Читать книгу Die Wächter der Insel - Juliett L. Carpenter - Страница 5
3. Kapitel
ОглавлениеRobins Schwimmweste war völlig zerfetzt von den scharfen Korallen des Inselriffs, auf das ihn die Brecher geschleudert hatten. Er war bewusstlos und wusste nichts davon, dass er mit dem Gesicht nach unten auf dem nassen Sand lag. Dann und wann griff eine Welle nach dem reglosen Körper, konnte ihn aber nicht wieder ins Meer zurückziehen.
In der Tropensonne begannen seine Haare langsam zu trocknen, und ein stetiger Wind bewegte sie. Von seinem Arm sickerte Blut in den Sand und färbte ihn dunkel. Eine Krabbe huschte über den Sand und versteckte sich in den Fetzen der gelben Rettungsweste, bevor sie weiterkroch zu einem Tangklumpen, der ebenfalls angeschwemmt worden war. Mit trägem Summen zog eine Fliege ihre Kreise über der Gestalt an der Wasserlinie, stieg schwerfällig wieder auf. Der stetige Donner der Wellen am Riff pulste wie ein Herzschlag durch die Stille.
Die Insel war nur ein kleiner, heller Fleck im Ozean mit einem Durchmesser von etwa eineinhalb Kilometern und einer Länge von zwei, drei Kilometern. Sie hatte die Form eines unregelmässigen, fetten Cs. Über die Jahrhunderte hatten das Meer Korallen und Muscheln zu einem grobkörnigen Sand zermahlen und im Innenbogen des Buchstabens abgelagert. Zwischen Strand und Riff breitete sich eine Lagune mit ruhigerem Wasser aus. Schatten unter der Oberfläche verrieten, dass sich einige Fischschwärme hierher zurückgezogen hatten, um vor Raubfischen sicher zu sein.
Tropisches Buschwerk, niedrige Bäume und einige wenige Palmen bedeckte die kleine Insel. Ihre makellose Küste verriet kein Anzeichen menschlicher Besiedelung.
Als Robin allmählich zu sich kam, spürte er das Brennen der Sonne und einen unerträglichen, pochenden Schmerz in seiner linken Seite und seinem Arm. Langsam, mit Mühe, drehte er den Kopf, damit er besser atmen konnte. Sein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an. Er glaubte nicht, dass er sich bewegen konnte, und versuchte es erst gar nicht. Doch dann durchdrang eine Stimme den Nebel in seinem Gehirn, und mit einiger Anstrengung schaffte es Robin, den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Seine Augen brannten vom Salzwasser. Die Landschaft hatte unscharfe Konturen – seine Brille war verschwunden.
Das erste, was er sah, war eine hübsche, kaum bekleidete Frau, die ihn von der Baumgrenze aus anschrie.
"Geh weg! Lass uns in Ruhe! Wir wollen dich hier nicht!"
Muss ein besonders seltsamer Traum sein, dachte Robin und schloss die Augen wieder, ließ sich treiben. Sein Bewusstsein verebbte.
Eine männliche Stimme mischte sich in das Schreien der Frau.
"Was geht hier vor, Suzanne? Oh, was zum Teufel ..."
"Geh nicht hin! Bitte! Wir gehen einfach weg und vergessen das alles, dann wird uns nichts mehr hier stören!"
"Du musst wahnsinnig sein! Er könnte noch leben. Schnell, wir müssen ihn auf den Strand hinaufbringen."
Das Geräusch von Schritten, die auf ihn zukamen. Dann drehte ihn jemand um, fühlte seinen Puls an der Schlagader. Entschlossene Hände zogen ihn aus der Reichweite des Wassers, schleiften ihn auf trockenen Sand.
"Ganz schwacher Puls. Er atmet noch. Ich wünschte, ich hätte mehr Ahnung von Erster Hilfe."
"O mein Gott!"
"Los, hilf mir. Ich kann doch nicht alles allein machen! Hol eine Decke und eine Flasche Whisky aus dem Lager. Mach schnell!"
In diesem Moment öffnete Robin die Augen erneut und begann zu husten. Verschwommen sah er zwei erschrockene Gesichter über sich.
"Wie fühlen Sie sich? Was ist passiert? Ist Ihr Schiff gekentert?"
Doch Robin konnte nicht antworten, er wurde von einem neuen Hustenanfall gepackt, würgte und spuckte Wasser.
"Beeil dich, Suzanne! Hol doch endlich die Decke! – Wer sind Sie?"
Robin versuchte zu sprechen, schaffte es aber nicht. Sein Mund und seine Kehle fühlten sich ausgedörrt an, und ein widerlicher Salzgeschmack lag auf seiner Zunge. Der Mann betrachtete ihn besorgt, gab die Befragung vorläufig auf und wartete auf seine Frau, die anscheinend seinen Anweisungen gefolgt und zum Lager gerannt war.
Eine Dreiviertelstunde später lag Robin in einen Schlafsack gewickelt im Schatten eines roten Zeltes. Auf einer Leine vom Zelt zu einem Baum trockneten seine Jeans und das T-Shirt mit dem Logo des Segelflugzentrums von Tocumwal. Er war bei Bewusstsein, aber noch immer völlig erschöpft. Obwohl das Thermometer bestimmt achtundzwanzig Grad anzeigte, fröstelte er – der Schock wirkte noch in ihm nach, und die fast zwanzig Stunden im Wasser hatten ihn ausgekühlt. Er wusste, dass sein Blutdruck furchtbar niedrig und er vielleicht innerlich verletzt war, aber es war ihm gleichgültig. Wichtig war nur der feste Boden, auf dem er lag.
Die blonde Frau saß in zwei Metern Entfernung auf einem Campingstuhl. Sie beobachtete, wie ihr Mann Robin dazu zu bewegen versuchte, einen Schluck Whisky zu trinken. Die scharfe Flüssigkeit verscheuchte Robins Benommenheit, und allmählich begannen auch die Schmerztabletten zu wirken.
"Es tut höllisch weh, wenn ich atme", murmelte er.
"Woran könnte das liegen, Sue? Schliesslich bist du eine Arzttochter!"
"Könnte auf ein paar gebrochene Rippen hinweisen", sagte die Frau widerwillig. "Seine anderen Verletzungen scheinen nicht so schlimm zu sein."
"Wie schön", sagte Robin schwach. Geschafft. Er hatte es geschafft. Für viel mehr als für diesen Gedanken schien in seinem Kopf kaum Platz zu sein.
"Haben Sie ... zufällig meine Brille irgendwo gefunden?"
"Leider nein. Ich hoffe, Sie können auch ohne sie auskommen, Mister ..."
"Robin Cameron. Ja, ich glaub schon."
"Wir sind John und Suzanne Fraser ... Ich vermute, wir sollten Sie mal verarzten. Bringen wir's hinter uns."
John tastete vorsichtig Robins linken Arm und Brustkorb ab. Als er die Rippen erreichte, konnte Robin ein Stöhnen nicht unterdrücken.
"Ganz eindeutig gebrochen", sagte John. "Der Arm scheint zum Glück nur angeknackst. Sie gehören in ein Krankenhaus."
"Hier im Umkreis wird es damit wohl schlecht bestellt sein ..."
"Stimmt. Wir sind hier allein."
Noch konnte Robin nicht ganz glauben, was er hörte. "Sie meinen – nur Sie zwei? Haben Sie denn eine Möglichkeit, um Hilfe zu rufen? Zum Beispiel Funkkontakt mit Australien?"
"Nein. Wir wollten so etwas nicht."
"Sie wollten so etwas nicht?" wiederholte Robin entgeistert. Er versuchte, sich auf einen Ellenbogen zu stützen, ließ sich aber schon bald wieder zurücksinken.
"Nicht anstrengen", befahl John.
Während der vierschrötige grauhaarige Mann in einem Verbandskasten kramte, beobachtete Robin ihn und seine Frau unauffällig aus halb geschlossenen Augen und versuchte, sich einen Reim auf das zu machen, was er erfahren hatte.
Suzanne war feingliedrig und blond. Sie war deutlich jünger als John, Robin schätzte sie auf Ende Dreißig. Die Jahre hatten ihr nicht zu schlimm mitgespielt, sie war noch immer schlank und vollbusig, und ihr ebenmässiges Gesicht war beinahe klassisch schön.
Während sich John schon fast von der Überraschung über den unerwarteten Zwischenfall erholt hatte, war das Gesicht der Frau noch immer von der Anspannung verzerrt. Wenn sie Robin ansah, waren ihren Augen kühl. Dunkel erinnerte er sich an seine seltsame Vision am Strand, die vermutlich doch keine Vision gewesen war. Jemand hatte ihn angeschrien ...
Vielleicht ist sie nicht ganz richtig im Kopf, dachte Robin beunruhigt. Ist das hier eine Art Irrenhaus?
"Für Erklärungen ist später noch genügend Zeit. Erst einmal müssen wir Ihre Wunden desinfizieren. Waren das die Korallen?"
"Sieht fast so aus", sagte Robin. "Zum Glück kann ich mich nicht mehr allzu klar daran erinnern."
Er betrachtete seinen blutverkrusteten linken Arm. Als er von der Brandung auf das Riff geschleudert worden war, mussten sich die glasharten Stacheln der Korallen hineingebohrt haben. Der Rest seines Körpers war von der Rettungsweste und der Jeans einigermassen geschützt gewesen.
"Wenn das auf dem offenen Meer passiert wäre, hätten die Haie das Blut gewittert und Sie erwischt", sagte John nüchtern. "Sie haben Glück gehabt. Die australischen Haie sind ziemlich ... na ja, das wissen Sie bestimmt. Es kommen auch öfter welche in die Lagune."
Der Mann versuchte die Wunde zu desinfizieren, aber er stellte sich nicht sonderlich geschickt an.
"Ach, so macht man das doch nicht ...", sagte Suzanne, und John drückte ihr einfach die Camp-Apotheke in die Hand. Schweigend zerriss sie eins von Johns Polo-Shirts, um einen Verband herzustellen.
"Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände mache", meinte Robin.
"Uns tut es auch leid!" sagte Suzanne bissig.
"Hör auf, Sue!", knurrte ihr Mann. "Ist nicht seine Schuld, dass er hier mit uns festsitzt."
Suzanne warf Robin einen düsteren Blick zu.
"Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen", sagte John entschuldigend. "Es war Ihre Idee vier Wochen allein auf dieser Insel zu leben und damit unsere Ehe zu kitten. Wir haben nicht gerade mit Besuchern gerechnet ..."
Robin versuchte, sich die Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Das war die skurrilste Beziehungstherapie, von der er jemals gehört hatte.
"Ich habe auch nicht gerade damit gerechnet, dass ich hier ankommen würde. Wenn alles glattgegangen wäre, säße ich jetzt schon in einem Hotelzimmer in Auckland."
"Was ist passiert?"
"Diese verdammte Cessna. Irgendwas war mit dem Motor los."
Er sagte es beiläufig, aber jetzt kamen die Erinnerungen mit ganzer Wucht zurück. Ein Propeller, der sich noch einmal klackernd dreht, dann stillsteht ... aufpeitschende Gischt, die die Cockpitscheiben blind macht ... hereinstürzendes Meerwasser ... ungelenk in der Schwimmweste ... kein Gefühl mehr im Körper ... Schwimmen ... schwarzes Wasser, schwarzer Himmel ... endlose Stunden ...
Peters Cessna war verloren. Sie würde wahrscheinlich nie gefunden werden, und er würde nie herausfinden, was für ein Defekt ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Hoffentlich war Peter wenigstens versichert, dachte er. Seine Kiste liegt jetzt so tief wie die Titanic. Aber meine Schuld war´s ja nicht.
Ganz unvermittelt kehrte der Gedanke an Lindy zurück. Sie würden sich wiedersehen können! Ihr Bild kehrte in ihm zurück, und sein Herzschlag beschleunigte sich. Er hätte gerne mit ihr gesprochen, ihre Stimme gehört. Ein Königreich für ein Funkgerät ...
Robin betrachtete seinen Arm, und die Weltmeisterschaften fielen ihm ein. Nur noch zwei Wochen, bis in Leszno das erste Briefing abgehalten werden würde! Eine furchtbare Hoffnungslosigkeit kroch in ihm hoch. In diesem Zustand konnte er unmöglich mitfliegen. Es war zwar nur der linke Arm, mit dem er höchstens die Klappen und das Fahrwerk bedienen musste, aber trotzdem ... und seine verdammten kaputten Rippen, mit denen würde er es auch nicht lange in einem engen Cockpit aushalten. Die Southern Cross selbst jeden Tag aufzubauen ging dann sowieso nicht, aber dafür konnte man ja genügend Helfer mitnehmen. Ich muss irgendeine Möglichkeit finden, Kontakt zum Festland zu bekommen, dachte Robin verzweifelt. Ab ins Krankenhaus, da flicken sie mich vielleicht noch rechtzeitig zusammen. Aber wenn sie mich nicht bald finden, dann komme ich nie rechtzeitig nach Polen ...
Im Geiste begann Robin nachzurechnen, und er schöpfte wieder etwas Hoffnung. Wenn er innerhalb von einer Woche gefunden und zum Festland gebracht wurde, dann konnte er zumindest theoretisch noch rechtzeitig in Leszno antreten. Aber würde er es überhaupt aushalten, mit einem schmerzenden Arm und angeknackster Rippe zu fliegen, vielleicht noch übermüdet von der langen Anreise im letzten Moment? Chuck Yeager hatte mit einer kaputten Rippe die Schallmauer durchbrochen, aber er war nicht Yeager. Wenn er geschwächt flog und nicht alle Kräfte auf den Sieg konzentrieren konnte, dann landete er vielleicht doch nur unter "Ferner liefen" und schadete womöglich noch seinem Ruf und dem des Segelflugzentrums.
Robin fühlte sich noch kränker, wenn er daran dachte. Die nächsten Weltmeisterschaften waren erst in zwei Jahren. Danny brauchte Robin als Aushängeschild für Tocumwal nicht erst dann, sondern jetzt. So oft, wie es im Moment zum Krach zwischen Danny und ihm kam, würde er Robin schon lange vorher vor die Tür setzen.
Ohne unnötiges Zartgefühl zog Suzanne den Druckverband um seine Rippen fest. Robin musste die Zähne zusammenbeißen und fühlte, wie ihm unwillkürlich die Tränen in die Augen traten. Aber er wollte sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen – nicht vor dieser schönen Frau, die offensichtlich jetzt schon beschlossen hatte, dass sie ihn nicht ausstehen konnte.
Als sie fertig war, meinte sie: "Wir sollten ihm jetzt ein bisschen Ruhe gönnen. Versuchen Sie nicht aufzustehen, okay?"
"Vielen Dank dafür, dass Sie mich zusammengeflickt haben."
"Nichts zu danken", sagte John freundlich. "Hier sind die Schmerztabletten, falls Sie noch ein paar brauchen."
Das Ehepaar stand auf und ging nach einem letzten Blick in seine Richtung zum Strand hinunter. Dann waren sie verschwunden, und es wurde wieder still im Camp.
Robin schloss die Augen. Er spürte den warmen Wind im Gesicht und den glatten Stoff des Schlafsacks auf seiner Haut. Trotz der Schmerzen nahm er einen tiefen Atemzug. Langsam grub er seine rechte Hand in den Boden und ließ die Sandkörner durch die Finger gleiten. Er hätte nie gedacht, dass eine Handvoll Sand sich so gut anfühlen könnte.
Plötzlich war er ganz schlicht und einfach froh, dass er noch lebte.
***
Es war schon nach Mitternacht. Lindys Party war ein Erfolg, aber sie selbst schaffte es einfach nicht, sich auf das leichte Geplauder um sie herum zu konzentrieren. Anthony ging es nicht viel besser, er war nach den ersten paar Bourbons von seiner fröhlichen in die depressive Phase übergegangen und jammerte jedem, der auf Hörweite herankam, von dem miesen Betriebsklima in seiner Firma vor. Er trinkt wirklich sehr viel in letzter Zeit, dachte Lindy ärgerlich und überlegte, wann sie es ihm am besten sagen würde – dass es keinen Sinn mehr hatte mit ihnen beiden.
Alle amüsierten sich, nur die beiden Gastgeber nicht.
Eine Bekannte aus dem Fitness-Studio, Marge, berichtete Lindy gerade ausführlich über ihren letzten Einkaufsbummel und den tollen Naturkostladen, den sie entdeckt hatte. Lindy stieß an den richtigen Stellen die angemessenen Laute aus und hätte sich fünf Minuten später nicht mehr erinnern können, was sie gehört hatte.
"Jetzt sag nicht, dass du heute noch was anderes vorhast", sagte ihre Bekannte plötzlich.
"Nein, wieso?"
"Du hast innerhalb von zehn Minuten sechsmal auf die Uhr geschaut. Gefällt dir deine Party nicht?"
"Ich warte auf einen Anruf", sagte Lindy verlegen. "Ein alter Freund von mir. Er hätte sich schon vor Stunden melden sollen."
"Hat's dir versprochen, was?", meinte die Frau mit einem mitleidigen Lächeln. "Die Masche kenn ich. Warum lässt du dich so auf die Folter spannen?"
"Nein, nein, er ist wirklich nicht die Art Mensch, die du meinst. Er hat's wahrscheinlich nur vergessen."
Marge schüttelte nur traurig den Kopf. "Kerle sind so, Süße. Du darfst nicht enttäuscht sein. Und das würdest du Anthony doch auch nicht antun, oder?"
"Können wir über was anderes reden?", bat Lindy müde. Sie fühlte sich niedergeschlagen und gedemütigt. Das hatte man davon, wenn man sich mit Ex-Freunden einließ! Vermutlich hatte er es sich wieder anders überlegt. Oder aber ... nein, sie wollte nicht daran denken. Eine Gänsehaut kroch Lindys Arme empor, als sich wieder einmal ungebeten das Bild eines zerfetzten Kleinflugzeugs vor ihr inneres Auge schob. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass Unzuverlässigkeit häufiger vorkam als ein Flugunfall.
Je länger sie an Robin dachte, desto mehr Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit kamen zurück. Es waren nicht nur gute Erinnerungen – Robin räumte nur selten einen Gegenstand weg, nachdem er ihn benutzt hatte. Ihr Apartment hatte meist ausgesehen wie nach einer Hausdurchsuchung durch die Polizei. Manchmal hatte er sie damit fast zum Wahnsinn getrieben, und da Lindys Schmerzgrenze im Bereich Ordnung niedriger lag als die Robins, war meist sie es gewesen, an der die Aufräumerei hängengeblieben war. Aber irgendwie hatte es meistens genügend Dinge gegeben, die das aufgewogen hatten. Und zuverlässig war er. Er kam zwar häufig zu spät, aber er rief jedesmal an, um Bescheid zu sagen. Konnte diese Angewohnheit im allgemeinen Chaos seines Lebens untergegangen sein, aufgefressen von diesen drei Jahren auf diesem scheußlichen Buschflugplatz im Outback?
Ein Kollege ihres Freundes kam heran und hockte sich auf die Armlehne der Couch. "Na, ihr beiden Hübschen? Möchte eine von euch tanzen?"
"Jetzt gerade nicht, Steve", meinte Lindy und rang sich ein Lächeln ab. "Holst du mir noch eine Bloody Mary?"
"Kommt sofort", sagte Steve galant und verschwand Richtung Getränketisch. Sobald er außer Sicht war, vergass Lindy seine Existenz.
"Ach, zur Hölle damit, weißt du, was ich machen werde, Marge?"
"Du wirst doch nicht etwa ihn anrufen, oder?"
"Nein, werde ich nicht. Kann ich gar nicht, ich habe keine Nummer von ihm. Aber ich kann den Flugplatz anrufen, von dem aus er gestartet ist. Vielleicht wissen die was."
Zum Glück war der Flur, wo das Telefon stand, relativ leer. Wenn sie die Zwischentür schloss, drang der Krach von der Stereoanlage kaum noch durch. Sie schlug die Nummer des Flugplatzes von Newcastle nach und wählte.
"Guten Abend. Tut mir leid, dass ich noch so spät anrufe. Ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können ... es geht um einen Piloten namens Robin Cameron. Er wollte von Ihrem Flugplatz aus nach Neuseeland fliegen, und ich würde gerne wissen, ob er da gut angekommen ist. Ich glaube, er ist in einer Cessna geflogen ..."
"Da müsste ich nachsehen, ob er seinen Flugplan hat schließen lassen", kam zur Antwort. "Einen Moment bitte."
Eine halbe Minute verging. Lindy trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Telefonbuch. Konnten die nicht ein bisschen schneller nachsehen? Sie konnte hören, dass Steve drinnen nach ihr rief.
"Sagten Sie eine Cessna auf dem Weg nach Neuseeland? Könnten Sie den Namen des Piloten noch einmal wiederholen?"
"Cameron", wiederholte Lindy.
Ein kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Im Wohnzimmer wurde eine Platte von One Republic aufgelegt, und jemand drehte die Anlage auf. Lindy holte den Hörer dichter heran und presste die Hand auf das andere Ohr.
"Es tut mir wirklich sehr leid", sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. "Diese Cessna hat am Nachmittag einen Notruf gesendet und musste wegen Motorproblemen auf halber Strecke notwassern. Haben Sie's nicht mitbekommen? Die Meldung ging doch schon durch die Medien ..."
***
Als die Gäste endlich gegangen waren, warf Lindy Deggendorf einen kleinen Koffer auf ihr Bett und begann dann, Kleidungsstücke aus einem Schrank herauszuziehen. Mit hastigen Bewegungen stopfte sie alles in den Koffer, was hineinging. Ihr Freund Anthony, ein hochgewachsener Mittdreissiger im grauen Rollkragenpullover und Jakett, lehnte in der Tür und sah ihr zu. Er hatte volles blondes Haar, auf das er sehr stolz war, und eine etwas zu breite Nase. Nach ein paar Drinks behauptete er meist, dass sie ihm bei einem Boxmatch in diese Form geschlagen worden war. Mitleidig schüttelte er den Kopf, als er sah, wie seine Freundin in der Eile Sachen erwischte, die nicht einmal zusammenpassten.
"Wieso beruhigst du dich nicht, Lin? Wenn der Kerl sowieso tot ist, brauchst du dich nicht mehr zu beeilen."
"Ich habe nicht gesagt, dass er tot ist – ich habe gesagt, dass er vermutlich tot ist", sagte Lindy, und er spürte, dass sie sich mühsam beherrschte. "Oder anders ausgedrückt, er könnte noch leben!"
"Na und? Glaubst du wirklich, dass du ihm helfen kannst, wenn du jetzt nach Newcastle hinausstürzt?"
"Vielleicht nicht. Aber ich habe erfahren, dass eine Search & Rescue-Einheit von dort aus arbeitet. Vielleicht können sie Hilfe gebrauchen. Ich kann jetzt nicht einfach herumsitzen, verstehst du das nicht?"
Mit einem Lächeln schüttelte Anthony den Kopf. "Ich sollte wirklich eifersüchtig sein. Du hast mich mit diesem Burschen doch nicht betrogen, oder?"
"Du bist grässlich!", sagte Lindy. "Würdest du nicht das gleiche tun, wenn ein Freund von dir in Schwierigkeiten wäre?"
Anthony sah zu seinem Erstaunen, wie sie rot wurde. Verbarg sich da etwas? Ex-Freunde konnten zum Problem werden.
"Ich würde die Leute von Search & Rescue in Ruhe ihre Arbeit tun lassen. Und wenn du mal nachdenken und auf deine Vernunft hören würdest, dann würdest du das gleiche tun. Lass doch den Koffer – du setzt dich jetzt aufs Sofa und ich bringe dir einen ordentlichen Drink! Du wirst sehen, das rückt die Dinge wieder ins Lot."
Er hatte zwar auf der Party einiges gebechert, aber er merkte es noch nicht sehr und hatte jetzt gerade Appetit auf einen Bourbon. Lindy würde ja wohl nichts einzuwenden haben, wenn er sich selbst auch einen genehmigte. Er legte ihr den Arm um die Schultern und wollte sie sanft in Richtung des Wohnzimmers drücken. Doch Lindy riss sich los, warf einen Armvoll Blusen in den Koffer und schleuderte noch ein Paar Pumps hinterher.
Anthony merkte, dass er etwas falsch gemacht hatte. Einen Moment lang hatte er vergessen, dass Widerstand gegen ihre Pläne Lindy höchstens noch starrsinniger machte. Er musste es auf andere Art versuchen.
"Du hast heute noch eine wichtige Besprechung und müsstest Dutzende von Terminen absagen, wenn du heute nach Newcastle fahren würdest", sagte er. "Hast du dir überhaupt schon freigenommen?"
Als sie mitten in der Bewegung innehielt, wusste er, dass er endlich zu ihr durchgedrungen war. Sie richtete sich auf und sah ihn mit gerunzelter Stirn an, überlegte.
"Ich werde anrufen", sagte sie abwesend. "Um acht sind die ersten Leute im Büro, vorher erreiche ich niemanden."
Anthony beeilte sich, noch einmal in die gleiche Kerbe zu hauen. "Mit vielen Eskapaden dieser Art wirst du nicht davonkommen. Da du noch nicht so lange bei Lloyd Andrews bist, wirst du immer noch genau beobachtet. Einen guten Eindruck macht so etwas nicht!"
"Nein", gab Lindy zu. "Diese Besprechung ... verdammt! Da sind alle dabei, von der Werbeagentur bis hin zu einem Vertreter der Geschäftsführung ... Weißt du, die Marktanalyse hat ergeben, dass wir für die Verpackung von ´Eco-Shine` wahrscheinlich ein anderes Design brauchen, vielleicht muss sogar der Name geändert werden ... auf der Sitzung werde ich das neue Konzept vorstellen."
Beinahe hätte Anthony gelächelt. "Das ist eine tolle Chance, die kannst du nicht einfach wegwerfen. Es wäre doch keine Schande, wenn du erst morgen zum Flugplatz fährst. Du kannst ja heute jede Stunde dort anrufen und fragen, ob es schon Neuigkeiten gibt. Sicher haben sie ihn morgen sowieso schon gefunden. Sie wissen ja genau, wo er abgestürzt ist."
"Na ja ...", sagte Lindy unentschlossen. "Vielleicht hast du recht."
"Hast du wenigstens die Präsentation fertig?"
"Doch, doch, das Zeug liegt komplett auf meiner Festplatte. Wenn ich meinem Kollegen sage, wo die Unterlagen sind ..."
"Ach, hör doch auf. So eine Präsentation solltest du schon selber halten. Weißt du was, ich hole dir jetzt erst Mal einen Drink. Gin Tonic?"
"Ja, bitte", antwortete Lindy mechanisch und ließ sich langsam auf dem Bett nieder.
Doch als Anthony mit dem Gin Tonic eintraf, war der Koffer weg und das Schlafzimmer leer. "Weiber", murmelte er, stellte den Drink ab und hastete durch den Flur. Er kam gerade noch recht, um die Eingangstür zufallen zu hören. Seine Freundin war schon auf der Treppe, als Anthony die Tür noch einmal aufriss. "He! Was soll denn das jetzt?"
"Ich hab´s mir überlegt ..."
"Das merke ich!"
"Ich glaube, es gibt Dinge, die wichtiger sind als Marktanalysen und Verpackungsdesign ..."
"Keine Frage ..."
"Kann ich wirklich diesen Vortrag halten, während ich weiß, dass Robin gleichzeitig in der Tasman-See um sein Leben kämpft?"
"Du setzt deinen Job für nichts und wieder nichts aufs Spiel! Sie brauchen dich nicht in Newcastle!"
Lindy setzte ihren Koffer ab und wischte sich eine blonde Strähne aus der Stirn. "Wenn sie mich nicht brauchen, komme ich zurück. Wiedersehen!"
***
Funken flogen von dem Lagerfeuer am Strand in den Nachthimmel. Es war schon spät, aber die Frasers schienen noch immer wach zu sein. Robin fühlte sich besser, nachdem er geschlafen hatte, und beschloss aufzustehen. Er holte sich seine mittlerweile getrockneten Jeans zurück, schaffte aber mit seinem verletzten Arm nicht, sich das T-Shirt anzuziehen. Auf dem Verband zeichneten sich an einigen Stellen frische Blutflecken ab.
Er ging zum Strand hinunter, orientierte sich am Feuerschein und wartete vergeblich darauf, die Stimmen der Frasers zu hören. Wahrscheinlich hatten sie all ihre Bemerkungen über den Neuankömmling schon längst ausgetauscht. Als er aus den Sträuchern hervorkam, sah er, wie die beiden zusammenschraken, ehe sie ihn erkannten. Wahrscheinlich hatten sie im ersten Moment vergessen, dass sie nicht mehr allein auf der Insel waren.
Suzanne runzelte ärgerlich die Stirn. "Sie sollten liegenbleiben!"
"Ach, ich fühle mich schon besser, nur meine Beine sind noch ziemlich wackelig", sagte Robin mit gemischten Gefühlen. Sollte er besser zurückgehen ins Camp? Nein, er wollte wissen, mit wem er es hier zu tun hatte. "Wenn Sie nichts dagegen haben, leiste ich Ihnen ein bisschen Gesellschaft."
"Sie sind ganz schön zäh!" grunzte John. "Aber wenn man jung ist, dann heilt man wohl schnell. Haben Sie ein wenig geschlafen?"
"Ja. Ich war so erledigt, dass ich mich sowieso nicht hätte wachhalten können", erwiderte Robin und setzte sich vorsichtig mit gekreuzten Beinen in den Sand. "Sagen Sie, bekommen Sie eigentlich keinen Nachschub vom Festland?"
"Doch. Wir haben eine Luftfrachtgesellschaft damit beauftragt. Alle zwei Wochen bringt uns ein Flugzeug neue Nahrungsmittel. Leider ist es erst gestern vorbeigekommen."
Zwei Wochen! Das war das Aus für seine Hoffnungen, diesmal einen der vorderen Plätze in der Weltmeisterschaft zu erreichen. Aber etwas in ihm weigerte sich, die Hoffnung aufzugeben. Sicherlich waren Suchflugzeuge unterwegs, die nach ihm Ausschau hielten, und es konnte ja sein, dass sie ihn schon vorher hier fanden ... Robins Gedanken stockten, als er auf einmal bemerkte, in welche Richtung der Rauch des Lagerfeuers abzog. Er hatte zunächst nicht bewusst darauf geachtet, aber als er den Rauch jetzt beobachtete, dämmerte ihm eine schreckliche Wahrheit. "Mein Gott, seit wann bläst der Wind schon so?"
"Schon den ganzen Tag, glaube ich", erwiderte Suzanne. "Was ist so besonders daran?"
"Als ich heute Morgen losgeflogen bin, wurde mir gesagt, ich solle einen Seitenwind von etwa fünf Knoten aus dem Süden erwarten, und danach habe ich mich gerichtet. Aber das ist kein verdammter Wind von fünf Knoten. Eher fünfzehn Knoten, würde ich sagen!"
"Na, und?"
Niedergeschlagen blickte Robin aufs Meer hinaus. "Das bedeutet, dass die Position, die ich Newcastle vor der Notlandung gegeben habe, nicht im Entferntesten gestimmt hat. Ich bin viel weiter nach Norden abgetrieben worden. Kein Wunder, dass ich jetzt auf einer Insel bin, die auf der Karte noch ein ganzes Stück von mir entfernt war. Mist!"
John verzog das Gesicht. "Fluchen Sie nicht – wenn Sie nicht abgetrieben worden wären, dann wären Sie jetzt tot."
"Stimmt.“ Es überlief Robin kalt, wenn er daran dachte. „Als der Motor stehengeblieben ist, habe ich gedacht, es ist aus mit mir."
"Vielleicht werden Sie ja trotzdem gefunden", sagte Suzanne hoffnungsvoll. „Es gibt ja Satellitenbilder und so viele andere technische Hilfsmittel ...“
"Drücken Sie mal die Daumen", meinte Robin. Aber er wusste ganz gut, dass er nur durch einen glücklichen Zufall überlebt hatte – und da die Leute von Search & Rescue nicht an glückliche Zufälle glaubten, würden sie vermutlich ziemlich spät auf die Idee kommen, auf dieser Insel nachzusehen. Und über die moderne Technik machte sich Robin keine Illusionen. Er musste sich einfach damit abfinden, dass er vorerst mit diesem eigentümlichen Paar hier festsaß.
"Wie fühlt sich Ihr Arm an?", erkundigte sich John. Er stocherte mit einem Stock in der Glut und fluchte, als ein glühendes Holzteilchen auf seine Hand schwebte.
"Nicht toll. Aber mit den Tabletten geht´s."
"Wollen Sie was zu essen? Vom Schwimmen bekomme ich immer Hunger."
Robin begann zu lachen, wurde unangenehm an seine gebrochene Rippe erinnert und zuckte zusammen. "Nein, danke ... vielleicht morgen."
"Uns würde mal interessieren, wer Sie eigentlich sind", sagte Suzanne. "Schließlich wissen wir gar nichts von Ihnen, na ja, nur ihren Namen. Sie haben doch nichts zu verbergen, oder?"
Ihre Augen trafen sich. Sie starrten sich einen Moment lang schräg über die Flammen hinweg an, und einen Moment lang floss Strom zwischen ihnen. Robin ertappte sich bei dem Gedanken, wie es wäre, an Johns Stelle mit ihr auf der Insel zu sein. Doch im selben Moment, als er es dachte, zwang er sich bereits, den Gedanken von sich zu schieben. Ärger hatte er schon genug.
"Da gibt´s nicht viel zu erzählen", sagte er. "Ich bin Berufspilot und fliege meistens kreuz und quer über Neusüdwales. Die Sache mit der Cessna und Neuseeland hatte allerdings nichts mit meinem Job zu tun, das hat mir ein Freund eingebrockt. Was wollen Sie sonst noch wissen? Ich bin neunundzwanzig, ledig, gehöre keiner Kirche oder politischen Partei an und habe keine Vorstrafen. Reicht das?"
Suzanne nahm Robin genau in Augenschein, ohne es zu verbergen. Er versuchte sich vorzustellen, was sie sah. Natürlich die tiefe Sonnenbräune – es war offensichtlich, dass die nicht aus dem Solarium stammte und er viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte. Ohne Brille und mit seinen verstrubbelten, zu dunklem Kupfer gebleichten Haaren wirkte er wohl wie einer der zähen stockmen aus dem australischen Outback. Er war nur mittelgross, doch unter seiner glatten Haut zeichneten sich die Muskeln deutlich ab.
"Ich wette, Sie sind so eine Art Buschpilot", sagte John heiter.
"Blödsinn, ich bin Fluglehrer in einem großen Segelflugzentrum", entgegnete Robin irritiert. "In Tocumwal, falls Ihnen der Name etwas sagt. Das liegt am Murray."
Die Versuchung war groß, ihnen von seinem Studium zu erzählen – er wusste, dass er in ihren Augen eine Stufe höher rücken würde, wenn er es erwähnte. Aber er wusste auch, dass er es nicht tun würde, ebenso wenig, wie er ihnen sagen würde, dass er nicht einfach nur ein Buschpilot war, sondern sich in der letzten Segelflug-Weltmeisterschaft gut gehalten hatte und vorhatte, auch an der diesjährigen teilzunehmen. Auf eine seltsame Weise gehörte dieses Wissen nur ihm. Du hast es nicht nötig, um ihren Respekt zu buhlen, sagte sich Robin mit einer Spur von Trotz. Lass sie doch auf dich herabblicken, wenn es ihnen Spaß macht!
"Ja, von dem Ort habe ich schon gehört", mischte sich John diplomatisch ein. "Stammen Sie dorther?"
"Nein, ich komme ursprünglich aus Melbourne und habe dann längere Zeit in Sydney gelebt."
Suzanne blickte verblüfft drein. "Sie sind ein Stadtmensch?"
"Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss", sagte Robin trocken. "Was dachten Sie denn? Ich bin kein Crocodile Dundee oder sowas."
John musste lächeln, aber seine Frau kniff die Lippen zusammen. Sie saßen ein paar Minuten lang schweigend um das Feuer, dann stand Suzanne auf: "Ich bin müde. Hast du schon unsere Sachen aus dem Zelt geräumt, Darling?"
Ihr Mann schüttelte den Kopf. "Ich mach´s jetzt."
"Das muss nicht sein, ich kann draußen schlafen", widersprach Robin unangenehm berührt.
"Aber nicht acht Stunden nachdem wir Sie aus der Tasman-See gefischt haben! Kommt gar nicht in Frage!", dröhnte John.
"Nun ja, er sagt selbst, dass er sich schon viel besser fühlt."
"Nein, Sue, wir geben ihm das Zelt. Zumindest für die erste Nacht. Danach können wir uns anders arrangieren. Okay?"
"Nenn mich doch verdammt nochmal nicht immer Sue!", sagte Suzanne mit jäher Wut. Robin sah, dass sie zitterte. Sie sprang auf und ging davon.
Robin sah ihr nach, dann warf er John einen fragenden Blick zu. Aber der untersetzte Mann zuckte nur mit den Schultern und lächelte.
***
Als die Sonnenstrahlen den Strand aufzuheizen begannen, streckte Suzanne den Kopf aus ihrem Schlafsack. Sie setzte sich auf und kämmte ihre zerrauften Haare mit den Fingern durch. Mit verschlafenen Augen blickte sie zu John hinüber, der noch zwischen den Decken lag und kein Lebenszeichen gab.
Sie kroch aus ihrem Kokon, schlenderte zur Lagune und watete ins Wasser hinein. Nachdem sie sich erfrischt hatte, wandte sie sich um und überblickte die Insel mit Besitzerstolz. Doch dann weiteten sich ihre Augen, und wieder einmal wurde John von einem durchdringenden Schrei aufgeschreckt. Er fuhr aus seinem Schlafsack wie ein Kastenteufel.
"Was ist denn jetzt schon wieder los? Um Himmels willen, hör doch mit dem grässlichen Krach auf!"
"Rauch! Da hinten ist Rauch! Ich hab's dir gesagt ... wir hätten ihn nie allein im Lager lassen sollen! Ich habe ihm nie getraut!"
"Wo siehst du denn Rauch?" fragte John ungehalten.
Suzanne deutete in die ungefähre Richtung des Camps. Ihr Mann folgte ihrem Blick, dann nickte er.
"Verdammt, du hast recht", sagte er. "Was zum Teufel tut er?"
Er rannte los, und Suzanne versuchte ihm auf den Fersen zu bleiben. Das Camp war nur etwa hundertfünfzig Meter vom Strand entfernt, aber der Weg kam ihnen länger vor, denn durch den tiefen Sand lief es sich fast so schwer wie durch Wasser. Sie erreichten die Lichtung ...
Quelle des Rauchs war der kleine Grill. Robin bediente ihn geschickt, obwohl sein linker Arm noch immer in der Schlinge war, und war gerade beim Wenden von Speckstreifen. "Ich mache uns gerade Frühstück", sagte er fröhlich. "Möchten Sie Spiegelei oder Rührei?"
"Nun ..." sagte John.
"Kaffee gefällig?"
Robin drückte Suzanne, die ihm am nächsten stand, eine Tasse Kaffee in die Hand. Sie ergriff das Blechgefäss ganz automatisch.
"Das war wirklich nicht nötig ...", sagte Suzanne.
"Nein. Aber es tut gut, etwas zu tun zu haben. Ich dachte, es würde Ihnen gefallen."
"Na ja, ... dann hätte ich mein Spiegelei bitte mit Curry", sagte John und ließ sich in einen Campingstuhl fallen.
"Mrs. Fraser?"
"Für mich nichts. Danke."
Einen Moment lang waren alle verlegen. Dann ging Suzanne ihre Bürste holen und begann mit betonter Gleichgültigkeit, ihre langen honigfarbenen Haare zu kämmen. John ging zur Destille und prüfte, ob genug Wasser entsalzt worden war.
"Was ist, wenn das Ding zusammenbricht?" fragte Robin, der ihn beobachtet hatte. "Frischwasser gibt's doch hier nicht, oder?"
"Keinen Tropfen", knurrte der Mann. "Wenn es welches gäbe, wäre die Insel schon von jemand anders mit Beschlag belegt worden. Natürlich haben wir genügend Ersatzteile. Meinen Sie, ich hänge mein Leben ohne Vorsichtsmaßnahmen an so eine blöde Maschine?"
"Genau das habe ich dummerweise getan, als ich in Newcastle in diese Cessna 150 gestiegen bin", sagte Robin und schlug noch ein Ei in die Pfanne. "Schade, dass Sie keine zweite Destille haben. Dann bräuchten wir uns nicht hier im Camp auf die Füsse zu treten."
Er bekam keine Antwort.