Читать книгу Das Herz der Eisprinzessin - Junia Swan - Страница 10

2. Kapitel

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Abrupt richtete sich Rosalinde auf, nachdem ihr bewusst geworden war, wo sie sich befand, und blickte sich mit pochendem Herzen um. Unmöglich, dass sie die ganze Nacht neben dem verhassten Mann geschlafen hatte! Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Zorn auf sich selbst ließ sie erbeben.

Wie sie feststellte, war das Bett neben ihr leer – sie war allein in seinem Schlafgemach. Ihr Nachthemd lag noch an jener Stelle auf dem Boden, an der sie es hatte fallen lassen. Schnell stieg sie aus dem Bett, hob es auf und schlüpfte hinein. Ratlos überlegte sie, was sie nun machen sollte. Sicherlich sprach nichts dagegen, in ihre Kammer zurückzukehren.

Eilig verließ sie den Raum und atmete erleichtert aus, als sie von Wolfsbergs Reich hinter sich zurücklassen konnte. Theresa erwartete sie bereits und blickte ihr besorgt entgegen, doch Rosalinde tat, als wäre nichts geschehen, und beugte sich über die Waschschüssel. Nachdem sie sich gewaschen hatte, warf sie einen Blick auf das schöne Kleid, das ihre Zofe auf dem Bett ausgebreitet hatte, und schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist zu festlich“, sagte sie. „Nimm das Kleid, das ich immer anziehe, wenn ich ausreite.“

„Aber meine Herrin, das ist ungeeignet für einen Tag in der Burg. Ihr seid die neue Gräfin. Euch so zu kleiden würde Euren Mann bloßstellen.“

Rosalinde verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich bin es leid, mit dir zu diskutieren! Eine weitere Widerrede, und ich tausche dich gegen ein anderes Mädchen aus.“

Theresa schluckte unbehaglich und faltete das Kleid zusammen, um es wieder in der Truhe zu verstauen. Dann zog sie das einfachste Gewand heraus, welches ihre Herrin besaß. Doch sie sagte nichts mehr, behielt ihre Bedenken für sich und half Rosalinde beim Ankleiden.

„Nein, keine aufwendige Frisur“, wehrte die junge Frau ab, „ein einfacher Zopf genügt!“

Theresa knirschte mit den Zähnen und gehorchte. Als sich ihre Herrin erhob, trat sie zurück. Sie war auch in dem einfachen Kleid eine Schönheit, trotzdem würde von Wolfsberg ihren Widerstand durch diese Aufmachung erkennen.

Rosalinde graute davor, ihrem Mann gegenüberzutreten, doch sie wusste, dass sich ein Zusammentreffen nicht vermeiden ließ. Es entsprach nicht ihrem Wesen, davonzulaufen.

Deshalb betrat sie kurze Zeit später die Halle. Es war das erste Mal seit jenem demütigenden Abend, dass sie wieder einen Fuß in diesen Saal setzte, und Wut glühte in ihr auf. Waren damals die Gespräche um sie verstummt, nahm heute niemand Notiz von ihrer Anwesenheit. Der Ritter, den Rosalinde mittlerweile zu gut kannte, beugte sich zu seinem Herrn, und dieser drehte im nächsten Moment den Kopf in ihre Richtung. Als von Wolfsberg sie erkannte, hob er eine Hand und winkte sie zu sich. Neben ihm blieb sie stehen und sah ausdruckslos auf ihn herab.

„Setz dich!“, forderte er, während sein Blick über ihre Erscheinung wanderte.

Nein, sie würde nicht bei dem Gedanken erröten, dass er sie genauso vor wenigen Stunden in seinem Schlafgemach betrachtet hatte, als sie nackt vor ihm gestanden war! Stattdessen ließ sie sich neben ihm auf den Stuhl sinken.

„Als hättest du geahnt, was ich heute für dich geplant habe“, meinte er lobend und sah ihr freundlich in die Augen.

„Ich verstehe nicht ...“

„Wir werden ausreiten, und du bist bereits ausgezeichnet dafür gekleidet.“

In diesem Moment hasste sie ihn, und sie musste sich mühsam beherrschen, nicht laut zu fluchen. Wenn all ihre Pfeile der Rache ihr Ziel verfehlten, würde sie zweifellos unterliegen!

Fürsorglich schob er ihr einen Teller Suppe hin, brach etwas von seinem Brot ab, reichte es ihr, und sie griff nach dem Löffel. Ohne etwas zu erwidern, begann sie zu essen, wobei sie es vermied, ihn anzusehen. Als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu und knüpfte dort an, wo sie die beiden durch ihr Erscheinen offensichtlich unterbrochen hatte. Wie sie bemerkte, hatte er die Mahlzeit bereits beendet. Ob er aus reiner Höflichkeit ihr gegenüber sitzen blieb? Etwas in ihr drängte sie, sich Zeit zu lassen, woraufhin sie den Löffel überaus langsam zu ihrem Mund führte. Doch von Wolfsberg schien es nicht zu bemerken, er wandte sich ihr kein einziges Mal zu, als hätte er sie aus seinen Gedanken verbannt. Irgendwann war sie ebenfalls satt, und es gab nichts, was sie tun konnte, um das Essen hinauszuzögern. Im nächsten Augenblick erhob er sich, und sie tat es ihm gleich. Er griff nach ihrem Arm und hängte ihn bei sich ein. Damit sie sich ihm nicht entziehen konnte, legte er sicherheitshalber eine Hand über ihren Unterarm, und seine Finger umschlossen ihn.

Sie verabscheute es, wie er ihr seinen Willen aufzwang! Doch heute tat er es auf eine Weise, die es ihr unmöglich machte, offen gegen ihn zu rebellieren. Hatte er eingesehen, dass er mit dem Pfahl bei ihr nichts erreicht hatte?

Kurze Zeit später traten sie in den Burghof und überquerten diesen. Das lang gestreckte Stallgebäude war nicht weit, und Rosalinde kam nicht umhin, das riesige Schlachtross zu bewundern, das davor, fertig aufgezäumt, stand. Suchend sah sich die junge Frau nach ihrer eigenen Stute um.

„Wo ist mein Pferd?“, fragte sie, als sie es nirgendwo entdeckte.

„Das wirst du nicht brauchen“, sagte ihr Mann neben ihr, löste sich von ihr, um sie im nächsten Moment an der Taille zu umfassen und mit Schwung schräg auf die Kruppe hinter dem Sattel zu setzen.

Sofort klammerte sie sich an das gut gepflegte Leder, während sie ungläubig auf ihn herabsah. Er lächelte sie offen an, doch ihre Miene verdunkelte sich.

„Das kann nicht Euer Ernst sein!“

Statt einer Antwort schwang er sich vor ihr in den Sattel.

„Es ist dir gestattet, dich an mir festzuhalten.“

„Niemals!“, entfuhr es ihr, und sie kämpfte verzweifelt darum, das Gleichgewicht zu halten.

Noch nie war sie auf einem derart großen Tier gesessen.

„Dein Lieblingswort?“, fragte er spöttisch und trieb sein Ross in eine gemächliche Gangart.

Rosalinde grub ihre Finger noch fester in das Leder, doch es war nicht wirklich dafür geeignet, sie zu halten. Sie passierten das zweite Burgtor, und das Trommeln der Hufe auf der Zugbrücke dröhnte in ihren Ohren. Rosalinde befürchtete, jederzeit hinunterzufallen. Doch das nahm sie ihn Kauf. Unter keinen Umständen würde sie ihn freiwillig berühren!

Das Pferd begann zu traben, und die junge Frau keuchte angestrengt auf. Nun wurde sie durchgeschüttelt und biss die Zähne zusammen. Im nächsten Moment verlor sie den Halt und stürzte zu Boden. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihren Lippen, als sie mit den Knien hart auf dem steinigen Grund aufschlug. Sofort zügelte von Wolfsberg seinen Hengst und trieb ihn neben sie. Dann sprang er aus dem Sattel und ging neben ihr in die Hocke.

„Verdammt, Weib, dein Stolz wird dir noch einmal das Genick brechen“, knurrte er, doch sie blickte ihn trotzig an. „Hast du dich verletzt?“

„Nein“, sagte sie kühl, obwohl ihre Knie fürchterlich schmerzten.

Prüfend musterte er sie, dann kam er wieder auf die Füße und streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Doch sie weigerte sich danach zu greifen und rappelte sich vorsichtig auf.

„Du hast zwei Möglichkeiten, Rosalinde“, erklärte er, und sie verabscheute es, dass er ihren Namen aussprach. „Entweder ich setze dich vor mich auf den Sattel, wo ich dich halten werde, oder du sitzt auf der Kruppe und hältst dich an mir fest. Alles andere steht nicht zur Diskussion.“

Sie bemühte sich darum, ihn verächtlich anzusehen, als sie seinen Blick erwiderte.

„Ich werde hinten sitzen“, erklärte sie würdevoll und ignorierte das siegessichere Aufblitzen seiner Augen.

Wieder umfasste er sie an der Taille und hob sie empor. Dabei entdeckte er einen Blutfleck auf ihrem Rock. Schneller, als sie reagieren konnte, hatte er ihr Kleid bis über die Knie gehoben. Empört versuchte sie, seine Hände abzuwehren, was jedoch nicht von Erfolg gekrönt war. Fachmännisch untersuchte er die Verletzung, dann trat er zurück.

„Du wirst es überleben“, meinte er aufmunternd.

„Ich habe nichts anderes behauptet“, fauchte sie und zog ihr Kleid zurecht, während er wieder vor ihr aufsaß.

„Ich warte“, sagte er, als sie keine Anstalten machte, sich an ihm festzuhalten. „Willst du also doch vor mir sitzen?“

Als er eine zögernde Berührung an seiner Hüfte fühlte, spornte er sein Tier an. Der Druck ihrer Hand verstärkte sich, und eine zweite gesellte sich dazu. Augenblicke später hatte sie beide Arme um ihn geschlungen, wobei sie ihre Unterarme vertikal gedreht hatte und ihre Handflächen auf seinem Brustkorb ruhten. Er spürte ihren Kopf zwischen seinen Schulterblättern und steigerte das Tempo. Unwillkürlich klammerte sie sich noch fester an ihn, und er lächelte triumphierend. Oh ja, früher oder später würde sie sich seiner Führung anvertrauen!

Sie tauchten in den Wald ein, und es wurde kühl, die Hufe machten nur mehr dumpfe Geräusche. Der würzige Geruch nach feuchter Erde und verrottendem Holz umwehte sie. Da er das Tempo ein wenig verringert hatte, löste sie den Kopf von seiner Schulter und blickte auf. Ein grünes Blätterdach wogte über ihr im leichten Wind.

Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis er das Pferd zügelte und sie anhielten. Sofort zog sie sich von ihm zurück. Er sprang zu Boden und drehte sich zu ihr, wobei er die Arme hob und ihr hilfsbereit entgegenstreckte. Mit unbewegter Miene schob sie sich ihm entgegen und ließ sich von ihm auffangen. An seinem Körper ließ er sie langsam zu Boden gleiten. Nun stand sie zwischen ihm und dem Ross. Er stützte sich mit seinen Armen neben ihrem Kopf ab und sah auf sie hinunter. Reglos starrte sie geradeaus, als stünde er nicht vor ihr. Sie stellte sich vor, einfach durch ihn hindurchsehen zu können. Mit einer Hand hob er ihr Kinn an, und sie erwiderte seine Musterung, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Du bist stark“, stellte er anerkennend fest. „Aber nicht so stark. Ich bin ein erfahrener Krieger, liebste Gemahlin, und habe keine Angst vor einem Rebellen unter meinem Dach. Wenn es gelingt, das Herz eines Rebellen zu erringen, hat man einen treuen Anhänger gewonnen und eine große Schlacht geschlagen.“

Seine dunklen Augen blickten ernst, dann trat er einen Schritt zurück, und sie huschte an ihm vorbei. Natürlich versuchte sie, den Anschein von Gleichgültigkeit zu erwecken. Nichts, was er sagte, würde Auswirkungen auf sie haben. Von Wolfsberg nahm eine Satteltasche ab und ließ seinen Hengst einfach stehen.

„Habt Ihr keine Angst, dass er davonläuft?“

„Nein“, erwiderte er und warf einen kurzen Blick auf sein Tier. „Er hat schon viele Kämpfe mit mir bestanden, und ich vertraue ihm. Niemals würde er mich verlassen.“

„Ach, tatsächlich?“, meinte sie und hoffte, dass es ironisch klang.

„Tatsächlich“, stimmte er ungerührt zu und zog eine Decke aus der Tasche, die er unter einem Baum ausbreitete.

Er setzte sich darauf, lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm, dann spreizte er seine Beine und klopfte auffordernd auf den Platz dazwischen. Ablehnend starrte sie auf die Stelle, die er ihr vorschlug – und rührte sich nicht.

„Uff“, stöhnte er, „müssen wir aus jeder Kleinigkeit einen Machtkampf machen? Dann lass mich dich bitten. Setz dich zu mir!“

Rosalinde atmete tief durch. Obwohl es ihr zuwider war, trat sie zu ihm und setzte sich zwischen seine Beine, wobei sie tunlichst darauf achtete, ihm nicht zu nahe zu kommen. Sie hätte sich die Mühe sparen können, denn er schlang einen Arm um ihre Mitte und zog sie an sich heran. Erst als er merkte, dass sie es leid geworden war, ihre Körperspannung gegen ihn zu behalten, lockerte er seine Umklammerung, griff wieder nach der Ledertasche und reichte sie ihr.

„Und nun bediene mich, wie es sich gehört!“

Sie langte in die Tasche und zog einen halben Laib Brot hervor. Ohne von Wolfsberg anzusehen, brach sie es und reichte ihm ein Stück. Er nahm es entgegen und berührte ihre Finger mit seinen.

„Es müsste auch noch Käse da sein“, erklärte er und sie griff wieder in den Beutel.

Auch davon reichte sie ihm etwas, und er begann zu essen.

„Nimm dir“, forderte er sie auf, und Rosalinde brach sich ebenfalls jeweils ein großes Stück von dem Dargebotenen ab.

„Wie ich sehe, bist du hungrig“, lächelte er, doch sie ignorierte ihn.

Schweigend saßen sie eine Weile, dann wollte er wissen: „Gab es auf der Burg deines Vaters einen Falkner?“

„Ja“, erwiderte sie einsilbig.

„Dann weißt du sicherlich, wie man vorgeht, um einen Falken abzurichten.“

„Nein. So etwas interessiert mich nicht.“

„Das ist schade. Vielleicht hättest du daraus etwas für dein Leben lernen können.“

Dazu sagte sie nichts, kaute, als wäre er Luft. Er streckte auffordernd einen Arm mit der Handfläche nach oben aus, und sie legte ein weiteres Stück Brot darauf.

„Um einen Falken zu zähmen, behält der Falkner sein Tier ununterbrochen auf seinem Arm, bis dieses bei ihm einschläft. Erst danach kann er sicher sein, dass der Vogel immer zu ihm zurückkehren wird.“

Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass es Desinteresse ausdrückte.

„Es ist seine Hand, aus dem der Vogel zu fressen bekommt.“

Empörung überflutete Rosalinde. Er verglich sie doch nicht etwa mit einem Tier! Da hob er die Hand und hielt ihr lockend ein Stück Brot vor den Mund, woraufhin sie mit einem Schnauben den Kopf in die andere Richtung drehte.

„Mein Herr, Ihr beleidigt mich, wenn Ihr mich auf die gleiche Stufe mit einem Falken stellt.“

Da lachte er gut gelaunt auf.

„Ah, du hast meine Taktik durchschaut! Schade, ich dachte, ich würde damit gewisse Erfolge erzielen.“

Sie konnte seine gute Laune nicht nachvollziehen. Offensichtlich war er überaus beschränkt – so wie alle Männer, denen sie bisher begegnet war. Hätte sie einen Funken Achtung vor ihm gehabt, so wäre er spätestens jetzt erloschen. Genervt rieb sie sich die Hände, um die Brösel abzuwischen, dann verschränkte sie die Finger ineinander und legte sie abwartend in ihren Schoß. In der Zwischenzeit schob er sich den Bissen, den er ihr angeboten hatte, selbst in den Mund und kaute genüsslich.

Als er ebenfalls fertig gegessen hatte, klopfte er sich die Hände ab, danach schlang er sofort wieder einen Arm um sie, damit sie ihm nicht entkommen konnte. Die andere Hand legte er ohne Vorwarnung auf ihre Brust, was sie erschrocken zusammenfahren ließ. Sofort begann ihr Herz wie wild zu pochen. Er durfte es nicht merken! Sie atmete tief durch, darum bemüht, ihre Angst im Zaum zu halten. Sanft begann er sie zu streicheln. Angestrengt starrte sie geradeaus. Es war unglaublich mühsam, ständig in Alarmbereitschaft zu verharren. Minuten vergingen, bis sie sich etwas entspannte. Er veränderte seine Position erst, als er bemerkte, dass sie ihren Widerstand aufgegeben hatte. Langsam ließ er die Hand tiefer gleiten, und sie erstarrte sofort. Sie bemerkte, dass er ihr Kleid höher schob und mit der Handfläche sanft über die Innenseite ihrer Schenkel strich.

„Nicht“, flüsterte sie, doch er tastete sich weiter, und Rosalinde hielt außer sich die Luft an. „Bitte!“

Dieses kleine Wort war über ihre Lippen gekommen, noch bevor sie es in sich hatte verschließen können. Sofort zog er seine Hand zurück, und sie schloss erleichtert die Augen. Wie war es möglich, dass er auf eine Bitte, ihre Bitte, derart prompt reagiert hatte? Zögernd hob sie den Kopf und drehte ihr Gesicht zu ihm. Fragend sah sie ihn an. Sie war zu überrascht, um die Mauer zwischen ihnen in dieser Sekunde aufrechtzuerhalten.

„Du brauchst nur zu bitten“, erklärte er freundlich. „Und ich werde dir geben, was in meiner Macht steht.“

Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Das war nicht möglich! Er machte sich sicherlich lustig über sie! Welcher Mann nahm schon die Wünsche einer Frau ernst?

Die Mauer um ihr Herz bildete sich wieder, und sie wandte sich ab. Er löste den Arm von ihrem Bauch und schob sie ein Stück von sich, dann kam er mühelos auf die Beine. Ohne sie noch einmal anzusehen, schlenderte er ein paar Schritte von ihr fort, und sie sah, dass er ein Handzeichen machte. Sofort kam sein Pferd auf ihn zu. Wie war es möglich? War er ein Zauberer? Legte er auf alle Menschen und Tiere um sich herum einen Bann? Als das mächtige Ross vor ihm hielt, streichelte er es kameradschaftlich zwischen den Augen, und das Tier schnaubte. Wieder hörte sie ihn lachen, was sie maßlos ärgerte. Sie hasste Menschen mit einem sonnigen Gemüt aus ganzem Herzen, und ein Mann, der sein Pferd streichelte, als wäre es ein guter Freund, war in ihren Augen schwach. Tiere musste man bezwingen und sich untertan machen, genauso wie die Natur und die Leibeigenen. Das war die gottgewollte Ordnung. Von Wolfsberg war offensichtlich ein Mann, der dagegen verstieß. Ein Gotteslästerer. Oder er war wirklich ein Hexer, und es war schwarze Magie, die er anwandte. Dann war er noch gefährlicher. Auf alle Fälle schämte sie sich dafür, ihn gebeten, anstatt einfach ertragen zu haben. Sie hatte sich verwundbar gemacht, ihm ihr Unbehagen gezeigt. Zweifellos würde er ihr daraus einen Strick drehen! Deswegen schwor sie sich, ihn in ihrem Leben niemals mehr um etwas zu bitten. Eher würde sie sich die Zunge abbeißen!

Langsam kam sie ebenfalls auf die Beine und wandte sich ab. Ihre Knie schmerzten. Sie warf ihrem Mann einen schnellen Seitenblick zu. Wie es aussah, galt seine Aufmerksamkeit ausschließlich seinem Hengst. Deswegen bückte sie sich, hob ihre Röcke und tastete über die Wunde, wobei sie einen Schmerzenslaut unterdrückte.

„Ich weiß etwas, um dein Leid zu lindern“, sagte er, und sie ließ die Röcke hastig wieder fallen.

Seine Schritte näherten sich, und Augenblicke später war er neben ihr und hob sie auf die Arme. Sie unterdrückte ihre Furcht, wandte ihr Antlitz von ihm ab und spähte geradeaus. Äste streiften sie hin und wieder. Bald hörte sie das Plätschern eines Baches. Vorsichtig setzte er sie auf einen großen Stein am Ufer, zog ihr die Schuhe aus und sah sie auffordernd an.

„Tauche deine Beine hinein“, ermutigte er sie, als sie keine Anstalten machte, sich zu bewegen.

Reglos starrte sie in das sprudelnde Wasser vor sich. Noch immer rührte sie sich nicht. Plötzlich drängte sich sein nackter Unterleib in ihr Blickfeld, und sie wich zurück. Im nächsten Moment hatte er ihre Knöchel umfasst und nahm ihr die Möglichkeit zur Flucht. Er stand fast bis zur Hüfte im Wasser und zog sie unerbittlich auf sich zu.

„Nicht! Mein Kleid wird nass!“

„Wenn du ruhig bleibst, passiert gar nichts.“

Unerbittlich schob er ihr Kleid bis weit über die Knie, dann drängte er sie auf dem Stein weiter zum Wasser. Sie erschauerte, als ihre Füße in das kühle Nass tauchten.

„Ist das kalt!“, entfuhr es ihr.

„Das ist der Sinn der Übung“, meinte er unbeeindruckt und zog ihre Beine tiefer.

Sie wimmerte, als das Wasser die Wunden ihrer Knie umspülte. Doch er hatte recht, die Kühle linderte innerhalb weniger Minuten ihren Schmerz. Auch, wenn sie meinte, ihre Füße würden vor Kälte absterben – das Pochen in ihren Wunden ließ nach. Sie fühlte seine Hände, die noch immer ihre Knöchel umschlossen hielten, und fragte sich, wie kalt ihm erst sein musste, da er bis zum Bauchnabel in den Fluten stand. Zögernd blickte sie ihn an, nur um zu bemerken, dass er sie musterte und wohl die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Sie errötete und hasste sich dafür.

„Tut das gut?“

Arrogant wandte sie den Kopf ab. Er seufzte und lockerte den Griff, zog sich ganz zurück. Sie blieb jedoch sitzen, denn sie hatte den Vorteil dieser Behandlung erkannt. So sehr war sie in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, als er aus dem Wasser stieg. Erst nach einer Weile sah sie sich um, da war er verschwunden. Auch seine Hose lag nicht mehr an der Stelle, wo er sie ausgezogen hatte. Beunruhigt zog sie die Beine aus dem Wasser und drehte sich um. Wo konnte er nur hingegangen sein? Wieso hatte er sie hier zurückgelassen?

Da hörte sie hinter sich im Wald Äste knacken und jemanden sich einen Weg durch das Unterholz bahnen. Die Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf, und sie fröstelte.

Ganz ruhig, du hast schon Schlimmeres erlebt. Zeige niemandem, wie sehr du dich fürchtest.

Sie schluckte, straffte die Schultern und wandte sich ihrem Feind zu. Fast hätte sie erleichtert ausgeatmet, als sie von Wolfsberg erkannte, der zwischen den Bäumen auf sie zukam. Sein Pferd trottete wie ein Hund hinter ihm her.

„Ich habe Sturmfried geholt“, erklärte er und deutete hinter sich auf das Tier.

„Sturmfried“, wiederholte sie herablassend, „welch überaus dummer Name!“

Das Lächeln in seinen Zügen erlosch, und der unnahbare Burgherr kam zum Vorschein.

„Wie ich sehe, war ich zu nachsichtig mit dir“, stellte er kalt fest, blieb stehen und winkte sie herbei.

Das tut er absichtlich, schoss es Rosalinde durch den Kopf, nur um mir seine Macht zu demonstrieren.

Unbeeindruckt wandte sie sich ab und bückte sich nach ihren Schuhen, in die sie langsam schlüpfte. Nach außen hin war sie die Ruhe selbst, doch in ihr sah es ganz anders aus. Am liebsten wäre sie davongerannt, vor sich, vor ihm. Diese Widerspenstigkeit in ihr selbst machte ihr fürchterlich zu schaffen. Es war ihr bewusst, dass sie sich manches Problem ersparen würde, wenn sie nachgäbe. Doch sie konnte es einfach nicht. Da war etwas in ihr, das sie ununterbrochen antrieb sich zu behaupten.

Als sie fertig war, blieb sie mit dem Rücken zu ihm stehen. Sie hatte keine Ahnung, was er in der Zwischenzeit gemacht hatte, und es war ihr auch egal. Doch als eine gefühlte Ewigkeit ohne eine Reaktion von ihm vergangen war, drehte sie sich um und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. Er hatte die Decke ausgebreitet, sich daraufgelegt, und es machte den Anschein, als würde er schlafen. Einfach so, als ginge sie ihn überhaupt nichts an. Sie konnte es nicht fassen! Wut stieg in ihr auf. Ihr innerer Zorn brannte so heiß, ließ sie nicht zu Ruhe kommen, und er schlummerte einfach ein. Während sie ihn ungläubig anstarrte, fühlte sie die Erschöpfung in ihren Gliedern. Der lange Ritt, die ständige Anspannung, unter der sie stand, die Bedrohung, die wie eine Wolke über ihr schwebte, forderten ihren Tribut. Denn das war von Wolfsberg für sie: eine Bedrohung. Er war unberechenbar, und sie konnte seine nächsten Schritte überhaupt nicht richtig einschätzen. Leise setzte sie sich auf einen Stein und wartete. Die Zeit strich vorbei wie eine träge Katze. Rosalinde sollte ihn wecken. Zögernd schritt sie auf ihn zu und kniete sich neben ihn auf die Decke, wobei sie versuchte, so wenig Gewicht wie möglich auf ihre schmerzenden Knie zu verlagern. Als sie ihn so vor sich liegen sah, seinen starken, muskulösen Körper, wagte sie es nicht, ihn zu berühren. Wie es aussah, musste sie das auch gar nicht, denn er blinzelte und öffnete die Augen, als hätte er ihre Nähe gefühlt. Er stützte sich auf die Ellbogen und musterte sie spöttisch.

„Und schon kniest du vor mir, Liebste. Es ist doch gar nicht so schwer.“

Sofort sprang sie auf die Beine und ballte die Hände. Ihre Reaktion war gar nicht gut! Ruhig und beherrscht musste sie bleiben! Sie durfte ihm nicht zeigen, dass er sie reizte. Mit Gewalt öffnete sie ihre Fäuste und bohrte ihren abweisenden Blick in seine Augen.

„Es gibt Unterschiede im Knien, mein Herr“, erläuterte sie kalt. „Ich dachte, Ihr wüsstet das.“

Da lachte er wieder auf. Diese schreckliche Frohnatur!

„Das ist mir bewusst, danke für den Hinweis. Doch ein Anfang ist getan. Das nächste Mal wird es dir nicht so schwerfallen.“

„Es wird kein nächstes Mal geben.“

Fest hielt sie seinem Blick stand.

„Oh, ich denke schon“, meinte er zuversichtlich, erhob sich und streckte sich. „Welch ein entspannender Tag!“

Sie konnte nicht anders, als ihn ungläubig zu mustern. War er verrückt? Was an diesem Tag war, bitteschön, entspannend?

„Falte die Decke, und gib sie in die Tasche“, wies er sie an und ging, ohne zu überprüfen, ob sie ihm gehorchte, zu seinem Pferd. „So, mein Guter, gleich geht es weiter.“

Rosalinde starrte auf die Decke. Wenn sie machte, was er sagte, meinte er sicherlich, sie würde sich seinen Wünschen beugen. Doch sicher konnte man nicht sein. Vielleicht rechnete er ja damit, dass sie es nicht tat, dann wäre er überrascht, wenn sie ihm gehorchte. Dann wäre sie für ihn ebenfalls unberechenbar. Wenn er sie nicht durchschaute, wären sie einander zumindest in diesem Punkt ebenbürtig. Auf der gleichen Stufe zu stehen war einem Unterliegen eindeutig vorzuziehen. Deswegen bückte sie sich nach der Decke, legte diese zusammen und verstaute sie in der Tasche. Ohne ihre Handlung in irgendeiner Form zu kommentieren, nahm er die Tasche entgegen und befestigte sie am Sattel.

„Bereit für den Heimritt?“, wollte er mit einem Lächeln wissen und umschloss mit seinen kräftigen Händen ihre Taille.

Sie nickte nur und sah an ihm vorbei.

„Hm, ich frage mich, was das bedeutet“, meinte er nach einer Weile, während der er sie eindringlich gemustert hatte.

„Was bedeutet?“

Ihre Frage war ausgesprochen, noch bevor sie sich auf die Zunge hätte beißen können.

„Nun, dass du mich nicht ansiehst. Siehst du etwa schon ein, wie du deinem Herrn gegenüberzutreten hast?“

Sofort schossen ihre Augen zu ihm, und sie erwiderte reglos seinen Blick. Überrascht entdeckte sie Wärme darin. Wieso sah er sie auf diese Weise an?

„Nein, mein Gemahl, wohl kaum. Ich sehe niemanden, der mein Herr sein könnte.“

Ihre Stimme klang fest und unerschütterlich. Seine Hände ruhten noch immer an ihrer Hüfte, und sie fühlte, dass er den Druck verstärkte. Mit einer schnellen Bewegung hob er sie in die Höhe und setzte sie auf die Kruppe. Rosalinde fragte sich unbehaglich, ob sie ihn nun erzürnt oder beleidigt hatte. Beides wäre ihr recht. Sie hatte keine Angst vor ihm. Was sollte er schon tun? Wie mittlerweile sogar er verstanden haben musste, hatte der Pfahl bei ihr keine Wirkung gezeigt. Herablassend sah sie auf ihn herab. Noch immer ruhten seine Augen auf ihr, sein Blick war unergründlich. Was dachte er nur gerade? Egal, sie würde sicherlich nicht zuerst wegsehen. So verharrten sie eine Zeit lang, bis er seine Hand hob und ihr linkes Handgelenk umschloss. Irritiert senkte sie den Blick auf ihre Hände und musste sich im selben Moment eingestehen, nun unterlegen zu sein. Sein Daumen streichelte vorsichtig über die Male ihrer Wunde, und als sie wieder zu ihm sah, bemerkte sie, dass er ebenfalls den Blick auf ihre Hände gerichtet hatte. Plötzlich gab er sie frei und wandte sich ab.

„Halte dich fest!“, sagte er und ging auf den Wald zu.

Verwirrt umklammerte sie den Sattel, und ohne, dass sie ein Zeichen wahrgenommen hätte, setzte sich das Pferd unter ihr in Bewegung und folgte ihm. Rosalinde wurde immer sicherer, dass es sich um einen Zauber handelte, den er auf das Tier gelegt hatte.

Eine Weile gingen sie so, doch dann hielt er an und wartete, dass sie aufschlossen. Er trat neben sein Ross und saß auf. Dann verharrte er, bis sie ihre Arme um ihn schlang. Sie fühlte die Wärme seiner Handfläche, als er sanft über ihren rechten Unterarm strich. Was würde er tun, wenn sie den Arm jetzt wegzog? Es blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn er trieb seinen gewaltigen Hengst an. Schon bald trabten sie zwischen den Bäumen hindurch, und sie barg ihren Kopf an seinen Schultern, um von keinem der tief hängenden Zweige getroffen zu werden. An ihrer Wange bewegten sich seine starken Rückenmuskeln, und sie schloss die Augen. Eine ferne, verdrängte Erinnerung stieg in ihr auf. Ein Nachhall an einen Mann, in den sie alle Hoffnung gesetzt, und der sie im Stich gelassen hatte. Nicht lange hatte sie es sich als Mädchen gestattet, sich ihren Ritter auszumalen. Doch sie war davon überzeugt, dass er außergewöhnlich stark gewesen sein musste.

Von Wolfsbergs Hand strich noch immer in dieser sanften, beruhigenden Art über ihren Arm. Sie durfte sich unter keinen Umständen bei ihm in Sicherheit wiegen! Nicht lange, und er würde ihr in den Rücken fallen und versuchen, sie zu vernichten. So wie all die anderen auch.

Das Herz der Eisprinzessin

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