> geschrieben, in Lied als <ie>, in sieht als <ieh> und in ihr als <ih> (NÜBLING 2005: 33). Es sei daher nicht verwunderlich, „dass bei der EN-Schreibung die Phonem-Graphem-Korrespondenzen noch stärker strapaziert werden“ (NÜBLING 2005: 33). Viele Namen werden anders ausgesprochen, als es die Graphem-Phonem-Korrespondenzen nahelegen. Beispiele für dieses Phänomen finden sich im Bereich der Familiennamen: Namen wie <Schmid> und <Hofmann> werden entgegen ihrer Schreibung als [ʃmɪt] und [hɔfman] ausgesprochen (NÜBLING ET AL. 2015: 88f.). In Ortsnamen – insbesondere am Niederrhein und in Westfalen – erscheint zudem häufiger das stumme Vokalgraphem <e>, das in dialektalen Bezeichnungen die Vokallänge kennzeichnet und im Namen konserviert wurde (NÜBLING ET AL. 2015: 89). In Namen wie Buisdorf, Soest, Coesfeld (Westfalen) und Straelen (Niederrhein) werden die <e>-Grapheme daher nicht artikuliert, der vorangehende Vokal wird dafür lang gesprochen ([ˈbuːsdɔʁf], [zo:st], [ˈkoːsfɛlt], [ˈʃtʁɑ:lən]).

Ein Verfahren, das in vielen Sprachen verwendet wird, um Namen von anderen Wortarten abzugrenzen, ist die onymische Großschreibung.6 Auch im Deutschen werden Namen und einige deonymische Adjektive wie Kölner in Kölner Dom großgeschrieben (NÜBLING ET AL. 2015: 89). Deonymische Adjektive mit dem Suffix -sch- wie in grimmsche Märchen können mittlerweile auch kleingeschrieben werden. In anderen Sprachen, z.B. im Engl., Frz., Span. und Poln., in denen mit Ausnahme der Namen alle anderen Substantive kleingeschrieben werden, fungiert die Namengroßschreibung als wichtiger onymischer Marker. Im Deutschen ist sie jedoch aufgrund der Großschreibung jeglicher Substantive weniger wirkungsvoll (NÜBLING 2005: 32), HARWEG spricht sogar davon, die onymische Markierung durch Großschreibung sei „[f]ast völlig außer Kraft gesetzt oder besser: von vorneherein unmöglich gemacht“ (1999: 202). Dass in einer Sprache, die Klein- und Großschreibung aufweist, die Großschreibung in einem so geringen Maß als onymischer Marker genutzt wird, stellt nach HARWEG „weltweit eine absolute Ausnahme“ dar (1999: 204). NÜBLING vermutet, dass „das Deutsche genau wegen dieser mangelnden Kontrastwirkung der EN-Großschreibung so stark auf andere graphische Abweichungen“ setzt (2005: 33).

Schließlich kann auch auf den „besonderen Gebrauch von Syngraphemen“, zu denen Apostroph und Bindestrich zählen, hingewiesen werden (NÜBLING ET AL. 2015: 90, Hervorh. i.O.). Der Apostroph findet sich häufig in Namen wie Andrea’s Büdchen, um das Genitiv-Flexiv –s vom Namenkörper abzugrenzen. Weil der Apostroph so häufig in ebendieser Funktion verwendet wurde, wird diese Nutzung mittlerweile vom amtlichen Regelwerk akzeptiert (NÜBLING ET AL. 2015: 90f.). Ursprünglich zeigte der Apostroph die Auslassung eines Lautes an, er wurde allerdings zu einem „morphographischen Grenzsignal“ umgedeutet, „das den graphischen EN-Körper von nicht-onymischem Material […] abhebt, ihn damit schont und seiner sofortigen Erfassung dient“ (NÜBLING ET AL. 2015: 91). Im Fall von Andrea’s Büdchen ist der Namenkörper Andrea für den Leser deutlicher erkennbar und es kann zu keiner Verwechslung mit der männlichen Variante Andreas kommen.7 Auf die „Schonung, Abgrenzung und Konstanthaltung des Namenkörpers“ zielt auch die zunehmende Nutzung von Bindestrichen ab, die sich bei Komposita mit einem onymischen Bestandteil findet (NÜBLING ET AL. 2015: 92, Hervorh. i.O.). Anhand eines Kompositums wie Erdoğan-Besuch lässt sich der Nutzen der Bindestrichschreibung sehr gut erkennen. Insbesondere Komposita mit Namen, die nicht-native phonologische und graphematische Strukturen aufweisen, profitieren von einer Bindestrichschreibung, weil so der Namenkörper möglichst unangetastet bleibt und die Wortgrenze deutlich markiert ist.

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