Читать книгу Apokalypse Für Einsteiger - Julian Birkner - Страница 16
Kapitel 11
Оглавление»Willst du mir sagen wie du heißt?« Ratlos stand ich in meiner Küche und beobachtete den Jungen, der an meinem Küchentisch saß und ein Glas O-Saft umklammerte. Sein Blick suchte meine Küche ab, als ob hier irgendetwas versteckt wäre. Er nahm einen großen Schluck aus dem Glas und sah mich unsicher an. Seine Jacke und die Mütze hatte er immer noch an.
»Willst du dir nicht den Anorak und die Mütze ausziehen? Es muss dir doch viel zu warm sein …«
Er schüttelte stumm mit dem Kopf.
»Du musst schon mit mir reden, sonst kann ich dir nicht helfen …«
Wieder wich der Junge meinem Blick aus und fixierte das Glas in seiner Hand. In meinem Kopf purzelten tausend Gedanken herum. Wer war dieser kleine Kerl? Woher wusste er wo ich wohnte? Warum war er so besessen von mir? Hatte er psychische Probleme? Machte ich mich strafbar, da er jetzt in meiner Küche saß und Saft schlürfte? Sollte ich die Polizei rufen? Und was wenn Tom gleich auftauchen würde? Mir wurde von den vielen Gedanken ganz schwindelig und seufzend setzte ich mich neben den Jungen an den Tisch.
»Luca«, murmelte der Junge leise.
»Ist das dein Name?« Ich neigte mich nach vorne um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Er nickte schüchtern mit dem Kopf.
»Hör mal, Luca! Wir müssen deinen Eltern Bescheid sagen, dass du hier bist, sonst kriege ich Probleme!«
Der Junge schüttelte heftig mit dem Kopf und griff nach meinem Arm: »Frau Schwarz, du musst mir helfen!«
»Und wie?«, fragte ich unsicher.
Luca ließ meinen Arm los und griff wieder nach dem Glas. Ich wartete noch auf eine Antwort, aber er schwieg.
»Wovor hast du denn solche Angst? Du meintest er soll dich nicht finden … Wer denn?«
»Die Welt gibt es bald nicht mehr!«, wisperte Luca.
»Schon wieder diese Weltuntergangsgeschichte? Die Welt existiert seit mehreren Millionen Jahren. Die geht so schnell schon nicht unter.«, erklärte ich ruhig und versuchte dabei nicht allzu genervt zu wirken.
»Es ist bald soweit!«, flüsterte Luca. »Sie haben gesagt, dass du die Einzige bist die das verhindern kann … Wenn du nichts machst, dann ist bald alles vorbei …«
»Wer sind denn Sie? Wer erzählt dir denn solche Geschichten? Wo … Woher kennst du mich überhaupt?« Ich war so eindeutig überfordert mit der Situation. Ich erhob mich vom Stuhl und ging nervös in der kleinen Küche auf und ab. Vielleicht sollte ich doch lieber die Polizei holen. Dieser Junge war offenbar verwirrt oder hatte ein schweres Trauma oder Schlimmeres erlebt und brauchte professionelle Hilfe. Und die konnte ich ihm nicht geben. Also blieb nur Polizei rufen als Option.
»Bitte holen Sie nicht die Polizei!«
Ich erstarrte. Woher wusste er was ich vorhatte?
»Und auch nicht meine Eltern bitte … Ich werde gleich wieder gehen … Ich will nur …« Er sah mich eindringlich an. »Ich will nur, dass du mir versprichst, dass du Welt rettest, wenn es soweit ist …!«
Ich atmete tief ein und aus, setzte mich wieder auf den Stuhl neben Luca und sah ihn eine Zeitlang an. Er war ein hübscher Junge und seine Augen schienen förmlich zu strahlen und ich konnte erkennen, dass er den gleichaltrigen Kindern einen weiten Schritt voraus sein musste. Ich wusste nur nicht, ob das etwas Gutes war. Gleichzeitig wirkte er aber auch kraftlos, erschöpft und war ziemlich blass. Er war definitiv kein normales Kind.
Ich goss ihm ein wenig Orangensaft nach und lächelte ihn hilflos an.
»Luca …! Ich weiß leider überhaupt nicht was du meinst! Selbst wenn ich dir helfen wollte und wenn ich an so etwas glauben würde... Ich kann doch keinen Weltuntergang aufhalten!«
Lucas braune Augen musterten mich intensiv und dann seufzte er leise enttäuscht: »Du bist noch gar nicht bereit dazu …«
»Das sage ich dir die ganze Zeit, kleiner Mann …! Ich bin einfach die Falsche für sowas …«
Eine einzelne Tränen kullerte stumm Lucas Wange herunter. Er atmete schneller und presste die Lippen aufeinander und ich konnte spüren wie sehr er gegen die Tränen ankämpfte. »Ich will ja tapfer sein … Aber ich will nicht, dass das passiert … Ich will nicht, dass das Ende kommt … Ich … Ich will nicht sterben …«
»Luca …« Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn in den Arm nehmen und an mich drücken. Egal ob verwirrt oder nicht, dieser Junge brauchte jemanden, der für ihn da war und ihn tröstete. Warum er aber ausgerechnet eine erfolglose, verbitterte Einzelhandelskauffrau als Hilfe wollte, wusste wohl nur er.
»Niemand wird sterben! Du musst keine Angst haben!«
Luca blickte mich hoffnungsvoll an und schluchzte: »Versprichst du es?«
Oh je! Ich schluckte. Was sollte ich ihm antworten? Wie konnte ich so etwas zu sagen? Mit Versprechen jeglicher Art hatte ich ziemlich miese Erfahrungen gemacht. Wie sehr es weh tat, wenn es nicht eingehalten wurde, wusste wohl kaum einer besser als ich... Tom hatte versprochen mich zu heiraten... Sogar einen Verlobungsring hatte er mir als Zeichen seines Versprechens geschenkt … Ein wunderschöner Ring mit einem Saphir … Jetzt versauerte er in einem Schmuckkästchen auf der Kommode … So eine Enttäuschung wollte ich dem Jungen ersparen. Andererseits setzte Luca all seine Hoffnung in mich.
Ich beschloss es mit Ehrlichkeit zu probieren.
»Luca, ich weiß leider überhaupt nicht was ich tun kann um dir zu helfen.«
»Rette die Welt …«, flüsterte er.
Er sagte das mit solch einer Intensität, dass die Worte sich tief in mir festsetzten und mich noch lange beschäftigen sollten.
Wir saßen einige Minuten schweigend nebeneinander.
»Wieso hast du Angst, dass Leute sterben?«, fragte ich sanft und durchbrach das unangenehme Schweigen.
Luca sah mich nicht an. Sein Blick war stur auf das inzwischen leere Glas gerichtet.
»Wie wird die Welt denn untergehen? Was wird passieren?«
Ich brauchte konkrete Informationen wenn ich Luca helfen wollte und mir gingen allmählich die Ideen aus. Hilflos versuchte ich seinen Blick wieder zu gewinnen, aber es war als wäre er versteinert.
»Kommt da eine Naturkatastrophe? Eine Überschwemmung vielleicht?
Wieder keine Reaktion.
Ich war mit meinem Latein am Ende. Aus dem Jungen war einfach nichts herauszubekommen …
Plötzlich fiel mir Kikumi ein und ihr Traum von dem sie erzählt hatte. Sollte ich es erwähnen? Es war nur das Gefasel einer alkoholisierten Spinnerin gewesen und ich wollte Luca nicht noch mehr verschrecken, aber es war die einzige Idee die ich noch in Reserve hatte.
Ich berührte ihn vorsichtig am Arm und sagte leise: » Luca, meinst du ein Erdbeben?«
Mit aufgerissenen Augen wand sich Luca ruckartig zu mir um und sah mich entsetzt an. »Du weißt von dem Erdbeben? Wie kannst du davon wissen?«
Erschrocken über seine plötzliche Reaktion wich ich ein Stück zurück. Ich spürte wie eine Gänsehaut sich auf meinem Arm bildete und ein Schauer meinen Rücken herabrieselte. Langsam wurde mir das hier alles zu schräg.
»Nein Luca!«, antwortete ich hysterisch. »Ich weiß nichts von einem Erdbeben. Ich weiß gar nichts. Ich weiß nur, dass meine bescheuerte Nachbarin seltsame Träume hat und dass du meine Hilfe willst um die Welt zu retten und bei aller Liebe, aber diese Untergangstheorien sind mir einfach zu surreal!«
Luca sah mir verwirrt zu, wie ich ziellos durch meine Küche tigerte und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Sein verständnisloser Blick verriet mir, dass er wohl ebenfalls begann an meinem Verstand zu zweifeln. Super, dann waren wir schon mal zwei.
»Was ist das mit dem Erdbeben?«, fragte ich in einem ruhigeren Ton.
Luca biss sich auf die Unterlippe und schien unentschlossen ob er etwas sagen sollte oder nicht.
»Luca bitte!«, zischte ich ungeduldig. »Ich kriege gleich Besuch und habe nicht viel Zeit. DU bist zu mir gekommen und willst meine Hilfe. Also spuck es aus. Was für ein Erdbeben meinst du?«
Luca sah mich einen Moment an und lächelte traurig.
»Es sind drei...«, flüsterte er so leise, als hätte er Angst, dass wir belauscht werden könnten.
»Drei?« Wieder spürte ich die Gänsehaut auf meinem Arm.
»Das erste wird ganz leicht. Ehe man begreift was passiert, wird es wieder vorbei sein. Das zweite wird stärker … Dinge werden kaputt gehen, aber jeder wird es wohl gut überstehen … Dann kommt das Dritte … Es wird gewaltig … Straßen werden verschwinden und …«
Die schrille Türglocke ließ Luca verstummen.
TOM!
So ein Mist! Sein Timing war schon immer grauenhaft gewesen. Bei unserem ersten Date kam er zwei Stunden zu früh und fiel dann vor Schreck rückwärts die Treppen hinunter, als ich ihm im Bademantel mit meiner Ingwer-Aloe-Vera-Maske die Tür öffnete. Beim ersten Treffen mit meinen Eltern kam er zwei Stunden zu spät, woraufhin mein Vater so sauer war, dass er Tom am liebsten auf den Buffettisch gepfeffert hätte. Und auch heute kam er denkbar ungünstig, wenn auch pünktlich.
Die Klingel schellte ein zweites Mal und Luca suchte ängstlich nach einem Ausweg.
»Du musst keine Angst haben, Luca! Das ist nur mein Ex Tom. Der tut keinem was. Also … Na ja gut, er kriegt einen dazu, sich in ihn zu verlieben und ihn heiraten zu wollen und sein ganzes Leben um ihn herum aufzubauen, so dass du nicht mehr ohne ihn leben kannst und praktisch völlig abhängig bist und jede Sekunde mit ihm verbringen willst. Nur um dir dann anschließend bestialisch das Herz in tausend Stücke zu zerreißen und dich mit den schlimmsten Schmerzen, die du je empfunden hast allein zu lassen … Aber sonst ist er eigentlich ganz harmlos.«
Luca starrte mich mit offenem Mund an und raunte: »Oh je …Du hast ja ne Vollscheibe.«
»Ich ähm … Was? Na danke! Ich habe keine »Vollscheibe«. Was auch immer das sein mag!«, zischte ich säuerlich.
Luca grinste. »Oh doch! Du hast ne totale Vollscheibe!«
Langsam verlor ich mein Mitleid mit diesem frechen Gör.
»Und so jemand soll die Welt retten? Ich frage mich, was die sich dabei gedacht haben …«, murmelte Luca ungläubig zu sich selber.
»Ja! Ganz meine Rede! Wer sich das überlegt hat, hat definitiv nicht mehr alle Pfannen auf der Reihe!«
Als es das dritte Mal energisch klingelte, öffnete ich die Tür einen Spalt und sah einen genervten, aber verdammt gutaussehenden Tom mit Blumen vor der Tür stehen. Er hob skeptisch eine Augenbraue und fragte bissig: » Hattest du vor mich noch heute reinzulassen oder komm ich grad irgendwie ungünstig?«
Überfordert mit der Situation blickte ich nervös zwischen Luca und Tom hin und her.
»Ja, es ist grad irgendwie schlecht!«, stammelte ich. »Ich hab da noch diese Sache, die ich zu Ende bringen muss.«
»Dir ist aber schon klar, dass wir für jetzt verabredet sind, oder?«
»Tom, wir waren vor 7 Jahren schon einmal verabredet vor dem Standesamt. Soweit ich mich erinnere, war ich an dem Tag da …«, antwortete ich zynisch.
Tom zog eine Grimasse und versuchte durch den Türspalt zu schielen.
»Du hast jemanden bei dir, oder? Musst du mit einem deiner zahlreichen Lover noch eine Nummer zu Ende bringen?«
»Ich … Was? Nein! Sag mal, was denkst du denn von mir?« Meine Stimme wurde schärfer.
»Na du hast doch selber erzählt, dass du so viele Dates hast …«, verteidigte sich Tom beleidigt.
War Tom gerade eifersüchtig? Mir gefiel die Richtung, in die sich das Ganze entwickelte.
»Ich habe keinen Besuch … Also nicht soo einen Besuch. Ich ähm … Ach scheiß drauf!«
Ich öffnete die Tür und mit einer Handbewegung stellte ich die Beiden einander vor.
»Tom – Luca! Luca – Tom!«
Toms Kinnlade schien auf den Boden zu knallen. Seine Augen weit aufgerissen stammelte er: »Ist der von dir? Wie alt ist der? 6? 7?«
Sein Gesicht schien gleichzeitig knallrot und leichenblass zu sein und verriet das der Herzinfarkt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
»Emma, oh mein Gott! Warum hast du nichts gesagt? Ist das mein …? Oh Gott mir wird schlecht!«
Tom krallte sich so stark an meinem Türrahmen fest, dass ich Angst hatte, dass er Kratzspuren hinterlassen würde.
Wie gerne hätte ich jetzt geantwortet: »Ja Tom. Das ist dein Sohn, den du jahrelang vernachlässigt hast und der endlich seinen Vater kennenlernen will …«, aber ich wollte keinen toten Tom auf meiner Türschwelle haben, denn dieser Satz hätte ich höchstwahrscheinlich die Lichter ausgeblasen.
»Beruhige dich Tom! Das ist nicht mein Sohn. Das ist …« Ja was sollte ich sagen? Ein fremder Junge, der mich im Supermarkt angesprochen hat, der jetzt bei mir in der Küche saß und mir erzählt hat, dass die Welt untergehen wird?« Das klang weder glaubwürdig noch legal.
»Das ist nur ein Junge, auf den ich aufpasse!«
Tom sah skeptisch zu Luca. »Aha! Und wozu? Du hast doch selber kaum Freizeit bei deinem Job! Und ich kenne dich. Deine Freizeit ist dir heilig!«
»Ja er …« Mist, mir muss schnell etwas einfallen. Ich flüsterte zu Tom: »Er ist etwas zurückgeblieben und ich mach das ehrenamtlich!«
»Ich bin überhaupt nicht zurückgeblieben!«, protestierte Luca und warf mir einen bitterbösen Blick zu.
»Ja Herzchen, ist gut!«, sagte ich sanft und streichelte gespielt besorgt über seinen Kopf. Sein zorniger Gesichtsausdruck brachte mich aber dazu sofort damit aufzuhören, aus Angst er würde mir in die Hand beißen!
Toms Blick wurde mit einem Mal sehr sanft und gütig und er betrachtete mich in einer Weise in der mich vorher noch nie angesehen hatte: Ehrliche Bewunderung.
»Wow, Emma! Du hast dich echt verändert. Sei mir nicht böse, aber ich hätte es wirklich nicht gedacht, dass du mal ehrenamtlich für andere Menschen da bist. Ich hielt dich immer für sehr egozentrisch und, schlag mich bitte nicht, auch für sehr egoistisch. Das du so voller Nächstenliebe steckst ist wundervoll zu sehen und ich finde die Seite bemerkenswert … Ich habe dich wohl wirklich unterschätzt …«
Obwohl Toms Aussage als Kompliment gemeint war, traf es mich bis ins Mark. Tom hielt mich für egoistisch? Was dachte er noch alles über mich? War ich wirklich so sehr auf mich konzentriert und so selbstverliebt, dass es für Tom unvorstellbar war, dass ich Gutes tat? Lina hatte ja ähnliches erwähnt … Dachte mein ganzes Umfeld so von mir? Und wenn die Leute, die mich liebten schon so von mir dachten …
Luca sah mich immer noch verletzt an.
»Gibst du uns noch 5 Minuten?«, fragte ich Tom.
Er nickte, winkte Luca zu und verschwand im Wohnzimmer.
Ich kniete mich vor Luca, nahm sanft seine Hände und flüsterte: »Ich verspreche es!«
Lucas Gesicht hellte sich schlagartig auf.
Ich glaubte noch immer nicht an den Weltuntergang oder die Erdbebentheorie und ich würde mein Versprechen wahrscheinlich bereuen, aber es war an der Zeit etwas zu ändern. Da war ein Junge und der brauchte Hilfe und ich wollte nicht mehr dieser Mensch sein, der nur an sich selbst dachte.
»Also wenn die Situation kommt, in der ich was tun kann um die Welt retten, dann werde ich das machen. Versprochen! Aber ich habe keine Ahnung wie ich das anstellen soll!«
Luca fiel mir um den Hals, drückte mich so fest seine kleinen Ärmchen konnten und flüsterte mir: »Danke« ins Ohr.
»Ich komme wieder und dann sage ich dir was du brauchst und was du tun kannst.«
»Mach das!«, sagte ich liebevoll und sah wie er im Treppenhaus verschwand. Er war genauso schnell weg wie er gekommen war und ich sah ihm noch ein Weilchen hinterher.
Ich hatte ein Versprechen gegeben. Das Versprechen die Welt zu retten.
Und dieser Moment sollte alles verändern …