Читать книгу Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen - Julie Bloom - Страница 7

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3. Kapitel

Marc fühlte sich wie elektrisiert. So etwas hatte er noch nie zuvor erlebt, wenn er einen anderen Menschen berührt hatte. Eine andere Frau. Sie war eine Frau. Auch wenn sie hier in einer fürchterlichen Spelunke arbeitete und bereits wer weiß was, mit wer weiß wem, getan hatte. Oder war sie vielleicht bislang tatsächlich nur als Kellnerin tätig gewesen? Marc würde es sich von Herzen wünschen. Aber irgendwie konnte er nicht daran glauben. Sein Gefühl sagte ihm etwas anderes, wenn er in diese traurigen, verhangenen Augen blickte. Jetzt wusste er es, Julies Augen sahen aus wie ein verhangener Herbsthimmel. So konnte er sie beschreiben.

Langsam löste er seine Hand wieder von der ihren, und räusperte sich etwas verlegen. Er griff nach seinem Ale und machte einen Schluck, um sich wieder zu beruhigen und einen klareren Kopf zu bekommen. Die Gefühle hatten überhandgenommen, und das mochte der sonst so kontrollierte Marc gar nicht gerne.

Julie drehte sich nun auch ihrem frisch servierten Getränk zu und wurde dabei vom Barmann verschwörerisch angezwinkert. Was sollte das denn? Offenbar war es ihr unangenehm, denn im Augenwinkel konnte Marc wahrnehmen, wie sie beschämt wegsah und sogar etwas errötete. Marc musste schmunzeln. Er wandte sich ihr erneut zu.

„Also, Julie Lexington, was wollen wir mit der restlichen Stunde, die ich Sie von ihrer Arbeit freigekauft habe, anstellen?“

In demselben Moment bereute Marc bereits seine Aussage, denn ihm war die Doppeldeutigkeit, oder besser gesagt die Gefahr, dass sie es falsch verstehen könnte, äußerst bewusst. Also wollte er sich schnell korrigieren und öffnete bereits den Mund zum Sprechen.

Julie, Miss Lexington, er nahm zumindest an, dass sie eine Miss war, kam ihm aber zuvor: „Mir steht hier ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Dort können wir hingehen.“

Marc wollte am liebsten schon widersprechen und sich erklären, dass er es nicht so gemeint hatte. Irgendwie brachte er nun aber kein Wort hervor und folgte Julie, die bereits aufgestanden war und sich in Bewegung gesetzt hatte. Schnell schnappte er sich seine Aktentasche und ging ihr hinterher. Dabei fühlte er sich höchst seltsam, weil er ja im Grunde einer vermeintlichen Prostituierten folgte und sie beide offensichtlich in eines der Zimmer gingen, um das Offensichtliche zu tun. Dieses unwohle Gefühl bestätigte Marc nur erneut darin, dass er eindeutig kein Bordell-Geher war. Er würde sich dabei einfach nur unbehaglich fühlen. Doch Julie nachzugehen, fühlte sich irgendwie anders an. Es war eher so, wie einer Freundin oder guten Bekannten zu folgen, um mit ihr in Kürze eine Tasse Tee zu trinken und zu plaudern. Seltsame Gedanken, musste Marc sich nun eingestehen.

Sie gingen gerade an dem Separee vorbei, wo er zuvor seinen Geschäftsabschluss gemacht hatte. Nun fielen ihm auch wieder die anderen Herren ein, die offenbar noch immer mit ihren Dirnen beschäftigt waren, denn der Raum war momentan menschenleer.

Marc folgte Julie nun ein paar Treppen hinauf in einen recht düsteren Gang, der nur von wenigen Kerzen an den Wänden beleuchtet wurde. Es gab viele Türen, in etwas zehn Stück. Plötzlich blieb Julie vor einer von ihnen stehen und ergriff die Türklinke. Sie atmete einmal tief durch, so als würde es sie sehr viel Überwindung kosten, dieses Zimmer zu betreten. Dann öffnete sie die Türe und sie traten ein. Marc hielt ein wenig Abstand zu ihr, um sie nicht zu bedrängen. Es war ein kleiner, schummriger Raum, wieder hauptsächlich in Rot gehalten. Das Bett war mit rotem Samt umsäumt und wirkte ansonsten recht gepflegt. Er hatte es sich schlimmer vorgestellt.

Auch das kleine Fenster wurde von einer weißen Gardine geziert. Eigentlich wirkte es ganz gemütlich, wenn auch etwas übertrieben kitschig. Jedoch wollte Marc sich nun nicht vorstellen, was hier wohl schon alles passiert war. Unwillkürlich schüttelte er sich, um die Gedanken daran abzuschütteln.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ihn Julie, die ihn offenbar dabei beobachtet hatte. Sie ging nun an ihm vorbei und schloss die Zimmertüre. Dann stellte sie sich zurück vor das Bett.

Marc wollte sich nun endlich erklären.

„Ja natürlich, es ist alles in Ordnung. Nur Julie, ich meine, Miss Lexington, ich hatte gar nicht das hier gemeint, als ich zuvor gefragt hatte, was wir mit der Zeit anfangen sollen.“

Marc deutete um sich und in Richtung Bett, und hoffte, dass Julie verstehen würde, was er gerade so erstaunlich ungeschickt versucht hatte, auszudrücken.

Julie begann nun zu grinsen und kam etwas verführerisch auf ihn zu.

„Was haben Sie denn dann gemeint, Mr. Skilliard?“, fragte sie immer noch schmunzelnd und seltsam gespielt.

Marc war verwirrt. Es war, als hätte sie eine Verwandlung vollzogen, mit dem Betreten dieses Raumes.

„Ich weiß es nicht genau“, gestand Marc nun. „Vielleicht reden, oder spazieren gehen? Ich gebe zu, ich hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, bevor ich diese unbedachte Frage gestellt hatte. Und dafür möchte ich mich entschuldigen. Sie sind natürlich vollkommen frei, selbst zu entscheiden, was sie mit der verbleibenden Zeit anfangen wollen. Ich hatte Ihnen zuvor nur helfen, und mich noch weiter mit Ihnen unterhalten wollen. Das ist alles.“

Um die Unschuld seiner Gedanken zu demonstrieren, hob Marc nun entwaffnend die Hände.

Julie blickte ihn etwas skeptisch, aber auch recht erstaunt an. Diese Information war offenbar ziemlich neu und unerwartet für sie. Plötzlich verschwand die gespielte Art, und, die Julie, aus dem Schankraum kehrte zurück. Sie ließ wieder etwas die Schultern hängen, ihr Blick bekam erneut diesen vergangenen Ausdruck und sie ging zurück zu dem rot bedeckten Bett, und setzte sich, etwas erschöpft wirkend. Dann lachte sie.

„Mr. Skilliard, was ich mit meiner Zeit anfangen will? Das ist eine gute Frage. Es gibt leider nicht viel, was ich tun könnte. Gil würde mir niemals erlauben, um diese Uhrzeit das Bordell zu verlassen. Ich muss also hierbleiben und arbeiten, ob ich will oder nicht.“

Julie seufzte. Marc stand einfach nur da und hörte ihr weiter zu.

„Aber was machen Sie eigentlich hier? Offenbar sind Sie ja nicht an einer schnellen Nummer interessiert“, fragte sie Marc nun ehrlich verwundert.

Marc erzählte ihr von dem Geschäftstreffen, und dass er es lieber anderswo abgehalten hätte. Er berichtete ihr von Mr. Kellington, der allen Verhandlungsteilnehmern eine Prostituierte spendieren wollte. Und dass er dann sie, Julie, und die äußerst schroffe und unverschämte Kellnerin beobachtet hatte. Er gestand ihr, dass er Julie danach aufsuchen wollte, um ihr beizustehen und sich zu versichern, dass es ihr gut ginge. Dann war dieser Zwischenfall mit dem angetrunkenen und aufdringlichen Widerling passiert.

Julie hörte ihm sehr aufmerksam zu. Das konnte sie offenbar gut, einfach nur zuhören. Das gefiel Marc und verschaffte ihm ein vertrautes, wohliges Gefühl.

Als er nun fertig war, lächelte Julie sogar ein wenig.

„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen bedanken, dass Sie mich heute gleich zweimal retten wollten“, brachte sie freundlich hervor.

Sie stützte ihre Hände neben sich auf dem Bett ab. Offenbar war sie tatsächlich ziemlich erschöpft.

„Wollen Sie sich vielleicht ein wenig hinlegen und ausruhen, in der restlichen Zeit, die noch bleibt? Ich könnte mich inzwischen hier in den Sessel setzten und Wache halten“, schlug Marc ernst gemeint vor.

Er wollte irgendwie, dass es dieser jungen Frau gut ging. Ihr Schicksal, ihr Wohlbefinden, lagen ihm unerklärlich am Herzen. Vielleicht war er einfach nur ein guter Mensch? Das musste es sein. Dennoch wollte er sie am liebsten beschützen und die gesamte Nacht hier drinnen in Sicherheit wissen.

Julie lächelte nun erneut und legte sich, zu Marcs Überraschung, tatsächlich auf ihre Seite nieder.

Julie war Marc, dem Fremden, sehr dankbar. Er schien tatsächlich alles ernst zu meinen, was er sagte. Zumindest verrieten ihr das seine treuherzigen und wundervollen Augen. Sie wollte darin versinken, darin baden.

War er vielleicht ein Engel, der ihr in ihrer Not erschienen war? In dem Separee für Geschäftsleute hatte sie ihn zuvor gar nicht wahrgenommen. Es wäre also gut möglich, dass diese Geschichte gar nicht der Wahrheit entsprach, und er direkt in der düsteren Ecke zuvor, als dieses widerwärtige, schreckliche Ekel sie so dreist belästigt hatte, vom Himmel gestiegen war. Aussehen tat er jedenfalls wie ein Engel. Dieses schöne gelockte, blonde Haar. Seine unglaublich gütigen Augen. Doch, dass er Ale trank, sprach eher gegen diese Theorie. Würde ein Engel Ale trinken? Und war sie, Julie, nun komplett verrückt geworden, solchen Unsinn zu denken? Vielleicht war es, weil er somit der erste Mann in ihrem Leben wäre, der es offenbar gut mit ihr meinte, und sie nicht nur benutzen wollte. War das möglich?

„Julie, darf ich Sie noch etwas fragen?“

„Ja, das dürfen Sie“, antwortete Julie.

Sie lag so auf ihrer Seite, dass sie zu Marc, der nun einige Fuß entfernt in dem roten Sessel saß, hinüberblicken konnte. Er wollte bestimmt nicht wissen, was in und mit diesem Sessel schon alles geschehen war.

„Wie kommt es, dass Sie hier in diesem Bordell arbeiten?“, fragte er.

Julie überlegte einen Augenblick.

„Ich hatte keine andere Wahl. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Auf der Straße leben, oder hier bei Gil aufgenommen zu werden. Eine Unterkunft und Verpflegung zu bekommen und für einen Hungerlohn zu schuften“, gestand sie.

Über ihre Offenheit war Julie nun selbst verwundert.

Marc konnte es kaum glauben, was er da hörte. Warum sollte diese hübsche, junge Frau keine andere Wahl gehabt haben, als in diesem Bordell zu arbeiten oder auf der Straße zu landen? Der Gedanke daran tat ihm beinahe weh.

„Verraten Sie mir, wie lange sie für diesen Gil schon tätig sind?“, fragte er vorsichtig.

„Zehn Jahre.“

„Um Himmels willen, wie alt sind Sie denn?“, rutschte es Marc unbedacht heraus.

Irgendwie brachte sie ihn ständig dazu, unüberlegte Fragen zu stellen. Das passierte ihm sonst nie, da er rhetorisch gut geschult war.

Julie lächelte aber amüsiert und gestand dann ihr Alter.

„Achtundzwanzig, ich bin vor wenigen Wochen achtundzwanzig Jahre alt geworden.“

Marc überlegte einen Augenblick, ob er ihr dazu noch gratulieren sollte, ließ es dann aber bleiben.

„Das heißt, Sie haben bereits mit achtzehn Jahren begonnen, hier zu arbeiten ...“, um die Frage beenden zu können, musste Marc seinen Mut zusammennehmen. Er atmete einmal tief ein, und fuhr dann fort. „... als Kellnerin?“

Julie zögerte nun und stutzte.

Marc ärgerte sich sofort über seine Indiskretion und fügte schnell hinzu: „Es tut mir leid, das geht mich natürlich nichts an. Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung, für meine unpassende Neugierde.“

Julie konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals mit einem derart gesitteten, und höflichen Mann, der solch tadellose Marinieren an den Tag legte, verkehrt zu haben. Er erstaunte sie stets aufs Neue. Nun war sie sich seiner Aufrichtigkeit sicher. Julie setzte sich träge auf und stützte sich mit ihren Armen erneut auf dem Bett ab. Müde blickte sie zu Marc hinüber, dem blonden Engel. Doch nun wirkte er wie ein echter Mensch, ein richtiger Mann. Und er sah sehr attraktiv aus. Zum ersten Mal in ihrem Dasein verspürte sie in diesem Raum Lust auf körperliche Intimität mit jemandem. Nämlich mit ihm, dem schönen und wohlerzogenen Marc Skilliard. Wo er wohl herkam und aufgewachsen war? Sie würde ihn später danach fragen. Nun wollte sie ihm den Gefallen tun, und seine direkte Frage ehrlich beantworten.

„Um ehrlich zu sein, nein. Zunächst habe ich hier nicht nur als Kellnerin gearbeitet. Genau genommen arbeitet hier niemand nur als Kellnerin. Bei mir hat Gil vor einiger Zeit aber eine Ausnahme gemacht, weil ich mit dem … Weil ich damit einfach nicht zurechtgekommen bin. Ich kann das nicht mehr … ich meine …“

Unwillkürlich kullerte Julie eine Träne über die Wange. Mist, das wollte sie überhaupt nicht. Sie wollte nicht das arme Mädchen sein, dass aus Verzweiflung zu weinen begann. Noch dazu gegenüber einem derart attraktiven Mann. Aber irgendwie konnte sie sich nun nicht mehr zurückhalten und es folgten weitere Tränen. Hastig und etwas verärgert wischte Julie sie rasch aus ihrem Gesicht. Es tat einfach so gut, dass ihr jemand zuhörte, dass er ihr zuhörte, ohne sie sofort zu unterbrechen und dagegen zu reden. Auch jetzt blieb er einfach dort in seinem Sessel sitzen und wartete. Julie errang ihre Fassung zurück und sprach weiter.

„Jedenfalls ging es so weit, dass sich Herren immer öfter über mich und meine teilnahmslose Art dabei beschwert hatten, und der Boss mich feuern wollte. Irgendwie hat er mich dann aber doch hierbehalten und mich von da an nur mehr noch als Kellnerin eingesetzt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Doch nicht jeder der Gäste weiß das, und deshalb versuchen solche widerwärtigen Schurken, wie vorhin, nach wie vor bei mir zu landen. Es ekelt mich einfach so an.“

Julie beendete ihre Rede und sie war sehr erleichtert, es endlich einmal ausgesprochen zu haben. Sie war derart in Rage geraten, dass sie Marc schon ein Weilchen nicht mehr angesehen hatte. Langsam und vorsichtig blickte sie nun zu ihm hinüber, um zu sehen, wie er darauf reagierte.

Marc hatte wohl auf ihre Aufmerksamkeit gewartet.

„Es tut mir ehrlich leid, wie es Ihnen hier wohl ergangen war und immer noch ergeht“, sagte er ehrlich mitfühlend.

Nun verstand er auch, warum die schroffe Kellnerin Julie zuvor so angefahren war. Vermutlich waren die anderen Dirnen neidisch auf sie, dass sie sich vor der grauenhaften Prostitution hatte drücken können. Marc war ehrlich gesagt sehr froh darüber, dass sie das nicht mehr tun musste. Und der Gedanke daran, dass sie es aber jemals getan hatte, löste ein Grauen in ihm aus. Aber nicht ihr gegenüber, sondern denen gegenüber, die ihr das angetan hatten.

„Warum gehen Sie dann nicht einfach? Oh, bitte entschuldigen Sie die ungeschickte Frage. Ich wollte sagen, was hat sie all die Jahre hier festgehalten? Gibt es wirklich keine anderen Möglichkeiten?“

Nachdem er die Frage gestellt hatte, ahnte er, wie dämlich und unpassend sie vermutlich war.

Julie schüttelte nun sarkastisch lachend den Kopf.

„Glauben Sie mir, wenn es die gäbe, hätte ich sie gewählt. Aber ein Mädchen, wie ich, hat keine andere Wahl. Vermutlich bin ich dazu geboren worden, um einmal hier zu verenden.“

Marc erhob sich nun unwillkürlich, denn dies war der größte Schwachsinn, den er jemals gehört hatte und ganz bestimmt nicht hören wollte. Auch wenn es für Julie vermutlich tatsächlich wie die Wahrheit erschien.

„Nein, auf keinen Fall“, protestierte Marc erregt. „Eine wunderschöne, kluge Frau wie Sie, kann keines Falls für das hier geboren sein.“

Marc deutete durch den Raum.

„Ich weiß, dass viel mehr in Ihnen steckt und es vieles gäbe, das sie tun könnten, und gewiss mit Bravour meistern würden.“

Marc war ehrlich überzeugt davon, was er da sagte. Doch Julie schien ihn augenblicklich für verrückt zu halten.

„Sie wissen nicht, was Sie da reden.“

Nun erhob sich auch Julie und begann, aufregt und verärgert im Zimmer herum zu gehen.

„Wenn jemand von da kommt, wo ich herkomme, dann gibt es nichts anderes, was man tun könnte. Wir können uns glücklich schätzen, hier arbeiten zu dürfen. Gil ermöglicht uns ein Leben. Eines, das wir nicht in der Gosse verbringen müssen.“

Julie war nun wirklich wütend geworden, aber nicht direkt auf Marc. Sie war mehr zornig darüber, wie hilflos sie sich fühlte und wie ausgeliefert in ihrer Situation. Vielleicht hatte Marc ja sogar recht. Vielleicht hätte sie sich zu gegebener Zeit mehr Mühe geben sollen, einen anderen Weg für sich selbst zu finden. Doch irgendwie war sie hier einfach hängen geblieben und hatte nie den Mut aufgebracht, ihr Leben zu verändern. Wenn sie auch nach wie vor keine Ahnung hatte, wie sie das hätte tun sollen.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

„Ja?“, fragte Julie immer noch mit zittriger, erregter Stimme.

„Die Stunde ist um. Der Chef hat gesagt, ich soll dich zurück in den Schankraum holen. Außer der Herr möchte noch eine Stunde dranhängen. Dann muss er aber gleich bezahlen“, schallte eine Männerstimme durch die geschlossene Türe.

Julie blickte zu Marc hinüber. Der griff suchend in seine Taschen, fand wohl aber nicht das passende Geld und schüttelte resignierend den Kopf. Julie seufzte.

„Ist gut, ich komme.“

Sie ging bereits Richtung Türe. Marc schloss schnell zu ihr auf und hielt sie sanft am Arm fest. Da war es wieder, dieses magische Prickeln. War das möglich?

„Es tut mir sehr leid, dass wir jetzt nicht weitersprechen können. Ich verspreche Ihnen aber, ich komme wieder. Bitte passen Sie in der Zwischenzeit gut auf sich auf“, sagte Marc sehr ernst und mit fürsorglicher, warmer Stimme.

Am liebsten wäre sie ihm nun um den Hals gefallen. Sie wusste aber genau, dass zwischen ihren Träumen und der Wirklichkeit Welten lagen. Also lächelte sie ihn nur vage und dankbar an, und verließ dann das Zimmer.

Marc blickte ihr noch hinterher, bis sie in dem dunklen Gang verschwand.

Der Mann stand immer noch draußen neben der offenen Tür und forderte Marc auf: „Bitte verlassen Sie jetzt auch dieses Zimmer. Und beehren Sie uns bald wieder.“

Marc ging zurück zu dem Sessel und schnappte sich seine Aktentasche. Dann verließ er rasch den Raum.

Unten im großen Schankraum angekommen, blickte er sich einmal nach Julie um, konnte sie aber nirgends sehen. Er ging zurück in das Separee, wo er zuvor mit Mr. Kellington Geschäfte gemacht hatte, und fand nun auch die anderen Gentlemen wieder vor. Einige saßen an dem recht großen Tisch und tranken, während der Boss, Mr. Kellington gerade genüsslich eine Zigarre rauchte. Marc musste aufgrund des schrecklichen Qualms beinahe husten, als er näherkam. Er verabscheute Rauchen.

„Mr. Kellington, ich bedanke mich bei Ihnen für das heutige Treffen, und möchte mich nun verabschieden. Es ist spät geworden und ich muss morgen früh raus.“

Er streckte Mr. Kellington die Hand entgegen. Mr. Kellington stand aber lachend auf und umarmte Marc freundschaftlich.

„Und ich hoffe, Sie hatten Ihren Spaß“, sagte er und zwinkerte Marc zu.

Offenbar dachte er, Marc hätte auch ein Schäferstündchen mit einer der Dirnen eingelegt. Der Einfachheit halber beließ es Marc bei diesem Irrtum und grinste nur zurück.

„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Gentlemen“, sagte Marc noch an die anderen Herren gerichtet und verließ dann das Separee.

Im großen Schankraum blickte er sich noch einmal nach Julie um, konnte sie aber nach wie vor nirgendwo entdecken. Also beschloss er, zu gehen. Er hatte es zuvor kaum erwarten können, hier wieder raus zu kommen. Und nun hatte er das Gefühl, im Bordell etwas zurückzulassen. Ein Teil von ihm wollte nun gar nicht mehr gehen.

Draußen auf der Straße angekommen, atmete Marc einmal tief durch und genoss die recht kühle Nachtluft. Was war hier heute bloß geschehen? Er fühlte sich anders, verwirrt und aufgewühlt. Er hatte seine innere Ruhe und seine Besonnenheit verloren. Plötzlich schien ihm sein bisheriges Ziel, an die Spitze seiner Karriere zu gelangen, nicht mehr genug. Etwas hatte sich verändert, er hatte sich verändert. Ob es etwas Gutes war, wusste er noch nicht. Jedenfalls konnte er es nun kaum erwarten, wiederzukommen und sich weiter mit Julie zu unterhalten. Er hatte das Gefühl, dass da noch so viel mehr dahintersteckte, als er jetzt ahnte, und er wollte es unbedingt erfahren. Er wollte alles über sie wissen und sie verstehen lernen. Es war eine völlig Neue Welt, und für Marc vollkommen unbegreiflich, wie sie in einem Bordell beginnen konnte.

Seinem Chef von dem grandiosen Geschäftsabschluss zu erzählen, konnte ihn nun nicht mehr begeistern und war ihm gerade ziemlich gleichgültig. Obwohl er es am nächsten Morgen natürlich sofort tun würde.

Nun pfiff Marc eine Mietdroschke herbei, von denen zum Glück selbst zu dieser Stunde noch einige unterwegs waren, und ließ sich zu seiner Unterkunft bringen. Ob er in der heutigen Nacht würde schlafen können, wusste er noch nicht.

Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen

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