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2. Die Zeituhr

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Ihre Klasse drängte sich aus dem Bus und flüchtete vor dem Regen in den Eingangsbereich des Museums. An der Wand hing ein riesiges Plakat. „Die Zeit – Wahrnehmung und Bedeutung im Wandel der Geschichte“, stand darauf in großen Buchstaben. Das klang so unglaublich langweilig, dass Lila sich beinahe schon wieder zurück in den Klassenraum wünschte.

Vor dem Plakat stand ein älterer Mann mit Glatze und leichtem Bauchansatz und lächelte den Schülern entgegen. Frau Mayer-Wackel begrüßte ihn herzlich. Dann drehte sie sich zur Klasse um und zog sich schwungvoll die Brille von der Nase.

„Wir haben großes Glück, Kinder“, eröffnete sie ihnen feierlich. „Herr Kempe, der Direktor des Museums, wird uns persönlich durch die Ausstellung führen.“

Der Angesprochene musste sich erst räuspern, bevor er etwas hinzufügen konnte. „Ja, die Freude ist ganz meinerseits. Willkommen in unserem bescheidenen Ausstellungshaus! Ich freue mich natürlich sehr, dass sich auch immer mehr junge Menschen für unsere Ausstellungen begeistern“, hüstelte er und blickte erwartungsvoll in die Runde.

Die gelangweilten Blicke der Schüler zogen seine Worte allerdings ins Groteske. Auch Lila trug eine skeptische Miene zur Schau.

Der Direktor sah ziemlich unsympathisch und langweilig aus. Das karierte Hemd unter dem grauen Jackett war ganz zerknittert, sein Kinn unrasiert und voller Bartstoppeln, und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Auch sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran offen, dass er sich eine Handvoll schönere Sachen vorstellen konnte, als eine Schulklasse durch sein Museum zu führen. Dennoch bedeutete er der Klasse mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Dabei lächelte er etwas gequält.

Ohne sich ihre Abneigung anmerken zu lassen, trottete Lila ihren Klassenkameraden hinterher und betrat die Ausstellungsräume.

Hier war alles vollkommen still, nur die heisere Stimme des Direktors hallte durch die Räume. Von Zeit zu Zeit blieben sie vor einem besonders wertvollen Exponat stehen und durften Fragen dazu stellen. Da fast niemand welche hatte, kamen sie zügig voran. Lila hörte dem Vortrag des Direktors kaum zu und verspürte auch keine Lust, sich an der Fragerunde zu beteiligen. Lieber unterhielt sie sich im Flüsterton mit Jane, die ebenso wenig Interesse an der Zeitausstellung zeigte.

Gerade machten sie sich über eine Kuckucksuhr lustig, die laut der Tafel daneben über einhundert Jahre alt war, da veränderte sich der Tonfall des Direktors. Das Krächzen verschwand aus seiner Stimme. Es war offensichtlich, dass sie sich jetzt dem Höhepunkt der Ausstellung näherten. Lila und Jane drängelten sich nach vorne, um besser sehen zu können.

Der Direktor und Frau Mayer-Wackel standen in einem abgetrennten Bereich neben einer hüfthohen Vitrine aus Glas, die von einem großen schwarzen Tuch verhüllt wurde. „Zeituhr – altes Ägypten, ca. 3000 v. Chr.“, stand auf einer Tafel daneben. Ausnahmsweise warteten diesmal tatsächlich alle gespannt darauf, dass der Direktor das Ausstellungsstück enthüllte. Stattdessen setzte er seinen Vortrag fort.

„Diese Uhr ist das Prunkstück unserer Ausstellung. Natürlich ist es keine mechanische Uhr, denn die waren damals noch nicht erfunden: Es handelt sich um eine Sonnenuhr. Sie ist aus Stein gefertigt und mit über einem Dutzend Edelsteinen verziert – der Materialwert alleine ist gigantisch. Das Besondere an dem Stück ist aber die Legende, die sich darum rankt. Die Uhr soll ihrem Träger die Fähigkeit verleihen, in der Zeit zu reisen. Dabei müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein: Der Besitzer der Uhr muss aus edlen Motiven in die Vergangenheit zurückreisen wollen, eine besondere Segnung der Göttin Isis erhalten und dazu noch einen zweiten magischen Gegenstand bei sich tragen. So erzählten es sich zumindest die alten Ägypter...“

Der Direktor machte eine kurze Pause und diesmal klebten die Augen der Schüler an ihm. Auch Lila war fasziniert. In Gedanken malte sie sich schon aus, wo sie mit einer solchen Uhr als erstes hinreisen würde. Wahrscheinlich tatsächlich zum Tag ihrer Geburt, um Papa aufzuhalten, dachte sie. Oder eben doch ins Mittelalter, um Drachen zu jagen oder an Ritterturnieren teilzunehmen. Oder, überlegte sie mit leuchtenden Augen, ins viktorianische England, wo sie Sherlock Holmes helfen würde, einen besonders kniffligen Fall zu lösen. Es gab einfach unendlich viele Möglichkeiten!

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass es Jane und mehreren anderen Mitschülern ganz ähnlich erging. Frau Mayer-Wackel strahlte über das ganze Gesicht, offensichtlich freudig überrascht über so viel plötzliches Interesse ihrer Klasse.

Unterdessen machte sich der Direktor bereit, die Zeituhr endlich zu enthüllen. Für einen Moment verschwanden dabei die dunklen Schatten unter seinen Augen. Auch ihm war die Anspannung anzumerken. Mit einer feierlichen Geste riss er das schwarze Tuch herunter.

Ihnen bot sich nicht der Anblick, den sie erwartet hatten. Das Lächeln des Direktors gefror und Frau Mayer-Wackel sah aus, als hätte sie gerade den Yeti persönlich kennengelernt. Lila riss die Augen auf. Zahlreiche „Ooohs“ und „Aaahs“ erklangen, aber es war nicht die Sorte erstaunter Ausrufe, die eine juwelenbesetzte Sonnenuhr sonst hervorrief.

Die Vitrine war leer.

Lila Winkelbaum und das Geheimnis der Zeituhr

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