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Kapitel 4

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Aufbruch,

Borelien

Robinia packte einige wenige Kleidungsstücke in ihren Rucksack, nahm sich aus dem Vorratsraum ein bisschen Proviant für die Reise mit und entschied sich dafür, beim Blick in die Familiensparkasse, nur zehn Goldmarkmünzen einzustecken. Das restliche Geld würde weder für ein Eisenbahnticket nach Rastoku noch für die Fähre nach Eisland reichen. Ihrer Familie die Reserven wegnehmen, wollte sie nicht. Es würden sich bestimmt Möglichkeiten auf dem Weg ergeben, dachte sie sich.

Bevor sie sich davon trollte, schaute sie ein letztes Mal in den Spiegel, der sich neben der Haustür befand. Ihre Großmutter hatte die Marotte entwickelt jedes Mal bevor sie die Wohnung verließ einen Blick auf ihr Äußeres zu werfen. Schließlich war sie das Aushängeschild für ihr Unternehmen gewesen. „Wenn ich adrett aussehe, werden unsere Kunden dasselbe von unseren Erzeugnissen denken.“ Hatte sie immer gesagt.

Nun betrachtete Robinia sich im Spiegel. Adrett war nicht das richtige Wort mit dem sie sich beschrieben hätte. Aber sie wollte ja auch kein Obst oder Getreide an den Mann bringen. Sie befand sich im Begriff die Zustände der Welt zu verändern. Just in jenem Moment stiegen Zweifel in ihr auf. Wie sollte man am besten für so ein Vorhaben aussehen? Robinia war für ihr Alter groß, stämmig, sowohl gleichermaßen athletisch. Muskeln zeichneten sich auf ihren Armen als auch am Bauch ab. Ihr langes braunes Haar trug sie zu einem Zopf geflochten. So störte es sie am wenigsten. Doch reichte das aus? Reichte dieses geringe Maß an Überlegenheit gegenüber gleichaltrigen Mädchen aus um ihr Unterfangen zu bestreiten? Noch ehe Robinia weiter darüber nachdenken konnte, brachte ein Türklappen aus dem Obergeschoss sie dazu zu gehen. Vorsichtig schlich sie sich hinaus in die Dunkelheit und lief dem Stall entgegen.

Robinia schnallte den Rucksack am Sattel des Esels fest, über die Schultern hängte sie sich Köcher und Bogen. Da, wo der Esel sonst immer im Stall stand, hinterließ sie einen kurzen und knappen Abschiedsbrief.

Liebe Großmutter, lieber Bruder,

macht euch keine Sorgen um mich. Ich fühle den Drang nachzuforschen woher die Dunkelheit kommt und ob es einen Ausweg für uns gibt. Tragt mich im Herzen, so wie ich euch im Herzen trage.

Auf Wiedersehen

Eure Robinia

Dann machte sie sich auf den Weg nach Rastoku. Rastoku war ein kleines Hafenstädchen in Borelien. Von dort aus fuhren Schiffe in die ganze Welt hinaus. Sie transportierten Lebensmittel, Waren, aber eben auch Menschen. Durch den Handel gelangte Rastoku zu ein wenig Reichtum. Soll heißen, dass die Leute sich dort ein bisschen mehr Wohlstand leisten konnten. Es gab beispielsweise mehr Fernseher und mehr Laternen, die nachts die Straßen erleuchteten. Doch jetzt in der Dunkelheit hatte auch Rastoku mit den Folgen zu kämpfen.

Der Mond, welcher nun zu jeder Tages- und Nachtzeit schien, erleuchtete den Pfad auf dem Robinia ihr Zuhause verließ. Draußen war es kalt und sie zog sich den Schal weiter vors Gesicht. Ihr Atem, zu Dampf geworden, verpuffte in der Luft.

Als erstes ritt sie in den Wald hinein. Damals, als die Sonne noch schien, war der Wald ein himmlisch schöner Ort gewesen. Reine Luft, Vogelgezwitscher und das Grün der Blätter. Robinia liebte es in ihm umher zu tollen. Sie kletterte wahnsinnig gern in seinen Kronen und stellte sich vor wie es wäre selbst ein Affe zu sein. Sie hatte die Tiere nie zu Gesicht bekommen. Doch in einem ihrer Schulbücher waren welche abgebildet. Sie lebten auf den Tropischen Inseln, hatte unter der Zeichnung gestanden.

Jetzt im Dunkeln, in diesen dunklen Zeiten, wirkte der Wald bedrückend, sogar beängstigend. Hier raschelte etwas, dort bewegte sich was. Robinia zuckte des Öfteren zusammen. Und schon wieder ein Schatten, der dahinflog wie ein Geist. Die kahlen Äste der Bäume wirkten nun im Mondlicht wie ellenlange Finger, die versuchten nach ihr zu greifen.

Robinia wies ihren Esel an schneller zu laufen, da sie sich unbehaglich fühlte. Die Durchquerung des Forstes dauerte einige Stunden und mit großer Erleichterung erreichte sie den Waldesrand.

Vor Robinia lag ein weites, stoppeliges, abgemähtes Feld. Vereinzelt befanden sich noch Heuballen darauf. Da es keine künstlichen Lichter weit und breit gab, schienen die Sterne vom Himmel umso intensiver. Wie ein Band durchzogen sie das Firmament bis zum Horizont. Vereinzelt fielen Sternschnuppen hinunter zur Erde. Robinia wünschte sich, dass sie den Tag wieder zurück auf die Welt bringen würde. Die Nacht besaß durchaus ihre Schönheit, aber nur und ausschließlich Dunkelheit waren nicht das Richtige. Robinia legte sich im Schutze des Heuballens hin und schlief nach wenigen Minuten ein.

In dieser Nacht träumte sie zum ersten Mal vom Quatterling. Eine riesige Qualle, welche mit Schmetterlingsflügeln in der Luft schwebte. Dieses Wesen strahlte etwas von Weisheit und einer reinen Seele aus. Es besaß eine magische Anziehungskraft auf Robinia.

„Ich bin das Ziel und sogleich der Anfang deiner Suche. Komm nur näher. Komm nur zu mir. Ich helfe dir.“ Verließen die Worte sanftmütig die Lippen des Quatterlings.

Als Robinia einen Schritt auf das riesige Wesen zuging, erwachte sie abrupt aus ihrem Traum.

Ihr war bewusst, dass dieser Traum für ihre Reise von immenser Bedeutung sein würde. Sie empfand ein Gefühl des Auserwähltseins. Sie konnte allerdings nicht sagen ob sie ihr Zuhause verließ, weil sie auserwählt wurde um am Schicksal der Welt etwas zu verändern oder aber ob ihr der Quatterling erschien, weil sie die einzige war, die den Mut aufbrachte etwas am Schicksal der Welt verändern zu wollen.

Es war, wie zu erwarten, immer noch dunkel. Robinia kauerte sich schutzsuchend an den Heuballen, knabberte ein paar Hapse vom Brot und brach schließlich eine Ecke für den Esel ab. Dann sattelte sie auf und ritt weiter. Nach zwei Tagen ging ihr Proviant zur Neige. Für diesen Fall hatte sie Pfeil und Bogen dabei. Doch die Schwierigkeit bestand darin, dass Tiere zum Jagen zur Rarität wurden. Sie wies ihren Esel an den Weg zu verlassen. Über ein Feld wollte sie erneut in den düsteren Wald reiten. Auch wenn es ihr widerstrebte, erachtete sie im Forst die Chance Beute zu machen am größten.

Kurz bevor sie das Ende des Feldes und somit den Eingang zum Hain erreicht hatte, kreischte ein Falke laut auf und umflog sie und den Esel kreisend. Wahrscheinlich begutachtete er sie genauso wie nun ihre Augen ihn verfolgten. Robinia nahm langsam den Bogen von ihrer Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher und spannte ihn ein.

Für einige Augenblicke studierte sie den Flug des Greifvogels. Er gebrauchte nur vereinzelt Flügelschläge um sich in der Höhe zu halten, viel mehr glitt er in der Luft dahin. Majestätisch. Sie weiterhin umkreisend. Es schien beinahe als würde er sich absichtlich präsentieren, zum Erschießen anbieten, damit Robinia durch sein Fleisch weiterleben konnte um die Welt zu retten.

Mit dem Pfeil visierte sie das Tier nach wie vor an, verfolgte seinen Flug und überholte ihn, dann schoss sie ab. Der Falke flog weiter auf seiner Bahn bis der Pfeil seinen Weg kreuzte. Ein kurzer, greller Schrei durchbrach die Stille. Anschließend fiel der Vogel reglos wie ein kleiner Sack vom Himmel und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.

Robinia schnallte sich den Bogen um die Schulter, sprang vom Esel ab und lief zu der Stelle, wo der Falke niedergekommen war. Er sah aus als würde er friedlich schlafen. Der Pfeil hatte geradewegs sein Herz durchbohrt.

„Ich danke dir. Der Weltenkreislauf geht weiter. Ich lebe dank dir und du lebst in mir.“

Nach zwei weiteren Tagen erreichte Robinia den Hafen von Rastoku. Am Stadtrand hatte sie sich von ihrem Esel verabschieden müssen. Es trübte ihre Seele ihn nicht mitnehmen zu können und nicht zu wissen was nun aus ihm würde. Sie hoffte inständig, dass er einen Weg zum Überleben fand oder noch besser sich den Weg nach Hause gemerkt hatte.

Von den zehn Goldmarkmünzen, welche sie noch immer seit dem Tag ihrer Abreise bei sich trug, schenkte sie eine einem Bettler. Sie hätte ihm gern noch mehr abgegeben, doch wer wusste schon wozu sie die Münzen selbst noch brauchen würde.

Robinia ging zur Hafenhalle um sich darüber zu informieren, wann und wo Schiffe nach Eisland ablegten. Es war nicht viel los in dem Gebäude, denn der Schiffsverkehr wurde zusehends weniger. Die Welt in der Dunkelheit begann sich landschaftlich immer mehr zu ähneln, folglich gab es nicht mehr so viel Auswahl an Waren zum Handeln wie es einst der Fall gewesen war.

Eine bleichgesichtige Frau am Schalter gab ihr Auskunft. Daraufhin erspähte Robinia an der Uferkante das besagte, mittelgroße Schiff, welches am Tag zuvor aus Eisland kam um Nahrungspakete von der Lichtkugel zu bringen. Heute würde es wieder Richtung Eisland ablegen um währenddessen Fische zu fangen.

Wie teuer ein Ticket sei, erkundigte sich Robinia.

Ernüchternd musste sie feststellen, dass der Preis ihr Budget bei weitem sprengte. Sie versuchte der bleichen Hakennase am Schalter ihre neun Goldmarkmünzen schmackhaft zu machen.

„Mädchen. Es sind schwere Zeiten. Du würdest auf dem Schiff mehr verspeisen als die neun Goldmarkmünzen wert sind.“

„Aber ich habe mein eigenes Proviant dabei.“ Protestierte Robinia. Doch die Alte blieb standhaft und schüttelte entschlossen ihren Kopf.

„Nun sieh zu, dass du wegkommst. Sonst muss ich jemanden holen, der dich verscheucht.“ Zischte sie Robinia an.

Robinia nickte und wandte sich mit hängenden Schultern vom Schalter ab. Im Davongehen sah sie wie Arbeiter damit beschäftigt waren das Boot zu beladen. Doch Gewusel gab es am Hafen kaum.

Im Schutz der Dunkelheit sprang Robinia vom Weg hinter einen Pfeiler und versteckte sich in seinem Schatten vor dem Licht der Laternen. Von dort aus beobachtete sie wie die Matrosen routiniert ihrer Arbeit nachgingen. Über die Ladeklappe schleppten sie Kisten an Deck, kamen mit leeren Händen zurück um erneut etwas auf das Schiff zu schleppen. Am Bug des Bootes spannte sich ein Tau ab, dessen Ende sich um einen Pfosten schlang – nur wenige Meter von Robninias jetziger Position entfernt. Sie musste nur den gepflasterten mit Laternen versehenen Weg überqueren. Vorsichtig streckte sie ihren Kopf hinter dem Pfeiler hervor und schaute sowohl nach rechts als auch noch links. Die Luft schien rein zu sein. Zaghaft und flink tippelte sie über das Kopfsteinpflaster.

Ihre zarten Finger packten das raue Seil. In einem Kraftakt hangelte sie sich Kopf voran bis zum Deck des Schiffes hoch. Dort angekommen suchte sie sich ein Versteck, welches sie in einem der Lagerräume fand. Zwischen irgendwelchen Kisten setzte sie sich hin und wartete bis das Schiff ablegte.

In dieser Position harrte sie noch eine ganze Weile aus, auch als das Boot schon längst fuhr. Mögen es gar mehrere Stunden gewesen sein. Irgendwann packte sie allerdings der Drang der Neugier und überwog schlussendlich ihre Angst entdeckt zu werden. Vorsichtig schlich sie hinter den Kisten hervor. Auf dem Weg zur Tür steckte sie sich noch ein bisschen von dem Trockenfisch in die Tasche, welchen die Crew zur Verpflegung mit hatte.

Sie streckte ihre Nase zaghaft an die frische Seeluft und schaute dabei nach rechts und links. Die Luft war rein. Dachte Robinia zumindest für einen kurzen Augenblick.

„Hey! Was machst du da?“ Raunte sie eine tiefe, dunkle Stimme von hinten an.

Erschrocken drehte sich Robinia um. In wenigen Metern Entfernung stand ein rauer Seemann. Er wirkte groß und mächtig. Instinktiv lief Robinia in die entgegengesetzte Richtung weg und blieb ihm eine Antwort schuldig. Nach einer Weile der Verdutztheit rannte ihr der Seemann hinterher. Robinia sprang über Fischkisten und kletterte über Relings, die bestimmte Bereiche des Bootes voneinander trennten.

Dann plötzlich, an der einen Stelle war es nass und ölig, eine Pfütze wo erst vor wenigen Minuten eine Flasche Tran auseinander gebrochen war, sie rutschte aus und fiel geradewegs aufs Gesicht. Der Seemann, obwohl stark und kräftig, war kein Spitzenläufer. Das hatte die junge Robinia ihm voraus. Doch der Sturz verringerte den Abstand zwischen den beiden immens.

Als der Hüne sie beinahe eingeholt hatte, wusste Robinia sich aus Angst nicht anders zu helfen als nach ihrem Bogen und einem Pfeil zu greifen. Ihr Herz pochte wild in der Brust. Sie visierte den immer größer werdenden Matrosen an und schoss ihren Pfeil geradewegs durch den Bommel seiner Pudelmütze. Der Seemann blieb wie in Schockstarre verfallen stehen. Unterdessen konnte Robinia sich wieder auf die Beine rappeln und rannte weiter davon – während der Seemann wie gelähmt seine Mütze vom Kopf nahm und den Pfeil in ihr begutachtete. „Wie bei Wilhelm Tell.“ Brabbelte er konsterniert.

Indes erblickte Robinia ihre Rettung – ein Rettungsboot. Sie sprang in das kleine Ruderboot und machte die Seile los, sodass es mit einem Platschen auf die Wasseroberfläche fiel. Dann ruderte sie und ruderte und ruderte. Sie hatte keine Ahnung wo auf dem weiten Meer sie sich befand, geschweige denn wo Eisland war. Sie ruderte dennoch weiter, denn das Rudern würde sie irgendwo hinbringen.


Sternenstaub

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