Читать книгу Das Herz der Eisprinzessin - Junia Swan - Страница 8
Prolog
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Die Schreie wurden mit jeder Minute leiser, und Freiherr Falk zügelte sein Pferd. Er machte eine Handbewegung, und die Reiter um ihn hielten ebenfalls an und lauschten.
„Wartet hier auf mich!“, befahl der Ritter und lenkte sein Schlachtross vom Weg in den Wald, der ihn von beiden Seiten säumte. Das Pferd brach durch das Dickicht, überwand Büsche, kleine Tannen, Gestrüpp, und er wich Bäumen mit tief hängenden Ästen aus.
„Hilfe!“
Die Stimme klang überaus verzweifelt und hoffnungslos, und er hielt erneut an, um herauszufinden, woher sie kam. Mit dem Helm auf dem Kopf war sein Blickfeld stark eingeschränkt. Die Rüstung minimierte seine Bewegungsfreiheit, und er fluchte über diese Behinderung. Mittlerweile war das Schreien verstummt, und er wartete einige Minuten. Angespannt, ob er noch irgendeinen Laut hörte, wendete er sein Pferd, damit er auch die restliche Umgebung in Augenschein nehmen konnte. Da sah er sie. Mit großen Augen starrte sie ihn an, und die Angst, die unübersehbar darin flackerte, ließ ihn eilig die letzte Distanz zwischen ihnen überwinden. Dann stieg er schwerfällig ab. Die Rüstung erschwerte ihm das Absitzen, und er atmete angestrengt ein, als er schwankend auf dem Boden stand. Während er näherkam, bemerkte er Tränenspuren auf ihren Wangen. Sie aber blieb wie versteinert an den Baum gelehnt sitzen, blickte ihm entgegen und zu ihm auf. Die Blässe ihres Gesichts bereitete ihm Sorge. Sie musste um die zwölf Jahre alt sein, und er fragte sich, was sie so allein im Wald machte. Die Gegend war zurzeit ziemlich unsicher, in den letzten Wochen hatten hier einige Überfälle von Raubrittern stattgefunden.
„Was ist passiert?“, fragte er, und seine Stimme hallte in seinem Helm.
„Bitte“, flüsterte sie, und er musste sich anstrengen, um sie zu verstehen, „bindet mich los!“
Erst jetzt bemerkte er die Fesseln an ihren Handgelenken, die sie am Baumstamm fixierten und ihr ein Davonlaufen unmöglich machten. Verflucht, wer machte so etwas? Sie schutzlos demjenigen auszuliefern, der sie fand. Widerlich! Mit der Rüstung war er unbeholfen wie ein Maulwurf, deswegen zog er sein Schwert und trat hinter sie. Die Klinge wurde jeden Tag von seinem Knappen geschliffen und war gefährlich scharf. Ohne Anstrengung schnitt sie das Seil entzwei.
„Ich danke Euch, Herr!“, schluchzte sie, während sie sich gleichzeitig darum bemühte, wieder auf die Beine zu kommen.
Mit den Fäusten wischte sie sich die Tränen aus den Augen und betrachtete ihn.
„Wer bist du?“, wollte er wissen. „Und was machst du hier?“
„Rosalinde“, murmelte sie und deutete mit einer unbestimmten Geste in eine Richtung. „Prinzessin von Grauenstein.“
„Sehr erfreut, Prinzessin“, meinte er und machte eine flüchtige Verbeugung, wobei er aufpassen musste, das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Dann deutete er auf die Seilenden, die an ihren Handgelenken baumelten. Sie hob sie ein wenig an, und er bemerkte rote Abschürfungen auf ihrer Haut.
„Könnt Ihr mich mit Euch nehmen, edler Ritter?“, fragte sie anstelle einer Antwort.
„Sicherlich. Ich werde dich wohlbehalten nach Hause zu deinen Eltern bringen.“
Da schüttelte sie vehement den Kopf.
„Nein, das meinte ich nicht. Nehmt mich mit auf Eure Reise! Nehmt mich mit zu Eurer Burg!“
„Das ist unmöglich! Ich kann dich doch nicht deinen Eltern stehlen! Außerdem besitze ich keine Burg.“
Ihre Schultern sackten enttäuscht nach unten. Doch sie gab nicht auf. Sie ahnte, dass sich ihr nie wieder eine Chance wie diese bieten würde. Mithilfe dieses starken Ritters könnte sie es schaffen zu entkommen.
„Bitte, nehmt mich mit Euch“, flehte sie und sank vor ihm in die Knie. „Meinen Eltern macht das nichts aus. Im Gegenteil, sie wären Euch überaus dankbar.“
Freiherr Falk atmete tief ein und musterte sie argwöhnisch.
„Was stimmt mit dir nicht, Mädchen?“
Ihre Augen waren voller Furcht weit aufgerissen, als sie bittend zu ihm aufsah.
„Mit mir ist alles in Ordnung. Bitte! Helft mir! Ich gehöre einfach nicht hierher, nehmt mich mit!“
„Komm mit!“, befahl er, doch sie verharrte trotzig. „Ich frage noch einmal: Wer hat das getan?“
Sie schluckte und wich seinem Blick aus, während sie sich eine helle Haarsträhne hinter ein Ohr strich.
„Andere Kinder“, nuschelte sie und zerrte an einem der Seile.
Er wurde nicht schlau aus ihr.
„Wir haben deine Burg vor einiger Zeit passiert. Komm, wir bringen dich zurück!“
Nun packte sie ihn am Arm, was er jedoch kaum bemerkte, so schwach war sie. Mit beiden Händen musste sie zugreifen, um seinen Unterarm zu umschließen.
„Bitte, bringt mich nicht zurück! Ich flehe Euch an! Bitte!“
Natürlich rührte ihn ihr Flehen, aber ihm waren die Hände gebunden – was sollte er mit einem Kind anstellen? Also griff er nach ihrem Arm und zog sie vorsichtig mit sich. „Nein! Nicht!“
Verzweifelt versuchte sie sich ihm zu entwinden, doch er zerrte sie unbarmherzig mit sich. Seine Männer blickten ihm verwundert entgegen, als er sich mit seiner widerborstigen Begleiterin aus den Schatten des Waldes löste. Sein Pferd folgte auf den Fuß. Einige von ihnen begannen zu lachen.
„Da hast du aber einen Glücksgriff gemacht! Was ist mit dem Kind?“
„Ich vermochte nicht, es herauszufinden. Doch sie gehört zu Burg Grauenstein. Tut mir leid, wir müssen noch einmal umkehren.“
Er konnte das Murren einiger der Männer deutlich hören, während er Rosalinde vor den Sattel auf sein Pferd setzte. Sie hatten einen anstrengenden Ritt hinter sich und waren müde. Dieser Umweg passte ihnen überhaupt nicht.
„Roland“, sagte er, und sein Knappe eilte herbei und half ihm beim Aufsitzen.
Freiherr Falk legte behutsam einen Arm um des Mädchens Taille, damit es nicht vom Pferd rutschen konnte, und trieb sein Ross an.
Je näher sie der Burg kamen, desto verzweifelter klammerte sich Rosalinde an ihn. Er konnte sich nicht erklären, was sie so ängstigte. Wahrscheinlich erwartete sie eine Tracht Prügel dafür, dass sie sich mit ihren Spielgefährten in den Wäldern herumgetrieben hatte. Nun ja, sicherlich würde sie das überleben.
Die unüberwindbaren Mauern der Burg Grauenstein zeichneten sich scharf vom Blau des Himmels ab, als sie aus dem Wald und über weitläufige Wiesen darauf zuritten. Die Sonne stand bereits tief, und die Reiter tauchten nach kurzer Zeit in den Schatten der Burg ein. Die Hängebrücke, welche einen breiten Burggraben überspannte, war herabgelassen, doch das Tor war verschlossen.
„Wer ist’s?“, rief eine der Wachen von den Zinnen.
„Ritter Falk und seine Mannen. Wir haben Eure Prinzessin aufgelesen und bringen sie zurück.“
„Öffnen!“
Das laute Geräusch der Ketten setzte ein, und das Fallgitter hob sich in die Höhe. Nicht lange, und sie passierten die dicken Steinmauern, um im Hof anzuhalten. Der Burgvogt eilte ihnen entgegen, doch als er das Mädchen erblickte, verfinsterten sich seine Züge. Auffordernd streckte er seine Arme nach ihm aus, und Freiherr Falk übergab es dem Mann.
„Ich danke Euch, edler Ritter“, sagte der Vogt und stellte das Mädchen neben sich ab.
Mit strengem Blick musterte er Rosalinde.
„Du weißt, was dich erwartet.“
Schnell senkte sie den Kopf und starrte auf ihre Schuhspitzen. Dabei meinte Freiherr Falk beobachten zu können, wie sie vor seinen Augen schrumpfte.
„Ihr könnt sie ja nicht gebrauchen?“, fragte der Mann zu des Ritters Überraschung. „Wollt Ihr sie zur Frau nehmen?“
Dieses Kind? Freiherr Falk fuhr bei der Vorstellung ein wenig zusammen. Natürlich war es nicht unüblich, Kinder zu verheiraten, doch er hatte andere Erwartungen an seine Frau. Abgesehen davon wüsste er nicht, wo er sie unterbringen könnte.
„Nein, tut mir leid“, erwiderte der Ritter und sah, wie sich das Mädchen mit den Fingern über die Augen strich.
„Dann kommt, und esst mit uns!“, forderte der Vogt die Gruppe Männer nun auf.
„Vielen Dank für Eure Einladung, doch wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns. Wenn Ihr uns nun entschuldigen würdet?“
Der Vogt nickte, während Freiherr Falk sein Pferd wendete. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der ältere Mann das Mädchen unsanft in eine Richtung stieß.
„Mach’s gut, Kleine“, rief er ihr aufmunternd zu und ritt auf das schwere Tor zu.
Seine Männer schlossen sich ihm eilig an.
Fünf Jahre später, als Freiherr Falk wieder in der Nähe des Wiener Beckens war, hörte er durch Zufall Rosalindes Namen. Mittlerweile hatte sie allerdings einen Beinamen erhalten. Man nannte sie die Eisprinzessin, aufgrund der Kälte ihres Wesens.
Freiherr Falk sah sie an einem Abend während eines Festes auf Burg Grauenstein. Unbewegt und schön saß sie am Tisch ihrer Eltern und wies jeden Mann ab, der es noch wagte, sie zum Tanz aufzufordern, deren Zahl, aus gegebenem Anlass, nicht einmal aus einer Handvoll Galanen bestand. Man erzählte, dass selbst das Kloster sie nicht hatte aufnehmen wollen und ihr Vater die Hoffnung aufgegeben hatte, sie gut zu vermählen. Wenn überhaupt. Doch als Freiherr Falks Blick auf ihr ruhte, meinte er nur Angst und Einsamkeit in ihr zu erkennen. Mittlerweile war sie zu einer jungen Frau herangereift, und er selbst würde bald als Burgherr auf einer eigenen Festung eingesetzt werden. Die Verzweiflung, die sie damals ausgestrahlt hatte, stand noch deutlich vor seinem inneren Auge. Nun wusste sie diese gut zu verbergen. Sollte er sich dazu entschließen, sie zu ehelichen, käme erhebliche Arbeit auf ihn zu, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Das spürte er instinktiv. Er trank von dem Bier und starrte sie nachdenklich an.
„Willst du dich erkälten?“, fragte Thomas neben ihm und rempelte ihn neckend an. „Oder was willst du von diesem Eiszapfen?“
„Kannst du dich nicht an sie erinnern?“
„An die Prinzessin? Nein. Wüsste nicht, wo wir ihr hätten begegnen können.“
„Die Kleine im Wald. Das war sie.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen pfiff Freiherr Thomas durch die Zähne. Er warf einen schnellen Blick in ihre Richtung, wandte sich aber sofort wieder seinem Gegenüber zu.
„Kaum zu glauben. Damals hatte sie mehr Temperament.“
„Das hat sie noch immer. Sie vermag es nur gut zu verstecken.“
Freiherr Falk nahm noch einen Schluck.
„Wenn sich die Dinge weiterhin zufriedenstellend entwickeln, werde ich um ihre Hand anhalten.“
„Du bist verrückt, mein Freund!“
Freiherr Falks Mund verzog sich zu einem harten Lächeln.
„Ich werde das Gefühl nicht los, sie damals im Stich gelassen zu haben.“
„Du kannst nicht jeden heiraten, dem du nicht helfen konntest.“
„Das ist richtig. Aber sie schon. Sieh sie dir nur an!“
Freiherr Thomas schauderte gespielt.
„Habe ich bereits, und ich meine, bei mir tritt gleich die Leichenstarre ein.“
Nun lächelte Freiherr Falk, und kleine Falten bildeten sich in seinen Augenwinkeln, während er seinen Becher hob.
„Sie wird schmelzen, das verspreche ich dir. Auf meine Braut!“
„Auf eisige Zeiten!“