Читать книгу Das Herz der Eisprinzessin - Junia Swan - Страница 9
1. Kapitel
ОглавлениеEineinhalb Jahre später
Burg Hohenwolfsberg ragte hoch und abweisend in den Himmel, majestätisch und mächtig, als könnte sie allein mit ihrer Präsenz ihr Umfeld beherrschen. Unwillkürlich umfasste Rosalinde die Zügel ihres Pferdes fester. Dies würde nun also ihre neue Heimat sein. Sie hasste den Ort schon jetzt: die hohen Berge, die sich in einiger Entfernung wie ein steinerner Ring rings um die Festung schlossen und jeden Eindringling allein durch ihre Anwesenheit einschüchterten und zu bedrohen schienen. Es trennte sie nur mehr eine kurze Zeitspanne von der Begegnung mit jenem Mann, der vor ihrer Unnahbarkeit nicht zurückgeschreckt war und sie mittels einer Fernhochzeit geehelicht hatte. Vor einer Woche hatte ihr Vater den Ehevertrag unterzeichnet, den Graf von Wolfsberg mit einem Boten zu ihr geschickt hatte. Ohne ihm jemals begegnet zu sein, war sie ihm nun angetraut. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie zu seiner Frau zu nehmen? Meinte er wirklich, sie bezwingen zu können? Ein dünnes Lächeln umspielte bei dem Gedanken ihren Mund. Bald würde er seinen Irrtum bemerken, spätestens dann, wenn er vor ihrer Unbeugsamkeit in die Knie ging, an ihrem Willen scheiterte, vor ihrer inneren Kraft kapitulierte. Es gab nichts auf dieser Welt, was er tun könnte, um sie zu bezwingen.
Alle Burgbewohner hatten sich im Burghof versammelt, um ihren festlichen Einzug zu verfolgen. Rosalinde blickte starr geradeaus, tat, als würde sie nicht bemerken, was um sie herum geschah. Einer ihrer Diener half ihr aus dem Sattel, und sie ging ein paar Schritte, wartete darauf, dass der Burgherr auf sie zukam, um sie zu begrüßen. Da löste sich auch schon ein älterer Mann von dem Pulk feiner Hofleute, die sie etwas erhöht vor dem Eingang der Halle erwarteten. Auf den ersten Blick erkannte Rosalinde, dass dieser Mann ihr nicht gewachsen war, und sie meinte, so etwas wie Enttäuschung zu empfinden. Ein kleines Kräftemessen hätte sie durchaus gereizt, doch mit ihm würde sie in wenigen Minuten fertiggeworden sein. Aber das machte nichts. Abschätzend ließ sie ihre Augen über die stattlichen Bauten wandern – dann würde eben sie die Herrscherin innerhalb dieser Mauern sein. Ihr Mann verbeugte sich vor ihr – er war nur ein kleines Stück größer als sie selbst, und sie neigte leicht den Kopf. Ihr Blick war eisig.
„Dame Rosalinde, es ist mir eine Freude, Euch im Namen meines Herren begrüßen zu dürfen.“
Überrascht hob die junge Frau die Augenbrauen.
„Er hat mich gebeten, Euch zur Kemenate zu geleiten, da er erst am Abend zurückkehren wird.“
Was sollte das heißen? Er war nicht hier, um seine Frau, wie es schicklich war, zu empfangen? Welch ein Affront! Zorn glomm in ihr auf, doch keine Regung in ihrem Gesicht verriet ihre Gefühle.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, sagte Rosalinde gleichgültig. „Ich nehme an, Ihr seid der Burgvogt?“
„So ist es, meine Dame. Burgvogt Karl, zu Euren Diensten. Wenn Ihr bitte mit mir kommen würdet?“
Er wandte sich um, und sie folgte ihm in einigen Ellen Entfernung mit stolz erhobenem Haupt, vorbei an den tuschelnden Höflingen, die sich vor ihr verneigten, während die Damen in einen tiefen Knicks sanken.
Nicht lange, und sie stand inmitten der Kemenate und beobachtete die Diener, welche ihre Truhen in den Nebenraum, ihre Schlafkammer, schleppten. Als sie allein war, trat sie an das kleine Fenster und blickte ins Freie. Der Wind fegte entlang der Mauern und strich ein wenig abgeschwächt über ihr Gesicht. Dafür, dass von Wolfsberg sie nicht mit dem nötigen Respekt empfangen hatte, würde er büßen. Das schwor sie sich. Schon morgen würde er bereuen, sie zur Frau genommen zu haben.
„Der Herr ist eingetroffen“, berichtete ihre Kammerdienerin und schloss die Tür hinter sich.
„Vermutlich wird er das Abendmahl an meiner Seite in der großen Halle einnehmen“, stellte Rosalinde fest und ließ sich in ein festliches Gewand helfen.
Kritisch beäugte sie sich in dem Spiegel, der auf einem Tisch vor ihr stand. Sie wollte ihn mit ihrer Schönheit einschüchtern, so wie all die anderen Männer am Hof ihres Vaters. Es sollte ihm angesichts ihrer Unnahbarkeit die Sprache verschlagen! Deswegen ließ sie sich Perlen in ihr Haar flechten, damit sie ihn blendeten und ihn davor zurückschrecken ließen, sie zu berühren.
Als sie zufrieden war, erhob sie sich und schluckte nervös. Natürlich hatte sie nichts zu befürchten, trotzdem glomm ein leises Unbehagen in ihrem Bauch, das sie ein wenig zittern ließ. Sie atmete tief durch und straffte ihre Schultern. Es wäre gelacht, wenn ausgerechnet Graf von Wolfsberg ihr Innerstes erschütterte.
Mit erhobenen Kinn folgte sie ihrer Dienerin in die Halle. Bei ihrem Eintreten verstummten die Gespräche, und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden richtete sich auf sie. Unbeeindruckt blieb sie stehen und ließ ihre Augen suchend über den Hofstaat wandern. Jeder blickte in ihre Richtung, bis auf einen Mann. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und sprach mit seinem Gegenüber (welches ebenfalls zu ihr sah), als kümmerte ihn nicht, was um ihn herum geschah. Das musste wohl ihr Gemahl sein. Angesichts seiner Arroganz begann es wieder in ihr zu kochen. Nicht nur, dass er sie bei ihrer Ankunft nicht gebührend empfangen hatte, behandelte er sie nun, als wäre sie eine einfache Dienstmagd, der es nicht zustand, dass man ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. Rosalinde würde keinen einzigen Schritt auf ihn zu machen, schwor sie sich, und starrte auf seinen breiten Rücken. Er war groß und muskulös, das war ihr sofort aufgefallen. Sein Haar dunkelbraun, fast schwarz, soweit man das in dem schlechten Licht erkennen konnte. Doch seine Ausstrahlung war deutlich fühlbar und nahm sie bereits gefangen, noch bevor sie ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Rosalinde ahnte, dass er zumindest ein würdiger Gegner im Kampf um die Herrschaft innerhalb ihrer Ehe sein würde.
Noch immer war es mucksmäuschenstill im Raum, was ihn nach wie vor in keiner Weise tangierte. Vielleicht erwartete er, dass sie zu ihm ging? Versauern sollte er! Den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Stattdessen wandte sie sich ab und blickte zur Tafel. Da man ihr ihren Gemahl bis jetzt nicht vorgestellt hatte, konnte sie Unwissenheit vortäuschen und so tun, als wüsste sie nicht, dass er bereits in diesem Raum war. Ganz sicher konnte sie sich tatsächlich nicht sein. Vielleicht war jener Mann auch einfach einer der Ritter und hatte mit ihr demzufolge nichts zu schaffen? Entschlossen setzte sie sich in Bewegung und steuerte das Kopfende der Tafel an. Nun setzte Getuschel ein. Offensichtlich hatte niemand mit ihrer Kaltschnäuzigkeit gerechnet, den Burgherrn zu ignorieren. Sie machte einem Diener ein Zeichen, ihr den Stuhl am Vorsitz zurechtzurücken. Verwirrt starrte sie der junge Mann an.
„Nun, da Graf von Wolfsberg von seiner Reise noch nicht zurückgekehrt ist, werde ich seinen Platz einnehmen“, sagte sie laut und deutlich, und ihre Stimme hallte in dem großen Raum. „Richte mir den Stuhl!“
„Aber er ist hier“, flüsterte der Diener mit großen Augen, woraufhin sich Rosalinde noch einmal von dem Tisch fort und den restlichen Anwesenden zuwandte.
Mittlerweile hatte sich der große Mann ebenfalls in ihre Richtung gedreht. Er war zu weit weg, um sein Gesicht erkennen zu können, demzufolge blieb ihr sein Gemütszustand verborgen.
„Werte Gemahlin“, hörte sie eine tiefe, eindrucksvolle Stimme die räumliche Distanz problemlos überwindend, „ich bin hier. So kommt und begrüßt mich, wie es mir gebührt!“
Seine Worte waren der nächste Affront. Trotzdem er nun also wusste, dass sie anwesend war, kam er ihr keinen Schritt entgegen. Nicht einen einzigen Schritt! Im Gegenteil, er erwartete, dass sie zu ihm ging! Sie setzte ein kühles Lächeln auf, verblieb jedoch an ihrem Platz.
„Willkommen, mein Herr“, sagte sie nur und wirkte überaus gleichgültig.
Da gab er einem seiner Männer ein Zeichen, und dieser setzte sich zu ihr in Bewegung. Ein stattlicher Ritter, zweifellos, mit stahlharten Muskeln an den richtigen Stellen. Rosalindes Herz begann schneller zu pochen. Als er sie erreichte, streckte er ihr höflich eine Hand entgegen.
„Kommt, ich werde Euch zu Eurem Mann geleiten.“
Rosalinde schenkte ihm einen eisigen Blick, der ihn wissen lassen sollte, was sie von diesem Vorschlag hielt. Ihr Gegenüber verengte die Augen, dann griff er nach ihrem Arm und zwang sie an seine Seite. Notgedrungen schritt sie neben ihm zu dem schrecklichen Mann am anderen Ende des Saales. Je näher sie ihm kam, desto kleiner und machtloser fühlte sie sich. Aber wer war sie, sich bereits nach wenigen Minuten zu ergeben? Sie hielt seinem Blick herausfordernd stand. Graf von Wolfsberg griff nach ihrer Hand, als sie ihn erreicht hatten, und zog sie näher zu sich. Bereits an der Art dieser Berührung erkannte sie die Kraft seines Körpers und die Unbeugsamkeit seines Willens. Seine undurchdringlich funkelnden Augen bohrten sich in ihre, und er senkte den Kopf, um nur eine Daumenbreite vor ihrem Gesicht innezuhalten.
„Holdes Weib“, sagte er leise, und Rosalinde hoffte, dass niemand sonst hören konnte, was er ihr nun unzweifelhaft mitteilen würde, „willkommen auf meiner Burg. Ich hoffe, Euer Ungehorsam mir gegenüber ist dem geschuldet, dass Ihr nicht sicher sein konntet, dass ich Euer Gemahl bin. Ich kann Euch versichern, dass Ihr nach der heutigen Nacht diesbezüglich keine Zweifel mehr hegen werdet.“
Die aufsteigende Angst unterdrücke Rosalinde mit eisernem Willen, genauso wie nichts an ihr verriet, wie unangenehm ihr seine Nähe war.
„Es genügt für den Anfang, wenn Ihr Folgendes beherzigt und wisst: Ich erwarte Euren absoluten Gehorsam und Respekt, denn ich werde nicht zögern, Euch zu bestrafen, solltet Ihr mir diese verweigern!“
Rosalinde blinzelte, doch sie hatte sich sofort wieder im Griff, obwohl seine Warnung ihr durch Mark und Bein fuhr.
„Man erzählt weithin von Eurer Kälte und Unnahbarkeit. Lasst Euch gesagt sein, dass Ihr beides um ein Vielfaches verstärkt in mir finden werdet. Seid also nicht so unklug, es darauf anzulegen, Euch mit mir zu messen! Denn Ihr werdet unterliegen.“
Plötzlich gab er sie frei und trat einen Schritt zurück, um ihre Reaktion auf seine Worte zu beobachten. Er wollte sie einschüchtern, erkannte Rosalinde, wie erbärmlich! Unbeeindruckt hielt sie seiner Betrachtung stand, hob nur in einer spöttischen Geste eine Augenbraue.
„Und nun kniet Euch vor mich hin!“
Überrascht weitete sie die Augen, doch sie hatte sich sofort wieder im Griff.
„Niemals, mein Herr“, sagte sie fest, und ihr war bewusst, dass sie ihn mit ihrer Weigerung vor seinem gesamten Hofstaat blamierte.
Sein rechtes Augenlid zuckte, dann wandte er sich ab.
„An den Pfahl mit ihr“, befahl er unbeteiligt und ließ sie einfach stehen.
In dieser Situation blieb ihm keine andere Wahl, als hart durchzugreifen. Erschrocken schnappte sie nach Luft. Das konnte nicht sein Ernst sein! Sie derart zu demütigen! Doch sie zwang sich zu einem unbeteiligten Gesichtsausdruck.
Der Ritter, der sie zuvor zu ihrem Gemahl geführt hatte, drehte sich zu ihr.
„Wollt Ihr freiwillig mit mir kommen, oder soll ich Euch vor den Augen aller ins Freie zerren?“
Sie reckte würdevoll ihr Kinn.
„Ich begleite Euch. Geht mir voraus!“
Der Ritter drehte sich um, und ohne zu zögern, verließ sie hinter ihm die Halle. Sie würde nicht klein beigeben. Nicht vor diesem eingebildeten Mann.
An einer Seite des großen Burghofes ragten drei Holzpfähle aus dem festgestampften Boden, und Rosalinde stellte sich vor einen und streckte ihre Arme nach hinten, damit der Mann sie fesseln konnte. Es war eine unangenehme Position, doch sie hatte schon weit Schlimmeres ertragen. Bisher hatten sie all diese Bestrafungen stärker gemacht, nicht schwächer.
Nach einer Weile lehnte sie sich an den Pfahl zurück und schloss die Augen. In wenigen Minuten würde die Sonne hinter den hohen Gipfeln des weitläufigen Bergmassives untergehen. Es fröstelte sie ein wenig, als eine kühle Brise die letzten Sonnenstrahlen von ihrem Körper fegte. Dunkle Schatten lösten sich aus den Ecken und krochen über den Boden, umspielten ihre Knöchel und kletterten an ihrem Leib empor. Es mussten Stunden vergangen sein, als ihr jemand einen Becher Wein anbot, doch sie wandte den Kopf ab. Der Schmerz in ihren Schultern nahm zu, trotzdem bewegte sie sich nicht.
„Seid Ihr nun bereit, vor mir zu knien?“, fragte plötzlich eine Stimme neben ihr und riss sie aus ihrer Versunkenheit.
Sie brauchte nur Sekunden, um sich wieder völlig im Griff zu haben.
„Nein“, erklärte sie mit ruhiger Stimme und einem ironischen Lächeln, das von Wolfsberg nicht entgehen konnte. „Ich werde niemals vor Euch knien. Da müsstet Ihr schon meinen Leichnam von diesem Pfahl schneiden.“
„Wir werden sehen“, meinte er lapidar, wandte sich um und ging davon.
Irgendwann im Laufe der Nacht ließ sie sich zu Boden gleiten. Ihr ganzer Körper krampfte ob dieser zermürbenden Stellung. Aber Rosalinde wusste, dass sie nur eine gewisse Zeit durchhalten musste, bis sie den Schmerz nicht mehr fühlen würde und in eine Art Delirium hinüberglitte. Spätestens der Flüssigkeitsverlust würde ihr den Rest geben. Am nächsten Morgen stemmte sie sich unter aller Anstrengung in die Höhe. Niemand sollte sie derart schwach zu Gesicht bekommen. Stimmen drangen an ihre Ohren, und sie öffnete die Augen. Allerdings blickte sie nicht in ihre Richtung, sondern suchte sich einen Punkt weit oben, den sie nun fixierte. Nein, sie würde die Augen nicht schließen, als schämte sie sich, hier zu sein, stattdessen würde sie alle ignorieren, deren Weg sie an ihr vorbeiführte.
„Herrin, trinkt etwas“, bat jemand neben ihr.
Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Ich habe auch etwas zu essen für Euch.“
Rosalinde stellte sich vor, sie wäre der Vogel, der neben ihrem Punkt auf der Burgmauer saß und über das Land hinwegsah. Bald würde er sich frei in die Lüfte schwingen. Gedankenreisen hatten ihr in solchen Situationen immer geholfen, den Zustand der Pein zu ertragen. Sie bemerkte nicht einmal, dass sich der Diener entfernte.
„Wie macht sie sich?“, fragte Falk von Wolfsberg den Ritter, dem er sein Leben anvertrauen würde.
„Sie ist nach wie vor ein Eiszapfen, mein Freund, und verweigert es zu essen oder zu trinken.“
Überrascht schossen des Burgherren Augenbrauen in die Höhe.
„Sie weigert sich zu trinken?“
„Ja, Falk. Sie ist eine harte Nuss.“
Von Wolfsberg fuhr sich mit gespreizten Fingern nachdenklich durchs Haar.
„Warten wir es ab. Lange wird sie nicht mehr durchhalten.“
Freiherr Thomas zuckte mit den Schultern.
„Du hättest es anders haben können“, stellte er mitleidlos fest. „Ein sanftes Weib in deinem Bett. Aber du wolltest sie.“
Des Burgherrn Mundwinkel zuckten.
„Ganz recht, ich wollte sie und werde sie bekommen, du wirst sehen!“ „Ich hoffe, sie nimmt es sich zu Herzen.“
Da lachte von Wolfsberg siegessicher und griff nach seinem Schwert.
„An die Waffen!“, forderte er und ging seinem Ritter voraus in den Hof.
Er gestattete sich nur einen kurzen Seitenblick in ihre Richtung. Die Perlen in ihren Haaren glitzerten in der Sonne, und sie wirkte schön wie eine Jungfrau, der man Unrecht angetan hatte. Alles an ihr verkörperte aus seiner Sicht eine Anklage, als enttarnte ihre Anwesenheit an diesem Pfahl ihn als ein Monster, eine Bestie, gefühllos und kalt. Er wandte sich seinem Gegner zu und konzentrierte sich auf die Übungen, die ihn mit jedem Tag mehr zu einem unbesiegbaren Meister im Kampf machten.
Rosalindes Zunge schwoll an, und es schmerzte sie zu schlucken. Die Sonne hatte während des ganzen Tages auf sie herabgebrannt, ihre Haut gerötet und ihr die letzte Kraft aus den Gliedern geschmolzen, in denen der Schmerz stechend pochte. Trotzdem hatte sie sich nicht auf den Boden sinken lassen, sondern hing ein wenig nach vorne gebeugt. Sie hatte sich einen neuen Punkt für ihre Aufmerksamkeit suchen müssen.
Von Wolfsberg stand ungefähr zwanzig Meter von ihr entfernt und musterte sie besorgt.
„Lange kann ich sie nicht mehr dort lassen“, stellte er beunruhigt fest. „Wenn sie diese Nacht nicht aufgibt, holst du sie morgen in der Früh und bringst sie in ihre Kammer. Ihre Dienerin soll sich um sie kümmern. Postiere eine Wache vor ihrer Tür, sie darf ihr Zimmer nicht verlassen. Vermutlich wird sie ohnehin zu schwach sein, um aufzustehen.“
Freiherr Thomas nickte.
„Ich werde mit ihr sprechen. Vielleicht ist sie nun bereit, mir den Respekt zu schenken, den sie mir schuldet.“
Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung und ging auf sie zu. Mit einer Hand griff er nach ihrem Kinn und zwang ihren Kopf zu sich empor. Ihr Blick war verschleiert, und sie sah durch ihn hindurch.
„Wirst du vor mir knien?“, fragte er angespannt. „Ich binde dich sofort los.“
Rosalinde schwieg.
„Sei doch nicht so störrisch, Weib“, bat er mit weicher Stimme, deren Klang sie sicherlich überrascht hätte, wenn das Blut in ihren Ohren nicht so laut rauschen würde.
Da sie nach wie vor nichts erwiderte, zog er seine Hand fort, und ihr Kopf sank wieder tiefer. Kurz musterte er sie und verbot es sich, Mitleid mit ihr zu haben, dann wandte er sich um und schritt davon.
In der bald danach einbrechenden Nacht war sie in sich zusammengefallen, und sie bemerkte kaum, als jemand früh am nächsten Morgen ihre Fesseln löste und sie emporhob. Mittlerweile hatte sie den Zustand erreicht, in dem es sie nicht mehr berührte, was mit ihr und um sie herum geschah. Sie fühlte Wasser an ihren Lippen und hörte das bekümmerte Murmeln ihrer Zofe. Immer wieder flößte die ihr Wasser und Hühnerbrühe ein, kühlte ihre Haut mit einer lindernden Creme, bis Rosalinde am Abend wieder so weit zu Kräften gekommen war, dass sie die Augen öffnen konnte.
„Meine Herrin“, flehte Theresa unter Tränen, als sie erkannte, dass die Geschundene bei Bewusstsein war, „er ist unbeugsam. Hört auf, gegen ihn zu kämpfen!“
Ein zitterndes Lächeln teilte Rosalindes Lippen.
„Aber meine liebe Theresa, ich habe doch gerade erst begonnen!“, krächzte sie.
Das Dienstmädchen schlug sich eine Hand vor den Mund und schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Das kann nicht gut enden, meine Dame! Ich bitte Euch!“
„Immerhin wird es enden. Wenigstens für einen von uns“, blieb Rosalinde hart, und ein kalter Glanz trat in ihre Augen.
„Ist mein sanftmütiges Weib wieder bei Kräften?“, wollte von Wolfsberg auf dem Weg in seine Gemächer wissen.
„Wie es aussieht, ja. Ihre Zofe hat sie in den letzten beiden Tagen wieder aufgepäppelt.“
„Ausgezeichnet! Dann werde ich heute die zweite Runde des Turniers ausrufen. Lass ihr ausrichten, dass ich sie nach dem Abendessen, welches sie noch in ihrem Zimmer einnehmen wird, sehen möchte.“
Freiherr Thomas lächelte spöttisch.
„Ich nehme nicht an, dass ihr das gefallen wird.“
„Vermutlich nicht.“
Er legte eine Hand auf die Türschnalle zu seiner Kammer und hielt noch einmal inne. Kurz dachte er nach, und seine Augen funkelten hintergründig, als er noch hinzufügte: „Ach, und teile ihr mit, dass sie ihr schönstes Kleid tragen soll.“
Im nächsten Moment stieß er die Tür auf und ließ seinen überraschten Ritter einfach zurück.
Ihr schönstes Kleid? Die Forderung ihres Gatten brannte wie Galle in ihrer Kehle. Das würde er bekommen! Dieses Gewand würde zweifellos ihr schlichtes Nachthemd, das aus schwerem, weißem Stoff genäht war, sein, einem Sack nicht unähnlich. Entschlossen zog sie es aus ihrer Truhe und breitete es auf dem Bett aus.
„Aber Herrin“, wagte Theresa einzuwenden, doch Rosalinde hob eine Hand, und sie verstummte.
„Ein schlichter Zopf für meine Haare wird meinen festlichen Auftritt noch unterstreichen, meinst du nicht?“
„Nein, meine Herrin, es ist nicht gut, wenn Ihr Euren Gemahl reizt.“
„Reizen? Ich? Ihn?“ Rosalinde lachte hart auf. „Er versucht mich zu demütigen, seit ich einen Fuß auf diese Burg gesetzt habe.“
„Trotzdem sitzt er auf dem längeren Ast.“
„Das werden wir erst sehen!“
Rosalinde unterdrückte ihr inneres Zittern, als sie durch eine Tür, die direkt von der Kemenate in sein Schlafzimmer führte, trat. Überrascht stellte sie fest, dass der Raum leer war. Sie schloss die Tür hinter sich und lugte angespannt zu einer anderen Tür, die zweifellos in ein weiteres seiner privaten Gemächer führte. Sollte sie einfach weitergehen oder hier auf ihn warten? Sie entschied sich, stehen zu bleiben. Jede Minute, die sie nicht in seiner Gegenwart verbringen musste, war ihr willkommen.
Als sich nach einer Weile die Tür öffnete, konnte sie ihr Zusammenzucken gerade noch unterdrücken. Er trat ein, groß und überwältigend, sein dunkler Blick glitt über ihre Erscheinung. Überrascht bemerkte sie, dass seine Mundwinkel zuckten. Rosalinde hatte erwartet, ihn mit ihrem offensichtlichen Ungehorsam zu erzürnen.
„Wie ich sehe, hast du aus deinem Fehler gelernt und dich gekleidet, wie ich es befohlen habe.“
Wenn sie sich nicht so gut im Griff gehabt hätte, wäre sie erblasst. So setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf.
„Ich meine mich zu erinnern, dass Eure Anordnung eine andere war.“
„Ach, das waren nur Worte. Worauf es ankommt, ist das Ergebnis. Ihr seid berechenbar, meine Liebe.“
Diese Offenbarung traf sie mehr als die Tage am Pfahl. Sie fühlte sich, als hätte er einen Pfeil direkt in ihr Herz geschossen. Es durfte nicht sein, dass er sie durchschaute!
„Wie dem auch sei“, meinte er leichthin, ohne sie aus den Augen zu lassen, „ich bin hier, um mir zu nehmen, was mir zusteht.“
Sie musterte ihn herablassend. Nichts an ihrer Haltung deutete darauf hin, dass sie Angst vor ihm hatte.
„Öffne dein Haar“, befahl er ruhig.
Rosalinde blickte ihn reglos an.
„Oder hast du Angst?“
„Vor Euch?“, höhnte sie.
„Ganz richtig, vor mir. Du weißt genau, dass ich der Mann sein werde, vor dem du dich früher oder später beugen wirst. Ich kann verstehen, dass du dich davor fürchtest.“
„Ihr bildet Euch viel ein, wenn Ihr denkt, mich bezwingen zu können.“
Er schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, und deutete auf ihren Zopf. Langsam hob sie ihre Hände und löste die Schleife. Sie würde vor dem Unvermeidlichen nicht davonlaufen. Nein, er sollte an ihrer Kälte erfrieren!
„Und nun das Kleid. Lege es ab!“
Trotz blitzte in ihren Augen auf, doch sie gehorchte zögernd. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben und ihm nicht zu zeigen, wie schwer es ihr fiel, ja, sie sogar ängstigte, derart entblößt vor ihm stehen zu müssen. Als sich der Stoff um ihre Knöchel bauschte, blickte sie ihn noch immer an und hoffte, dass ihre Wangen nicht vor Scham brannten. Langsam nahm er ihren Anblick in sich auf, als machte es ihm Freude, diese Macht über sie zu haben, dann streckte er einen Arm nach ihr aus. Sie starrte darauf. Wieder sollte sie auf ihn zugehen. Wieder wollte er, dass sie ihren Stolz aufgab, indem er auf sie wartete. Überrascht beobachtete sie, wie er einen Schritt in ihre Richtung machte. Er ging als erster auf sie zu, kam ihr entgegen, machte es ihr möglich, ihm zu gehorchen. Deswegen straffte sie die Schultern und ging zu ihm, legte ihre Hand in seine und ließ sich von ihm näher ziehen. Seine Körperwärme schien ihre Haut zu versengen. Er hob eine Hand zu ihrem Rücken und drückte sie eng an sich. Mit der anderen Hand zwang er ihr Kinn in die Höhe, und sie befürchtete bei dem Blick in seine Augen, dass ihre Knie unter ihr nachgeben würden. Alles an ihm war überwältigend, seine Dominanz füllte den Raum aus – es blieb kaum Platz für sie.
„Der Akt ist zu heilig, um ihn im Zorn zu begehen“, sagte er eindringlich, und Rosalinde fragte sich, was er meinte. „Du kannst mit mir streiten, dich mir widersetzen, so viel du willst, wenn du es außerhalb dieses Raumes machst. Doch hier wünsche ich, dass du deinen Groll ablegst.“
„Niemals“, murmelte sie und wand sich unter seinem eindringlichen Blick.
Seine Augen spielten über ihr Antlitz, als würden sie es streicheln.
„Niemals?“, wiederholte er, und diesmal erstreckte sich sein Lächeln bis zu seinen Augenwinkeln, an denen sich kleine Falten bildeten.
Dann senkte er den Kopf und strich mit den Lippen über ihre. Sie hatte erwartet, dass sein Mund hart und brutal sein würde. Niemals hätte sie gedacht, dass er sich derart warm an ihren schmiegen könnte. Verwirrt ließ sie seine Liebkosung über sich ergehen, die Sanftheit seiner Geste verunsicherte sie.
Wenig später trat er zurück. Sie benötigte einen Augenblick, um sich zu fassen. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass er sich seines Hemdes entledigt hatte. Die Breite seiner Brust, deren Muskeln gut strukturiert hervortraten und jene an Schultern und Oberarmen passend ergänzten, faszinierte und erschütterte sie gleichermaßen, und ihr wurde klar, dass sie keine Chance gegen ihn haben würde. Wenn sie ehrlich zu sich war, hatte ihr dies ihr Gefühl bereits seit jenem Moment gesagt, als er ihr in der Halle gegenübergetreten war. Doch sie würde mit aller Kraft darum kämpfen, von ihm nicht verschlungen zu werden.
„Mein Körper gehört Euch“, stieß sie voller Verachtung aus, „doch mein Herz werdet Ihr niemals bekommen!“
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und öffnete seine Hose.
„Oh, du hast ein Herz? Gut zu wissen.“
Ohne sich an ihrer Gegenwart zu stören, stieg er nun aus seinen Beinkleidern. Als er nackt vor ihr stand und ihr Blick auf seinen Unterleib fiel, erbleichte sie. Das hatte sie noch nie bei einem Mann gesehen.
„Du musst keine Angst haben“, versuchte er sie zu beruhigen, trat zu ihr und hob sie auf.
„Ich habe keine Angst“, keuchte sie, und er konnte die Furcht an ihrem Gesicht deutlich ablesen.
„Dann ist es ja gut“, meinte er leichthin und legte sie aufs Bett.
Sofort richtete sie sich auf. Jetzt, da die Furcht sich in ihr festgesetzt hatte, fiel es ihr schwer, ihre Fassung zurückzugewinnen. Sie atmete mehrmals durch, um Selbstbeherrschung bemüht. In der Zwischenzeit hatte er sich neben sie gelegt und musterte sie mit unergründlichem Blick. Auch auf einem Ellbogen abgestützt, in entspannter Haltung, wirkte er wie ein Krieger, dessen ruhende Kraft sich in Sekundenschnelle bündeln konnte.
„Ich habe keine Angst“, wiederholte sie fest und hoffte, ihm würde das leichte Zittern in ihrer Stimme entgehen.
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, während der er sie aufmerksam und schweigend betrachtete. Es war kaum zu ertragen, und Rosalinde wand sich innerlich.
„Komm zu mir“, bat er schließlich sanft, doch sie reagierte nicht.
Da rückte er näher und zog sie zu sich heran. Dabei fiel ihr Kopf auf das Kissen zurück. Als sie neben ihm lag, beugte er sich über sie und stützte sich zu beiden Seiten ihrer Schulter ab, sodass sie sich wie eine Gefangene fühlte. Doch um nichts in der Welt würde sie ihm das zeigen.
„Hier in diesem Raum“, sagte er und blickte ihr in die weit aufgerissenen Augen, „wirst du dich mir hingeben.“
Seine Worte bewirkten in ihr ein Erstarken ihrer Kräfte.
„Niemals!“, erwiderte sie und presste ihre Kiefer aufeinander, was ihn nicht sonderlich zu beeindrucken schien. „In diesem Raum werde ich Euch auf das Heftigste bekämpfen!“
„Nun, dann kämpfe“, forderte er sie amüsiert auf und ließ sich auf seine Seite zurückfallen.
Allerdings schlang er in der nächsten Sekunde einen Arm um sie und zog sie so nahe an sich heran, dass ihre Körper einander berührten. Noch bevor sie sich von ihm befreien konnte, begann er sie sanft zu streicheln. Das war alles, was er tat. Er ließ seine Fingerkuppen über ihren Körper gleiten, und sie mühte sich damit ab, seine Hand von sich zu schieben, bohrte ihre Fingernägel in seinen Handrücken, kratzte seinen Unterarm auf, doch all das änderte nichts. Es wirkte, als bemerkte er die Wunden nicht, die sie ihm zufügte. Irgendwann kam sie sich lächerlich vor. Wieso verschwendete sie ihre Energie? Sollte er doch machen! Sie wandte den Kopf von ihm ab und stellte ihre Verteidigung ein. Rosalinde fühlte sich unglaublich erschöpft. Die Auseinandersetzung mit ihm beraubte sie aller Kraft.
Plötzlich spürte sie, wie er einen ihrer Arme anhob und zu sich zog. Dann strich er sanft über die Wunden an ihrem Handgelenk, welche die Seile ihrer Haut zugefügt hatten. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und wunderte sich über die tröstenden Küsse, die er vorsichtig darauf drückte. Das Gleiche machte er mit ihrem anderen Handgelenk, und Rosalinde biss die Zähne zusammen. Es war leichter gegen ihn anzukämpfen, wenn er sie herrisch und von oben herab behandelte. Ein kalter Luftzug strich über sie hinweg und ließ sie frösteln. Im nächsten Augenblick zog er eine Decke über ihre Körper. Er war aufmerksam. Zu aufmerksam, wie sie empfand. Die Wärme seines Leibes an ihrer Seite strahlte zu ihr aus und machte sie träge. Er drehte sich und schob auch sie in eine Seitenlage, sodass ihr Rücken an seinem Brustkorb lag, ihr Kopf auf seinem linken Arm und seine Hand auf ihrem Bauch. Erschrocken spürte sie seinen Atem, der die unbedeckte Haut ihres Nackens kitzelte. Langsam ließ er seine Finger höher gleiten, bis er an ihrer Schläfe innehielt und sie zärtlich streichelte. Es war eine überaus beruhigende Bewegung. Ihre Augenlider wurden schwer. Sie kämpfte dagegen an. Wenn sie jetzt einschlief, hätte er gewonnen! Sie blinzelte heftig, riss die Augen immer wieder auf. Weigerte sich verbissen, einzuschlafen. Doch irgendwann wandte sich auch ihr Körper gegen sie, und Rosalinde fiel in einen unruhigen Schlummer.
Von Wolfsberg wusste sofort, dass sie eingeschlafen war. Er erkannte es daran, dass ihr Leib angenehm weich wurde. Die Spannung, die sie bis zum Ende versucht hatte aufrechtzuerhalten, wich aus ihren Gliedern, und ein leises Seufzen löste sich von ihren Lippen. Obwohl er sicher war, dass sie ihn nicht mehr spürte, konnte er nicht damit aufhören, sie zu liebkosen. Vorsichtig strich er ihr die Haare aus der Stirn und hinter das Ohr, dann zog er die Decke höher bis zu ihren Schultern und ließ seine Hand wieder zu ihrem Bauch gleiten, wo er mit dem Daumen träge auf und ab fuhr. Auch er fühlte den Schlaf in seinen Schläfen pochen und schloss die Augen. Augenblicke später war er ebenfalls ins Reich der Träume hinübergeglitten.