Читать книгу Der große Bankdiebstahl - Julian Hawthorne - Страница 3
1. Kapitel.
ОглавлениеAls ich vergangenen Herbst an einem Oktobernachmittag die Fünfte Avenue in New-York hinunterging, traf ich zufällig auf einen mir bekannten Zeitungsredakteur. Die Begegnung kam mir höchst erwünscht, denn der Umgang mit ihm war immer anregend. Durch langjährige Erfahrung in seinem Beruf, große Beobachtungsgabe und ein treffliches Gedächtnis hatte er sich eine umfassende Geschäftskenntnis erworben. Auch verkehrte er viel in Gesellschaft und kannte nicht nur die ganze vornehme Welt von New-York, sondern auch viele Persönlichkeiten, die zwar nicht in jene auserwählten Kreise gehörten, aber deshalb nicht minder interessant waren. Da er zudem eine mitteilsame Natur war, ließ sich manche Stunde aufs angenehmste mit ihm verplaudern.
Die Sonne stand schon tief am Himmel; sie leuchtete den Leuten, die uns begegneten, gerade ins Gesicht, und lange Schatten fielen auf das Pflaster. Es war Sonnabend; eine große Menschenmenge wogte in den Straßen hin und her; auf dem Fahrweg rasselten zahllose Droschken und Equipagen, dazwischen der schwerfällige Omnibus und das leichte Kabriolett. Die vornehme Welt war vom Seestrande, der Sommerfrische im Gebirge oder von der europäischen Tour zurückgekehrt und benutzte den schönen Herbsttag, um sich von neuem in das ruhelose Getriebe der Großstadt zu stürzen, in der es nie an Aufregung und Anregung zu fehlen scheint. Auch mir machte das Hasten und Jagen heute besonders viel Eindruck – es war mein erster Tag in der Stadt, nach längerem Aufenthalt in einem abgelegenen Seebade.
So, da bist du wieder und siehst wohl und munter aus, sagte mein Freund von der Presse, mir die Hand schüttelnd. Weißt du was, wenn du nichts Besseres vorhast, so komme um sechs Uhr nach dem St. James-Hotel; wir speisen zusammen und sehen dann, was es heute abend im Theater gibt. Wie gefällt dir mein Vorschlag?
Das Mittagessen lasse ich mir gefallen, aber zum Theater habe ich keine besondere Lust.
Aha, du willst wohl nicht erst Toilette machen! Da weiß ich noch andern Rat: letzte Woche bin ich im Zirkus gewesen, wo ein ausgezeichneter Pferdebändiger Vorstellung gibt. Es ist ein sehr anständiges Lokal; man findet Leute aus der besten Gesellschaft, auch Damen, und braucht sich nicht erst umzukleiden. Nun, was meinst du dazu?
Einverstanden! entgegnete ich; als Knabe habe ich den berühmten Rarey gesehen und wäre begierig, ob dein Mann sich mit ihm vergleichen läßt.
Schön, sagte der Journalist, also um sechs Uhr! Oder kommst du gleich mit in meine Wohnung und rauchst eine Zigarre, während ich einen Brief erledige?
Danke, ich will erst noch einen kleinen Gang durch den Park machen, um mir Appetit zu holen. Wir standen gerade an der Ecke, wo die Avenue in den Broadway, die glänzendste Straße von New-York, mündet, im Begriff, querüber nach der andern Straßenseite zu gehen. Hier herrschte großes Wagengedränge – doch kaum hob der riesige Ordnungswächter, der an dieser gefährlichen Stelle unumschränkt gebietet, den Arm in die Höhe, als wie mit Zauberschlag der Verkehr stockte, die Wagenreihe hielt und der Trupp Fußgänger schnellen Schrittes hinübereilte – wir mit ihnen. Mein Freund ging dicht vor mir, und als er an einem kleinen eleganten Kabriolett vorüberkam, auf dessen Bock der Kutscher würdevoll thronte, sah ich, wie er einen Blick auf die Insassin warf und grüßend den Hut lüftete. Die Dame im Wagen erwiderte den Gruß lächelnd und mit leichter Verneigung; ich befand mich in ihrer unmittelbaren Nähe, so daß ich sie mit Muße betrachten konnte. Sie mochte etwa dreißig Jahre zählen und war noch eine auffallende Schönheit. Zu ihrem dunkelfarbenen Anzug trug sie einen Hut aus gleichem Stoff; ihr Gesicht war bleich, der Ausdruck ihrer feinen Züge starr und kalt, und doch war mir, als sei dies schöne vornehme Antlitz wohl imstande, starke Leidenschaften wiederzuspiegeln. Die leidenschaftliche Natur war aber entweder nie zum Ausbruch gekommen und ihre Flammen loderten und sprühten nur im Innern, oder sie waren in einem entscheidenden Lebensmoment einmal hoch aufgeflackert und hatten sich in ihrer eigenen Glut verzehrt. Jedenfalls war es ein Gesicht, das man nicht wieder vergißt; auch in der leichten, anmutigen Verbeugung, mit der sie den Gruß meines Freundes erwiderte, lag ein bestrickender Reiz. Offenbar gehörte die Dame den vornehmsten, reichsten Kreisen an und hatte schon ihr Teil erlebt! Als ich drüben auf der Straße wieder mit meinem Gefährten zusammenkam, warf ich wie von ungefähr eine Bemerkung über seine interessante Bekanntschaft hin.
Du meinst die Dame im Kabriolett? Jawohl, die kenne ich oberflächlich. Bist du ihr nie begegnet? Da hast du etwas verloren!
Das kommt davon, wenn man sich, wie ich, zwölf Jahre im Ausland herumtreibt.
Im Jahre 1878, fuhr mein Freund fort, traf ich sie zum erstenmal. Ich könnte dir Dinge über sie erzählen, von denen keine fünf lebenden Menschen etwas wissen. Aber du bist Romanschreiber, und ich traue dir nicht!
Wenn sie sich dir anvertraut hat, kannst du mir wohl auch vertrauen! entgegnete ich.
Wer sagt denn, daß ich's von ihr weiß? Sie hat einfach nicht hindern können, daß ich's erfuhr! – Also, wenn du dir durchaus erst noch Bewegung machen mußt – auf Wiedersehen, – aber sei ja recht pünktlich.
Er verschwand in der Tür seiner Wohnung, und ich ging weiter die Avenue hinunter. Das bleiche Gesicht der Dame im Kabriolett verfolgte mich förmlich. Wer konnte sie sein? was mochte sie erlebt haben? wie hatte mein Freund ihre Bekanntschaft gemacht? wie die seltsamen Dinge erfahren, die so wenige außer ihm wußten, und mit deren Mitteilung er, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, so zurückhaltend war? Handelte es sich um eine Entführung, eine Ehescheidung, oder was sonst? Ich ließ meiner Einbildung freien Lauf, natürlich ohne zu einem befriedigenden Resultat zu gelangen. Ich nahm mir vor, weitere Erkundigungen einzuziehen, wobei ich mir nicht verhehlte, daß die Wirklichkeit höchst wahrscheinlich den romantischen Schleier zerreißen würde, den ich um die Unbekannte gewoben. Vergebens musterte ich die vorübereilenden Wagen, in der Hoffnung, ihrer noch einmal ansichtig zu werden. Aber obwohl mehrere dem ihrigen glichen, entdeckte ich ihn nicht; vermutlich wohnte sie im unteren Teil der Avenue, wo noch immer einige der angesehenen älteren Familien zu finden sind, trotzdem Handel und Gewerbe dort täglich mehr Boden gewinnen. Am besten, ich schlug mir die ganze Sache gleich aus dem Sinn, denn, da ich so selten in der New-Yorker Gesellschaft verkehrte, war zehn gegen eins zu wetten, daß ich die geheimnisvolle Schönheit nie wiedersehen würde.
Unter solchen Gedanken war ich bis ans Ende des Parks gelangt; nun machte ich kehrt und begab mich auf den Rückweg. Der Westen war jetzt ein Glutmeer; die Gestalten, die an mir vorübereilten, erschienen ganz dunkel in dem grellen Licht. Es war nun die Stunde, wo die reiche und vornehme Gesellschaft New-Yorks zum Mittagessen nach Hause eilte. Wie glücklich und glänzend sie zu sein schienen, diese reichen Leute! Und doch begann um dieselbe Zeit in einem andern Viertel der Stadt eine andere Menschenklasse ihre rastlose Tätigkeit, ihren nie endenden geheimen Krieg gegen die Günstlinge des Glücks. Seit Beginn der Weltgeschichte ist dieser Krieg entbrannt und wird noch heute mit größter Erbitterung fortgeführt. Zuweilen gelingt es etlichen der Angreifer, sich in die Reihen ihrer Gegner zu drängen und, äußerlich wenigstens, sich ihnen gleichzustellen; manchmal auch sinken die in Ansehen und Wohlleben Geborenen zu Genossen der Kinder der Nacht herab; denn die Grenzlinie zwischen beiden ist nicht bestimmt und dauernd.
Indessen war es Zeit geworden, an die Verabredung mit meinem Freunde zu denken und ihn abzuholen.