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3. KAPITEL
ОглавлениеIch erwachte auf einem Bett aus Stroh, und der Raum, in dem ich mich befand, war in gedämpftes Tageslicht getaucht. Ganz in meiner Nähe waren Stimmen zu hören, und als ich die Augen einen Spalt zu öffnen wagte, sah ich Gestalten mit spitzen Ohren, die von den Haaren halb verdeckt waren. Elfen!
Erschrocken richtete ich mich auf. Aber die Bilder verschwammen vor meinen Augen, mir wurde schwindlig und ich spürte einen quälenden Kopfschmerz.
»Ruhig, langsam!«, sprach eine sanfte Männerstimme. Hände packten mich an den Schultern und drückten mich behutsam in das Bett zurück.
Nach einer Weile öffnete ich erneut die Augen und blickte mich genauer um. Ich befand mich offensichtlich in einem Zelt, draußen waren typische Stadtgeräusche zu vernehmen: lautes Reden, das Klappern der Holzräder und Pferdehufe über gepflasterte Straßen, die gleichmäßigen Schritte vorbeischreitender Soldaten.
Neben meinem Bett standen die Elfen, die mich erwartungsvoll und misstrauisch anblickten.
»Wo bin ich? Was ist geschehen?«, fragte ich verwirrt und tastete nach meinem Hinterkopf, wo ich die Wunde des Schlages spürte, der mich meiner Sinne beraubt hatte.
»Ihr seid in Sicherheit.« Einer der Elfen trat vor und warf mir einen feindseligen Blick zu. Kleine Falten umzogen seine Augen- und Mundwinkel, das kastanienbraune Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Aus der goldenen Uniform und all den Abzeichen auf der Brust schloss ich, dass es sich um einen höheren Offizier handeln musste. »Was passiert ist, wollen vielmehr wir von Euch erfahren!« Seine Stimme klang streng und fordernd.
»In Sicherheit, hm?« Langsam richtete ich mich auf und starrte dem Offizier in die Augen. »Ich sehe Hass in Euren Augen. Wie soll ich mich in Sicherheit fühlen können?«
Der Elf verzog gereizt den Mund. »Ihr seid nicht in der Position, Forderungen zu stellen!« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Wir haben Euch vor den Arasien gerettet, vor ihnen seid Ihr hier in Sicherheit. Nun sagt, wie seid Ihr in diese Lage geraten?« Er musterte mich und meine Kleidung, die noch immer unangenehme Gerüche verströmte.
»Ich war auf der Flucht vor den kaiserlichen Truppen. Im Wald war ich auf die Arasien gestoßen, gegen die ich mich zur Wehr setzen musste.«
»Zur Wehr setzen?«, spottete der Elfe. »Nur ein Narr würde sich auf einen Kampf gegen eine Horde von Arasienkriegern einlassen. Oder jemand, der auf der Flucht vor einer noch größeren Gefahr ist.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Des Kaisers Soldaten halten nicht viel von Fremden, erst recht nicht, wenn man ein Ausgestoßener ist.«
Der Elf nickte langsam und ging zu einem kleinen Tisch, auf dem auf einem weißen Tuch all meine Schwerter und Messer ausgebreitet lagen. »Ich frage mich – wenn es stimmt, was Ihr sagt –, wie kann ein Ausgestoßener, ein Einsiedler im Besitz eines so kostbaren Schwertes sein?« Der Offizier griff nach dem magischen Breitschwert, hielt jedoch inne, noch bevor seine Fingerspitzen den Griff berührten. Er lächelte, nahm ein Tuch und umfasste mit diesem das Schwert. Verblüfft zog ich die Augenbrauen hoch, was dem Elf ein triumphierendes Lächeln auf die Lippen zauberte. Er musste um den Zauber der Klinge wissen, denn jeder, der dieses Schwert mit der bloßen Hand anfasste, würde qualvolle Verbrennungen erleiden.
»Ein Ausgestoßener im Besitz einer so kostbaren Waffe – und er versteht sich auf Magie! Sagt mir, wer Ihr wirklich seid!«
Ich atmete tief durch, während ich mir eine Antwort überlegte, doch da entstand vor dem Zelt plötzlich Unruhe. Ein Stimmengewirr in einer fremden Sprache war zu vernehmen, ehe die Zeltwand aufgeschoben wurde und eine wunderschöne Elfe eintrat.
Das Schwarz ihrer Augen war von einem leuchtenden blauen Ring umrahmt. Ihre Haut war so hell wie der weiße Sand an den Nordmeeren, ihre schmalen Lippen schön geschwungen, das Haar war schwarz wie die Nacht und fiel bis über ihre Schultern. Unsere Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen. Sie sprach ein paar Worte, verfiel jedoch plötzlich in Schweigen und schien in eine andere Welt entrückt, so wie ich auch. All der Schmerz war von mir gewichen, die Sorgen vergessen, das Einzige, was zählte, war die zauberhafte Erscheinung der Elfe.
»Ihr wolltet etwas sagen, Sprecherin des Offizierstisches?«, sprach der Offizier die Frau mit leicht spöttischem Unterton an.
»Ja, ich…« Ihre Stimme war von solch schönem Klang, dass ich an jene engelsgleichen Erscheinungen denken musste, denen man nachsagt, sie würden die Seelen der Sterbenden bis zur Aufnahme ins Himmelsreich begleiten. »Wer ist der Fremde?«, fragte sie. »Wer seid Ihr?«
»Preston, ein vaterloser Sohn.«
Die Elfen wechselten beunruhigt einige Blicke, ehe die schöne Engelserscheinung fortfuhr. »Woher kommt Ihr?«
»Ich hatte in Hesana eine… Bekannte aufgesucht, ich wollte ihren Rat einholen, doch sie wurde in meinem Beisein ermordet. Daraufhin haben mich kaiserliche Soldaten verfolgt und ich musste aus der Stadt flüchten.«
Der Elfenoffizier hob verwirrt die Hand. »Euch haben die kaiserlichen Soldaten verfolgt – weil Eure Bekannte ermordet wurde? Hesana ist berüchtigt für die vielen Morde und Verbrechen, die auf offener Straße begangen werden – warum sollten die Soldaten an diesem einen Mord solch Interesse zeigen? Wer war Eure Bekannte?«
Nachdenklich zuckte ich mit den Schultern. »Ich weiß nicht, warum sich der Kaiser für sie interessiert hat, doch es waren die Rejèss, die den Mord in Auftrag gaben.«
»Die Rejèss?«, fragten der Offizier und die schöne Elfe wie aus einem Munde. »Wie hieß die Frau?«
»Ich kannte sie nur als das Hexenweib.« Dass sie eine Prostituierte war, behielt ich für mich.
Die beiden Elfenanführer zogen hörbar die Luft ein und hielten den Atem an.
»Dann ist es also wahr«, flüsterte die Elfe mit besorgter Stimme und legte ihre Hand auf die verschränkten Arme des Offiziers. »Haren, ruft die Hohen Offiziere zusammen, wir müssen den Offizierstisch einberufen.«
Der Angesprochene hob abwehrend die Hände. »Ich glaube nicht, dass wir einer Hure solche Bedeutung beimessen sollten.«
»Wagt es nicht, sie so zu bezeichnen!«, schrie ich den Elf wütend an und sprang vom Bett auf. Unbewusst hatte ich die rechte Hand ausgestreckt und fühlte nun in der Faust das vertraute Gewicht meines Breitschwertes, das durch die magische Bindung vom Tisch, wo Haren es abgelegt hatte, zu mir gelangt war.
Sogleich zogen auch die Elfenkrieger ihre Schwerter. Furcht und Fassungslosigkeit standen ihnen ins Gesicht geschrieben.
»Haltet ein!«, forderte die Elfe die Krieger auf und warf mir einen strengen Blick zu. »Auch Ihr!«
Widerwillig ließ ich die Klinge sinken und steckte sie in die Scheide, die nun an meinem Gürtel hing.
»Das magische Schwert, die Ermordung des Hexenweibes, die Tatsache, dass der Krieger allein unterwegs ist… wohl kaum handelt es sich dabei um Zufälle. Als Sprecherin des Offizierstisches fordere ich eine Zusammenkunft der Hohen Offiziere!«
Haren warf der Elfe einen zornigen Blick zu, ehe er mit schnellen Schritten vor das Zelt hinaustrat.
»Kommt.« Die Elfe nickte den verbliebenen Kriegern zu, welche die Waffen vom Tisch nahmen und hinaustrugen. »Wir müssen Euch die Waffen abnehmen, bis die Hohen Offiziere zu einem Entschluss gekommen sind. Da wir Euch Euer Breitschwert nicht nehmen können, bitte ich Euch, es verborgen zu tragen.« Ihre Stimme war ruhiger geworden und ihr Mund deutete ein leises Lächeln an.
Als wir das Zelt verließen, musste ich mich erst einmal an das grelle Licht im Freien gewöhnen. Es war ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag. Auf den Straßen war viel los: Bewohner der Stadt eilten geschäftig umher, Kutschen wurden von Pferden gezogen, Krieger liefen von Haus zu Haus. Viele waren stehen geblieben, um mich zu begaffen, doch sobald ich sie ansah, wandten sie den Blick ab oder steckten die Köpfe zusammen, um hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton über mich zu tuscheln.
»Es kommt nicht häufig vor, dass Ihr Fremde aufnehmt?«, fragte ich mit leicht ironischem Unterton.
»Oh, gewiss nicht. Ihr müsst wissen, seit Hunderten von Jahren lebt unser Volk verborgen in diesen Wäldern. Wir fürchten jeden Menschen, denn schon lange versuchen sie unsere Stadt aufzuspüren und uns anzugreifen. Die wenigen Händler und Reisenden, die unserem Volk vertraut sind, vermeiden es zumeist, sich als Menschen zu erkennen zu geben.«
»Wie das Hexenweib? War sie hier?«
»Ja, vor vielen Jahren. Sie muss schon recht alt gewesen sein, als sie starb.« Wir schritten die Straße entlang, gefolgt von mehreren Kriegern, deren Hände auf den Schwertgriffen ruhten.
»Sie war vierzehn Jahre alt, als sie mich in den Wäldern fand.«
»Preston, der auserwählte Findling im Wald, als Einsiedler aufgewachsen, verborgen vor jeder Menschenseele.«
»Sie sprach von mir?« Eine neue Welt tat sich mir auf. Erstmals schien jemand von meiner Existenz zu wissen, doch nicht nur dies: Ich hatte offenbar eine Bestimmung im Leben, von der ich nichts geahnt hatte. Doch was würde mich nun erwarten? Wer war das Hexenweib wirklich? Konnte ich überhaupt noch behaupten, sie gekannt zu haben? Sie war eine Vertraute der Elfen, gab mir ein magisches Schwert, das mich mit einem Schlag zu einem Auserwählten machte.
»Ich verstehe nicht…«
»Sie hat Euch nie davon erzählt?«, fragte die Elfe zaghaft.
»Sie war mir eine Mutter, und ich… ich war der Namenlose.«
»Ihr seid deutlich mehr als ein Namenloser – Ihr habt gegen die Arasien gekämpft und drei von ihnen bezwungen! Ich war bisher noch keinem Menschen begegnet, der dies vollbracht hat.«
»Wie vielen Menschen seid Ihr denn bisher begegnet?«
»Mit Euch sind es drei gewesen – und zwei davon waren Frauen.«
»Kanntet Ihr das Hexenweib auch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich war noch zu jung, als sie das erste Mal unsere Stadt aufsuchte. Niemand wusste, woher sie den Weg zu uns kannte, auch schien unsere Magier ihr nichts anhaben zu können, es war, als sei sie…«
»Eine Hexe«, beendete ich den Satz.
»Ja, eine Hexe«, bestätigte die Elfe und lächelte erneut. »Sie hat viele hoch gestellte Männer aufgesucht, und obwohl ein jeder wusste, dass sie eine Hure war – man sah es an ihrer Kleidung –, so schaffte sie es dennoch, von ihnen empfangen zu werden. Sie war auch bei einem alten Freund von mir, und der hat mir von ihr erzählt. Daher kenne ich ihren Namen und die Prophezeiung.«
»Prophezeiung? Welche Prophezeiung?«
Plötzlich wurde sie ganz ernst. »Darin sollen Euch die Hohen Offiziere einweihen.«
Fortan schwieg sie. Auf beiden Seiten der Straße ragten mehrstöckige Häuser empor, die alle zur Gänze aus Stein gebaut waren, nicht wie in Hesana, wo lediglich das Fundament und die Grundmauern steinern waren. Erstmals sah ich eine Stadt, deren Straßen frei von Müll und stinkenden Kloaken waren und in der niemand in Lumpen gehüllt herumlief. Auf dem Markt, an dem wir vorbeikamen, ging es friedlich zu – es gab keinen Streit, keine wüsten Beschimpfungen und niemand versuchte Waren zu stehlen. Die Spielmänner führten Kunststücke vor, es gab keine Sklaven, die an Pfosten gebunden waren und mit Abfällen beworfen oder verprügelt wurden. Diese Stadt inmitten des großen Waldes war ein Ort des Friedens, wie er in den gelehrten Schriften der Weisen so oft als Ideal beschrieben worden war. Hier, bei den Elfen, waren die Bürger frei. War dies der Friede, nach dem ich strebte? Konnte man hier ein Leben führen, wie ich es mir so lange ersehnt hatte? Hatten die Elfen eine Gesellschaftsordnung geschaffen, die allen ein glückliches Leben ermöglichte?
»Ihr seht überrascht aus.« Die Elfe holte mich in die Gegenwart zurück.
»Ich war noch nie zuvor… dies muss das Himmelsreich sein, wo die Gottheiten über die Geschöpfe wachen.«
»Wir leben in einer friedlichen Stadt«, antwortete sie stolz. »Doch sind Eure Worte nicht gar… übertrieben?«
»Ich bin schon vielen Kreaturen begegnet: Menschen, Bettas, Arasien, selbst mit den Renz hatte ich zu tun, doch so ein friedliches Zusammenleben hab ich noch nie gesehen – abgesehen von kleinen Dörfern in den Provinzen, wo man einander beisteht. Aber dies hier ist eine Stadt, eine riesige Stadt mit Hunderten Einwohnern.«
»Auch hier gibt es Streit und Elend. Es sind die Umstände, die unseren Zusammenhalt stärken. Außerhalb der Stadtmauern sind wir nämlich wehrlos. Wir leben inmitten eines Kaiserreichs, das uns feindlich gesinnt ist. In den Wäldern leben Arasien, und wie Ihr wisst, besteht zwischen uns seit Jahrhunderten erbitterter Hass. Um überleben zu können, sind wir Elfen aufeinander angewiesen.«
»Auch in den Menschenstädten ist man aufeinander angewiesen.«
»Gewiss, doch es ist noch etwas anderes, das uns verbindet«, sie senkte die Stimme und trat näher an mich heran. »Wir Elfen entstammen zwar unterschiedlichen Stämmen, doch haben wir alle dieselben Feinde: Arasien, Menschen und Bettas. Ihr Menschen kämpft zwar ebenfalls gegen die Arasien, doch sind sie keine wirkliche Bedrohung für euch. Die größte Bedrohung für die Stadtbürger im Kaiserreich ist, dass jemand sie um ihr Geld und ihren Besitz bringt.«
Ich musste lange über diese Worte nachdenken. Konnte wirklich nur ein gemeinsames Feindbild ein Volk einen?
An einer Straßenkreuzung bogen wir in die breite Hauptstraße ab. Mir stockte der Atem, als sich mir der Blick auf das prächtige Gebäude am Ende der Straße öffnete.
»Gefällt es Euch?«
»Ist dies der Königspalast?«
»Wir haben keinen König in Dagorra. Es ist unsere Stadtbibliothek – die größte, die je von Elfen erbaut wurde, weitaus größer als jene in Alphradon«, sagte meine schöne Begleiterin voller Stolz. »Aber Ihr habt nicht unrecht«, fuhr sie fort, als wir weitergingen. »Ursprünglich war es als Palast gedacht. Einer unserer früheren Könige – zu Zeiten, als Alphradon und Dagorra noch unter getrennter Krone geführt wurden – war ein begeisterter Schriftensammler. Sein Großvater hatte den Palast errichten lassen, und Ihr könnt Euch vorstellen, dass sich der gewaltige Bau über Jahre hinzog. Und so änderte der gelehrte König seine Pläne: Nur das oberste Stockwerk sollte der Königsfamilie zur Verfügung stehen, der Rest sollte die Werke der gelehrten Schreiber beherbergen und dem Volk zugänglich sein.«
»Ein König, der lieber ein Haus für Bücher als für sich selbst baut? So ein Mann hätte in einer Menschenstadt kein langes Leben zu erwarten.«
»Nun, den Aufzeichnungen zufolge war jener König eine Frau.«
»Würde man dann nicht Königin sagen?«
Die Elfe schüttelte den Kopf. »Nein, anders als in Alphradon waren in Dagorra Frauen als Herrscher damals noch verpönt. Es war unvorstellbar – und dennoch gab es sie. Jene weiblichen Könige mussten männliche Kleidung tragen, bekamen einen männlichen Namen, nur um keine Schande über unser Volk zu bringen.«
»Wie kam es dazu, dass eine Frau zum König gekrönt wurde?«
»Oh, zum einen lebte man damals recht zurückgezogen. Es konnte durchaus vorkommen, dass Mädchen als Burschen erzogen wurden, da jene mehr galten. Bis auf die eigene Mutter und die Hebamme wusste niemand davon. Zum anderen erwiesen sich manche Frauen als ausgesprochen führungsstark und waren in der Lage, dem Volk Schutz und Wohlstand zu garantieren. Wenn es keinen ebenbürtigen männlichen Gegenkandidaten bei der Königswahl gab, wurde eben diese Frau gekrönt.«
»Eine Frau sollte niemals geringer geachtet werden als ein Mann! Auch wenn ich die Arasien meide, so beeindruckt es mich, dass bei ihnen die Frau sogar einen höheren Stellenwert hat als der Mann, denn sie bringt neues Leben hervor, während er es nur zerstört.«
»Wenn nur alle Männer so denken würden! Noch heute gibt es in Dagorra kaum eine weibliche Führungskraft.«
»Doch Ihr scheint viel Einfluss und Macht zu haben.«
Die Elfe schenkte mir ein Lächeln, neigte jedoch den Kopf zur Seite. »Einfluss gewiss, doch nur in bestimmten Angelegenheiten. Macht habe ich keine.«
»Und dennoch brachtet Ihr den Offizier zum Schweigen.«
»Haren ist ein guter Mann, er ist sehr bemüht, unser Volk vor jeder Gefahr zu schützen.«
»Er wäre ein schlechter Wirt in einem Gasthaus für fremde Durchreisende.«
Erneut lachte die Elfe auf. »Ja, er hat nicht viel für Fremde übrig, doch wenn Ihr bedenkt, dass die meisten Fremden den Niedergang unseres Volks wünschen, dann würdet Ihr sein Misstrauen verstehen.«
Wir stiegen die breiten Stufen zur majestätischen Bibliothek empor. Zu beiden Seiten standen Wächter mit Lanzen so reglos da, als seien sie aus Stein gehauen.
Als wir das große Holztor am Ende der Treppe erreichten, klopfte die Elfe gegen einen Eisenring und wartete, bis ein kleines Guckfenster aufgemacht wurde und ein dürres Gesicht zum Vorschein kam. Die Augen des kleinen Kopfes huschten umher, dann verschwand das Gesicht, das Guckloch wurde zugeworfen und mit leisem Knarren öffnete sich eine Tür im Tor.
Die Elfe wandte sich den Kriegern zu, die uns begleitet hatten, und gab ihnen mit einem Nicken zu verstehen, hier die Stellung zu halten, während sie mit mir hineinging.
Hinter uns glitt die Tür wieder zu und ein kleiner Elf, der mir kaum bis zur Hüfte reichte, stellte einen Hocker vor das Guckloch. Dann deutete er uns mit seinem knochigen Finger, ihm zu folgen.
»Ist er ein Oronin?«, flüsterte ich der Elfe leise zu. Sie war über meine Frage etwas überrascht und antwortete ebenso flüsternd. »Ja, einer der wenigen, die noch nicht mit den Elfen verschmolzen sind. Ihr Name gerät zunehmend in Vergessenheit, da man das Volk Dagorras als den Oronin-Stamm bezeichnet. Sie, die kleinen Elfen, werden nur noch Elfchen genannt – obwohl sie selbst die Bezeichnung Ursprungselfen bevorzugen.«
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, gelangten wir in die hohe Halle der Bibliothek. Bei dem Anblick versagte mir die Stimme. Der Raum war eine gewaltige Kuppel, die bis zum Himmel emporzureichen schien. Überall standen hohe Regale, vollgestopft mit Büchern und Schriftrollen. Vor den Fenstern befanden sich Pulte, an denen Gelehrte saßen und Abschriften anfertigten. Noch nie zuvor hatte ich eine so große Ansammlung an Aufzeichnungen gesehen. Hier mussten Hunderte, wenn nicht Tausende von Schriften lagern.
Am anderen Ende des Raumes war ein langer Gang, von dem viele kleine Lesestuben wegführten, in denen überall Gelehrte saßen und unterrichteten, schrieben oder studierten.
Das Elfchen blieb schließlich vor einer prächtig verzierten Türe stehen und griff nach der Laterne, die an einem Eisenhaken neben der Pforte hing. Der Oronin schnippte mit den Fingern und schon entflammte der Docht der Laterne.
»Folgt mir!«, krächzte er in schrillem Tonfall und stieß die Türe auf.
Als wir in den dunklen Gang eintraten, knallte der kleine Elf die Türe hinter uns wieder zu und lief an die Spitze. Es war – bis auf den Schein der Laterne – stockdunkel.
Das Licht reichte gerade einmal aus, um zu erkennen, dass all der Prunk, welcher uns gerade noch umgeben hatte, verschwunden war. Der Boden war voller Staub, an der Decke hingen Spinnweben, von den Wänden bröckelte der Mörtel.
Wir schritten durch ein endloses Gewirr an Gängen. Recht schnell hatte ich die Orientierung verloren und ich gab mir Mühe, immer dicht bei der Elfenfrau zu bleiben, um ja nicht zurückzufallen.
Schließlich gelangten wir in einen Gang, der heller beleuchtet war. Vor einer wuchtigen Holztür standen zwei Wachen, die dem Oronin zunickten und zur Seite traten, ehe sich die Tür wie durch magische Hand auftat.
Wir passierten den Eingang und das kleine Elfchen verließ uns mit einer knappen Verbeugung.
Der Vorraum war zwar düster, doch gab es hier einen kühlen Windhauch, der Frischluft zuführte.
Die Elfe schritt an mir vorbei und trat in den nächsten Raum, inmitten dessen ein großer schöner Holztisch stand, an dem mehrere Offiziere saßen – unter ihnen auch Haren. Als sie uns sahen, erhobenen sie sich und verharrten in einer Verbeugung. Auch wir verbeugten uns, ehe die Elfe mich anwies, mit ihr am Ende des Tisches Platz zu nehmen.
»Bitte, setzt Euch.« Haren wies auf die beiden freien Stühle. Als alle saßen, fuhr der Offizier fort. »Nun, ehrenwerte Sprecherin, verkündet dem Offizierstisch den Grund der Einberufung.«
Die Elfe ließ ihren Blick über die versammelten Männer schweifen, ehe sie das Wort ergriff. »Es freut mich, dass ihr so schnell kommen konntet. Rasches Handeln ist angesagt.« Sie atmete tief durch. »Vor einigen Jahren kam eine Fremde in unsere Stadt. Sie verkündete eine Prophezeiung, der keiner Glauben schenken wollte.«
»Meint Ihr die Hure? Diese Hexe?«, warf ein kräftig gebauter Offizier ein. Noch ehe ich ihn anschreien konnte, fuhr Haren dazwischen. »Das Hexenweib, ja. Einige von uns haben sie selbst erlebt, andere haben nur die Berichte gelesen.«
»Für jene, die sich nicht mehr erinnern können: Das Hexenweib war gekommen, um unser Volk zu warnen. Es hieß, ein junger Krieger, den sie selbst aufziehen würde, sei in den Wäldern des Nordens geboren worden. Würde der Kaiser unser Volk einmal vernichten wollen, so wäre dieser Junge unser Verbündeter, unsere Hoffnung. Einige Jahre später, als sie abermals zu uns kam, sprach sie von einem Schwert.«
»Es sind die Schwerter… Von einem Schmied geschmiedet… Die Klinge den Träger krönt… Der Eine unterdrückt, der Andere befreit… Wir alle kennen diese Verse«, äußerte sich ein weiterer Offizier herablassend.
Die Elfe warf ihm einen wütenden Blick zu, dann fuhr sie fort. »Das ist kein bedeutungsloses Gedicht! Sie sagte, es werde die Zeit kommen, da der Kaiser die Macht an sich reißen und die großen Völker vernichten wollen wird.«
»Das zu prophezeien ist keine Kunst. Mandossar war schon immer machtbesessen. Wir alle hätten das voraussagen können, doch ist selbst er nicht in der Lage, alle Völker zu vernichten.«
»Es hat bereits begonnen. Wie viele Arasien durchstreifen noch unsere Wälder? Unsere Kundschafter und Spione haben selbst berichtet, dass der Kaiser dabei ist, eine Armee zusammenzustellen, die einer jeden Streitmacht überlegen ist.«
»Das sind doch alles nur Vermutungen«, wandte ein weiterer Offizier ein.
»Vielleicht, doch lasst mich Folgendes berichten: Dieser Mann hier hat das Hexenweib in Hesana aufgesucht, kurz darauf wurde sie auf Geheiß der Rejèss ermordet.«
»Wer behauptet das? Er?« Empört schleuderten sie mir Beschimpfungen entgegen.
»Ruhe!«, polterte Haren. »Ihr behauptet also, die Rejèss sind für ihren Tod verantwortlich? Wie verlässlich ist Eure Quelle?«, fragte er mich.
»Es gibt keinen Grund, warum der Mann, der es mir verriet, lügen sollte. Als ich die beiden Attentäter verfolgte, waren Dutzende Soldaten – und Paladine – hinter mir her. Sie verfolgten mich, bis ich sie im Wald in der Dunkelheit abschütteln konnte.«
»Ein einzelner Mann? Wie konntet Ihr den Stadtwachen entkommen? Und wie in der Nacht die Stadtmauern überwinden?«, fragte Haren zweifelnd.
»Durch Magie. Ich sprang in den Wassergraben hinunter und entschwand in der Dunkelheit.«
»Das erklärt zumindest den Gestank«, witzelte einer der Offiziere und löste damit Gelächter aus.
»Verzeiht meine Offenheit«, meldete sich ein recht junger, gutaussehender Offizier zu Wort. »Ihr seht wie ein kräftiger Krieger aus, und ich zweifle auch nicht an Eurem Mut. Dass Ihr über Magie verfügt, ist eine seltsame… Fügung des Schicksals, doch – wenn ich mir erlauben darf, dies zu sagen – glaube ich nicht daran, dass Ihr den Stadtwachen entkommen konntet.«
Nachdenklich legte ich die Stirn in Falten. Der junge Elf schien Gründe für seine Skepsis zu haben, denn anders als die anderen Offiziere zweifelte er nicht an meinen Fähigkeiten. »Was bewegt Euch dazu, dies zu vermuten?«
»Oh, schon mehrmals wurden unsere Spione in den Städten der Menschen enttarnt, doch nur sehr wenigen gelang die Flucht – und sie waren alle kampferprobte Krieger. Ich glaube vielmehr, dass man Euch entkommen lassen wollte.«
»Das erklärt jedoch nicht, warum sie mir sämtliche Stadtwachen auf den Hals gehetzt haben.«
»Wie Ihr schon sagtet, innerhalb der Stadtmauern sind die Wachen für Eure Festnahme verantwortlich, außerhalb jedoch die kaiserlichen Truppen. Es stimmt also, was Ihr sagtet – die Rejèss oder gar die Blutigen Schneiden werden für Eure Verfolgung verantwortlich gewesen sein.«
»Ihr meint, sie wollten mir folgen?«
»Gewiss war es kein Zufall, dass das Hexenweib ausgerechnet an jenem Tag ermordet wurde, an dem Ihr sie aufgesucht habt.«
»Wir hätten seine Verfolger aufgespürt!«, widersprach Haren in strengem Ton. »Außer den Arasien, die wir alle niedergemetzelt haben, war niemand im gesamten Gebiet zu sehen. Aber wir haben Späher ausgeschickt, die erkunden werden, was in Hesana tatsächlich geschehen ist.«
»Sie haben unserem Freund hier vielleicht keine Soldaten nachgehetzt, doch traue ich ihnen zu, dass sie ihn mit einem Magiebann belegt haben.«
Plötzlich trat Schweigen ein. Alle hielten den Blick starr auf mich gerichtet, während mir das Blut in den Adern gefror. »Einen solchen Magiebann hätte ich gefühlt!«
»Wir alle wissen, dass erfahrene Magier zu unerklärlichen Dingen fähig sind.«
»Ihr hättet ihn genauso wie die Arasien töten sollen, Haren!«, fuhr der kräftige Offizier dazwischen. Die Männer waren nun aufgesprungen und diskutierten wirr durcheinander. Immer wieder deuteten sie auf mich oder warfen mir abschätzige Blicke zu. Einzig die Elfe schien ruhig zu bleiben. Sie sah mich an, lächelte und griff nach meiner Hand, die ich jedoch erschrocken zurückzog.
Schließlich klopfte der junge Offizier – welcher als Einziger mir gegenüber nicht feindlich gesinnt war – mit einem harten Gegenstand mehrmals auf den Tisch. »Ich bezweifle, dass Zeit für Streitereien bleibt, wenn unsere schlimmsten Befürchtungen eintreffen.«
»Erzählt uns, Marth, was sind unsere schlimmsten Befürchtungen?«
»Dass die Worte des Hexenweibs wahr sind.«
»Das sind nicht unsere Befürchtungen!«
»Das sollten sie jedoch sein! Ich scheine hier der Einzige zu sein, dem die Häufung seltener Zufälle zu denken gibt.« Eine Weile herrschte Schweigen, dann setzten sich wieder alle auf ihre Stühle und warteten gespannt, dass der Elf fortfuhr. »Das Hexenweib wird an jenem Tag getötet, an dem ein uns fremder Mann sie aufsucht. Ihre Ermordung erweckt ungewöhnlich viel Aufsehen bei den Stadtwachen, und vermutlich steckt sogar die Leibgarde des Kaisers hinter dem Attentat! Kurz darauf durchquert der fremde Mann unsere Wälder. Wäre er auf der Flucht, hätte er diese Region gemieden, da ein jeder weiß, dass hier Arasien leben. Dieser Fremde trägt ein Schwert bei sich, obwohl man ihm all seine Waffen abgenommen hat! Es ist keine gewöhnliche Klinge, sondern ein kostbares Schwert mit goldener Scheide. Wenn er, wie er sagt, ein Einsiedler ist, wie kommt er dann in den Besitz dieses Schwertes?
Wenn wir uns an die letzte Begegnung mit dem Hexenweib erinnern – oder an die Aufzeichnungen darüber –, so sprach sie von einem edlen Schwert, das durch Magie an den Träger gebunden sei. Sie sagte voraus, dass es Krieg geben würde, sobald der Träger hier erscheine. Doch anstatt ihn aus unserem Reich zu verbannen, sollten wir ihn zu unserem Anführer küren, denn er trägt all unsere Hoffnung.«
Eine ganze Weile sprach niemand ein Wort. Alle waren in Gedanken versunken, und selbst ich grübelte über das Gesagte nach. Schließlich durchbrach der kräftige Offizier, der gegen mich Stimmung gemacht hatte, die Stille. »Es deutet nichts auf diesen Krieg hin. Wo ist die Armee, die uns angreifen soll?«
Haren erhob sich langsam von seinem Stuhl und schritt den Tisch ab. »Unsere Späher haben von einem Heer berichtet, das von Süden aus auf dem Weg nach Norden ist. Sie würden Katapulte, Bogenschützen, Reiter und Magier mit sich führen – sie sind gerüstet für die Eroberung einer Stadt.«
»Wann gedachtet Ihr uns denn dies zu erzählen?«, fragte die Sprecherin wütend.
»Die Späher waren sich der Sache nicht ganz sicher! Sie sind abermals ausgeritten, um zu überprüfen, ob das wirklich zutrifft. Wir alle wissen, welche Panik im Volk ausbrechen würde, wenn wir von einer Bedrohung berichten, die vielleicht gar nicht vorhanden ist!«
»Ob wir der Prophezeiung nun Glauben schenken wollen oder nicht, unsere Verteidigung ist auf jeden Fall geschwächt. Das Elfenvolk hat zu viele Jahre in Frieden verbracht, kaum einer von den Bürgern ist je in eine Schlacht gezogen. Wir sind nachlässig geworden und sollten uns unbedingt für einen Kampf rüsten, denn wie es aussieht, ist für den Kaiser nun ein günstiger Zeitpunkt gekommen, unser Volk anzugreifen – und dass er dies eines Tages tun wird, wissen wir. Wir können zwar einzelne Wanderer durch unseren Schutzzauber in die Irre leiten, doch sind wir gegen ein großes Heer, das Magier mitführt, machtlos.«
Es wurde eifrig getuschelt, selbst Haren war an seinen Platz zurückgekehrt und beriet sich mit seinen Sitznachbarn. Schließlich erhob sich die Elfe an meiner Seite und gebot mit einem Wink ihrer Hand Ruhe. »Als Sprecherin des Offizierstisches bitte ich um eine Abstimmung darüber, ob sich unsere Stadt für eine Schlacht rüsten sollte.« Die Abstimmung verlief überraschend eindeutig. Selbst der eine Offizier, der der Elfe und dem jungen Offizier stets widersprochen hatte, stimmte zu.
»Ich danke für eure Offenheit. Es gibt jedoch noch eine weitere Sache, die es zu besprechen gilt«, fuhr die Elfe fort. »Wenn die Prophezeiung zutrifft und eine Schlacht bevorsteht, so sollten wir diesen Mann nicht mehr als einen Fremden, einen Feind behandeln!«
»Und ihn stattdessen zu unserem Anführer ernennen? Selbst unser besonnener Freund Marth hat gesagt, es wäre möglich, dass sein Kommen den Standort unserer Stadt verrät!«, antwortete der kräftige Elf mit selbstbewusster Stimme und deutete mit abwertender Geste auf mich.
»Da war ich noch nicht im Besitz aller Informationen. Aber wenn selbst der Feind davon überzeugt ist, dass dieser Mann der Auserwählte ist, warum sollten wir daran zweifeln?«, gab Marth zurück.
»Warum sollten wir ihm trauen?«
»Weil ich…«, rief ich laut in die Runde und ergriff erstmals wieder das Wort. »Weil ich an eurer Seite kämpfen werde. Die kaiserlichen Soldaten haben mir den einzigen Menschen genommen, der mir wichtig war, der mir nahe stand. Kurz bevor das Hexenweib starb, gab sie mir die Anweisung, die Elfen aufzusuchen. Sie sagte, mein Schwert berge eine Geschichte, die hier in Dagorra beginnt. Zuvor hatte ich nichts von dieser Bestimmung gewusst, aber nun bin ich bereit alles zu tun, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Ich bin auf ihr Geheiß hier, nicht weil ich selbst es wollte!
All die Jahre über hatte ich das Hexenweib für eine… Hure gehalten, doch nun scheint mir, als wäre sie alles andere als das gewesen. In den letzten Tagen hatte ich seltsame Träume von Elfen – obwohl ich nie zuvor einen von eurem Volk gesehen hatte. Ich war nach Hesana gekommen, um mit dem Hexenweib darüber zu reden. Kurz darauf…« Mir versagte die Stimme. Ich holte tief Luft und fuhr fort. »Die Soldaten jagten mich durch die Stadt, als wäre ich schuld an diesem Verbrechen! Warum geschieht dies alles? Und warum begegnet ihr mir mit Hass, wo ich doch nur die Wahrheit spreche und keine Gefahr für euch darstelle!«
Erneutes Schweigen. Man warf einander vielsagende Blicke zu, die ich nicht zu deuten wusste, und mir schien, als würden sie mir noch etwas vorenthalten.
»Ihr wisst nichts über die Prophezeiung des Hexenweibs?«, fragte die Elfe mit sanfter, jedoch ernster Stimme.
»Sie sagte, dieses Gedicht – wie ihr es nanntet – sei kein Gedicht. Und dass mein Schwert mein Schicksal bestimme.«
»Es sind die Schwerter… Von einem Schmied geschmiedet… Die Klinge den Träger krönt… Der Eine unterdrückt, der Andere befreit…«, wiederholte die Elfe langsam. »Das Hexenweib hat die Schlacht vorausgesagt, und wenn sie komme – und ein erneuter, verheerender und vermutlich letzter Krieg der Völker ausbricht –, so müssten wir den Träger des prachtvollen Schwertes zu unserem König krönen, denn einzig er sei fähig, dem Kaiser die Stirn zu bieten. Einzig er sei in der Lage, die Völker zu vereinen.«
Heftige Diskussionen brachen los, kaum einer der Männer war auf seinem Stuhl sitzen geblieben, alle waren aufgesprungen, um mit ausladenden Gesten das Gesagte zu unterstreichen.
Haren erhob sich schließlich und schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass das Holz gefährlich krachte. »RUHE!«, schrie er mit polternder Stimme in die Runde, Zornesröte war ihm ins Gesicht gestiegen. »Dies ist der Offizierstisch! Eine Ratsversammlung – kein Marktplatz, wo man sich wegen Betrügereien die Köpfe einschlägt!«
Niemand wagte dem Elf ein Wort zu entgegnen. Trotz seines Alters wirkte er furchteinflößend.
»Noch ist nichts entschieden! Wir rüsten unsere Stadt auf und treffen alle Vorkehrungen. Sollte sich die Prophezeiung des Hexenweibs erfüllen…«, er nahm einen tiefen Atemzug, »so liegt es nicht mehr in unserer Hand, darüber zu entscheiden. Sollte dieser Fremde der Auserwählte sein, so liegt es am Königshaus, über sein Schicksal zu entscheiden. Bis dahin hat er uns Treue zu schwören und uns im Falle einer Schlacht beizustehen.«
»Ihr vertraut diesem Fremden?«, rief der muskulöse Offizier überrascht dazwischen.
»Niemand hat Euch aufgefordert zu sprechen, Parmun!« Haren funkelte den Elf mit seinen düsteren Augen an. »Ich vertraue keinem Menschen – selbst einem Einsiedler nicht, doch befürchte ich, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als darauf zu hoffen, dass Ihr, Preston, unserem Volk beisteht!« Der Elf sah mich auffordernd an, als erwarte er meine Zustimmung.
»Verzeiht, dass ich spreche, Herr.« Pramun räusperte sich, sichtlich in seinem Stolz verletzt. »Wie wollt Ihr wissen, dass dieser Fremde sich nicht den kaiserlichen Truppen anschließt, sobald sie unsere Stadt angreifen – sofern sie überhaupt einen Angriff planen?«
»Ich vertraue auf seine Vorstellungskraft, was wir mit ihm anstellen würden, wenn er dies beabsichtigt.« Haren warf mir einen drohenden Blick zu und deutete der Elfe, das Wort zu ergreifen.
»Möge die Versammlung für den heutigen Tag beendet sein.« Die Elfe erhob sich und verbeugte sich mit einem knappen Nicken.
Ein kühler Abendhauch wehte, als ich mit der Elfe vor die Bibliothek hinaustrat. Sie blieb für einen Moment stehen und blickte über die Dächer der Häuser hinweg. Ihre Stirn war sorgenvoll gerunzelt, ein Zucken der Mundwinkel verriet, dass sie intensiv nachdachte.
»Ihr glaubt an diese Prophezeiung, nicht wahr?«, fragte ich leise.
»Sie war nicht einfach nur eine Hure, die unser Reich durchquerte.«
»Gewiss würde es auch den Menschen schwer fallen, jemandem zu vertrauen, der verkündet, dass man sich dem Angehörigen eines anderen Volker unterwerfen muss. Gibt es eigentlich noch eine weitere Vorhersage des Hexenweibs?«
Die Elfe zog die Schultern hoch und atmete tief durch. »Sie sagte, es würde der Tag kommen, an dem sich unser Volk mit den Arasien verbünden müsse.«
Überrascht hob ich die Augenbrauen. »Arasien und Elfen vereint? Eine absurde Vorstellung!«
»Das hat unser Vertrauen in sie zerstört.«
»Preston!« Marth, der junge Offizier, kam aus der Bibliothek gelaufen und winkte uns zu. »Ich hatte gehofft, Euch noch anzutreffen.« Er musterte mich gründlich, bevor er fortfuhr. »Leider hatte ich nie die Gelegenheit, das Hexenweib persönlich kennenzulernen, doch las ich all die Aufzeichnungen, die wir über sie haben. Sie beschrieb Euch als einen jungen, tüchtigen Krieger. Obwohl jeder unserer bestausgebildeten Soldaten es mit Eurer Schwertkunst aufnehmen könnte, seid Ihr dennoch der Einzige, der sich als unser Anführer – unser König – erweisen wird können. Einzig Ihr könnt der König der Vereinten Völker werden.«
»König der Vereinten Völker? Das hört sich so dramatisch an«, entgegnete ich.
»Dies sind nicht meine Worte. Das Hexenweib hat davon gesprochen. Ich frage mich, was Euch so besonders auszeichnet.«
»Ich wusste nichts von der Prophezeiung oder meinem Schicksal! Zwar bin ich nun ein Freund Eures Volkes und werde im Falle einer Schlacht – möge sie nicht kommen – an Eurer Seite kämpfen, doch sobald sich die Prophezeiung als Trug erweist, werde ich in mein altes Leben zurückkehren.«
Meine Worte mussten den jungen Offizier amüsiert haben, denn anstatt Protest einzulegen, lachte er laut auf und schüttelte den Kopf. »Ihr missversteht mich, Preston. Ich zweifle nicht an Eurer Treue oder Eurem Eigensinn! Genauso wenig wie ich an der Prophezeiung zweifle, denn die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass Zufälle nie in solchem Ausmaß auftreten. Nein, Ihr seid der Auserwählte. Doch was macht Euch so besonders? Was habt Ihr erlernt, das uns fehlt? Ihr kanntet das Hexenweib, was hat sie Euch erzählt oder gelehrt?«
Nachdenklich warf ich den Kopf zurück. Zweifellos war Marth der einzige männliche Elf, der mir und dem Hexenweib Vertrauen schenkte. Seine Frage war keine Kritik an meinen Fähigkeiten, sondern Neugier an meiner Vergangenheit. »Sie hat nie ein Wort über diese Prophezeiung verloren. Vor dem Tag, an dem sie ermordet wurde, hatten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Als ich noch jung war, hat sie mich einmal auf eine Reise mitgenommen. Sie wollte, dass ich lerne, die Menschen nicht nach ihrer Herkunft zu beurteilen. Sie lehrte mich, dass Wohlstand nicht durch Besitz erlangt wird, dass man Gerechtigkeit nicht durch Gesetze, sondern Nachsicht und Verzeihen schafft. Auf der Reise erlernte ich die Schrift und verschiedene Handwerke. Wir hatten mit Händlern, Kaufleuten, Reisenden, Beamten, Handwerkern, Dienern, Knechten, Huren und Bettlern zu tun. Doch nie hatte ich den Eindruck, dass irgendeine spezielle Absicht dahinter stand. Nie wollte sie mich… auf etwas vorbereiten, wie Ihr es vermutet.«
»Was wäre, wenn doch? Was wäre, wenn sie diese Reise mit Euch angetreten hat, damit Ihr bestimmte Erfahrungen macht und Euch besonderes Wissen aneignet?«
»Das hätte sie dann alles jedoch schon lange im Vorhinein planen müssen!«
»Das hat sie gewiss getan, sie war sehr jung, als sie unsere Stadt zum ersten Mal aufgesucht hat.«
»Wie hätte sie so weit in die Zukunft blicken können?«
»Vielleicht, weil sie etwas wusste, das uns verborgen ist.«
»Ich hätte ja auch sterben können, und dann wären all ihre Bemühungen und Vorbereitungen vergebens gewesen.«
»Sterben?« Marth zog mit gespielter Überraschung die Augenbrauen zusammen. »Ich dachte, die Gottheiten würden über Euch wachen, wie könntet Ihr dann sterben?«
»Die Gottheiten? Hat sie das so gesagt?« Verblüfft fuhr ich mir mit den Händen durchs Haar.
»Sie meinte, dass über Euch gewacht werde – sofern Ihr je zu uns gelangt.«
»Was meint Ihr damit?«
Der junge Offizier wechselte mit der Elfe einen Blick. »Ihre Prophezeiung war stets an eine Gegebenheit gebunden. Einzig diese eine Sache würde darüber entscheiden, ob Ihr der Auserwählte seid oder doch nur ein gewöhnlicher Einsiedler.«
»Welche Gegebenheit?« Allmählich wurde ich ungeduldig.
»Mandossar müsse unsere Stadt angreifen, nachdem er zuvor die meisten Arasienstämme aus unseren Wäldern vertrieben habe.«
»Und?«
»Die Arasienstämme wurden bis auf eine einzige Ausnahme vernichtet«, erklärte die Elfe mit besorgter Miene.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Dass all jene Arasien, die wir aufspüren konnten – auch jene, die Euch angriffen – einem einzigen Clan angehörten.«
»Einem Clan?«
»Ein Clan ist die Vereinigung einiger Stämme«, erklärte die Elfe.
»Das weiß ich! Doch warum nur ein Clan?«
»Selbst die klügsten Köpfe unserer Stadt haben darüber nur Mutmaßungen treffen können«, antwortete Marth.
»Es besteht ein altes Bündnis zwischen diesem Clan und den Menschen, das vor etwa drei Jahrzehnten neu besiegelt wurde.«
»Da ungefähr müsste ich geboren worden sein«, flüsterte ich leise. »Doch von diesem Bündnis – sofern es noch heute besteht – wissen die Bürger der Städte des Westlichen Reichs nichts. Andernfalls hätte ich davon erfahren.«
»Wir nehmen auch nicht an, dass die Menschen davon wissen. Einzig der Kaiser und seine engsten Berater sind darin eingeweiht.«
»Warum sollte sich der Kaiser mit den Arasien verbünden?«
»Kaum war das Bündnis geschlossen, konnte dieser eine Clan seinen Einfluss erweitern. Inzwischen kontrolliert er die gesamten nördlichen Wälder.«
»Lieber ein starker Verbündeter, den man zu beeinflussen weiß, als ein schwacher Feind«, fuhr die Elfe fort.
»Dann hattet Ihr recht.« Angst bohrte sich in meinen Körper wie die Krallen eines Renz. »Die Rejèss brauchten mich nicht weiter zu verfolgen – sie haben mich fliehen lassen, weil sie wussten, die Arasien würden mich aufspüren.«
»Vermutlich«, antwortete Marth nachdenklich. »Wie dem auch sei… Es scheint dir eine schwere Zeit bevorzustehen, Shania, Sprecherin des Offizierstisches.«
Die Elfe schien nicht minder überrascht als ich. »Was meinst du damit?«
»Der Kaiser tut sich mit einem mächtigen Arasienclan zusammen, beherrscht bald die Wälder des Nordens, wo eine junge Frau ein Kind, verborgen vor den neugierigen Blicken der Menschen, aufzieht, um wenige Jahre später durchs Reich zu ziehen und eine Prophezeiung zu verkünden. Sie spricht von einem magischen Schwert, das den Träger krönt.
Und eines Tages kommt alles so, wie sie es vorhergesagt hatte. Preston muss nun zu unserem König geleitet werden, und dies wird wohl kaum Parmun übernehmen! Du eignest dich für die Reise hervorragend, Shania Vahn. Es ist Zeit für mich zu gehen. Wir sehen uns morgen?« Er hob den Arm zum Abschiedsgruß. »Preston, es war mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.« Dann wandte er sich um und lief die Stufen hinunter.
»Was meinte er damit? Warum eignet ausgerechnet Ihr Euch hervorragend für die Reise«, fragte ich, als der Elf verschwunden war.
»Ich stamme aus einer alten Handelsfamilie. Meine Vorväter stammen aus Alphradon, dem Königssitz. Als Sprecherin des Offizierstisches habe ich zugleich auch ein Botschafteramt inne. Kommt, Ihr habt bestimmt Hunger!«, wechselte sie das Thema und schenkte mir ein warmes Lächeln.
Erst jetzt bemerkte ich das Grummeln meines Magens. »Ja, meine letzte richtige Mahlzeit liegt einige Tage zurück.«
Wir gingen durch die Straßen zu einer kleinen Schenke, wo die Elfe um etwas Brot, Wurst, Käse und Met bat. Da man mich mit abschätzigen Blicken und drohenden Gesten aus dem Wirtshaus scheuchte, verspeisten wir das karge Mahl unterwegs. Die Elfe war von Eifer gepackt und wollte mir die Stadt zeigen, doch ich lehnte ab. »Mir scheint, als würde ich noch einige Tage Eure Gastfreundschaft genießen dürfen, doch für heute soll es genug sein. Mir ist nach Schlaf, denn die Anstrengungen meiner Flucht machen mir noch immer zu schaffen.«
»Natürlich, kommt, ich bringe Euch zu Eurer Unterkunft.« Bei der nächsten Querstraße bogen wir nach Norden ab. Die Straßen begannen sich nun langsam zu leeren, alle eilten in ihre Häuser, sperrten Tür und Fensterläden zu und begaben sich zur Nachtruhe. Die Wächter schritten in kleinen Gruppen die Hauptstraßen ab, die Späher verließen ihre Wachtposten auf den Türmen und selbst die Miliz verschwand in den Gemeinschaftshäusern.
Der Himmel verdunkelte sich rasch und schließlich erreichten wir eine kleine Scheune. Die Elfe öffnete die knarrende Tür und verschwand im Inneren.
Als auch ich eintrat, schlug mir der Duft von geschnittenem Gras und Stroh entgegen. Das Scharren von Pferdehufe auf dem erdigen Boden wart zu hören, und aus dem hinteren Teil der Scheune drang ein leises Wiehern.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann Ihr Euch wohl erkundigen würdet«, erklang die schöne Stimme der Elfe aus der Dunkelheit.
»Erkundigen? Wonach?«
»Ihr seid nicht alleine von Hesana gekommen.«
»Oh, Ihr meint mein Pferd! Er ist ein starrköpfiger Hengst, doch bisher fand er sich immer zurecht – und es würde mich nicht wundern, wenn er bereits vor Euren Toren aufgekreuzt ist.« Vergeblich versuchte ich die Umrisse der Elfe in der Dunkelheit auszumachen.
»Ihr habt ein sehr eigensinniges Pferd! Kurz nachdem unsere Krieger Euch hierher gebracht hatten, marschierte dieser Hengst vor unserer Stadtmauer auf. Die Torwachen wollten ihn einfangen, doch es gelang ihnen nicht und Euer Hengst ist durch unsere Stadt gestürmt. Nur mit der Hilfe einiger Stallburschen und dem Charme eines weiblichen Reittiers war er zu bändigen.«
Ich musste laut auflachen. »Der Charme eines weiblichen Reittiers? Nothon konnte dem Duft einer Stute noch nie widerstehen!«
»Nein, keine Pferdestute, seht selbst!«
Die Elfe entzündete eine Kerze, schritt an mir vorbei und näherte sich einem weißen Pferd. Doch als sie die Kerze in die Höhe hielt, erschrak ich beim Anblick dieser gewaltigen Kreatur. »Das ist ein Einhorn! Ihr habt eines der Einhörner gefangen!«, schrie ich entgeistert auf.
»Ihr scheint Euch zu fürchten!«, stellte die Elfe mit sichtlicher Genugtuung fest.
»Das sind mörderische Geschöpfe! Sie sind gefährlich!« Unsicher war ich einige Schritte zurückgewichen.
»Es sind prachtvolle Geschöpfe! Nur wenige von ihnen haben überlebt. Dieses Tier gehörte einst meinem Vater, er hatte es meiner Mutter zur Hochzeit geschenkt.«
Vorsichtig näherte ich mich dem Schein der Kerze – das Tier niemals aus den Augen lassend.
Nun war ich nahe genug, um die ausgestreckte Hand vor die Nüstern dieses geheimnisumwitterten Tieres halten zu können.
»Habt keine Furcht, es ist ganz zahm.« Die Elfe nahm meinen Arm und zog ihn näher an das Einhorn heran. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über seinen langen Kopf.
Man konnte die Anmut und Kraft des Tieres spüren. Vorsichtig griff ich nach dem Horn und meine Finger spürten unzählige kleine Einkerbungen, die von zahlreichen Kämpfen herrühren mussten.
»Dieses Einhorn war einst ein Krieger?«, fragte ich leise, als fürchtete ich, den Zorn des Tieres zu erwecken.
»Es ist ein Schlachtross«, antwortete die Elfe genauso leise und legte ihre Hand auf die meine, welche noch auf der Stirn des Einhorns ruhte. Etwas unsicher zog ich meine Hand zurück und wandte den Kopf zur Seite. Zwar war es in dem Stall beinahe stockdunkel, doch vermied ich es dennoch, der Elfe in die Augen zu blicken.
»Habt Ihr es bereits in eine Schlacht geführt?«, fragte ich, um die Situation zu überspielen.
»Nein, ich wurde zwar zur Kriegerin ausgebildet, doch konnte ich mich bislang von den Kampfhandlungen fernhalten.
»Dann werdet Ihr bald Gelegenheit haben, dies nachzuholen.« Noch ehe die Elfe antworten konnte, schnaubte ein weiteres Tier unruhig auf. »Nothon! Dachtest du etwa, ich hätte dich vergessen?« Ich lief auf meinen schwarzen Hengst zu und kaum berührte ich seine Nüstern, schob er mir den Kopf entgegen und schmiegte sich mit aller Kraft an meinen Körper.
Es war finstere Nacht, als wir ins Zentrum der Stadt ritten. Nicht selten redeten uns Soldaten oder Nachtwächter an, doch kaum erblickten sie das weiße Einhorn, stellten sie keine Fragen mehr und wichen zur Seite.
Schließlich zügelte die Elfe ihr Reittier und wartete, bis ich zu ihr aufgeschlossen hatte. »Seht Ihr die Bäume am Rande des Weges?«
Ich hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Man konnte vage die Umrisse großer Eichen erkennen, die den breiten, geschotterten Weg säumten.
»Ursprünglich war dies unser Stadtgarten«, erklärte die Elfe mit gewissem Stolz. »Doch da die Stadt recht schnell anwuchs, wurde er bald zu klein und man legte größere Gärten an. So kam es, dass diese Bäume lange Zeit unbeachtet hier standen, bis einer der früheren Stadtfürsten sie zum Leben erweckte.«
»Zum Leben erweckte?«, fragte ich überrascht und zweifelnd. »Gewiss eine Elfenlegende?«
»Auch wenn es sich lächerlich anhört, doch viele unserer ältesten Bürger schwören darauf, dass es keine Legende sei. Andere wiederum halten es für ein Märchen – wie Ihr. Fest steht jedenfalls, dass in diesen Bäumen tatsächlich Magie schlummert.«
Ich schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte mich. Plötzlich konnte ich fühlen, wie die unsichtbare Macht der Magie den Pfad umgab. Als stünden diese Bäume in Flammen, leuchtete das Feuer der Magie in ihnen auf.
»Kommt.« Die Elfe führte mich näher an einen Baum heran. Behutsam legte sie ihre Hand auf die Borke, ihre Finger glitten suchend umher, bis sie schließlich in ein kleines Loch griff und mit aller Kraft daran zog.
Mit einem Mal zog sie eine Türe auf, die im Stamm eingelassen war. Vorsichtig trat ich näher und starrte in das düstere Innere. »Ihr habt die Bäume ausgehöhlt!«, stieß ich verwundert aus.
Die Elfe strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wie bereits gesagt, die Bäume wurden zum Leben erweckt. Nun sind sie Eingänge zu verborgenen Kammern, doch nur Wesen, die dazu berechtigt sind, können die Türen öffnen.
Argwöhnisch begutachtete ich die Borke, welche durch einen sauberen, geraden Schnitt geteilt war. Doch war weder ein Schloss noch ein Riegel zu erkennen. »Die Bäume verschließen den Eingang durch Magie«, stellte ich bewundernd fest.
»Kommt«, flüsterte die Elfe und schob sich an mir vorbei ins Innere des dicken Stammes.
Ich folgte ihr nach, ehe die Tür sich hinter mir wieder schloss und mich vollkommene Dunkelheit umgab. Die Schritte der Elfe waren verstummt. Ich versuchte ihren Geist aufzuspüren, doch die starke Magie der Bäume überflutete meine Sinne.
Schnell zog ich mein Breitschwert ein Stück aus der Scheide und schnitt mir in den Finger. Der kleine Tropfen Blut, der aus der Wunde floss, reichte aus, um ein magisches Feuer auf meiner Hand zu entzünden.
»Eure Magiekünste sind bewundernswert.« Erschrocken fuhr ich zurück, denn die Elfe stand nur eine halbe Armeslänge unterhalb von mir auf den Stufen der Wendeltreppe, die ins Stamminnere hinabführte.
»Dennoch solltet Ihr nicht mit Feuer spielen, solange Ihr Euch im Inneren eines Baumes befindet!«, ermahnte sie mich mit sanft drohender Stimme.
»Oh, dem Holz wird nichts geschehen. Diese Flammen sind rein magischer Natur!«, erklärte ich, wobei dies allerdings nur die halbe Wahrheit war.
»Wie lange brennen denn eigentlich Eure Flammen? Ihr braucht doch… ein Medium, das das Feuer speist.«
»Blut. Die Magie durchfließt wie Blut meinen Körper. Sobald ich verwundet bin und Blut austritt, ist dieses entflammbar.«
»Seltsam«, bemerkte die Elfe nachdenklich. »Wie lange könnt Ihr diese Flammen aufrechterhalten?«
»Wenn das Blut auf einem Fremdträger ist, nicht lange, es sei denn, es greift auf einen brennbaren Stoff über. So kann ich etwa den Docht einer Kerze mit einem Blutstropfen benetzen. Das Blut entflammt durch Magie und die Flamme greift auf den Docht über und wird dann durch das Wachs genährt.«
»Und wenn das Blut an Eurem Körper haften bleibt?«
Noch ehe ich antworten konnte, loderte jeder Flecken meiner Haut in kleinen Flammen auf, bis mein Körper von einem gewaltigen Feuer umgeben war, das ich jedoch sogleich wieder bis auf die Flamme in meiner rechten Hand reduzierte.
»Ihr solltet darauf achten, dass Eure Hand das Holz nicht berührt«, riet sie mir und schritt weiter in die Tiefe hinab.
Ein Stockwerk darunter öffnete sie eine schmale Tür und betrat ein kleines Zimmer, das mit einem Bett und einer Waschschüssel ausgestattet war.
»Euer Schlafgemach. Nicht sehr prunkvoll, doch gemütlich.«
»Warum werde ich ausgerechnet unter den alten Bäumen einquartiert, an einem solch heiligen Ort?«
Die Elfe biss sich verlegen auf die Unterlippe.
»Die Bäume sollen über mich wachen, nicht wahr? Ich nehme an, dass ich nicht dazu berechtigt bin, die Tür zu öffnen. Wollte ich fliehen, müsste ich den gesamten Stamm abfackeln – und mich auf diese Weise selbst töten.«
»Betrachtet es bitte nicht als Gefangenschaft!«, antwortete die Elfe schnell. »Es ist nur… Ihr seid ein Mensch, ein Magier noch dazu. Mein Volk befürchtet, Ihr könntet doch ein Verräter sein.«
»Und Ihr, glaubt Ihr dies auch?«, fragte ich leise und trat näher an sie heran.
Sie schüttelte den Kopf und suchte meinen Blick. Ihre Finger verkrallten sich im Stoff meines Mantels. Nun, da wir so eng beieinander standen, unsere Blicke sich trafen, die Nasenspitzen nur einen halben Finger breit voneinander entfernt waren, nahm ich plötzlich den unangenehmen Geruch wahr, den mein Mantel verströmte.
Auch die Elfe musste es gerochen haben, denn sie zog den Kopf zurück und hielt sich die Hand vor die Nase. Ihre Reaktion war ihr sichtlich peinlich, und ich musste laut lachen. »Ich fürchte, es ist schon eine Weile her, seit ich mein Haar und meinen Körper gewaschen habe.«
»Ihr solltet Euren Mantel den Waschweibern zum Reinigen geben.« Ihre Erleichterung darüber, dass ich den Geruch selbst ebenfalls als abschreckend empfand, war ihr anzuhören.
»Wohl nicht nur den Mantel.«
»Ich könnte Eure gesamte Kleidung reinigen lassen.«
»Dieses Angebot würde ich dankbar annehmen«, antwortete ich. Schweigen trat ein, als würde jeder auf etwas warten.
»Ihr werdet Eure Kleidung wohl ausziehen müssen, damit sie gewaschen werden kann«, stellte sie mit einem Räuspern fest.
»Jetzt gleich?«, fragte ich geschockt. Dann wurde mir bewusst, wie unglaublich lächerlich ich mich verhielt. Natürlich musste ich mich meiner Kleidung entledigen… doch vor ihr?
Da die Elfe jedoch keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen oder sich zumindest umzudrehen, zog ich langsam den Mantel aus und öffnete den Gürtel.
Anscheinend schien mein Schamgefühl die Elfe zu belustigen, denn sie kommentierte mein Verhalten mit ein paar spitzen Bemerkungen.
Schließlich stand ich ihr völlig nackt – und mit immer noch brennender Hand - gegenüber. Mir war kalt und ich kroch schnell unter die Decke des Strohbetts.
»Ich lasse Euch morgen Früh frische Kleidung bringen«, versprach die Elfe und eilte die Treppen empor, während die Flammen, die meine Finger umspielten, kleiner wurden und schließlich erloschen.