Читать книгу Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen - Julie Bloom - Страница 6

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2. Kapitel

Nach einer guten halben Stunde der intensiven Verhandlungen hatten sich die Herren auf, für beide Seiten zufriedenstellende, Abmachungen geeinigt. Marc war erstaunt, dass es leichter gewesen war, als er erwartet hätte. Normalerweise waren seine Verhandlungspartner viel sturer und unkooperativer, auch wenn sie im Endeffekt ihm gegenüber dann jedes Mal nachgaben. Doch diesmal, hatte es etwas von einem gemütlichen Spaziergang im Park gehabt.

„Dann lasst uns unseren erfolgreichen Abschluss gebührend feiern, meine Herren“, verkündete nun Mr. Kellington, offenbar genauso zufrieden wie Marc selbst. „Philip, bist du bereit für dein erstes Abenteuer? Ich sorge dafür, dass du noch heute Nacht ein richtiger Mann wirst und die wahren Freuden des Lebens kennenlernst.“

Philip schien in seinem Stuhl versinken zu wollen und wurde ganz rot in seinem sonst blassen, sommersprossigen Gesicht.

Dann wandte der Boss sich an Marc.

„Das gilt auch für Sie, Mr. Skilliard. Suchen Sie sich eine aus, die Ihnen gefällt. Geht alles auf mich heute.“

Mr. Kellington leerte seinen Brandy und beorderte ein neues Glas. Dabei flüsterte er der Kellnerin etwas ins Ohr. Er wirkte nun bereits ziemlich angeheitert.

„Und trinken Sie etwas Vernünftiges. Etwas, das einer Feier gebührt“, forderte er Marc auf.

Marc bestellte sich also ein Ale und blickte etwas verunsichert in die Runde. Die anderen Gentlemen saßen alle ebenso wie er, noch etwas verdutzt und schweigend am Tisch. Der Boss lachte.

Plötzlich betraten rund ein Dutzend sehr leicht bekleideter Dirnen das Separee, und stellten sich in einer Reihe neben dem Tisch auf. Eine wirkte verruchter als die andere, und sie waren offenbar sehr bemüht, besonders aufreizend zu wirken, um von einem der Herren ausgewählt zu werden.

Eine bereits etwas reifer wirkende, für Marcs Geschmack viel zu stark geschminkte Frau, ging nun zu Mr. Kellington hinüber und legte ihm ihren Arm um die breiten, üppigen Schultern.

„Wollen wir?“, fragte sie ihn recht vertraut.

Offenbar kannten die beiden sich bereits, was Marc nun nicht weiter verwunderte.

Auch der Gentleman, der in etwa zehn Jahre älter war als Marc, und am Eck neben dem Boss saß, wurde von einer der Damen begrüßt und verführt, mitzukommen. Er wirkte etwas verlegen, erhob sich dann aber und tat, wie ihm geheißen.

Marc schwante nun nichts Gutes. Zumindest für sein Empfinden. Hatte Mr. Kellington allen Ernstes vor, zur Feier ihres Geschäftsabschlusses nun allen Verhandlungsteilnehmern eine Dirne zu spendieren? Er hatte es vor. Wie konnte Marc da nur wieder rauskommen? Beim besten Willen, das war nicht seine Art, und er hatte offen gesagt momentan auch keine Lust dazu, im Wissen aller anderen Geschäftspartner, jeden Moment hinter einer der verschlossenen Türen, die vom Separee abgingen, zu verschwinden und Geschlechtsverkehr zu haben. Das fand er ziemlich makaber und etwas abartig. Auch wenn sie alle dann im selben Boot saßen und deshalb bestimmt keiner über den anderen etwas ausplaudern würde.

Marc beschloss abzuwarten. Der Boss winkte nun eine sehr zierliche, blonde junge Dirne herbei, und bedeutete ihr, zu Philip zu gehen. Wenigstens hatte er auf das zusammenpassende Alter Rücksicht genommen, dachte sich Marc.

Die blonde, junge Frau ging selbst etwas schüchtern zu Philip hinüber und lächelte ihn zaghaft an. Sie streckte ihm die Hand entgegen und wollte damit wohl bewirken, dass er mit ihr ging. Philip wurde wieder ganz rot im Gesicht und blickte unsicher zu seinem Boss hinüber.

„Geh schon mit ihr, Junge. Das wird deine Nacht heute“, forderte er den jungen und verunsicherten Philip auf.

Philip erhob sich etwas ungeschickt, und folgte, nun doch recht motiviert wirkend, der jungen Dirne in eines der Zimmer, das durch eine mit rotem Samt gepolsterte Türe, vom Geschäftsraum getrennt war. So wie übrigens alle weiteren sechs Türen, die Marc nun ausmachen konnte. Zuvor hatte er darauf gar nicht geachtet, da der gesamte Raum hauptsächlich in Rot gehalten war, und ihm die rot gepolsterten Türen zunächst nicht aufgefallen waren.

Marc konnte nun erahnen, was Philip hinter dieser Türe gleich erleben würde. Konnte er sich eigentlich noch an sein erstes Mal erinnern? Vage. Es war nun doch schon sehr lange her. War es die reiche Witwe gewesen, die es damals so sehr auf ihn abgesehen hatte? Oder doch die schüchterne, junge Dame, die er auf einer der zahlreichen Abendveranstaltungen seiner Firma, ganz zu Beginn seiner Ausbildung in Manchester getroffen hatte?

Plötzlich unterbrach ein Geräusch seine Gedanken. Eine Kellnerin hatte den Raum betreten und es waren ihr wohl die Gläser vom Tablett gekippt. Marc drehte sich dem Geschehen zu. Und dann sah er sie. Sie hatte bräunliches, aber irgendwie golden schimmerndes, langes und leicht gewelltes Haar, und bückte sich gerade zu Boden, um verzweifelt die Scherben aufzusammeln. Im Gegensatz zu den anderen Dirnen war sie erstaunlich bedeckt gekleidet. Sie trug ein komplett schwarzes, hochgeschlossenes Kleid mit viel Spitze, dazu einen engen Kragen, der ihr wirklich bis zum Kinn reichte. Das Kleid hatte allerdings recht kurze Ärmel und ging ihr nur knapp bis unter den Po. Ein seltsamer Anblick. Aber irgendwie fand es Marc noch anziehender, als die anderen Mädchen, bei denen teilweise lediglich die Brustspitzen und der Intimbereich bedeckt waren.

Hinter ihr betrat nun die Kellnerin von vorhin das Separee und motzte ihre verzweifelte Kollegin an: „Ach Julie, immer dasselbe mit dir. Für was bist du überhaupt nütze? Für das eine nicht und zum Kellnern bist du auch zu blöde. Mach Platz, ich kümmere mich darum.“

Die halb nackte Kellnerin drängte die nun weinende Julie zur Seite und bemühte sich, die Scherben zusammenzukehren. Die gekränkte, junge Frau machte kehrt und verschwand, sich die Tränen wegwischend, im Hauptraum des Bordells, wo nach wie vor laute Musik spielte und man immer wieder Männer grölen hörte. Dort befand sich auch der Schanktresen.

Marc tat die junge Kellnerin derart leid, dass er den Boss und die übrigen Herren, die sich nun langsam erhoben, um mit ihren auserwählten Dirnen in die anderen Räume zu gehen, bat, ihn für einen Augenblick zu entschuldigen. Sie nickten alle nur und machten sich mit ihren Gespielinnen auf den Weg. Die übrig gebliebenen Dirnen machten nun auch Anstalten, das Separee wieder zu verlassen.

Marc erhob sich, nahm zur Sicherheit seine Aktentasche mit den abgeschlossenen Verträgen mit, und verließ den Raum durch den Türspalt, der lediglich mit einem roten, gefransten Vorhang vom Rest des Freudenhauses abgetrennt war.

Im großen Raum blickte er sich nun suchend nach der Kellnerin, Julie, um. Er konnte sie aber nirgends ausmachen. Plötzlich hörte er aus dem letzten Eck hinter dem Schanktresen, einen Mann ziemlich schroff sprechen.

„Komm schon, stell dich nicht so an. Deine Kollegin hat gesagt, du wärst genau die Richtige für mich und würdest es dringend brauchen. Also los, mach die Beine für mich breit Mädchen, sonst lernst du mich kennen.“

Bei diesen Worten wurde Marc beinahe übel und er schlug sofort die Richtung ein, aus der er dachte, diese Frechheiten vernommen zu haben. Wie erstarrt blieb er stehen, als er sah, dass ein sehr ungepflegt aussehender und sturzbetrunkener Mann mittleren Alters, der Kellnerin Julie zwischen die Beine fasste und gerade versuchte, sie an sich zu ziehen. Neben ihm saß ein weiterer Mann, der aber vermutlich aufgrund seines zu hohen Alkoholspiegels nichts mehr mitbekam, und offenbar unter seinem Hut schlummerte.

Marc konnte nicht mehr klar denken, und handelte impulsiv.

„Ich bitte um Verzeihung. Die junge Dame war bereits mir versprochen. Kommst du, Julie? Aber schnell jetzt.“

Der betrunkene, brutale Mann war zu verdutzt, um reagieren zu können, und Julie konnte sich seinem Griff problemlos entwinden. Schweigend folgte sie Marc aus der düsteren Ecke, hinaus in den vollen Betrieb. Warum Marc das gesagt hatte, wusste er nicht, es schien ihm die einzige Lösung für Julies Problem zu sein. Für Gewalt und Schlägereien hatte er noch nie etwas übriggehabt, weshalb diese Option der körperlichen Verteidigung der jungen Dirne, schon einmal weggefallen war.

Er wandte sich ihr nun zu.

„Es tut mir leid, was ich da gesagt habe, und dass es so schroff geklungen hat. Ich wollte Sie einfach nur von dort wegschaffen und Ihnen helfen. Geht es Ihnen auch gut?“

Julie blickte Marc beinahe erschrocken, und mit erstaunten, großen blauen Augen an. Sie hatte wunderschöne Augen, blaugrau, wie ein trüber Himmel. Aber sie wirkten traurig und bedrückt. Ja, beinahe hoffnungslos.

Julie sah ihren Retter nun an. War er überhaupt ihr Retter? Oder war er nur ein weiterer Wüstling, der versuchen würde ihre Hilflosigkeit auszunutzen, und ihr am Ende wehtun würde.

Doch nun blickte sie in seine treuherzigen, bräunlichgrünen Augen. Welche Farbe war das? Olivgrün? Nein, grün mit Hellbraun? Sie hatte solche Augen noch nie zuvor gesehen. Doch, sie erinnerten Julie beinahe an die Augen des Hundes aus ihrer frühen Kindheit. Himmel, hatte sie diesen Hund geliebt. Julies Herz erwärmte sich für einen Moment. Doch jetzt war sie hier, in diesem Bordell, und wurde täglich von den widerwärtigsten Männern belästigt. Der freudige Funken verschwand wieder. Hatte sie der Fremde etwas gefragt? Julie blickte ihn nun erneut fragend und ratlos an.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er noch einmal.

„Äh, ja, danke, es ist alles in Ordnung“, antwortete sie knapp und unsicher.

Der Fremde wirkte nun ebenfalls etwas unsicher und trat von einem Bein auf das andere. Wenn Julie etwas gut konnte, dann war es, die Körpersprache von anderen Menschen richtig zu deuten. Doch diese Tugend spielte hier keine Rolle. In diesem Etablissement ging es schließlich nur darum, sich zu verstellen und dem anderen etwas vorzuspielen. Wie grässlich das alles hier war. Aber was blieb ihr anderes übrig? Aufgrund ihrer Entstellung und Herkunft konnte sie keiner anderen Tätigkeit nachgehen. Außerdem hatte sie nichts anderes gelernt und würde niemals irgendwo als Dienstmädchen oder Gesellschafterin angestellt werden. Sie kam aus miserablen Verhältnissen, hatte nichts vorzuweisen, und konnte nur hoffen, dass ihr Leben halbwegs schnell und ohne weitere tragische Vorfälle vorüber gehen würde.

Der Fremde fragte nun: „Darf ich Sie vielleicht auf ein Getränk einladen?“

Julie war stutzig. Das war sie bereits schon öfters gefragt worden. Und bevor sie den ersten Schluck hatte machen können, waren die Männer beinahe jedes Mal sofort über sie hergefallen und hatten sie in die Räumlichkeiten für die Ausführung des scheußlichen Aktes mitgezerrt. Julie wurde übel bei dem Gedanken daran. Stets hatte sie dabei die Augen geschlossen gehalten und es über sich ergehen lassen. Sie hatte jedes Mal gehofft, dass es so schnell wie möglich vorbei wäre. Irgendwann hatten die Männer begonnen, sich beim Bordellbesitzer darüber zu beschweren, wie teilnahmslos und uninteressant sie wäre. Daraufhin hatte der Boss sie zu einem ernsten Gespräch gebeten und ihr verkündet, dass sie sich anstrengen müsse, sonst würde sie rausfliegen. Julie war so verzweifelt gewesen, dass sie bitterlich zu weinen begonnen hatte, denn sie hatte nichts und niemanden auf der Welt. Sie hätte nicht gewusst, wo sie sonst hingegangen wäre. Der Bordellbesitzer, Gil, hatte offenbar in seiner massiven, behaarten Brust doch irgendwo ein weiches Herz, und hatte Julie vorgeschlagen, ob sie von nun an nur mehr noch als Kellnerin für ihn arbeiten würde. Julie hatte sein Angebot dankend angenommen, allerdings verdiente sie seitdem weitaus weniger Geld. Das war ihr jedoch egal, sie hatte keine großen Ansprüche. Sie wohnte ohnehin in ihrem Prostituierten-Quartier direkt über dem Bordell, so wie die meisten anderen Mädchen hier, und brauchte deshalb nicht viel zum Überleben. Wo sollte sie in ihrer Freizeit außerdem schon hingehen? Bei Tageslicht würde sie kein Mensch da draußen sehen wollen.

„Also wollen Sie?“, fragte der schöne, blonde Fremde erneut.

Sie hatte wohl soeben sehr lange ihren Gedanken nachgehangen und ihn einfach ignoriert. Irgendwie war ihr das nun peinlich und sie willigte ein.

Gemeinsam gingen sie hinüber zum Schanktresen und der schöne Mann rückte ihr sogar den Hocker zurecht, und nahm dann neben ihr Platz. Sie hatte ihn noch gar nicht richtig begutachtet, weil sie so mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Vielleicht lag das daran, dass sie nie jemanden zum Reden hatte. Seit so vielen Jahren trug sie nun schon ihre Gefühle und Gedanken stumm mit sich herum. Wenn sie einmal versucht hatte, mit den anderen Mädchen über die Dinge zu sprechen, die sie bewegten, wurde sie meist damit unterbrochen, nicht jammern zu dürfen, denn es könnte ja alles noch viel schlimmer sein. Oder sie wurde als Träumerin abgetan.

Jedenfalls betrachtete sie nun den wirklich gut aussehenden Mann aufmerksam.

„Was möchten Sie trinken?“, fragte er sie.

„Limonade, bitte“, antwortete Julie.

Während er bestellte, betrachtete sie ihn von der Seite. Er hatte etwas längeres, aber gut frisiertes blondes Haar. Man könnte sagen, es hatte einen ganz dezenten Rotstich. Seine Augen kannte sie ja bereits. Irgendwie waren bei ihm alle Farben erstaunlich schwer zu benennen. Es waren ganz spezielle Nuancen, die sie so noch nie zuvor gesehen hatte. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Er war groß, auf jeden Fall um einiges größer als sie selbst, und offenbar gut gebaut. Unter seinem Jackett zeichneten sich attraktive Oberarmmuskeln ab, und sein Bauch war flach. Er hatte ein vorteilhaftes, markantes Kinn und eine schöne gerade Nase. Ja, er sah einfach umwerfend gut aus. Anders konnte man es nicht beschreiben. Und offenbar war er auch nett. Hoffentlich. So sicher konnte Julie sich nie sein. Zu oft war sie schon nach kurzer Zeit von ihrem ersten guten Eindruck enttäuscht worden. Oft hatten sich zunächst freundlich wirkende, junge Männer, als perverse und abartige Liebhaber herausgestellt. Deshalb hatte Julie irgendwann komplett zugemacht, und es nur mehr noch über sich ergehen lassen können.

Der schöne Fremde wandte sich ihr nun wieder zu.

„Also, geht es Ihnen auch gut? Wieso wird hier zugelassen, dass man so mit Ihnen spricht? Gibt es hier keinen Chef, oder jemanden, bei dem man sich beschweren könnte?“

„Bloß nicht“, fiel ihm die junge Dame beinahe ins Wort.

Innerlich nannte er sie Dame, denn alle anderen Begriffe, die ihrer Berufsbezeichnung wohl eher würdig wären, schienen Marc fehl am Platz.

„Tun Sie das bitte nicht“, flehte sie ihn nun an.

Und da war wieder dieser unendlich traurige Ausdruck in ihren schönen, blaugrauen Augen. Die verschleiert waren wie im Nebel. Wie konnte er diese Augenfarbe beschreiben? Solche Augen hatte er noch nie zuvor gesehen. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern.

„Ich stehe bei meinem Boss ohnehin schon auf der Abschussliste. Und wenn er davon erfährt, war es das vielleicht für mich. Dann stehe ich ganz ohne Arbeit da und …“, sie unterbrach sich selbst.

Marc spürte ihre Not und beschloss, das Thema fallen zu lassen. Sollte er sie stattdessen vielleicht lieber auf den Vorfall mit den zerbrochenen Gläsern und der schroffen Kellnerin von vorhin ansprechen?

Da kam ein dicker, sehr stark behaarter, aber nicht allzu großer Mann hinter der Theke an sie heran. War das etwa ihr Boss? Hatte sie bereits irgendetwas falsch gemacht?

„Nicht herumsitzen, Julie. Erhebe dich und arbeite für dein Geld. Es sitzen hier überall durstige Männer, die darauf warten, bedient zu werden“, sagte der Mann recht streng, aber nicht schroff zu ihr.

Marc wollte schon den Mund öffnen, um sie zu verteidigen und um zu berichten, was zuvor geschehen war. Julie bedeutete ihm aber schnell, nichts zu sagen, und Marc unterließ es. Sie wollte sich bereits erheben, als er einen Einfall hatte.

„Ich würde die Dame gerne für eine Stunde haben. Wie viel kostet es?“, fragte er den Mann.

Julie blickte ihn von der Seite verdutzt an, das konnte er im Augenwinkel wahrnehmen und spüren.

„Tut mir leid, aber die Dame arbeitet momentan nicht für diese Zwecke. Sie ist nur als Kellnerin für mich tätig“, antwortete ihm der vermeintliche Chef.

Nun war es Marc, der ihn verdutzt anblickte.

Julie sah ihn von der Seite an und bekam Mitleid. Sie wusste nicht genau warum oder weshalb, es war einfach da, dieses Gefühl. Sie überlegte nicht lange, sondern handelte.

„Ist schon gut, Chef. Bei ihm mache ich eine Ausnahme“, sagte sie in etwas zu aufgesetztem, lässigen und selbstbewussten Tonfall.

Nun blickten sie der Schöne und der Chef verdutzt an. Dann erwiderte er an den Fremden gewandt: „Nun denn. Das wären dann zehn Pfund.“

Der Fremde griff in seine Tasche, zog das Geld heraus und übergab es ihrem Boss. Daraufhin wandte sich der Chef von ihnen ab und verschwand wieder.

„Danke, das wäre aber nicht nötig gewesen“, kam es Julie unbedacht über die Lippen, denn sie empfand ehrliche Dankbarkeit.

Allerdings wusste sie ja noch gar nicht, was er nun wirklich von ihr wollte. Vielleicht würde er sie jetzt gleich in eines der Zimmer begleiten und sich als perverses Ekel herausstellen. Spätestens dann würde sie ihre Entscheidung und Aussagen der vergangenen Minuten bitter bereuen.

„Keine Ursache“, gab der schöne Fremde nur zurück und nippte weiter an seinem Glas mit Ale. Etwas verunsichert setzte sich nun auch Julie wieder auf ihren Hocker und nahm ihr Glas in die Hand. Jetzt bemerkte sie erst, wie durstig sie eigentlich war, und trank die gesamte Limonade leer.

„Wollen Sie noch eine?“, fragte der Fremde.

Allmählich hatte sie es satt, ihn in ihren Gedanken ständig den Fremden nennen zu müssen.

„Ja gerne, vielen Dank. Darf ich fragen, wie Sie heißen?“

Das war unglaublich mutig von ihr gewesen. Derart entspannt und unbefangen kannte sich Julie schon gar nicht mehr. In den letzten Jahren war sie ständig in Kampfbereitschaft und Abwehrhaltung gewesen, ständig auf der Hut vor Schroffheit und übergriffigem Verhalten. Doch bei ihm fühlte sie sich irgendwie anders. Sie fühlte sich wohl. Sie hatte das Gefühl, sie selbst sein zu dürfen, sich nicht verstellen zu müssen. Hoffentlich irrte sie sich nicht wieder.

„Natürlich dürfen Sie das. Wie dumm von mir, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe.“

Er wandte sich ihr zu.

„Mein Name ist Marc Skilliard. Ich arbeite für Rogers & Sons in Manchester“, stellte er sich höflich vor.

Er streckte ihr sogar seine rechte Hand entgegen. Vermutlich war das unter Geschäftsmännern so üblich und er hatte nicht sehr oft mit Damen zu tun. Julie musste nun unwillkürlich grinsen.

„Mein Name ist Julie Lexington, aus London“, teilte sie ihm nun ihren Namen mit und gab ihm ebenfalls die Hand.

Als ihre Hände sich berührten, geschah etwas Magisches. Es war wie ein Stromschlag, der durch ihren gesamten Körper strömte. Wie elektrisiert hielt sie in der Bewegung inne und blickte auf ihre verschränkten Hände hinab. Auch Marc, Mr. Skilliard, rührte sich nun nicht mehr, und sie blickte wieder hoch in seine Augen. Er sah sie mit warmherzigem, aber auch irgendwie erstauntem Blick an. Seine Augen waren so schön. Wie ein beruhigender, erdiger Ort, an dem sie lange verweilen und sich ausruhen wollte.

Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen

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