Читать книгу Die Wächter der Insel - Juliett L. Carpenter - Страница 3

1. Kapitel

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Sieht wahrscheinlich ziemlich bescheuert aus, wie ich hier sitze und selig vor mich hinlächle. Wie so ein Krishnajünger. Robin Cameron grinste seinem Spiegelbild in der Glasabdeckung des Höhenmessers zu, und das Glücksgefühl in seiner Seele schwamm wieder an die Oberfläche. Gut, dass er alleine in dieser Kiste war. Ihm war nach Singen zumute, und so schadete es nicht, dass seine Stimme ab und zu vom Ton abirrte und ein wenig kratzig klang. "All I needed was the love you gave, all I needed for another day, and all I ever knew – only you ..."

Immer wieder formte sich in ihm das Bild eines feinknochigen Gesichts mit dunkelbraunen, immer etwas herausfordernd blickenden Augen. Das war ihm mehr als recht – schon seit fünf Stunden starrte er aus einigen tausend Metern Höhe auf die Tasman-See und hatte diesen Anblick herzlich satt. Jede Menge Wasser und kein einziger Orientierungspunkt. Ein schimmerndes Niemandsland unter seinen Flügeln, fern und etwas unwirklich; er flog so hoch darüber hinweg, dass er nicht einmal einen Spritzer Gischt abbekam. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis die grünen Berge Neuseelands vor ihm auftauchten. Blöderweise war das GPS vor zwei Stunden ausgefallen, doch er hatte entschieden, weiterzufliegen und nicht wegen einer solchen Kleinigkeit umzukehren. Immerhin hatte er noch Kompass und Karte.

"Came back only yesterday I´m moving further away ... Want you near me ..."

Es fiel ihm schwer, sich auf die Cessna zu konzentrieren, auf die enge, nach Sprit stinkende Kabine, in der er saß. Was war eigentlich gestern Abend los gewesen mit Lindy, dieser neuen Lindy mit ihrer Business-Lackschicht, und ihm? Hatte er nur geträumt? Bedauerte sie vielleicht schon, was geschehen war? Wenn er Pech hatte, tat sie es als sentimentalen Schwachsinn oder Ausrutscher ab. Er würde es erst feststellen können, wenn er in Auckland angekommen war und irgendwo ein Telefon aufgetrieben hatte ...

Gedankenverloren lächelnd kramte er mit der freien Hand in dem Zeug unter dem Copilotensitz nach einem Sandwich und nestelte es aus der Folie heraus. Es war seine Lieblingssorte, Schinken mit Marmelade, doch diesmal nahm er den Geschmack kaum wahr, seine Gedanken waren immer noch in ihrer euphorischen Endlosschleife gefangen. Vielleicht schaffen wir es ja wirklich, uns wieder zusammenzuraufen, dachte er. Vielleicht haben wir eine Chance!

Robin verlagerte sein Gewicht auf dem Sitz, biss das nächste Stück von seinem Sandwich ab – und hielt im Kauen inne, der Mund noch offen, der Körper starr. Er lauschte und vergaß zu atmen.

Hatte sich das Motorgeräusch eben nicht ganz leicht verändert?

Sein Sandwich landete unbeachtet auf seiner Bordtasche, zog eine klebrige Spur über den Stoff und endete in seinen Einzelteilen zwischen den Pedalen des Seitenruders. Robin riss sich die Kopfhörer herunter, sein Blick sondierte die Instrumente. Öldruck und -temperatur sahen ganz normal aus, Sprit war auch noch genug da, im großen Zusatztank auf dem Copilotensitz schwappte es noch ganz ordentlich, aber die rote Nadel des Drehzahlmessers tanzte hektisch. Nervös begann Robin mit den Einstellungen herumzufummeln. Sehr viel mehr konnte er im Cockpit nicht tun, und aussteigen und unter die Motorhaube schauen war nicht drin.

Einige Sekunden später begann der Motor ganz offen zu stottern. Er summte nicht mehr, sondern quälte sich nur noch dahin, setzte aus, fing sich wieder, setzte wieder aus.

Klebrige Angst kroch in Robin hoch. Er griff nach der Karte und berechnete schnell noch einmal, wo er sich genau befand: Genau in der Mitte des riesigen blauen Flecks, der auf dem Papier das Meer zwischen Australien und Neuseeland darstellte. Von einem Moment auf den anderen wurde Robin wieder bewusst, dass diese gleichförmige helle Fläche unter ihm ein furchtbarer Feind war, dass sie ihn aufnehmen würde wie ein Staubkorn – gleichgültig, unwiderruflich und ohne die geringste Spur. Sein Höhenmesser zeigte achttausend Fuß, fast dreitausend Meter, doch Robin wusste, dass ihm keine zehn Minuten mehr blieben, wenn der Motor jetzt wirklich versagte.

"Verdammt!" brüllte Robin. "Beschissene Kiste!"

Er streifte sich Kopfhörer und Mikrophon wieder über und rastete auf seinem Funkgerät die Frequenz von Newcastle. Dann gab er sein Kennzeichen und die Worte durch, die er in all den Jahren noch nie über die Lippen gebracht hatte. Sie klangen fremd und ungewohnt in seinem Mund, seine Stimme war zu heiser, und er sagte es noch einmal: "Mayday, mayday, mayday ..."

Niemand antwortete, in seinen Kopfhörern knisterte es nur. Robin wiederholte seinen Ruf, am liebsten hätte er ins Mikro geschrien. Klar, er hatte einen Flugplan abgegeben – doch wenn niemand wusste, wo genau er auf dieser langen Strecke runtergegangen war, dann konnte es sehr lange dauern, bis jemand ihn holen kam. Plötzlich stand wieder Lindys Bild vor seinem inneren Auge, und es schmerzte unerträglich, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde. Hätte er bloß der Versuchung nachgegeben, in Sydney zu bleiben nach dem, was am letzten Abend geschehen war!

Eine nüchterne Stimme unterbrach seine Gedanken. "Hier Newcastle Tower. Wie ist Ihre Position, und was haben Sie für Probleme?"

Als Robin die Sendetaste drückte und dem Controller Kurs und Position durchgab, die er mit Hilfe von Kompass und Karte berechnet hatte, hatte er seine Ruhe fast schon wiedergewonnen. Wenigstens war er jetzt nicht mehr allein! "Mein Motor klingt, als hätte er Asthma, ich glaube nicht, dass ich noch viel weiter komme."

"In Ordnung ... gehen Sie auf die Notruffrequenz."

Robin stellte die neue Frequenz ein und befeuchtete seine trockenen Lippen. Er konnte den Blick nicht von der endlosen, leicht gekräuselten Fläche unter ihm lösen. Die Tasman-See war hier ein paar tausend Meter tief. Aber das bedeutete nicht, dass alles vorbei war, wenn er hier notwassern musste. Wenn er das Aufsetzen überlebte und gut rauskam, hatte er eine Chance. Garantiert fuhren hier jede Menge Schiffe entlang, er war sich ziemlich sicher, dass er in der letzten Stunde mindestens einen Kahn gesehen hatte. Newcastle Tower hatte ja seine Position und würde jeden, der in der Nähe war, zu ihm schicken. Selbst wenn sie ein Stück weg waren, konnte es nicht länger als einen Tag dauern, bis sie ihn auffischten. Das konnte man durchhalten, das Wasser war nicht besonders kalt. Aber was war mit den Haien?

Er nahm das Mikrophon. "Sagt mal, wie lange wird es dauern, bis ein Schiff bei mir ist?"

Täuschte er sich, oder zögerte Newcastle Tower mit der Antwort?

"Wir forschen noch nach und sagen Ihnen sofort Bescheid, wenn wir Kontakt mit jemandem in der Nähe haben ..."

"Moment mal, was soll das bedeuten?"

"Ihr Kurs liegt abseits der Hauptrouten", sagte der Controller. "Könnte noch eine Minute dauern, bis wir jemand gefunden haben. Aber machen Sie sich mal keine Sorgen."

Es fiel Robin schwer, das zu beherzigen. Kein Schiff in seiner Gegend! Konnte es sein, dass es wirklich vorbei sein sollte? Begannen gerade die letzten Stunden seines Lebens?

"Wie geht´s Ihrem Motor?" ertönte die nüchterne Stimme von der Küste in seinen Kopfhörern. "Je länger Sie in der Luft bleiben können, desto besser."

Robin hätte beinahe gelacht, obwohl ihm nicht danach zumute war. Über dem Festland konnte er ein Flugzeug ohne Motor den ganzen Tag in der Luft halten – eine halbe Tonne weißes Fiberglas auf Luftströmungen zu balancieren war sein größtes Talent. Doch hier über dem Ozean hatte er keine Chance. Er glitt dem Abgrund entgegen, sah genau, was auf ihn zukam, und konnte nichts dagegen tun, nichts. Diese Hilflosigkeit war vielleicht das Schlimmste daran. "Das Scheißding läuft noch, aber mehr schlecht als recht. Was ist denn jetzt mit diesen verdammten Schiffen? Soll ich auf einen anderen Kurs gehen?"

"Negativ, negativ. Wir haben noch niemanden gefunden. Bleiben Sie auf dem alten Kurs und versuchen Sie, noch eine Weile durchzuhalten."

Nervös suchte Robin das Meer unter ihm nach dem V-förmigen Muster ab, das ein vorbeifahrendes Schiff verraten würde. Seine Augen brannten von der Anstrengung, auf der glitzernden Wasseroberfläche etwas zu erkennen. Aber da war nichts, er flog über eine menschenleere Wüste. Und sein Motor quälte sich – gerade in diesem Moment hustete er durch eine Serie von Aussetzern, obwohl Robin ihn hätschelte wie nie zuvor eine Maschine, ihm gut zusprach, andere Einstellungen ausprobierte.

Robin zwang sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. "Ich fürchte, lang macht´s die Kiste nicht mehr. Haben Sie Search & Rescue schon Bescheid gegeben?"

Robin wusste, dass er den Controller nervte. Aber er wusste auch, dass sie bald Funkverbindung verlieren würden, und klammerte sich an jedes Wort.

Es war heiß im Cockpit der Cessna 150, und es schien mit jedem Augenblick heißer zu werden. Der Steuerknüppel war glitschig geworden vom Schweiß seiner Hände, und sein T-Shirt war klatschnass.

Fluchend kramte Robin nach der Schwimmweste, er musste sich abschnallen, um sich die Weste anziehen zu können. Er wünschte, er hätte daran gedacht, ein aufblasbares Rettungsboot mitzunehmen – das wäre viel nützlicher gewesen und hätte ihn wenigstens gegen Haie geschützt. Warum hatte er Peter überhaupt versprochen, seine verdammte Cessna zu überführen? Und warum war er nicht einfach umgekehrt, als er gesehen hatte, dass die kleine Kiste vernachlässigt aussah? Er hatte sich darauf verlassen, dass Peter sie wie versprochen hatte durchchecken lassen. Der Motor hatte ja auch einen ganz guten Eindruck gemacht. Trotzdem – er hätte es besser wissen müssen!

Im Cockpit der Cessna ertönte ein knirschendes Geräusch, als der Motor endgültig abstarb, der Propeller verwandelte sich von einer fast unsichtbaren Scheibe wieder in ein schmales schwarzes Stück Metall. Das stetige Dröhnen wich dem leisen Zischen der Luft um den Rumpf, das Robin aus Tausenden von Stunden von Segelflug so gut kannte. Jetzt bekam er von diesem Geräusch nur eine Gänsehaut.

Die Stimme von der Küste war immer schwerer zu verstehen, je tiefer die Cessna glitt. Eine Minute später brach die Übertragung ab – die Station war unter dem Horizont. Robin schaltete das nutzlose Funkgerät aus. Er schwitzte, und doch fühlte sich sein ganzer Körper eiskalt an.

Neunhundert Fuß, achthundert, siebenhundert zeigte der Höhenmesser; gleichmäßig und unerbittlich kreisten die Zeiger um die Skala und bewegten sich auf die Nullmarke zu. Wie ein gigantisches Heer marschierten die Wellen unter ihm entlang, er konnte schon den Schaum auf ihren Kronen erkennen. Gleich musste er sich ihnen ausliefern.

Robin blickte auf und kniff die Augen zusammen – da vorne auf seinem Kurs war doch etwas. Eine sehr, sehr dünne rauchblaue Linie dort, wo sich Meer und Himmel trafen. Konnte das Land sein? Das war wohl Wunschdenken! Auf der Karte war in dieser Gegend kein Fußbreit Erde eingezeichnet. Es musste eine Regenfront sein oder einfach der Horizont im Dunst ...

Lautlos glitt das kleine rot-weiße Flugzeug wenige Meter über der glitzernden Oberfläche des Ozeans dahin. Immer träger flog es, behutsam bis zur Mindestgeschwindigkeit verlangsamt. Gischt spritzte auf, als das Fahrwerk die Wellen berührte. Als der plötzliche Widerstand des Wassers sie abbremste, versuchte die Cessna sich zu überschlagen. Aber das Meer ließ ihre Räder schon nicht mehr los. Der Rumpf sackte sehr schnell ab; nur die großen flachen Flügel hielten ihn noch einen Moment lang an der Oberfläche. Dann zog der schwere Motorblock ihn in die Tiefe, mit der Schnauze voran begann die Maschine zu sinken. Einen Moment lang konnte man die Umrisse des weißen Flugzeuges durch das klare Wasser noch erkennen, dann sank es ins Blau hinein und verschwand ohne eine Spur.

Die Wächter der Insel

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