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2. KAPITEL

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Mit einem leisen Gähnen erhob ich mich aus dem Bett. Müde blinzelte ich mir den Schlaf aus den Augen und schlug mir auf die Wangen, um munter zu werden. Es schien noch die Sonne durch das Fenster, weshalb ich annahm, dass ich nicht allzu lange geschlafen haben konnte.

Leise verließ ich das Zimmer und stieg die Stufen hinunter, immer darauf bedacht, keine frischen Abdrücke in der Staubschicht zu hinterlassen.

Anstatt in die Wirtsstube begab ich mich jedoch in den Stall, wo Nothon an einem Pflock festgebunden war und gerade Heu fraß.

Der Hengst wieherte auf und zog an seinen Zügeln. Schnell befreite ich ihn aus dem Zaumzeug und gab ihm eine Möhre zu fressen.

Als ich auf die Straße hinaustrat, war es bereits späterer Nachmittag. Die Leute wirkten allesamt müde und machten in ihren verdreckten Lumpen einen erschreckenden Eindruck. Es dauerte nicht lange, da kam auch schon der erste Mann auf mich zu, ein Krüppel, dem ein Arm wohl als Strafe für Diebstahl abgeschlagen worden war. Mit flehenden Gesten und bettelnden Worten streckte er mir die Hand entgegen und zupfte an meinem Mantel. Das erregte sofort die Aufmerksamkeit weiterer Bettler, die nun herbeihumpelten, in der Hoffnung, von einem Fremden eine mildtätige Gabe zu erhaschen, doch ich schüttelte nur den Kopf und eilte mit schnellen Schritten davon.

Zwar war ich wohlhabender als die meisten Menschen, die in diesem Teil der Stadt wohnten, doch war ich der festen Überzeugung, dass ein jeder Mann, der kräftig genug war, in einer Stadt wie dieser Arbeit bekommen könne. Kein Mensch arbeitet gerne in einer Gerberei oder mühte sich bei den Webern ab, wo man Stoffe in kaltem, schmutzigem Wasser walken musste, doch statt zu betteln würde ich lieber bis zum Umfallen schuften, zumal ein verarmter Mensch ohnehin kein langes Leben zu erwarten hatte.

In der Hauptstraße tummelten sich Bewohner aus den wohlhabenderen Vierteln, die auf dem Weg zu den Märkten waren oder gerade von dort kamen und die erworbenen Güter nachhause schleppten.

An einer Straßenecke übten sich Spielleute im Gesang und ernteten Gelächter wie auch Bewunderung, an einer anderen stand ein Mann von kleinem Wuchs auf einem Podest und verkündete mit krächzender Stimme die neuen Erlässe. Jeder Stadtbewohner war verpflichtet, sich über die neuen Gesetze und Bestimmungen zu informieren, doch bezweifelte ich, dass man sich auch daran hielt, denn in einer korrupten Stadt wie dieser bestimmte das Geld über Recht, Unrecht, Anklage und Verurteilung.

Lautes Gejohle erregte meine Aufmerksamkeit. Eine Straße weiter drängten sich Dutzende Bürger um eine der Attraktionen. Als ich näher kam, konnte ich die laute Stimme des Mannes hören, der die Aufregung ausgelöst hatte.

»… Kupferstücke, für sieben Würfe! Wir haben schrumpelige Äpfel, faulige Eier, schimmliges Brot und – als besonderes Geschenk für jeden, der sieben Mal diese hässliche Fratze trifft –, einen Krug mit der Pisse meines Weibes!« Kaum hatte der fettleibige Mann zu Ende gesprochen, johlten die Schaulustigen auf und klatschten Beifall.

Neugierig trat ich näher und schob mich durch die Reihen, bis ich schließlich freie Sicht auf eine Kreatur hatte, deren Leib an ein hölzernes Gerüst gekettet war. Schwere Eisenringe und dicke Ketten verhinderten jede Bewegung.

Ganz langsam hob diese Kreatur, am ganzen Leib beschmutzt und verdreckt, den Kopf. Die gelben Augen, die in den Augenhöhlen förmlich aufzuleuchten schienen, waren mit einem Mal auf mich gerichtet, so als hätten sie die ganze Zeit nur mich im Visier gehabt.

Im selben Augenblick drängten sich zwei Burschen vor mich und stießen mich zurück. Ein Gefühl von Entsetzen und Abscheu gegenüber all jenen, die dieses bedauernswerte Wesen mit Dreck bewarfen, stieg in mir hoch.

»Rächt euch für all die Untaten dieser Bestien!«, schrie der fette Mann weiter. »Nur ein Kupferling für jeden Wurf auf diesen widerwärtigen Arasier!«

Mit schnellen Schritten eilte ich von diesem Ort fort. All dieser Hass auf andere Völker führte zu ständigen Kämpfen und Überfällen. Wenn die Menschen die Arasien derart behandelten, wunderte es mich nicht, dass diese eine Siedlung angegriffen hatten.

Ich gelangte zum Hauptplatz, in dessen Mitte ein großes Podest stand. Mehrere Zimmermänner waren gerade dabei, einen Galgen aufzustellen, während zwei kräftige Burschen einen ungefähr hüfthohen blutdurchtränkten Baumstumpf anschleppten, an dessen Seite ein Brett mit halbrundem, halsbreitem Ausschnitt angebracht war. Folglich waren für den morgigen Tag gleich mehrere Hinrichtungen vorgesehen.

Ich nahm die erste Straße, die von dem Platz weg in westliche Richtung führte, wo sich das Hurenviertel befand.

Ich musste nicht weit gehen, als auch schon ein junges Weib mit offenem lockigen Haar und einem Kleid, das nur leicht zugeschnürt war, auf mich zukam. Sie grinste mich auffordernd an und entblößte dabei ihre schief stehenden Zähne.

Nachdem ich sieben Straßendirnen abgewiesen hatte, kam keine weitere mehr auf mich zu, denn wer sieben abweist, der sucht entweder nach einer bestimmten oder einem bestimmten.

Inzwischen war ich zur Straße des Vergnügens gelangt, wo ein jedes Haus ein Bordell war und eine jede Frau – sofern sie nicht in teuren, geschlossenen Kleidern steckte und das Haar unter einer Haube zusammengebunden hatte oder in Begleitung eines Mannes war – zur Verfügung stand. Dies war das Paradies für einen jeden Freier, hier tummelten sich unzählige junge Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen waren, hier wurde man für die Gewaltanwendungen an den verstümmelten Frauen nicht bestraft und hier war man vom ehelichen Treuegelübde entbunden.

Entschlossen schritt ich auf eines der älteren Mädchen zu. Als sie meinen Blick auffing, lächelte sie mich an, fuhr sich verführerisch mit den Fingern durchs Haar und ließ die andere Hand über ihre Rundungen gleiten, die unter der eng geschnürten Bluse deutlich sichtbar waren. Ich schenkte ihr auch ein Lächeln, nahm ihre Hand, führte sie an meinen Mund und küsste sie, wie es unter den wohlhabenden Edelmännern Brauch war. Als die Dirne die Hand wieder zurückzog, umklammerten ihre Finger die Kupfermünze, die sie unauffällig in ihre Tasche gleiten ließ. Sie ließ sich nichts anmerken, woraus ich schlussfolgerte, dass sie die Geste verstanden hatte. »Ich bin auf der Suche nach einer Frau«, sagte ich leise.

»Deshalb kommt ihr Männer doch her!«, hauchte sie mit lasziver Stimme.

»Gewiss.« Ich räusperte mich. »Die Frau, die ich suche, ist jedoch als das Hexenweib bekannt.«

Schlagartig verfinsterte sich das Gesicht der Hure. Nicht bloß hatte sie eben einen Kunden verloren, er fragte auch noch nach ihr. »Ich weiß nicht, wen Ihr meint.«

»Sie betreibt vermutlich ein Bordell in dieser Straße, und bestimmt hast du von ihr gehört.«

»Es tut mir leid, doch ich kann Euch nicht weiterhelfen.« Sie schickte sich an zu gehen, als ich sie am Handgelenk fasste und zurückzog.

»Sie ist eine Bekannte von mir. Ich bin mir sicher, ein weiteres Kupferstück wird deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.«

»Drei!«

Ich griff in meine Tasche und gab ihr das Geld. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass uns keiner beobachtete, und ließ die Kupferstücke in ihrem Kleid verschwinden. »Wenn Ihr der Straße nach Süden folgt, so ist zu Eurer Rechten ein Haus mit roten Fensterläden. Dort lebt ein altes Weib, das die Soldaten als Hexe bezeichnen.«

»Hab Dank!«

»Ihr solltet dort nicht hingehen, sie ist… sonderbar.« Ihr Blick wirkte besorgt.

»Das war sie schon immer.« Der sanfte Tonfall meiner Stimme schien sie zu beruhigen, schließlich zuckte sie mit den Schultern und strich mir mit der Hand über die Wange. »Wenn ich etwas für Euch tun kann, so lasst es mich wissen!«

»Heute nicht, danke. Wie ist dein Name?«

»Die meisten nennen mich Resa.«

»Vielleicht begegnet man sich ja aus einem anderen Anlass wieder. Einen schönen Tag noch, Resa.« Ich winkte ihr zum Gruß und eilte die Straße weiter. Zum einen war ich überrascht, wie schnell – und einfach – ich den Aufenthaltsort des Hexenweibs in Erfahrung gebracht hatte, zum anderen wunderte es mich, dass die Dirne überhaupt bereit gewesen war, über die Hexe zu sprechen. Ich glaubte ihren Worten, ihre Augen sprachen die Wahrheit, es sei denn, sie war durch und durch verlogen, was bei einer wie ihr nicht undenkbar war.

Tatsächlich befand sich ein Haus mit roten Fensterläden am Ende der Straße. Das Gemäuer machte einen schlechten Eindruck, der Mörtel des unteren Stockwerks war herabgebröckelt, das Holz, aus dem die beiden oberen Stockwerke gebaut waren, bog sich in alle Richtungen, war teils von undefinierbarem Grün überzogen und durchnässt von den Regengüssen der Wochen zuvor.

Als ich die Tür, die aus den Angeln gerissen war, aufschob, kam mir ein modriger Gestank entgegen. Der Boden war mit einem roten Teppich ausgelegt, der einst prächtig geleuchtet und Kunden angelockt haben mochte, nun war jedoch nur noch ein zerschlissener, mit Löchern durchsetzter Bodenbelag übrig geblieben. An den Wänden konnte man die Umrisse eines dicken Vorhanges und hinter Wandschirmen verborgene Kerzenhalterungen ausmachen.

Im spärlichen Licht, das durch die Fensterläden fiel, tappte ich die knarzenden Stufen hinauf und sah mich im Obergeschoss um. Vom Gang führten fünf Türen weg. Hinter der einen oder anderen war das lüsterne Stöhnen von Freiern zu vernehmen.

»Ein neuer Kunde?« Erschrocken riss ich den Kopf herum und sah eine Frau lautlos die Treppe vom zweiten Obergeschoss herunterkommen. Sie trug ein ausladendes schulterfreies Kleid, das über der Brust mit ein paar Schnüren zusammengehalten war. Die Wangen und nackten Schultern waren von prächtigen dunklen Locken umrahmt. Ihre haselnussbraunen Augen, die von unzähligen kleinen Fältchen umgeben waren, leuchteten im schummrigen Licht.

»Aber das ist doch… Preston, du bist es wirklich!« Gebannt starrte mich das Hexenweib an, die Hand vor die Brust gehalten. Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen, das jedoch gleich wieder einem sorgenvollen Blick wich. »Ich hatte dich gebeten, den Städten fernzubleiben.«

Ich schwieg. Wie sehr sehnte ich mich danach, hinzulaufen und sie in meine Arme zu schließen, doch ihre Augen, den Tränen nahe, schienen mir Enttäuschung auszudrücken. Wie sehr hatte ich sie vermisst, und nun stand sie mir so abweisend gegenüber.

»Komm, hier oben können wir ungestört reden«, sprach sie mit leiser Stimme, senkte ihr Haupt und ging die Treppe hinauf.

Wortlos schloss sie ihr Zimmer auf und riss die Vorhänge auf.

Das kleine Zimmer war lediglich mit einem breiten Bett, einer großen Kleidertruhe, einem Tischchen mit einem Stuhl und einer Waschschüssel ausgestattet.

Mit einem unangenehmen Gefühl setzte ich mich auf die Bettkante. Wie viele Männer sich wohl schon in diesem Bett vergnügt hatten?

Das Hexenweib schloss die Türe ab und wandte sich mir langsam zu. Sie stand eine Weile wortlos da, dann endlich kam sie auf mich zu und schloss mich fest in ihre Arme. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und fuhr mir durchs Haar. »Du hast dich so verändert!«, stieß sie unter Tränen hervor. »Ich hätte dich kaum wiedererkannt!«

Ich löste mich aus ihrer Umarmung und trat einen Schritt zurück, um sie betrachten zu können. »Du hingegen bist immer noch so hinreißend schön wie vor Jahren.«

Sie lächelte und ließ sich auf dem Bett nieder. Ihr Blick glitt zu meinem Schwert, das in der goldenen Scheide an meinem Gürtel hing.

»Was erfüllt dich so mit Sorge?«, ergriff ich das Wort.

»Ich weiß, dass du die Stadt trotz meiner Warnung bereits mehrmals aufgesucht hast – doch nie bist du zu mir gekommen.«

Mein Gesicht errötete vor Scham. Wie hatte ich nur annehmen können, dass ihr meine Besuche in der Stadt verborgen bleiben würden. »Ich befürchtete… du würdest mich tadeln«, stammelte ich hilflos.

»Du hättest besser auch diesmal nicht kommen sollen!«, wies sie mich in recht forschem Ton zurecht. »Es gibt einen guten Grund, warum ich nicht wollte, dass du kommst.«

Verwirrt ließ ich mich auf dem kleinen Stuhl nieder. »Warum… erkläre es mir! All die Jahre blieb ich auf dein Geheiß hin von dir fern, obwohl ich dich stets vermisste. Nun jedoch, da ich vor dir stehe, weist du mich zurück, als sei ich in Ungnade gefallen!«

Das Hexenweib seufzte tief, ihre Brust hob und senkte sich. »Du bist nicht aus Sehnsucht zu mir gekommen. Es gibt einen anderen Grund, der dich dazu bewogen hat, all meine Warnungen in den Wind zu schlagen«, fuhr sie fort.

Erneut starrte ich sie verwundert an. All ihre Worte erschienen mir rätselhaft.

»Es sind die Träume, die dich jagen«, flüsterte sie leise und geheimnisvoll. »Die Frau mit dem goldenen Haar ist dir erschienen, nicht wahr?«

»Woher weißt du davon?«

»Man nennt mich nicht ohne Grund das Hexenweib, mein Junge.« Sie lächelte, ehe sie erneut die Stirn in Falten legte.

»Was haben diese Träume zu bedeuten? Wer ist diese Frau mit den goldenen Haaren?«

»Du kennst ihren Namen aus alten Mythen, aus den Geschichten der Elfen, die ich dir einst erzählt habe. Wir beide, sie und ich, haben all die Jahre über dich gewacht. Vielleicht erinnerst du dich an jene Nächte, in denen du dem Tod nahe warst und ich dir nicht zu Hilfe eilen konnte. In jenen Nächten warst du ihr bereits begegnet.« Das Hexenweib schüttelte lachend den Kopf. »All deine Krankheiten, Knochenbrüche, die Kämpfe, hast du dich nie gefragt, wie du all das überleben konntest? Ohne die Hilfe der Gottheiten wärst du schon längst im Reich der Toten.«

»Diese Frau… sie ist eine Gottheit?«, fragte ich erstaunt und ertappte mich dabei, dass ein Gefühl von Stolz in mir aufstieg.

»Nein, doch sie wacht über dich, wie Oros über das Meer oder Arasis über die Wälder.«

»Warum?« Langsam wurde ich ungeduldig, ergaben doch all ihre Worte keinen Sinn!

»Du hast eine Aufgabe zu erfüllen.«

»Welche Aufgabe? Ich bin ein Ausgestoßener, ein Einsiedler, ein freier Mann – und niemandem verpflichtet!«

»Du bist den Gottheiten verpflichtet!«, herrschte sie mich an. »Wage es nicht, dich über ihre Entscheidungen hinwegzusetzen. Sie haben dich gestärkt, und nun liegt es an dir, ihnen deine Ehrerbietung zu erweisen.«

Schuldbewusst senkte ich das Haupt. Ich wollte das Hexenweib nicht erzürnen, zumal ich ja selbst auch schon den Gedanken gehegt hatte, dass die Gottheiten über mich wachen würden. »Sprich, welche Aufgabe erwartet mich?«

»Verpflichte dich dem Weib mit dem goldenen Haar! Sie wird dir deine Aufgabe verkünden.«

»Sie sprach von Schwertern, von Unterdrückung und Befreiung, hat jedoch nie mich erwähnt.«

»Erinnerst du dich nicht an den Traum? Die Männer, die die Mutter des Mädchens – Rose war ihr Name – töteten. Zweifellos hast du die neuen Rüstungen der Soldaten bemerkt und von den Gerüchten gehört, eine große Stadt sei im Osten erbaut worden. Eine Stadt, die als Todesstätte für so viele Arasien, Bettas, Renz und Elfen bestimmt ist. Kaiser Mandossar will nicht nur seine Macht erweitern, er will alle großen Völker vernichten – einzig die Menschen sollen überleben, weil sie die Auserwählten seien.«

»Die Völker vernichten? Niemals! Dazu sind sie zu stark. Selbst die Hetzjagden zwischen den Oronin und Arasien haben nie eines der Völker ernsthaft schwächen können.«

»Du irrst, Preston! Es hat bereits begonnen. In den Wäldern hier im Westen gibt es kaum noch Arasien – du selbst solltest dies nur zu gut wissen!

Sobald der letzte Arasier vertrieben sein wird, wird die westliche Elfenstadt, die Heimat der Oronin, angegriffen, vielleicht auch schon früher.«

»Warum sollte er sie nicht angreifen, solange das Elfenvolk noch mit den Arasien in den Nordwäldern beschäftigt ist?«

»Mandossar bekämpft die Arasien schon seit Jahren. Sollte er jedoch selbst die mächtigen Elfen angreifen, würde Arasis’ Volk die wahren Pläne des Kaisers durchschauen und sich womöglich mit den Elfen verbünden.«

Eine Weile dachte ich über die Worte des Hexenweibs nach. Gewiss, Mandossar wollte seine Macht ausdehnen und das Westliche Reich von den anderen Kreaturen säubern, doch wie konnte all dies vor unseren Augen verborgen geschehen? Um eine Stadt wie jene der Oronin anzugreifen, brauchte es ein gewaltiges Heer. »Die Oronin sind gut in den Wäldern versteckt, man sagt, sie wären nicht aufzuspüren.«

»Die Elfenmagier haben zwar vereinzelt Wanderer und Krieger in die Irre leiten können, doch gegen ein Heer von Hunderten Soldaten sind selbst die Magier der Oronin machtlos.«

Ich war sprachlos. »Dann gibt es dieses Heer wahrhaftig?«

Das Hexenweib nickte traurig. »Verpflichte dich dem Elfenvolk. Es wird deine Aufgabe sein, die Elfen des Nordwestens gegen die kaiserlichen Truppen anzuführen.«

»Ich? Warum gerade ich? Ich kenne nicht einmal den genauen Aufenthaltsort der Oronin.«

»Warum nicht gerade du? Du bist ein erfahrener Krieger, ich habe dich sowohl das Verhandeln als auch das Kämpfen gelehrt. Du kannst lesen, schreiben, bist ein begabter Handwerker und dein Streben nach Gerechtigkeit ist ausgeprägter als bei allen anderen Menschen, die ich kenne – und das sind viele. Man wird auf all deine Fähigkeiten angewiesen sein. Außerdem wirst du als Mensch den Kaiser richtig einschätzen können.«

»Wohl kaum werden die Elfen mich aufnehmen und als ihren Anführer akzeptieren.«

Das Hexenweib neigte den Kopf nachdenklich zur Seite. »Es gibt eine Prophezeiung.«

»Eine Prophezeiung?«

»Ja, eine Prophezeiung.«

Ich musste auflachen, stand auf und schritt durchs Zimmer. »Ist das wirklich dein Ernst?«

Sie nickte und erhob sich ebenfalls. »Es sind die Schwerter… Von einem Schmied geschmiedet… Die Klinge den Träger krönt… Der Eine unterdrückt, der Andere befreit… Dies sind keine Worte aus einem Gedicht.« Ihre Worte trafen mich wie ein Faustschlag. Mein spöttisches Lachen gefror mir im Gesicht. Das waren genau die Worte, die die Frau mit dem goldenen Haar gesprochen hatte. Wie konnte das Hexenweib davon wissen?

»Ich habe dein Schicksal an jenem Tag besiegelt, als ich dir das Schwert überreicht habe.« Sie war auf mich zugekommen und legte nun die Hände auf meine Schultern.

»Wie kann ein Schwert mein Schicksal besiegeln?«

»An deinem Schwert haftet eine Geschichte.«

»Welche Geschichte?«

»Jene Geschichte, die bei den Elfen ihren Anfang nimmt.«

»Soll das bedeuten, dass du mich zu den Elfen schickst?«

Sie nickte langsam. »Doch bevor du gehst, habe ich noch etwas für dich.« Sie öffnete die Truhe mit einem Schlüssel legte die paar Kleider, die sie herausfischte, achtlos beiseite und klopfte schließlich mehrmals gegen den Truhenboden, als würde sie etwas suchen. Dann holte sie ein Messer unter ihrem Kleid hervor und hantierte damit im Truheninneren herum, bis sie sich endlich wieder aufrichtete und mir einen kleinen Beutel überreichte. »Viel Zeit wird vergehen, ehe du diesen Beutel öffnen wirst. Auf deinem Weg werden sich dir viele Fragen stellen und du wirst dich lange in Geduld üben müssen, bis du bereit bist, die Antworten zu erkennen. Öffne den Beutel erst, wenn du bereits weißt, was sich darin befindet, denn sonst würde dich die Antwort – die der Inhalt dir liefert – nur verwirren und du würdest unüberlegt handeln oder von deiner Bestimmung abkommen.«

Wortlos nahm ich den Beutel, der leer zu sein schien, entgegen, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und befestigte ihn an meinem Gürtel, ehe ich sie wieder fragend ansah. »Was genau soll ich tun?«

»Reite zu den Elfen und folge deiner Bestimmung.«

»Wie finde ich die Elfen?«

»Sie leben inmitten der Wälder, es sollte dir nicht schwer fallen, doch sorge dich vielmehr…« Sie hielt plötzlich inne und starrte zum Fenster hinaus, als würde sie dort jemanden vermuten.

»Was ist…?« – »Sei still!«, zischte sie und trat näher an das Fenster heran.

Ein Surren erklang, danach schien alles still zu stehen, und während ich nachgrübelte, wo ich dieses Geräusch denn schon gehört haben mochte, schrie das Hexenweib auf, doch es war kein schriller Schrei, es war ein erstickendes Röcheln.

Mit einem Schlag wurde mir bewusst, was das für ein Geräusch war! Ein Pfeil kam durchs Fenster geschossen und traf das Hexenweib am Hals. Von der Wucht des Geschosses wurde sie zurückgeworfen, wobei sie sogleich von einem weiteren Pfeil durchbohrt wurde. Blut befleckte mein Gesicht. Das warme Rot brannte auf meinen Wangen wie Feuer und tausend Messerstiche.

Das Hexenweib fiel – fiel zurück in das Bett, in dem sie so viele Männer beglückt hatte. Blut floss aus der Wunde an ihrem Hals, bahnte sich den Weg zwischen ihren Brüsten und färbte den Stoff ihres Kleides tiefrot. Ein dritter Pfeil durchstieß ihren Unterleib. Noch immer stand ich regungslos vor ihr, die Arme ausgestreckt, um sie zu halten, doch sie entglitt meinen Händen. Ihr Mund war halb geöffnet, die Augen weit aufgerissen. Sie streckte die bereits kraftlosen Finger nach mir aus.

Verzweifelt stürzte ich mich auf sie, umfasste ihren Kopf, betastete die Wunde an ihrem Hals. Ich konnte all dies nicht fassen! Warum? Warum sie? Warum jetzt?

»Mein Werk ist getan.« Mit ihrem letzten Atemzug hauchte sie diese Worte und schwand danach mit einem friedlichen Blick und einem nahezu glücklichen Lächeln in meinen Armen dahin.

Lautes Poltern erklang am Gang vor dem Zimmer. Ich zählte die Schritte vierer Männer, die – dem metallenen Klang zufolge – vermutlich alle bewaffnet waren.

Mit einem schnellen Satz war ich beim Fenster, wo ich im letzten Schein der Sonne die Umrisse zweier Gestalten erkennen konnte, die mit Bögen und Köchern das Weite suchten.

So schnell ich konnte, war ich aus dem Fenster und auf das Dach geklettert, von wo aus ich zum Nachbarhaus hinübersprang.

Die vier Männer waren mir bereits auf den Fersen und erklommen eine Leiter, die von den Dächern zur Straße hinunterführte.

Die Holzhäuser in diesem ärmlichen Wohnviertel waren eng aneinandergereiht und man konnte so mühelos von Dach zu Dach springen.

Hinter mir waren die Rufe der Soldaten zu hören, die das Zimmer, in dem das Hexenweib in einer Blutlache lag, gestürmt hatten. Inzwischen war ich zu jener Stelle gekommen, von wo aus die Pfeile abgeschossen worden waren.

Noch nie zuvor war ich so schnell über Dächer gesprungen oder Leitern hinabgestiegen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmenge und jagte den flüchtenden Mördern hinterher, die brutal jeden beiseite drängten, der sich ihnen in den Weg stellte.

Männer, die Waffen bei sich trugen und nicht in den Rüstungen der Stadtwachen und Soldaten steckten, erregten mehr Aufmerksamkeit als ein Fremder, der mit Blut befleckt war – was allerdings im Dämmerlicht nicht so deutlich sichtbar war.

Hinter mir konnte ich die Schritte und warnenden Rufe der Soldaten hören – aber ich bezweifelte, dass sie dasselbe Ziel verfolgten wie ich.

Den beiden Männern gelang es trotz ihres Vorsprungs nicht, mich abzuschütteln, im Gegenteil, da die Soldaten dicht hinter mir waren, wichen die Leute rasch zur Seite und boten mir somit die Möglichkeit, schneller voranzukommen.

Ich sah die beiden Schurken von der Hauptstraße in eine menschenleere Gasse abbiegen und konnte ihnen gerade noch rechtzeitig folgen, um zu erkennen, dass sie in eine andere Nebengasse verschwanden.

Meine Verfolger schienen sich aufgeteilt zu haben, da das Klirren der Schwerter und Rüstungen nicht mehr so laut zu hören war. Auch war die Gasse nicht breit genug, als dass mehr als zwei Mann nebeneinander laufen konnten.

Die beiden Männer vor mir schienen sich im Gewirr der Gassen und Wege gut auszukennen und wechselten häufig die Richtung, doch ihre lauten Schritte, die von den Mauern der Häuser widerhallten, verrieten mir stets ihren Fluchtweg.

Plötzlich war nichts mehr zu hören. Ich eilte das letzte Stück einer schmalen Gasse entlang, die schließlich in einen kleinen Platz mündete, von dem kein weiterer Weg fortführte. Für einen Moment befürchtete ich, die beiden Männer verloren zu haben, als hinter mir die Rufe der Soldaten erschallten und ich zur nächsten Scheune eilte, um mich dort zu verstecken.

Kaum hatte ich das Scheunentor zugezogen, konnte ich hören, wie der erste der Soldaten laut keuchend stehen blieb.

Finsternis umgab mich. Ich war in einem Meer aus Schatten und Dunkelheit gefangen. Leise schlich ich über den mit Stroh ausgelegten Boden zur Wand, um mich dort niederzukauern.

Draußen waren immer noch die Stimmen der Soldaten zu hören. Sie berieten sich kurz und begannen dann die angrenzenden Häuser und Scheunen zu durchkämmen.

Der Duft von Heu stieg mir in die Nase und ich folgte diesem Geruch, bis ich den Schatten eines großen Haufens vor mir liegen sah, in dem ich mich schnell versteckte.

Doch nun nahm ich noch einen weiteren Geruch wahr, es war der Gestank von Schweiß, gemischt mit jenem, den man aus den Gerbereien kannte.

Angst stieg in mir auf. Ich hielt verzweifelt den Atem an und lauschte. Anfangs konnte ich nur mein laut hämmerndes Herz hören, aber war da nicht auch noch das Hämmern eines zweiten Herzens? Ich begann sachte herumzutasten und berührte den Stoff eines Mantels, der den weichen Körper eines Menschen umhüllte.

Plötzlich fühlte ich mich schwach, Schweiß trat aus all meinen Poren, meine Hand zitterte, die Muskeln spannten sich an, doch bevor ich etwas sagen oder tun konnte, wurde die Tür der Scheune mit einem lauten Krachen aufgestoßen und Soldaten stürmten mit Fackeln in den Händen herein.

Nun war es an der Zeit zu kämpfen. Ich hatte schon nach meinem Schwert gegriffen, war bereit, aufzuspringen und die Gestalt neben mir anzugreifen, doch seltsamerweise verharrte ich weiter reglos in meinem Versteck. Es war nicht Angst, die mich dazu trieb, sondern vielmehr meine Vernunft, die mir eingab, dass ich mich besser ruhig verhalten solle.

Die Soldaten wechselten ein paar Worte, fluchten vor sich hin und verließen die Scheune, nachdem sie jeden Schlupfwinkel abgesucht hatten.

Kaum waren die Soldaten außer Hörweite, sprang der Mann neben mir aus seinem Versteck und warf ein Messer, das nur um Haaresbreite an meinem Kopf vorbeizog.

Geschwind sprang ich rückwärts, rollte mich über den Boden und zückte sogleich mein Breitschwert, um den nächsten Angriff zu parieren.

Es folgte ein schneller Schlagabtausch. Mir wurde sofort bewusst, dass mein Gegenüber ein geübter Kämpfer war, und seine Vermummung ließ darauf schließen, dass er im Auftrag von jemandem gehandelt hatte.

Vom Heuboden, der über der Scheune lag, sprang eine weitere Gestalt herab, die mich mit einem Kurzschwert von hinten angriff.

Ich wich seitlich aus und zog mit einer geübten Bewegung mein langes Messer, welches ich am Gürtel trug. Mit beiden Klingen bewaffnet griff ich nun die zwei Vermummten an, um bald darauf herauszufinden, dass sie mir in der Schwertkunst ebenbürtig waren und einzig die Ausdauer über den Sieg entscheiden würde – doch da ich alleine war, die Müdigkeit der letzten Tage sich bemerkbar machte und ich auf keinen Kampf eingestellt gewesen war, zweifelte ich nicht daran, schlussendlich der Unterlegene zu sein.

Mir war klar, dass ich sie mit dem Schwert nicht besiegen können würde, und plötzlich stieg eine unbändige Wut in mir auf. Beinahe hatte ich vergessen, was der Grund für diese Verfolgungsjagd war, aber nun wurde er mir schlagartig wieder bewusst: Dies hier waren die Mörder des einzigen Menschen, der mir je wirklich nahe stand.

Mit der Wut schien auch mein Blut erneut aufzuwallen – genau genommen war es nicht nur das Blut, sondern die Magie, die in meinen Adern floss.

Jeder der folgenden Schläge war von ungeheurer Wucht. Es gelang mir, die beiden Angreifer zurückzudrängen, doch ich wollte sie brennen sehen, brennen in den Flammen der Verdammnis!

Durch drei kräftige Schläge mit dem Breitschwert verschaffte ich mir genügend Platz, um zur Tür zu springen, die ich mit den Beinen zustieß, sodass es plötzlich stockfinster war.

Ich hielt den Atem an und lauschte. Die beiden Vermummten waren zweifellos nur wenige Schritte von mir entfernt. Zwar konnte ich sie nicht sehen, doch hörte ich ihren Atem, roch ihren Schweiß, spürte ihre Angst.

Mit einem lauten, klirrenden Klang steckte ich das Breitschwert zurück in die Scheide – um Verwirrung zu erzeugen. Tatsächlich konnte ich förmlich spüren, wie sie angewurzelt stehen geblieben waren und angestrengt lauschten.

Ich nahm das Messer in die rechte Hand und umschloss mit der Linken die Klinge. Für einen winzigen Moment hielt ich den Atem an, um die beiden Gestalten auszumachen, ehe ich mit einem entschlossenen Zug das Messer auf einen der beiden Männer schleuderte. Ich fühlte schmerzhaft, wie dabei meine Handinnenfläche aufgeschlitzt wurde und warmes Blut herausspritzte.

Die Messerklinge fand ihr Ziel und ein lauter Schrei entfuhr meinem Gegner. Im selben Moment ließ ich der Magie, welche ich nun so mächtig in mir fühlte, freien Lauf.

Das Blut, das aus meiner Hand floss, und jenes, das durch die Luft gespritzt oder am Messer haften geblieben war, verwandelte sich mit einem leisen Knistern in Flammenzungen.

Das Feuer sprang sofort auf das Stroh am Boden und auf die Kleidung des verletzten Mörders über.

Der Schrei, der zu meiner Überraschung aus dem Mund einer Frau kam, wurde immer lauter, die Flammen stiegen immer höher und der Qualm wurde zunehmend dichter.

Nun konnte ich den Mann sehen, der neben seiner Komplizin stand und vergeblich versuchte, die Flammen mit seinem Mantel zu ersticken. Panische Angst verzerrte sein Gesicht.

Mit langsamen Schritten trat ich auf ihn zu und stieß ihn von der Frau weg, die mittlerweile zu Boden gefallen war und sich schreiend im Feuer wälzte.

Ich bückte mich und holte das Messer aus den Flammen, die mir nichts anhaben konnten, dann wandte ich mich dem Mann voller Wut und Hass zu. »Wer bist du?«

Zweifellos hatte der Mörder erkannt, dass es kein Entkommen mehr gab. Hatte er kurz zuvor noch gegen einen geschwächten Mann gekämpft, so stand er nun einem Magier gegenüber, der sich auch auf die Schwertkunst verstand. Magier waren inzwischen selten geworden, die meisten standen in Diensten des Kaisers und wichen den hohen Offizieren oder den Mitgliedern der Blutigen Schneiden – einer Eliteeinheit – kaum von der Seite. Doch ich war sichtlich kein Anhänger des Kaisers – und somit umso gefährlicher.

»Wir sind Ausgestoßene«, stieß der Mann mit zittriger Stimme hervor. Seine Blicke huschten immer wieder zu dem brennenden Körper hinüber, der inzwischen völlig verstummt war.

»Warum habt ihr das Hexenweib getötet?« Ich bückte mich und drückte dem Mann die heiße Klinge meines Messers an den Hals, um dort sogleich eine Brandzeichnung zu hinterlassen.

»Es war ein Auftrag, wir brauchten das Geld!«

»Wer hat euch den Auftrag erteilt?«, donnerte ich mit bebender Stimme.

»Ein Wirt, ich kenne seinen Namen nicht. Die Bezahlung war gut und er stellte keine Fragen.«

Mit einem Mal erinnerte ich mich, dass Tom mich bei meiner Ankunft gefragt hatte, ob ich den Auftragsmord an einer Hure übernehmen wolle. Ich hatte nicht wissen können, dass es ausgerechnet diese Hure war, die man zum Schweigen bringen wollte. Und auch Tom hatte von meinen Absichten nichts gewusst. Somit war mir auch klar, dass der Mann nichts weiter über den wahren Auftraggeber wusste – Tom war nur der Mittelsmann.

»Es war ein Fehler, dass ihr diesen Auftrag angenommen habt!« Ich erhob mich und steckte das Messer zurück in die Gürteltasche.

Hinter mir ging krachend das Scheunentor auf und Soldaten stürmten herein, um sofort wieder vor den Flammen, die inzwischen auf das gesamte Heu und Holz übergesprungen waren, zurückzuweichen.

Mit einem letzten Blick auf den Mörder, welchen ich nun seinem Schicksal überließ, stürmte ich zum hinteren Ausgang der Scheune und hämmerte so lange gegen die Bretter, bis diese nachgaben und ich ins Freie stolperte.

Es war inzwischen Nacht geworden, allmählich wurden auch die letzten Lichter in den Häusern ausgemacht und auf den Straßen waren einzig die Nachtwächter mit ihren Fackeln anzutreffen.

Die brennende Scheune war weithin zu sehen, auch hörte man noch die Rufe der Soldaten, die das Feuer zu bekämpfen versuchten.

Der in der Folge entstehende Tumult kam mir sehr gelegen. Kaum eine der Wachen hatte noch Interesse, Ausgestoßene oder Gesetzeslose, die zu so später Stunde noch auf den Straßen waren, aufzuhalten und nach ihren Ausweisen zu fragen. Dennoch hielt ich mich vorwiegend in den kleinen dunklen Gassen verborgen und kreuzte eine Hauptstraße nur dann, wenn es unvermeidbar war.

Endlich gelangte ich über viele Umwege zum Wirtshaus zurück, in dem noch recht viel Betrieb herrschte. Die Stube war vom Schein etlicher Kerzen erhellt, das Bier schwappte von den Tischen und dem Tresen, Weinfässer waren geleert worden und die Stimmung wurde durch das Johlen von Trinkliedern zusätzlich angeheizt. Kaum einer war nüchtern genug, um sich über den Fremden zu wundern, der eben mit rußbeschmutztem Gesicht und stinkender Kleidung hereingekommen war.

Mit schnellen Schritten querte ich den Raum und eilte zur Treppe. Als ich am Tresen vorbeikam, warf ich dem Wirt einen vielsagenden Blick zu. Tom kannte seine Kundschaft und verstand ihre Gesten inzwischen gut genug, um zu wissen, wann etwas Unvorhergesehenes geschehen war. Zugleich verstand sich der Wirt darauf, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und so ging er erst dann in den Keller hinunter, wo ich auf ihn wartete, als eines der kleinen Bierfässer leer geworden war.

Er stellte das leere Fass ab und sah sich im trüben Schein seiner kleinen Lampe um, bis er mich schließlich neben einem Weinregal stehen sah. Er blickte mich eine Weile stumme an, runzelte die Stirn, fragte jedoch nichts.

»Von wem hast du den Auftrag bekommen?«

»Welchen Auftrag?«

»Die Hure, die ich hätte töten sollen. Du hast den Auftrag an zwei Gesetzlose weitergeleitet.«

Tom nickte langsam. Er konnte mich gut genug einschätzen, um meinen Zorn zu erahnen, und er wusste, dass es nicht ratsam war, mir etwas vorzulügen. »Ja, was weißt du darüber?«

»Sie sind beide tot, ihren Auftrag konnten sie noch ausführen.«

»Hast du es getan?« Tom ließ sich auf eines der Fässer nieder und tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.

»Wer hat dir den Auftrag erteilt?«, sprach ich mit leiser, drohender Stimme.

»Sind dir die Stadtwachen gefolgt?« Der Wirt hatte sichtlich Mühe, Ruhe zu bewahren.

»Ich konnte sie abhängen, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mich finden.«

»Du musst von hier verschwinden!«, zischte Tom und machte eine flehende Geste. Noch nie hatte ich ihn so nervös erlebt.

»Wer war der Auftraggeber?«

»Flieh über die Dächer, beeile dich, bevor es zu spät ist!«

»Das Hexenweib war eine Bekannte von mir! Ich werde nicht gehen, bevor ich weiß, wer für ihren Tod verantwortlich ist«, gab ich entschlossen zurück.

Tom erbleichte. Er öffnete den Mund einen Spalt, ehe er den Kopf schüttelte und mutlos seufzte. »Es waren sehr einflussreiche Männer. Wenn sie dich fangen, dann wird das dein Ende sein – und glaub mir, der Tod kann sehr grausam und schleichend kommen!«

»Ich kann auch sehr grausam sein! Das Hexenweib hat mir alles bedeutet, ich werde nicht gehen, ohne ihren Tod zu rächen!«

»Dann bist du bereits erledigt.« Tom wandte sich ab und lud eines der kleinen Fässer auf seine Schulter. Er war schon bei der Treppe, als er sich ein letztes Mal umdrehte. »Es war ein einfacher Bote, doch er trug den Siegelring der Rejèss.«

»Wenn die Rejèss das Hexenweib tot sehen wollten, warum haben sie nicht ihre eigenen Männer losgeschickt?« Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Die Rejèss waren unter anderem die Leibgarde des Kaisers.

»Tim, du bist inzwischen wie ein Freund für mich. Daher kann ich dir nur raten: Halte dich da raus und verschwinde, solange du noch kannst! Wenn der Kaiser jemanden tot sehen will, dann würde ein jeder gut daran tun, sich aus der Sache rauszuhalten. Dass die Rejèss den Auftrag weitergegeben haben, kann für mich nur bedeuten, dass niemand den Kaiser mit dem Anschlag in Verbindung bringen soll.«

Mit einem Schlag fühlte ich mich trotz meiner Kräfte, meiner Schwertkünste, meiner Magie und meiner Erfahrungen machtlos. Wie ein kleines schutzloses Kind stand ich nun da, das versuchte, mit einem Holzschwert einen steinernen Wall zu Fall zu bringen.

»Wenn dir die Truppen des Kaisers gefolgt sind, werden sie dich bis hierher verfolgen können! Du musst sofort aufbrechen, bei Tagesanbruch wird die Stadt voller Soldaten sein, und sie werden die Tore streng kontrollieren. Lass deine Satteltaschen in der Truhe, ich lass dein Pferd satteln und schicke morgen jemanden, der es bis vor die Stadtmauern führt.«

Zweifelnd sah ich den Wirt an. Gewiss fürchtete er um seine eigene Haut, war ich doch eine große Gefahr, wenn ich blieb, doch konnte ich ihm trauen? Andererseits konnte ich tatsächlich nicht zusammen mit dem Pferd fliehen.

»Wie viel wird es mich kosten?«

»Gar nichts. Da die beiden Auftragsmörder ihre Arbeit ausgeführt haben, aber nicht zurückkommen können, um ihren Lohn einzufordern, ist es ein gutes Geschäft für mich gewesen.«

»Wie kannst du mir trauen, dass ich auch wirklich die beiden Richtigen getötet habe?«

»Die Furcht steht dir ins Gesicht geschrieben, außerdem bezweifle ich…«, abrupt hielt er inne und lauschte. Männer hatten eben die Wirtsstube betreten und einer von ihnen rief nun laut nach dem Wirt. Die Stimme gehörte zweifellos einem Soldaten.

»Verschwinde von hier«, flüsterte Tom mir zu. »Und schwöre, dass du nie mehr hierher zurückkommst! So will ich dein Pferd satteln und vor die Stadtmauern bringen lassen.«

Ich willigte mit einem Nicken ein und versteckte mich hinter ein paar Kisten, als auf der Treppe oben der Schein einer Fackel erschien und auf den Stufen Schritte zu hören waren.

»Ich komme ja schon! Was, bei all den Gottheiten, ist hier los?«, rief Tom mit gespielter Verärgerung.

»Bist du der Wirt?«, fragte eine polternde Stimme.

»Ja, wer will das wissen?«

»Wir sind Soldaten des Kaisers. Ein Verbrecher hat sich hier versteckt – was machst du eigentlich da unten im Keller?«

»Ein Verbrecher?« Tom tat schockiert. »Aber, aber«, fuhr er tadelnd fort, »wenn Ihr jedes Mal so viel Aufruhr wegen eines einzelnen Verbrechers verursacht, verscheucht Ihr mir die ganze Kundschaft! Ihr wisst ja selbst, wie viele Verbrecher in diesem Viertel leben – da würde es für einen Wirt wie mich den Ruin bedeuten, wenn ich den Gästen unangenehme Fragen stelle.« Er setzte das Fass ab und wischte sich mit dem Tuch über die Stirn. »Was ich hier gemacht habe?«, brummte er. »Ich habe den Jungen gesucht – Ihr habt selbst gesehen, welch Betrieb heut’ herrscht, und wir kommen mit dem Einschenken nicht nach. Der Bursche – Arasis möge ihn bestrafen – schläft sich hier ab und zu den Rausch aus… aber diesmal ist er nicht anzufinden. Hätte ihm auch eine ordentliche Tracht Prügel eingebracht. Wenn ich das nächste Mal…«

»Schon gut, schon gut!« Der Soldat war inzwischen heruntergekommen und warf einen Blick in den düsteren Raum. Ich presste mich gegen eine der Kisten und flehte, er möge nicht noch weiter herumsuchen.

»Ich bin mir sicher, das Problem mit diesem… Verbrecher lässt sich gewiss mit einer Flasche edlen Tropfens aus der Welt schaffen.« Der Wirt klopfte dem Soldaten auf die Schultern und griff ins nächste Regal, um eine verstaubte Flasche hervorzuholen.

»Wir suchen keinen kleinen Gauner, der beim Würfelspiel betrügt! Behalte deinen Wein, und sieh zu, dass dir die Namen deiner Gäste wieder einfallen.«

Es folgte kurzes Schweigen, von meinem Versteck aus konnte ich nicht erkennen, was los war, bis Tom wieder das Wort ergriff. »Wenn selbst der edelste Tropfen den hart arbeitenden Soldaten nicht ablenkt, so müsst Ihr wahrlich hinter einem dicken Fisch her sein.«

»Mir scheint, du hast einen ganzen Teich voller Fische.«

»Gewiss doch, aber in meinem Teich schwimmen nur die kleinen Fische.« Der Wirt hob das Bierfass wieder auf die Schultern und schritt die Stufen empor. »Kommt, ich muss in den Papieren nachsehen, doch soweit ich weiß, nächtigt derzeit nur ein Ehepaar in meinem Haus«, rief er laut genug, dass auch ich die Worte verstehen und deuten konnte.

Sobald der Soldat dem Wirt in die Wirtsstube gefolgt war, schlich ich ebenfalls die Treppen hoch und lugte in die verrauchte Stube. Tatsächlich standen fünf Soldaten inmitten des Raums und hielten die Gäste unter ständiger Beobachtung, während der Wirt das Fass auf den Tresen stellte und dem Befehlshaber der Soldaten einen Wink gab, ihm zu folgen. In einem unbeobachteten Moment huschte sein Blick noch schnell zu mir herüber, dann blieb er stehen und sah mit genervter Miene die Soldaten an.

»Aber bitte, muss das sein? Die Männer ruinieren die ganze Feierstimmung! Ist das denn notwendig?«, klagte er. Der Befehlshaber seufzte und scheuchte seine Männer mit einem ungeduldigen Wink hinaus. Der Wirt zeigte sich hocherfreut und rief sein Weib zu sich. »Matilde, schenk doch unseren lieben Freunden von der Stadtwache etwas ein. Sie haben hart gearbeitet und sollen draußen in der Kälte nicht vor Durst umkommen!«

Kaum war die Frau den Soldaten mit den Bierkrügen nachgefolgt, setzte auch schon wieder die Feierlaune der Gäste ein und man bestellte Nachschub. Tom war inzwischen mit dem Soldaten ans andere Ende des Zimmers gegangen und stöberte in verschiedenen – gefälschten – Aufzeichnungen.

Schnell huschte ich ins Obergeschoss hinauf, wo ich gebückt den Gang bis zur letzten Tür entlangeilte, die zur Wendeltreppe führte. An den Abdrücken in der Staubschicht auf den Stufen konnte ich erleichtert feststellen, dass nach mir niemand mehr die Wendeltreppe emporgestiegen war – und mich somit auch niemand erwarten würde.

Als ich in meinem Zimmer war, schloss ich die Truhe auf, band mir das Rückenschwert und die Messer um, packte die Taschen zusammen und sperrte sorgfältig wieder ab. Den Schlüssel zur Truhe hängte ich auf den einzigen Kleiderhaken, der hoch genug angebracht war, um im spärlichen Licht nicht weiter aufzufallen.

Dann öffnete ich das kleine Fenster und kroch leise ins Freie. Als ich auf das Dach des Nebengebäudes hinüberkletterte, um mich dort hinter einem Kamin zu verstecken und mir einen Überblick zu verschaffen, nahm ich die lauten Rufe der Soldaten wahr. Ihre Fackeln waren in der ganzen Stadt zu sehen, vor allem im Südwesten, wo noch immer das von mir entfachte Feuer wütete. Erstmals gelang es mir, alles Geschehene zu überdenken. Wenn es tatsächlich stimmte, was der Wirt erzählte – und davon ging ich aus –, dann hatte der Kaiser die Ermordung des Hexenweibs so in die Wege geleitet, dass auf ihn selbst kein Verdacht fallen würde. Zum Zeitpunkt des Attentats hatten die kaiserlichen Truppen – die bekanntlich nicht mit den Rejèss zusammenarbeiteten – das Zimmer der Hexe gestürmt und die Mörder verfolgt. Wie hatten sie davon erfahren? Wer steckte hinter all dem? Oder sollte alles nur eine Falle sein und man wollte mir den Mord anhängen – doch wer konnte gewusst haben, dass ich das Hexenweib ausgerechnet an diesem Tag aufsuchen würde – schließlich hatte Tom von dem Mordauftrag bereits vor meiner Ankunft erfahren…?

Schmerz und Trauer lasteten schwer auf mir, und es wurde mir bewusst, dass ich die Tat nicht rächen können würde. Die Leibgarde des Kaisers war zu mächtig, um sich mit ihr anzulegen. Die Soldaten hielten mich für den Mörder und Brandstifter und der Kaiser selbst war weit entfernt in der Hauptstadt Elena.

Rufe rissen mich aus meinen trüben Gedanken und ich sah zur Straße hinunter. Mehrere Soldaten stürmten nun das Wirtshaus, einige blickten sogar zum Dach empor, als würden sie mich dort vermuten.

So schnell ich konnte, huschte ich in geduckter Haltung weiter zum nächsten Dach.

»Er ist dort oben! Ich habe ihn gesehen!«, erschallte die Stimme eines Soldaten. Nun zählte jeder Augenblick. Ich achtete nun nicht mehr auf meine Deckung, rannte über das Dach und sprang von einem Mauervorsprung zum nächsten. Die ersten Soldaten waren schon aus meinem Zimmerfenster gestiegen und waren mir auf den Fersen.

Pfeile pfiffen an mir vorbei. Glücklicherweise konnten die Schützen mich genauso schlecht ausmachen wie ich sie, und so waren die Geschosse unpräzise und verfehlten mich.

Inzwischen hatte ich die Orientierung vollkommen verloren. Von allen Seiten hörte ich Rufe, Soldaten hatten die umliegenden Häuser erklommen und schossen mit Pfeilen auf mich.

Plötzlich wurde ich der brennenden Fackeln gewahr, die unweit von mir die Stadtmauern beleuchteten. Mit letzter Kraft wählte ich eine neue Route und versuchte auf die höchsten der an die Stadtmauer angrenzenden Häuser zu gelangen.

Das Ziel war nahe, und mir war, als könnte ich die Freiheit förmlich riechen, sie fühlen, als ob sie ihre Arme ausstrecken und nach mir greifen würde, nur noch wenige Häuser trennten mich von ihr, als plötzlich ein Surren die Luft durchschnitt und mir ein brennender Schmerz durchs Bein schoss.

Ein Pfeil hatte meinen rechten Oberschenkel getroffen. Der Schmerz durchfuhr mich bei jedem Schritt, als würde ich durch die lodernden Flammen eines Feuers schreiten. Schließlich versagte mir das Bein und ich stürzte nach vorne und schlug mit dem Gesicht hart gegen die Holzschindeln des schrägen Dachs. Sofort schmeckte ich das Blut, das aus der aufgeplatzten Lippe floss. Auch am Kopf musste ich mich aufgeschlagen haben, denn ein warmes Rinnsal lief mir über Stirn, Wange und Kinn.

Meine Verfolger waren bereits ganz nah, ich konnte ihre Stimmen hören, ihre Fackeln sehen, das Aufblitzen der Schwertklingen erkennen.

Plötzlich tauchte das Hexenweib vor meinen Augen auf, wie eine Gestalt aus einem Traum. Sie sah mich auffordernd an. »An deinem Schwert haftet eine Geschichte. Jene Geschichte, die bei den Elfen beginnt.«

Dann war sie wieder verschwunden, aber mit einem Mal fühlte ich eine Kraft, die den Schmerz verdrängte und mich auf die Beine zwang. Mit einem entschlossenen Griff brach ich den Pfeil, der mein Bein durchbohrte, entzwei und zog die beiden Hälften aus dem Oberschenkel.

Und wieder fühlte ich die magische Kraft durch meinen Körper strömen. Ich lief zum nächsten Dach, sprang über die Gasse zwischen den beiden Häusern hinweg und erreichte die kalte Fassade der Stadtmauer. Erst in diesem Moment kam mir der Gedanke, dass es mir unmöglich sein würde, die Mauer zu erklimmen. Die Steine waren sauber mit Mörtel abgedichtet und es gab kaum einen Spalt, an dem man sich festkrallen konnte. Zugleich waren meine Verfolger schon bis zum letzten Haus vorgedrungen, wagten jedoch nicht den Sprung über die Gasse.

Bögen wurden gespannt, und als ich mich umdrehte, schossen bereits unzählige Pfeile auf mich zu.

Doch jeder Pfeil, der mich treffen und töten hätte sollen, flammte in einem roten Schein auf und verglühte, ehe er meinen Körper erreichte. Die Magie, die nun aus meinem Inneren herausgetreten war, umhüllte mich wie ein undurchdringlicher Panzer.

Obwohl ich wusste, dass ich über Magie verfügte und mein Blut sich wie Weinbrand entzünden konnte, hatte ich noch nie zuvor eine solche Kraft gespürt. Oder war dies doch der Einfluss der Gottheiten, die über mich wachten?

Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich starrte in die verblüfften Gesichter der Soldaten, die erneut nach Pfeilen griffen, welche allesamt sofort aufglühten, kaum dass sie abgefeuert waren.

Ich wandte mich zur Mauer und tat einen Sprung in die Höhe. Kaum hatten meine Füße die Haftung zum Dach verloren, war mir, als ob eine unsichtbare Hand meinen Körper emporkatapultierte, sodass ich leichtfüßig auf den Zinnen der Stadtmauer landete.

Sogleich sprangen mit Schwertern bewaffnete Soldaten auf mich zu. Ich griff nach meinem Breitschwert und schlug jeden Angriff gezielt zurück.

Die meisten der Wachen waren im Kämpfen ungeübt, da es kaum je ein Bürger wagte, sich mit ihnen anzulegen. Zudem löste die Vorstellung, gegen einen Magier anzutreten, zusätzliche Verunsicherung aus, und so fielen ihre Attacken ungezielt und schwach aus.

Mein Schwert durchstieß bereits den Körper des dritten Soldaten, als Paladine des Kaisers im Schein der Fackeln erschienen. Die Paladine gehörten zwar dem Heer an, doch waren sie ebenso wie die Rejèss und die Blutigen Schneiden ausgezeichnete Schwertkämpfer.

Ich griff nach der Fackel, die mir am nächsten war, und warf sie über die Mauer, um die Höhe des Walls abschätzen zu können. Als die Fackel zischend im dreckigen Gewässer des Stadtgrabens erlosch, verbarg ich mich unter meinem Umhang und verschmolz so mit der Dunkelheit, bevor ich mich – unbeachtet von den Soldaten – in die Tiefe stürzte.

Mit einem lauten Klatschen verschwand ich im übel riechenden Wasser und versuchte mich tauchend so weit wie möglich von der Stelle wegzubewegen. Die Zähne aufeinandergepresst, riss ich die Augen auf und sah mich um. Über mir loderte die Wasseroberfläche mehrmals hell auf, als Fackeln von der Mauer herabfielen.

Es war ein Tauchgang voller Qualen. Meine Augen brannten, die Gliedmaßen schmerzten, das Übelkeitsgefühl war unerträglich. Schließlich zog ich meinen Kopf wieder aus dem Wasser, holte tief Luft und schwamm zum Rand des Grabens, um mich dort ans Ufer zu ziehen.

Kaum spürte ich festen Boden unter meinen Füßen, begann ich zu laufen und versuchte den brennenden Pfeilen, welche unweit von mir im feuchten Gras einstachen, zu entkommen.

So schnell ich kannte, durchquerte ich die offene Landschaft und hielt auf den Wald zu, der sich im Mondlicht abzeichnete.

Inzwischen hatte man das Stadttor geöffnet und Reiter ausgeschickt, die nun die Verfolgung aufnahmen.

Da ich außer Reichweite der Feuerpfeile war und mein schwarzer Umhang mich in der Dunkelheit fast unsichtbar machte, mussten die Reiter mühevoll nach meinen Spuren suchen.

Endlich hatte ich den Wald erreicht, wo ich mich durch das dichte Geäst der Sträucher kämpfte. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und starrte auf die Ebene hinaus, wo sich die Reiter, mit Fackeln, Bögen, Speeren und Schwertern ausgerüstet, sammelten und Richtung Wald ausschwärmten.

Kaum hatte ich etwas verschnaufen können, da stieg wieder Übelkeit in mir auf und ich musste mich mehrmals übergeben. Der Gestank der Kloake aus Abwässern und allen möglichen Abfällen würde sich kaum noch aus meiner Kleidung herauswaschen lassen.

Als ich mich der letzten Nahrungsreste entledigt hatte, hastete ich weiter.

Die Reiter konnten es nicht riskieren, mit ihren Fackeln einen Waldbrand auszulösen, und so konnte ich etwas Vorsprung gewinnen. Doch war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die Soldaten ihre Bluthunde auf mich hetzen würden, oder – was ich noch mehr befürchtete – die Hetzer ausschickten. Die Hetzer, wie mir vor ihnen graute! Man sagt, es seien die Seelen jener Männer, die durch ihre grausamen Taten zu Lebzeiten im Tode auf Ewigkeit verflucht waren. So ritten sie auf toten Tieren, welche durch den Fluch – oder durch Magie – zum Leben erweckt worden waren. Zwar unterstanden sie nur den Blutigen Schneiden und nicht dem Kaiser, doch handelten die einstigen Leibwächter des Kaisergeschlechts – und Vorgänger der Rejèss – stets im Sinne Mandossars.

Die Hufschläge der Pferde waren vollkommen verstummt. Die Fackeln waren längst hinter den Bäumen verschwunden und es umgab mich nur noch die Finsternis der Nacht. In regelmäßigen Abständen blieb ich stehen und lauschte in den Wald hinein, doch nirgends war das Kläffen der Hunde oder Geheule der Hetzer zu hören.

Und so marschierte ich weiter, in der Hoffnung, mich mit jedem Schritt weiter von der Stadt entfernen zu können.

Müdigkeit drohte mich zu übermannen, und die Trauer um das Hexenweib legte sich wie ein dunkles Tuch über meinen Geist, hielt ihn gefangen und ließ ihn an nichts anderes mehr denken.

Es dämmerte bereits, als mein Magen zu knurren begann, meine Beine mich kaum noch einen weiteren Schritt tragen würden und die Augen halb geschlossen waren. Ich war zu müde, um mich nach einem sicheren Versteck umzusehen – obwohl ich wusste, dass bei Tagesanbruch die Soldaten auf ihren Rössern den gesamten Wald durchkämmen würden.

Schließlich gelangte ich zu einem Bach, der sich leise plätschernd seinen Weg durchs Flussbett bahnte, das von Unwettern, die vor nicht allzu langer Zeit gewütet hatten, verbreitert worden war. Im Zuge der Unwetter musste dieser Bach zu einem reißenden Fluss angestiegen sein, und am Becken über der Lehmschicht war viel Geröll und Geäst angespült worden. Ich grub eine kleine Mulde in den Lehm, um mich dort hinlegen zu können. Zuletzt zog ich mir Geäst über den Leib, um gut genug getarnt zu sein. Kurz darauf war ich eingeschlafen.

Hufschläge, die langsam näher kamen, brachten das Unterholz laut zum Knacken.

Mit einem Schlag war ich munter. Ich hielt den Atem an und lauschte. Leise hob ich den Kopf, um durch die Äste, die meinen Leib verdeckten, hindurchzuspähen, doch ich konnte nichts erkennen. Dennoch war ich mir sicher, dass sie mich aufgespürt hatten, aber wo blieben die triumphierenden Rufe oder der Befehl, mich zu ergeben?

Das Pferd gab einen mir vertrauten Laut von sich und stampfte mit den Hufen in den lehmigen Boden. Sofort war mir klar, dass kein Soldat, sondern ein alter Gefährte mich aufgespürt hatte. Ich schob das Geäst beiseite und sprang auf die Beine.

Nothon stand da, gesattelt und mit meinen Taschen bepackt. Tom hatte demnach Wort gehalten und den Hengst an den Wachen vorbei bis vor die Stadtmauern geführt.

Mit einem erleichterten Seufzen eilte ich auf den Hengst zu, der bei der ersten Witterung meines Gestanks zurückschrak und den Kopf zur Seite drehte.

Etwas beschämt betrachtete ich meine Kleidung, welche von oben bis unten beschmutzt und von kleinen Rissen durchzogen war. »Ich weiß selbst, dass ich schon einmal besser ausgehen – und gerochen – habe!«, zischte ich dem Hengst zu und zog mich in den Sattel.

Prüfend blickte ich in alle Richtungen, um mich zu vergewissern, ob wohl niemand Nothon gefolgt war, dann versetzte ich ihm einen Tritt und ritt los.

Nothon fand selbstständig den Weg zurück zum nächsten Pfad, der breit genug war, um schnell voranzukommen.

Mit einem Blick zur Sonne stellte ich fest, dass ich in der Nacht zuvor nach Nordwesten geflohen war. Nun ritten wir nach Nordosten, auf der Suche nach den verborgenen Elfen.

Es war ein mühsamer Ritt. Ständig mussten wir anhalten: Während Nothon versuchte, fremde Gerüche zu wittern, hielt ich ständig Ausschau nach weiteren Soldaten. Bestimmt hatte man bereits beim ersten Morgenlicht begonnen, die Suche nach mir wieder aufzunehmen, und ich war überrascht, dass man mich noch nicht gefunden hatte.

Gegen Mittag rasteten wir bei einem kleinen Bach, in dem ich mich wusch und meine Kleidung notdürftig sauber zu bekommen versuchte. Der Schmutz ließ sich schnell abwaschen, aber gegen den Gestank war nichts auszurichten.

Es war bereits später Nachmittag, als wir eine schmale Straße, die durch den dichten Wald führte, dahinpreschten. Der unberührte erdige Boden verriet mir, dass die Soldaten diesen Pfad nicht entlanggeritten sein konnten, was beruhigend war.

Die Sonne verschwand schon fast wieder am Horizont und würde unseren Pfad nur noch kurze Zeit beleuchten.

Müde zügelte ich den Hengst und blieb mitten am Weg stehen. Im Wald war es still geworden, nichts schien sich mehr zu bewegen, es war, als wäre man in eine leblose Gegend eingefallen.

Erschöpft streckte ich meinen Körper durch und nahm einen Schluck aus meinem Trinkschlauch, den ich am Bach aufgefüllt hatte. In diesem Moment, dem Moment der Stille, überkam mich wieder die Trauer, die ich tagsüber unterdrückt hatte. Warum musste das Hexenweib sterben? Und hatte der Mord etwas mit meinem Erscheinen in Hesana zu tun? So viele Dinge waren mir unerklärlich. Tränen schossen mir in die Augen und das anfängliche Seufzen verwandelte sich in heftiges Schluchzen. Mit zittrigen Händen griff ich nach dem kleinen leeren Beutel, der an meinem Gürtel hing, und hielt ihn vor meine Augen. Bestimmt war es Hexenkunst – oder Magie –, die dieses Beutelchen so leer erschienen ließ. Doch was hatte das alles zu bedeuten? Welche Antworten würde der Inhalt mir wohl liefern? Die Erklärung, warum sie sterben musste? Oder warum sie von meinen Träumen – und meiner sogenannten Bestimmung – wusste? Sie sprach von meinem Schwert und von der Geschichte, die an ihm haftete. Bei den Elfen, so sagte sie, würde die Geschichte beginnen, doch wo würde sie enden?

Nothon schnaubte unruhig auf und riss mich aus den Gedanken. Schnell befestigte ich den Beutel wieder am Gürtel und sah mich um. Nichts. Die Dunkelheit zwängte uns wie eine heranrückende Mauer ein, man war gefangen wie in einem Käfig, ohne jedes Geräusch oder irgendein Anzeichen von Leben. Nichts schien sich zu bewegen, kein Tier schien sich hier aufzuhalten, selbst die Baumkronen, die sich im Wind wiegten, schienen erstarrt zu sein.

Einzig die Angst war spürbar. Angst, die langsam von den Beinen über den Rücken in die Arme und in den Kopf stieg. Dieses Gefühl, dieses vertraute Gefühl, das mich nun überkam, deutete zweifellos auf etwas hin, was ein jeder Wanderer, Einsiedler, Händler oder Soldat fürchtete. Dieses Etwas waren sie, das kriegerischste Volk, sie, die keine Gnade kannten, sie, die einst als die Wächter der Wälder erschaffen worden waren: die Arasien.

Nothon reagierte, noch bevor ich es tat. Er stürmte los, als würde ein Hornissenschwarm sein Hinterteil umkreisen.

Ganz in der Nähe war es nun deutlich zu hören: ein unheimliches Geräusch, ein Brummen, ein Knurren, ein Fletschen der Zähne, ein Schlangenzischen – kaum eine Beschreibung traf auf jenes Geräusch zu, welches selbst den furchtlosesten Krieger erzittern ließ.

Und da erschienen sie zwischen den Bäumen, von allen Seiten stürmten sie herbei, die mannshohen Kreaturen, mit zackigen Schwertern bewaffnet und mit giftgelber Haut, die mit Ruß überzogen war. Die leuchtenden Augen funkelten abwechselnd in Gelb und Rot. Man sah ihnen die Gier an, Gier nach Vergeltung für all die Gräueltaten, die ihnen von Menschen und Elfen angetan worden waren.

Sie waren schnelle Läufer, selbst Nothon konnte sie nicht abschütteln. Vermutlich hatten sie uns schon von Weitem gesehen und eingekreist, denn nicht nur hinter uns und von beiden Seiten erschienen die Krieger, auch von vorne liefen sie nun auf uns zu, als würden sie die schlagkräftigen Hufe des Hengstes nicht fürchten.

Mit einem lauten Kampfruf zog ich mein Breitschwert aus der Scheide und hielt es jenen Arasien entgegen, die auf mich zustürmten. Als sie nahe genug waren, sprang ich aus dem Sattel und stieß mit meinen Füßen gegen den Kopf des ersten Angreifers.

Kaum war ich zu Boden gegangen und hatte den Arasier unter mir begraben, rollte ich mich zur Seite und schlug mit dem Schwert auf eine dieser Kreaturen ein.

Es folgte ein erbitterter Kampf, der nicht zu gewinnen war. Die Arasien waren uns um Vielfaches überlegen, sie waren ausgeruht und auf den Kampf vorbereitet. Ihre Schlagkraft war enorm, die Schwertführung präzise. In meinem Leben hatte ich schon viele Krieger getötet, doch das war nichts im Vergleich zum Kampf mit diesen Arasien. Ich wusste, wie man einen Gegner überwältigen und kampfunfähig machte, doch kostete mich hier ein gewonnener Zweikampf mehr Kraft als jeder andere zuvor.

Für einen winzigen Moment dachte ich an die Magie in meinem Körper, aber das Feuer würde diesen Gegnern kaum etwas anhaben können. Sie fürchteten die heißen Flammen nicht, und mich würde es all meine Kräfte kosten, auch nur einen Einzigen von ihnen durch Magie zu schwächen.

Bisher waren vermutlich nicht mehr als drei Arasien gefallen – und unzählige hinzugekommen, die mich nun hämisch grinsend umkreisten und mit lauten Kampfrufen einzuschüchtern versuchten. Ein kräftiger Krieger, dem ich gerade einmal bis zur Brust reichte, trat vor und schlug mit seiner breiten Doppelaxt auf mich ein.

Ich verfiel in Panik, meine Schläge fielen schwach und ungenau aus. All die Kraft, die mir noch geblieben war, setzte ich ein, um den Axthieben auszuweichen und einen günstigen Moment abzuwarten, in dem der Arasier ohne Deckung sein würde. Dann holte ich geschwind aus und schlug zu, doch das Schwert zitterte in meinen Händen, und sogleich umfasste ein Krieger mit seiner linken Pranke die Klinge und das Schwert und riss sie mir mit einem Ruck aus der Hand.

Verzweifelt griff ich nach meinem Rückenschwert, zog es aus der Scheide und stach auf den Arasier ein, der breitbeinig vor mir stand. Die Klinge bohrte sich in seinen Brustpanzer, doch der Arasier zeigte keine Spur von Schwäche oder schrie vor Schmerz auf, wie es ein Mensch getan hätte. Er sah mich lediglich mit seinen leuchtenden rot-orangen Augen an und grinste. Die anderen fielen in das Gelächter ein und schienen sich nicht weiter um mich zu kümmern. Ich wollte nach dem Schwert greifen, das noch immer in der Brust der riesigen Kreatur steckte, als mich ein Schlag von hinten traf und mich meiner Sinne beraubte.

Klangvolle Stille

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