Читать книгу Wrong turn - Juryk Barelhaven - Страница 4

1. Kapitel

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Weit draußen im All schwebte eine blass glänzende Kugel, ein Klasse M-Planet mit der leicht irreführenden Bezeichnung Oasis, die sicherlich nicht zum Verweilen und zur Stärkung von müden Gliedern einlud. Früher einst ein dichtbesiedelter, frisch kolonisierter Planet der Gesellschaft, bis unerwartete Meteoriteneinschläge das geordnete Leben praktisch unmöglich machte und aufgegeben werden musste. Doch die Gesellschaft schmiss nichts weg – Oasis hatte nun eine neue Bestimmung gefunden. Nach der Aufgabe Oasis und der Errichtung eines Freiluftgefängnisses sorgten die Satelliten von SpaceTec dafür, dass nichts den Planeten verließ. Irgendwo weit oben im Orbit kreisten Dutzende von schwerbewaffneten Satelliten herum und schirmten alles ab. Funkverkehr hingegen war vielleicht nicht erlaubt, wurde aber auch nicht unterbunden. Man hatte im Laufe der letzten Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass es einfach niemanden interessierte, was nach Oasis kam. Was dort landete, würde auch dort sterben.

Zahlreiche Satelliten, Drohnen, versteckte Kameras und letztendlich die eingepflanzten ID-Chips der Gefangenen vermittelten eine nie endende Soap-Opera, in Live und in Farbe. Dagegen konnte das Bezahl-Fernsehen nicht anstinken, fanden viel der Angestellten von SpaceTec und betrachteten die endlos wuselnde Welt der Generierten und Verlorenen.

Für die Menschen auf Oasis war es die Hölle.

Captain Max Snow durcheilte mit energischen Schritten den Flur, der zu seiner Kommandobasis führte. Seine Sekretärin hatte ihn mitten beim Frühstück zu einer unerwarteten Besprechung gebeten, und die zwanzig Minuten, die er dadurch verloren hatte, wirkten sich nun äußerst unangenehm auf den Zeitplan des Sicherheitschefs des privaten Sicherheitsunternehmens SpaceTec aus, die für die sichere Verwahrung des größten Freiluft- Gefängnisses der Galaxie verantwortlich war. Zum Glück konnte sich Snow auf seinen Mitarbeiterstab verlassen. Sie kamen pünktlich, starteten die morgendlichen Programme, überprüften die Ergebnisse der Nachtschicht und konnten ihn über den gegenwärtigen Stand unterrichten.

Der schlanke Mitte Dreißiger besaß einen trainierten Körper, der mal jung und attraktiv gewesen war – jetzt fielen ihm andere Adjektive ein. Kleine wie große Narben zeugten von einem entbehrungsreichen, disziplinierten Leben auf Militärbasen und Schießständen. Er näherte sich den Türen zu seinem Arbeitsplatz mit seinem üblichen schnellen Schritt. Die beiden Wachen, die dort mit voller Bewaffnung standen, registrierte er kaum. Sie waren fast unsichtbar für ihn, ein Teil der Einrichtung wie die Nieten an den Drucklufttüren. Alle vier Stunden wurden sie ausgetauscht, doch kamen sie ihm alle identisch vor, mit ihrem starren Blick, dem ausdruckslosen Gesicht, der weißen Panzerung, und der schweren Waffen. Schwarz, weiß, braun, Frauen, Männer, für Max sahen sie alle gleich aus. Sie waren auserlesene Wachen, hochbezahlt und im Ernstfall fähig, entsprechend zu agieren. Genau wie sie waren auch alle Techniker, Mechaniker, IT-Spezialisten und selbst die Lagerarbeiter im Dock handverlesen und mehrfach geprüft worden. SpaceTec geizte nicht mit fürstlichen Löhnen, aber dafür wollten sie auch Resultate sehen.

Die Türen öffneten sich lautlos und gaben ihm den Weg in sein Allerheiligstes frei. Wie zu erwarten war sein Team bereits vollzählig versammelt, emsig bei der Arbeit, im Dienste der Firma. Und diese Kommandozentrale war dafür der perfekte Ort. Hier gab es nur das Beste von allem, die besten Apparate, die besten Programme und die besten Mitarbeiter. Die Resultate würden das beweisen. Nachdem er herumgegangen war und sich davon überzeugt hatte, dass alles genau so war, wie er es haben wollte – fast zu schön, um wahr zu sein -, wandte er sich endlich dem Hauptbildschirm zu.

Preston Smith, sein junger, dunkelhaariger, ehrgeiziger Assistent, wartete bereits auf ihn. Er sah so angespannt aus, dass Max befürchtete, er würde gleich von einem Bein auf das andere hüpfen. Aber er konnte es seinem Schützling nicht verdenken. Nach allem, was sie in den letzten vier Jahren beobachtet hatten, entwickelte sich Oasis … abenteuerlich.

„Was gibt es Neues auf der Spielwiese“, sagte Max zu seinem Assistenten. „Und nur die wichtigsten Punkte, bitte.“

Smith nickte. „Die H-66 wollen einen Deal mit den PureNations, aber ihr Anführer ist krank geworden, was seine Generäle dazu veranlasst, um über seine Nachfolge zu streiten. Im Osten von Extraktion Vier hat sich ein Clan an einem Wasserloch breitgemacht. Da ihre Anführer sich laut ID mit Kolonisierung auskennen, könnte es der Beginn von einer ruhigen, friedlicheren Kolonie werden. Überwiegend Frauen“, bemerkte er mit einem anzüglichen Grinsen.

Max unterdrückte ein Stirnrunzeln. Es gefiel ihm nicht, dass Smith dazu neigte, sich zu sehr für die Leben der Gefangenen zu interessieren; es kam ihm nicht besonders professionell vor. Aber Smith war ein derart guter Analyst und darüber hinaus so fleißig und loyal, dass Max versuchte, über solche Spleens hinwegzusehen. „Wollen wir hoffen, dass die anderen Banden ihnen Zeit lassen, sich eine gut geschützte Basis aufzubauen. Sie mögen Kriminelle sein, aber auch sie verdienen Ruhe und Frieden. Was noch?“

„In den letzten vier Stunden vierzehn Ausfälle“, bemerkte Smith trocken und zeigte auf sein Tablett mit den dazugehörigen IDs und vollständigen Namen und Hintergrundgeschichten. Max überflog die Zeilen. „Und Sie haben Besuch“, endete Smith und deutete auf einen Konferenzraum hinter den Monitoren, hinter dessen Verglasung zwei Menschen standen und auf die Computerwelt unter sich starrten. „Der Haupteigner von SpaceTec möchte Sie sehen. Er kam mit der letzten Fähre. Inkognito.“

Max wandte sich um, öffnete den Mund, sagte aber nichts und nickte nur. „Weitermachen“, bemerkte er leise und neugierig geworden machte er sich auf dem Weg.

Derrick Waldmann war ein Philanthrop, ein Macher und einer der reichsten Männer der Welt. Der fünfundvierzigjährige Mann mit dem breiten Kreuz und seinem Südstaatenakzent investierte klug in allen möglichen Bereichen und war als erfolgreicher Inhaber eines Mischkonzerns schon zweimal auf dem Titelblatt der Times zu sehen gewesen. Von Derrick Waldmann hieß es, er habe als junger Mann durch sein bloßes Erscheinen eine in vollem Gange befindliche Party schlagartig verstummen lassen. Ein sprudelnder Quell voller Tatendrang und Unternehmergeist – doch als Max die Tür öffnete, traf er einen gebeugten Mann vor, der bleich und schwach in einem Sessel vor sich hinstarrte. „Derrick!“

Der Milliardär sah sich um und erspähte Max. „Max! Gut siehst du aus.“

Max trat auf ihn zu und reichte seinem Freund die Hand und stutzte, als dieser aufstand und ihn umarmte. Derrick wirkte, als fände er aus fernen Welten zurück in die bittere Realität und hätte viele Stunden Schlaf nötig.

Die meisten Menschen sahen einander in die Augen, um Aufmerksamkeit und Interesse zu bekunden. Es geschah eher nebenbei, man nahm den anderen als ganze Person wahr. Was von Pupille zu Pupille geschah, folgte vornehmlich einer Funktion, nämlich Kommunikation zu ermöglichen und zu vertiefen. Max hielt seinen Freund fest, länger als für gewöhnlich und fühlte sich wie eine Boje im Meer, an die sich ein Ertrinkender festklammerte. Natürlich kannte er den Grund. „Derrick, es tut mir leid“, hauchte er seinem Freund in die Schulter und tätschelte ihm den Rücken. „Das sollte keinem Kind geschehen.“

Der schwerreiche, aber nun sehr arme Mann ließ schließlich ab und starrte ihn aus Augen an, die nur Kummer und Verzweiflung kannten. Max fühlte sich überrumpelt. Fast hasste er sich dafür, dass er seinem Freund nicht beigestanden hatte, als er die Nachricht vernommen hatte. Man konnte sich nicht davor schützen, denn alle Medien berichteten davon: Kevin war endlich gefunden worden.

„Ich hätte dich ja besucht, aber ich komme hier schlecht weg“, stammelte Max zu ihm. „Wie geht es Martha?“

Derricks Augen ließen Halbheiten nicht zu. Sie suchten keinen Kontakt, sie erzählten eine Geschichte.

Er schüttelte langsam den Kopf und ließ sich schließlich langsam wieder in den Sessel zurückfallen. Max war schockiert über diese Schwäche, denn Derrick war als harter Finanzhai bekannt, der skrupellos Firmen splittete. Jetzt wirkte er, als hätte man ihm alles genommen. Im Grunde stimmte das auch. Kein Geld der Welt konnte ihm helfen. „Martha geht es gut.“ Es war ein Stöhnen, fast mehr ein Raunen und beide wussten, dass es eine Lüge war. Max besaß Taktgefühl um nicht weiter nachzubohren. Hinter Derrick bemerkte er den zweiten Gast.

Max runzelte die Stirn und starrte den dünnen Mann im schwarzen Sakko an, der mit seinem glattrasierten Schädel und einem teuren, dunklen Zweireiher wie ein Pinguin wirkte.

Max sah ihn an, offenbar verwirrt, seine Aufmerksamkeit plötzlich zwischen sich und Derrick dreiteilen zu müssen.

Der Mann trat einen Schritt vor und reichte ihm die Hand. „Hansen. Spiro Hansen.“

„Sehr erfreut“, sagte er lahm und schüttelte die schwielige, feste Hand auf dessen Handrücken das Tattoo eines Skorpions zu sehen war. Definitiv kein Anwalt. „Möchtet ihr etwas zu essen? Wir können uns etwas aus der Mensa holen lassen“, half Max aus und fühlte sich wie eine schlechter Gastgeber.

„Ein andermal.“ Derrick setzte sich schweratmend zurück, als würde ihm jede Bewegung zusätzliche Energie kosten. „Ein Kaffee, wenn du hast.“

„Natürlich.“ Max gab die Bestellung weiter und wenige Momente später wurde ein tablett serviert. Jeder nahm sich eine Tasse. Derrick lächelte sanft und klopfte Max freundschaftlich auf die Schultern. „Von deiner Tochter hört man nur Gutes. Sie hat ihre eigene Kanzlei aufgemacht. Washington D.C soll zu dieser Jahreszeit schön sein. Du kannst stolz sein.“

„Ja, das bin ich auch.“

„Ich möchte sie mehr einbinden. Wir suchen noch gute Kräfte, die unsere Interessen vertreten.“ Er lächelte Max väterlich an. „Ein paar Empfehlungen hier und dort, und sie sitzt bald im festen Sattel. Gute Anwälte gibt es wie Sand am Meer, aber gute Geschäftspartner machen das Leben erst erträglich.“

„Sie würde sich freuen, Derrick. Das ist sehr nett von dir.“ Er lächelte dankbar. „Willkommen bei SpaceTec.“

Derrick legte den Kopf zur Seite. Dann streckte er langsam die Hand aus. Max ergriff sie. Seine Finger umschlossen die seinen mit einem kaum wahrnehmbaren Druck. „Mir gehören neununddreißig Prozent von SpaceTec, Max, und ich hätte eine Bitte. Wir sind Freunde und ich weiß deine Anteilnahme zu schätzen. Deine Schwester hat sich gut um Martha gekümmert. Darum bin ich persönlich hier, um dich um einen persönlichen Gefallen zu bitten.“ Er warf Hansen einen kurzen Blick zu, als wolle er sich vergewissern, dass er noch da ist. „Das ist eine vertrauliche Angelegenheit. Spiro ist ein freier Mitarbeiter, übrigens. Ich möchte deine Dienste in Anspruch nehmen.“

„Natürlich, Derrick.“

„Du sollst einen Mann ausfindig machen.“

„Wenn er auf Oasis ist, ist er schon so gut wie gefunden.“

„Ich plane meine Anteile etwas zu verlagern. Die fünf Prozent an SpaceTec werde ich verdreifachen, sobald der Markt am Samstag wieder aufmacht. SpaceTec und wir“, damit meinte er die Liga der Aktionäre, die Milliarden in das Projekt steckten, „stehen deinen Aktivitäten wohlwollend gegenüber. Bis zum Monatsende sorge ich dafür, dass du nie wieder um einen Cent betteln musst.“

Max schluckte zaghaft und nickte freudig. Wo war der Haken?

Derrick und Hansen lehnten sich zurück und schienen zu warten.

„Als Chef der Finanzen plädiere ich natürlich für ein Ja“, bemerkte Max, als habe er seine Gedanken erraten. „Erstmals hätten wir den seltenen und bemerkenswerten Fall, dass wir unserem Haupteigner einen Gefallen tun dürfen. Wenn wir die Person herausholen, gäbe es noch zu besprechen, welche ID sie bekommen muss. Natürlich kann sie nicht zurück in ihr Heimatland gehen. Auch Europa würde ich für unklug halten. Aber es gibt schöne Ecken in Asien. Vietnam ist beliebt, wenn man mit ein paar Kübeln Regen leben kann. Ein ruhiges, beschauliches Leben erwartet sie dort und das Essen ist ganz wunderbar.“

„Ich will ihn haben“, antwortete Derrick.

„Ein alter Freund aus Kindheitstagen?“

„Du machst es möglich.“

„Wir können diesen Dienst anbieten, weil bislang kein Staatsanwalt davon Wind bekommen hat. Sollte sich jemand unvorsichtigerweise verplappern oder einer der Verurteilten wieder in sein altes Jagdrevier aufmachen und die Behörden ihn entlarven, sind wir dran, Derrick. Ich würde mich ungern schmerzhaften Fragen aussetzen, die ich nicht beantworten kann.“

„Mach dir keine Sorgen.“

„Na schön“, bemerkte Max nach einer Weile. „Ich sage dir das, was ich allen Kunden sage: wenn es sich bei der Zielperson um einen Drogenkartellboss oder einen psychisch labilen Serienmörder handelt, werden wir nicht aktiv. Das ist mein Ernst, Derrick. SpaceTec würde mir die Haut abziehen, wenn ich einen Ed Gein oder Ted Bundy wieder auf die Menschheit loslasse. Das kannst du sicherlich verstehen.“

„Mach dir keine Sorgen.“

„Um wen handelt es sich?“

„Michel Brown“, antwortete diesmal Hansen und zog einen USB-Stick aus einer Tasche, den er vor sich auf den Glastisch legte. Sein Gesichtsausdruck blieb gelassen, aber Max bemerkte, wie Derrick kurz die Augen schloss. Die Art, als würde er einen altbekannten Schmerz versuchen auszuweichen. Maxs Radar begann zu summen.

„Ist es etwas persönliches?“

„Nein“, sagte Derrick gedehnt und starrte an die Decke, als müsste er sich die Worte zurechtlegen. „Er ist der Sohn einer meiner Sekretärinnen und hatte hier und da ein bisschen Pech. Wollte Chemie studieren, aber hat sich Schulden angehäuft. Hat mit Drogengeld sein Studium aufgebessert und wurde erwischt. Hatte eben Pech“, meinte Derrick achselzuckend. „Das bin ich ihr schuldig.“

Die Lüge war schnell zu durchschauen, und es ärgerte Max, dass sich sein Freund wenig Mühe dabei gab. Und dass er überhaupt log, natürlich.

„Deine Sekretärin, sagst du“, stellte Max klar und tippte den Namen in seinen Laptop. „Mmh, mal sehen. Verurteilt wegen Drogenbesitzes und Herstellung von synthetischen Drogen. Kam vor zehn Monaten an.“ Er rief auf seinem Tablet eine Zusatzdatei auf und ließ den Rechner nach der ID fahnden. Ja, der war hier. „Er lebt in einer Extraktion, die überwiegend friedlich ist“, sagte er und wusste gleich, dass Derrick etwas vorhatte. Aus dem beigefügten Datensatz hatten Ermittler der Polizei Michel Brown mit einem Kinderhändlerring in London in Verbindung gebracht.

Derrick, was hast du vor?

Er starrte seinen Freund durchdringend an und entschloss sich Klartext zu sprechen. „Ich betone, dass ich die Verantwortung allein für jeden Einsatz trage.“

„Ja, Max.“

„Du denkst, dass er etwas mit Kevins Verschwinden zu tun hat.“

Derrick zögerte, dann änderte er plötzlich die Taktik. „Ja, Max.“

Beide starrten sich an.

„Nein, Derrick.“ Was Derrick mit Michel Brown vorhatte, war weder vernünftig noch gesund. Es war kriminell. Das hier war groß. Zu groß, um es schriftlich in eine Akte von SpaceTec zu verewigen und zu düster, um es später bei einem Bier in einer gemütlichen Kneipe zum Besten zu geben. „Bist du dir mit ihm… wirklich im Klaren, Derrick?“ fragte er zaghaft und faltete die Hände zum Gebet. „Das wird dir keinen Frieden bringen…“

Derrick Waldmann starrte seinen Freund ausdruckslos an und schüttete Zucker in seinen Kaffee. Fast mechanisch und so konzentriert langsam, als wolle er jedem einzelnen Zuckerkristall persönlich Lebewohl sagen. Max machte sich Sorgen, und zwar erheblich.

Als das letzte Krümelchen Zucker verbraucht war, wandte sich Derrick langsam Max zu. „Wusstest du, dass ich vierzigmal fremd gegangen bin?“

Maxs Miene veränderte sich vor Überraschung. Fast schien es, als habe er ein Lächeln gesehen, aber schon war es wieder verschwunden. „Nein, Derrick, das wusste ich nicht.“

„Martha und ich hatten ein Abkommen. Sie machte mit diesen Tennislehrer weiter und ich konnte mich ausleben. Win-Win, sozusagen. Wir dachten nie an Familie, wir wollten einfach nur leben. Saskia war rothaarig und eine Reporterin, Natasha war blond und eine Tänzerin“, er hielt kurz inne, und wischte sich über die Augen. „War eine geile Zeit, und wir hatten alle unseren Spaß.“

Max schwieg und fragte sich, wohin die Geschichte führen sollte.

„Nun, dann wurde Martha schwanger. Wir wussten beide, dass es der Tennislehrer war. Also kaufte ich Blumen und schenkte sie ihr. Ich fragte sie, ob sie abtreiben wollte. Nein, sie wollte es behalten. Ich machte mir keine Sorgen. Offengestanden, haben wir uns nie geliebt. Ein ständiges Kommen und Gehen zuhause.“ Seine Miene veränderte sich. Die Augen wurden größer, als würde er in der Ferne etwas Aufregendes sehen. „Monate später kam ich als Letzter im Krankenhaus an. Ich war nur mäßig interessiert an den Bastard. Von mir aus hätte es ewig so weiter gehen können, und dann… kam ich näher ans Bett und der kleine Kerl umfasste meinen Finger mit seiner ganzen Faust. Hielt sie fest. Hielt sie einfach fest.“ Eine einzelne Träne rann aus seinem Auge und er wischte sie fort. „Manchmal sagte ich Konzerntreffen ab, um früher zuhause zu sein. Ich lag nächtelang am Bett, um seinen Atem zu hören. Meinen Frauen zahlte ich eine Abfindung und verdonnerte sie zum Schweigen. Kevin war zu einem Bindeglied geworden. Zwischen mir und Martha. Sie hatte es auch gespürt. Wir hätten für ihn töten können. Der Tennislehrer verschwand, und wir wollten jetzt diesen kleinen Kerl ganz für uns haben, verstehst du das?“ Er hustete kurz und nahm probeweise einen Schluck von seinem viel zu süßen Kaffee. „Und dann habe ich ihn in Croydon aus den Augen verloren. Ich erspare dir die Details, Max, aber wenn du diese eine Sache für mich tust, macht dir der Vorstand keinen Ärger mehr. Es ist alles vorbereitet. Ich will das Schwein in meinem Keller haben.“

Hansen setzte sich direkt neben Max. Er hatte kein Interesse daran, ihm Freiraum zu lassen. Im Gegenteil, es schien, als bedränge er ihn absichtlich, als wolle er ihn provozieren, um zu sehen, ob er sich noch einmal über ihn erheben würde. Max gefiel es nicht, aber er konnte nichts dagegen tun. Derrick hörte anscheinend ja doch nicht auf ihn. Zumindest sah er jetzt klarer: Derrick wollte diesen Michel Brown ganz für sich haben. Und sein eigenes Hostel-Filmchen drehen…

So kenne ich dich nicht, Derrick. Du lockst mit Geld und Karriere und schüttest mir dein Herz aus und dann erzählst du mir, was du vorhast!?

„Ich bitte dich um diese eine Sache, Max. Er ist eine Schmeißfliege, ein Nichts. Ich werde großzügig sein“, sagte der Inhaber eines Mischkonzerns tonlos und schob die Tasse mit spitzen Fingern langsam von sich. „Tu es und ich halte mein Wort. Tu es nicht und…“

„Sonst was?“

Derrick tat gar nicht erst, als habe er seine Frage missverstanden. „Du besitzt Fantasie, Max.“

„Derrick, bitte. Du solltest verstehen, dass ein falscher Schritt nicht nur den Tod bedeuten kann, sondern auch das Aus für uns alle. Für eine ganze Abteilung. Deshalb bitte ich dich, ...“

Derrick stand auf, schob sich wortlos an ihm vorbei und hielt auf die nächste Tür zu. Im Vorbeigehen bemerkte Max an seinem Blick, das Frieden keine Option war. Es war, als rausche ein Hai an ihm vorbei. Zum ersten Mal wurde ihm kalt bei dem Gedanken, Derrick als Freund zu verlieren.

Oh, shit.

„Was soll ich dem Vorstand sagen? Ich muss alle Aktionen mit ihnen abstimmen. Sie werden niemals zustimmen, Derrick!“

„Dann sorg dafür, dass sie nichts mitbekommen.“ Er warf seinem Freund einen Blick aus Augen zu, aus denen Kälte strahlte.

Und Max verstand, dass er verloren hatte. Derrick war krank und brauchte Hilfe. In seiner Gemütsverfassung konnte er alles Mögliche tun. Er schluckte schwer und nickte verstehend.

Und Derrick verschwand durch die Tür, als wäre alles gesagt.

Max Snow und Spiro Hansen starrten sich an.

Hansen wirkte, als hätte er alle Zeit der Welt. Süffisant grinste er bloß.

„Also dann“, sagte Spiro Hansen unvermittelt und stand auf. „Sollen wir beginnen?“

Max wandte den Kopf ihm zu und runzelte die Stirn. „Wollen Sie nicht ihrem Chef nach?“

„Ich bleibe hier, Mister Snow, und werde auch bei der Übernahme dabei sein.“

„Bitte?“

„Ich gehe runter. Also auf die Oberfläche von Oasis und Sie zeigen mir, wo er ist. Ganz einfach.“

„Ganz einfach, soso“, bemerkte Max und wandte sich ihm jetzt zu. „Das ist Ihr Ernst, was?“

„Todernst.“ Er nickte zur Tür, durch die Derrick Waldmann verschwunden war. „Das entspricht auch seinem Wunsch. Das versichere ich Ihnen.“

Max maß dem Fremden mit einem Blick, der nicht besonders freundlich war. Langsam nahm er sein Tablet zur Hilfe und lockte sich in die Datenerfassungssoftware ein. „Spiro Hansen. Da habe ich Sie ja.“ Nachdem er fertig gelesen hatte, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme. „Spiro Hansen. Sie waren drei Jahre bei der Fremdenlegion und dann… vier lange Jahre von der Bildfläche verschwunden.“ So liest sich der Lebenslauf eines Auftragkillers, dachte Max. „Wie sind Sie an die Stelle gekommen? Ist ja nicht so als würden für sowas Flyer im Supermarkt aushängen…“

„Fragen Sie nicht.“

„Oh, doch, das tue ich.“ Max setzte sich langsam auf. „Dort unten bin ich für die Sicherheit verantwortlich. Meine Teams agieren ohne Rückendeckung auf einem Planeten voller Monster. Wenn es nur wegen des Thrills ist, schlage ich Medikamente vor. Falls Sie Ihren Lebenslauf aufhübschen wollen, könnte ich Ihnen entgegenkommen. Eine Vollzeitstelle als Lagerist hier oben … zwei Jahre befristet. Na, wie wäre es?“

„Verzichte. Lassen Sie uns sachlich bleiben“, hörte er Hansen antworten und zuckte zusammen.

Max nahm sich die Zeit und schaute genauer hin: nur eine schwielige Hand, manikürte Fingernägel und saubere Klamotten. Wenig Fett, aber auch keine trainierten Muskeln. Saitenspieler besaßen Hornhaut an den Fingern und selbst Programmierer konnte Max identifizieren: dieser Mann war nichts davon. Wie ein aus dem frisch gepelltes Ei aus einem Modekatalog konnte er zwar beeindrucken, aber den langen Weg eines Soldaten hatte er nicht bestritten. Max Snows Fazit: ungeeignet. „Sachlich. Na schön.“ Er stand nun auf und bedeutete ihm zu folgen. Kurz hinter der Tür zeigte er auf den großen Hauptbildschirm, der noch immer Oasis von seiner schönsten – und einzigen schönen Seite zeigte. „Wissen Sie, wo ich Sie eher hinstecke?“ Er tippte ein paar Befehle in sein Tablet ein und sofort wechselten kurze Videosequenzen über den Hauptbildschirm: fliehende Menschen, brennende Autos, umgestürzte Bauten und Kriminelle, die wild mit Messern und Äxten um sich schlugen. Es waren Bilder, die niemals zur besten Sendezeit auf der Erde über die Bildschirme gezeigt werden würden – die ungeschönte raue Seite eines Planeten, der voller Kriminelle war.

Smith am anderen Ende des Raumes trank einen Kaffee und prostete unbeeindruckt seinem Vorgesetzten zu, während andere Mitarbeiter geflissentlich wegsahen. Sie kannten das unfreundliche Klima und die kleinen Geschichten rund um Oasis.

Max deutete auf eine Gruppe von Schlägern, die auf einen Mann am Boden einprügelten. „Dort unten sind die H-66, die Wölfe von Durow, RedMedussa, die PureSkys und 911Hellboys. 22 Clans teilen den gesamte Planeten unter sich auf. Ihr Geschäftsmodell: Drogenhandel, Glücksspiel und Prostitution. Wir haben auch Biker-Gangs, die sich hervorragend auf Menschenhandel verstehen. Es sind ehemalige Mitglieder der Triaden, von der Mara Salvatrucha, Arische Bruderschaft bis zu den Crips. Das dort unten ist ihr Platz.“ Er lächelte humorlos und zeigte ein Video von Männern, die eine Frau vergewaltigten. Zu seinem Vergnügen zuckte Hansen zusammen. „Wir haben auch Perverse, Serienmörder und leider auch einige Unschuldige, die da einfach nichts zu suchen haben. Wir sind wie das Allsehende Auge Gottes. Darum glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Sie dort unten nicht sein wollen.“

„Warum…beobachten sie sie?“ fragte Hansen leise und ganz und gar berührt.

„Weil kein von Menschen gemachtes System perfekt ist“, antwortete Max voller Überzeugung. „Weil sich sogar Unschuldige im Knast einfinden. Darum machen wir das hier.“

„Nicht wegen dem lukrativen Nebenverdienst? Ich hörte, dass ihr euch die Gerechtigkeit extra bezahlen lasst“, bemerkte der Söldner säuerlich und starrte Max herausfordernd an. „Schade, dass nicht jede Familie eines Unschuldigen sich diesen Luxus leisten kann…“

Max nickte verstehend und beendete mit einem Knopfdruck das kleine Schauspiel. Einige Mitarbeiter hatten sich fragend umgedreht und starrten zu ihm auf. Er ging weiter voraus und öffnete die nächste Tür. „Ich lasse nur die Besten der Besten auf die Oberfläche.“

„Sie wissen garnichts über mich.“

„Das ist ja das Problem.“

Sie gingen weiter in einen Aufenthaltsraum, in dem eine Küche, ein Fernseher, eine breite Sitzreihe und ein Flipperautomat standen. Zwei Männer und Frauen lasen Bücher oder unterhielten sich, während Max und Hansen eintraten. Als die kleine Gruppe Max bemerkte, nahmen alle sofort Haltung an.

„Stillgestanden.“ Max lächelte und marschierte langsam mit verschränkten Armen hinter dem Rücken vor den Soldaten, die hart und mitleidlos wirkten. Er deutete auf die ersten beiden Personen, deren Körper eine einfache Geschichte aus Drill und Training erzählten. „Das sind meine Diamond dogs, Sie Held. Ich habe zwei Teams. Team Eins besteht aus Ivan und Marlene Smirnow, Bachelor in Ökonomie, CCNY Master in Strategic Studies, Naval War College. 56.000 Flugstunden, 112 bestätigte Tötungen, kein Kollateralschaden. Das sind Geschwister, Spiro, die sich ihr Leben lang gegenseitig unterstützen. 99% Disziplin.“ Die Geschwister wirkten hart und gestatteten sich ein Lächeln.

Max nickte freundlich und schlenderte gelassen zur zweiten Gruppe hin. „Team Zwei besteht aus Carsten Frost, ehemaliger GSG9- Kommandant und Seher Betham, einer paramilitärischen Offizierin aus der Türkei. Würde ich den IQ von beiden zusammenzählen, würde das jeden Universitätsprofessor blass aussehen lassen. Ruhig und analytisch, sprechen zusammen zwölf Sprachen und waren schon an Orten im Einsatz, von denen Sie nicht mal etwas gehört haben. 99% Erfolg.“ Der blonde Hüne in der Ecke beäugte Hansen, als könne er nicht einschätzen, was der Fremde bei ihnen zu suchen hatte. Die braungebrannte Soldatin mit dem keltischen Seitenscheitel zeigte sich unbeeindruckt, nickte aber lächelnd ihrem Captain zu.

Die Show war vorbei. Der Captain drehte sich triumphierend um. „Was wissen Sie über mich?“ fragte Max interessiert und wirkte dabei wie der Anführer einer Schulclique, der den Neuen abschätzend beäugte.

„Kommunikationsspezialist bei der Nationalgarde, zwanzig Jahre Felderfahrung. Sicherheitschef mit fünf Jahren Erfahrung“ gab Hansen, jetzt etwas leiser geworden, wieder.

„Wenn Sie den Anforderungen gerecht werden, die diese Profis ausmacht, dann entscheide ich, ob es Ihnen erlaubt ist, auch nur einen Fuß auf die Oberfläche zu setzen. Diese Teams sind wie Geister, ihr Vorteil liegt in der Heimlichkeit, denn wenn sie rumballern, erwacht ein ganzer Planet zum Leben. Und das wollen Sie nicht erleben.“

In seinem Büro rief Max eine Akte hervor und ließ die angehefteten Videos laufen.

„Das sind Nicole und Rene´ Andersen aus Los Angeles, er ist neunzehn und sie zwanzig Jahre alt, Geschwister. Verurteilt wegen mehrfachen Autodiebstahls und illegalen Wagenrennen. Beide wurden bislang von ihrer Familie protegiert, nun, beim dritten Verstoß halfen auch Daddys Kontakte nicht mehr aus.“ Er wies unnötigerweise auf die beiden Fotos, die zwei Jugendliche zeigten. „Der Richter hat beiden eine Freikarte spendiert. Waren zwei Wochen unten im Planquadrat vierzehn-Beta-drei-drei, und das ist… PureSky-Gebiet. Team Eins startete nachts um 0100. Landung und Ankunft Minus zwanzig. Vierzig Minuten zum Ort, ständiger Funkkontakt zur Basis.“ Das Video zeigte die russischen Geschwister, wie sie in Tarnkleidung sich an einem Hang hocharbeiteten. Die Wärmebildkameras zeigten zwei leuchtende Flecken, wie sie einen verlassenen Supermarkt umkreisten. Hansen starrte zu dem Aufbau der PowerPoint und beobachtete die Zeitleiste in der oberen Ecke. Vierzig Minuten. Die beiden bewegten sich langsam und akribisch auf das Gelände zu und kreisten es ein. Langsam, schleichend… Er unterdrückte mit Mühe ein Gähnen.

Max bemerkte es und versteifte sich. „Verstehen Sie etwas von taktischen Positionieren in Feindgebiet?“

„Nein.“

„Dann sollten Sie zusehen und lernen. Das ist kein James Bond-Film, Spiro, das ist tödlicher Ernst. Ich sehe, ich langweile sie, also … tun Sie gefälligst so, als wollten Sie etwas lernen!“ Die letzten Worte kamen gepresst, aber ihre Schärfe war unverkennbar.

Der andere zog eine Grimasse.

Max schluckte hart und spulte vor. „Gut, die Mission war nur teilweise ein Erfolg. Rene´ war schwer dehydriert und war gefoltert worden. Das junge Mädchen schaffte es gerade so. Fragen Sie nicht nach Einzelheiten.“ Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Die Operation verlief strikt nach Zeitplan.“

„Beeindruckend.“

„Na, sehen Sie.“

„Ich wäre reingegangen und hätte sie mit einer Walther PPK und einem Schalldämpfer fertig gemacht. Raum für Raum. Fünf Minuten“, bemerkte er trocken. „Zehn, wenn ich unausgeschlafen bin.“

Max sah seinen Gegenüber an. „Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?“

„Sonst wäre ich kaum hier, oder?“

„Ich wollte Sie nicht vor den anderen sprechen lassen, damit sie nicht merken, was für ein loses Maul Sie haben. Es ist mir schleierhaft, warum mein Freund auf diese Sache besteht, aber Sie sollten wissen, dass ihre Familien darauf hoffen, dass ihre Angehörige an einem Stück zuhause ankommen. Na, was sagen Sie?“

„Ich bin dabei.“

„So ein Dickkopf.“ Er fuhr sich über die Stirn. „Also schön. Wir haben pro Woche mindestens eine Mission. Die meisten laufen so ab: hochkonzentriert nach Lehrplan, keine Verluste. Meine Leute schießen nicht wie verrückt herum, sondern gehen behutsam vor. Sie sind wie Batman, Spiro. Mögen Sie Batman? Ich habe sechs Bruce Waynes hier, und jetzt kommen Sie. Sie sind mein Harvey.“

„Wer ist Harvey?“

„Spielt keine Rolle. Verständigen wir uns auf zweierlei: wir beide gehen gemeinsam da raus. Ich bin Ihr Captain und Sie sagen nichts anderes als Ja, Sir und Nein, Sir. Sie tun, was ich Ihnen sage, und wenn ich es sage. Wenn Sie schön artig sind, verabschiede ich Sie mit einem Händedruck. Na, wie klingt das?“

Hansen zog eine Grimasse. „Wer ist dieser Harvey?“

Max blinzelte verstört und zählte innerlich bis drei, bevor er fortfuhr: „Bei dieser Michel-Brown-Sache schicke ich Sie ganz bestimmt nicht mit meinem Team da raus, denn meine Leute will ich nicht unnötig in Gefahr bringen. Die da draußen, und ich rede von neunundachtzigtausend Sträflingen, kann ich mittlerweile ganz gut einschätzen – aber nicht Sie, Spiro. Sie wirken auf mich wie ein knallhartes Gangmitglied. Also wenn wir beide da runter gehen, dann sind wir auf uns gestellt. Zumindest ist die Location ganz nach Ihrem Geschmack, möchte ich meinen.“

Hansen rollte mit den Augen. „Wie ist das zu verstehen?“

Wie aufs Stichwort klingelte es. Max gebot seinem Adjutanten einzutreten. „Das ist Smith. Smith, das ist Hansen.“

„Ich habe das Videomaterial analysiert“, sagte er voller Eifer und ging an Hansen vorbei, als wäre er Luft. „Dieser Brown steckt seit vier Monaten ganz tief bei den PureSky mit drin und mischt Drogen und so.“

Hansen stand auf. „Woher wissen Sie das?“

„Wir beobachten jeden. Sagte ich bereits“, gab Max knapp zurück und ließ sich die Daten zeigen. „Mmh, das ist nicht gut. Sehen Sie die EEG und die EKG-Spitzen? Stoßen fast bis in die Decke. Fühlt sich pudelwohl dort. Das heißt, wir müssen rein, ihn betäuben und ihn raustragen.“

„Wieso?“

Smith projizierte die Daten an die Wand und ließ ein Wärmebild dazu laufen. Zwei Punkte bewegten sich rhythmisch auf und ab und ihre Körperwärme nahm stetig zu. Selbst ein Kind hätte verstanden, was Brown dort durchleben musste. Durfte.

Beide Männer blickten Hansen fragend an. „Nur zu. Fragen Sie.“

„Er mischt Drogen und… wird mit Sex bezahlt?“

PureSky sind bekannt dafür, dass sie Sklaven halten, die sie auf ihren Farmen für sich arbeiten lassen. Erinnern Sie sich an die Konföderierten im Amerikanischen Bürgerkrieg? Nun, das sind sie. Sechshundert Rednecks, die die gute alte Zeit aufleben lassen. Zumindest ist nicht alles schlecht, was die da treiben“, bemerkte Max trocken und bewegte sich langsam zur Tür.

„Was soll an weißen Rechtsradikalen gut sein?“

„Sie geben verdammt gute Partys. Und zu so einer nehme ich Sie mit.“

Durch eine Tür mit dem Schild Materialausgabe betraten sie einen Raum, der in der grauen Farbe eines Schlachtschiffes angestrichen war. Über seine ganze Breite verlief eine Art Theke, hinter der sich ein Drahtkäfig befand, der vom Boden bis zur Decke reichte. In diesem Käfig sah Hansen ordentlich übereinandergereihte Regale mit Ausrüstungsgegenständen, die sich weit nach hinten ins Dunkle zogen.

Max betätigte einen Schalter neben der Tür, worauf nacheinander eine Reihe von Neonröhren aufflackerten und den Lagerraum erhellten. Ein breitschultriger Wachmann tauchte die Hand in seine Tasche und brachte einen Schlüsselbund zum Vorschein. Dann ging er um die Theke herum und begann, einen Schlüssel nach dem anderen an dem Käfigschloss zu probieren. Er steckte einen hinein, rüttelte an dem Schloss, bis der ganze Käfig wackelte, fluchte leise und versuchte es dann mit dem nächsten.

„Ich habe schon eine ganze Weile nichts mehr zwischen die Zähne bekommen“, bemerkte Hansen.

„Seit wann?“ fragte Max und fuhr, zu dem Wachmann gewandt, fort: „Wie hat Real Madrid gespielt, Stefan?“

„Lagen in der ersten Halbzeit noch hinten und gewannen anschließend mit zwei Toren gegen FC Liverpool.“

„Mist, ich hätte wetten sollen“, grübelte Max und tippte ihn ungeduldig an. „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Pronto.“

„Diese verfluchten Dinger sind nicht markiert“, verteidigte sich der Wachmann mit einer Stimme, in der eine Spur Resignation mitschwang.

„Immer mit der Ruhe.“

„Seit gestern“, meldete sich Hansen.

„Blöde Technik. Alles veraltet“, murmelte der Wachmann böse.

„Sie machen mir aber nicht den Eindruck, als würden Sie vom Fleisch fallen“, gab Max zurück.

„Das ist ihr Bier“, zuckte Hasen die Achseln. „Ich meine nur, wenn ich Sie wäre, würde ich jedenfalls kein Risiko eingehen. Bestimmt würde ein halb verhungerter Mann…“

„Okay, der Punkt geht an Sie“, unterbrach ihn Max und holte sein Tablet hervor. „Zwei belegte Brötchen und eine Pepsi.“

„Keinen Käse. Keine Pepsi.“

Max tat, als hätt er nichts gehört. Als der Wachmann endlich aufgeschlossen hatte, legte Max das Tablet auf den Tisch und begann sich langsam auszuziehen. Sprachlos sah ihn Hansen an. „Was wird das?“

Max hielt inne und stopfte seine Hose in einen Karton. Nur im Slipper stand er da und sah sich um, als wäre ihm gerade eingefallen, wo er war. „Bedenken Sie, dass die Kriminellen etwas verdutzt wären, wenn wir im Konfirmandenanzug und Zylinder erscheinen. Im Ernst, Spiro, die tragen seit Jahren die gleichen Klamotten. Die würden sich für ein sauberes Paar Socken gegenseitig die Augen auskratzen, und dann kommen Sie mit ihren manikürten Fingern, ihrem schicken Anzug und strahlen eine Sauberkeit zur Show, als würden Sie für Persil Werbung machen…“

„Schon gut.“

„Wir tragen Jeans und billige Hemden. Bloß kein Aftershave. Kein Deo. Das ist mein Ernst. Sie sehen einfach zu gut aus.“

Hansen stutzte und überlegte kurz, ob er sich weiter ausziehen wollte. „Keine Anmache.“

Max verdrehte die Augen. „Käme mir nie in den Sinn. Ach, und keinen Schmuck.“

„Jaja.“

„Das hätten wir“, ließ sich der Wachmann vernehmen, der gerade hinter dem Käfig stand und seine Waren präsentierte. „M1911A1, gebrauchte Militärwaffe. Kennen Sie sich damit aus?“

Hansen nahm eine probeweise in die Hand und strich fast wehmütig über die Maserung. „Das ist eine Kaliber .45 ACP mit acht Patronen. Sehr gewöhnlich, sogar. Haben Sie nichts Besseres?“

„Hätten wir schon“, seufzte Max leise „Aber was habe ich gesagt? Nicht auffallen.“

„Stimmt, da war ja was“, grummelte er leise und zog die Hose aus.

Und da sah Max es.

Kleine Narben am ganzen Körper, und zwar den rituellen Skarifizierungen der Ureinwohner Papua-Neuguineas nachempfunden, der sogenannten „Krokodil-Skarifizierung“, die zum Initiationsritus junger Männer gehört und ihnen Ähnlichkeit mit dem Krokodil – und somit symbolisch deren Kraft – verleihen soll. Er schluckte schwer, sagte aber nichts dazu. „Ziehen Sie den Ganzkörperanzug an. Besteht aus Kevlar. Atmungsaktiv. Wasserdicht.“ Er wies auf einen Kleiderständer in der Ecke. Dort hingen schwarze Kevlar Anzüge in drei verschiedenen Größen. Hansen verzog das Gesicht, sagte aber nichts und tat, wie ihm geheißen.

„Es heißt übrigens Sir“, verbesserte der Wachmann und sah Hansen nach. „Ist der neu?“

„So neu, dass du ihn gleich wieder vergessen kannst“, bemerkte Max leise.

„Ah, Tourist.“

„Das habe ich gehört.“

„Das war auch so gedacht, Spiro. Und jetzt ziehen sie die Jeans und das Hemd darüber. Wir mischen uns unters Volk.“

„Ich will einen Schalldämpfer“, sagte er zum Wachmann gedehnt und probierte eine weite zerlöcherte Jeans an. „Dazu noch drei Reservemagazine, zwei Messer und eine MP5A4 – Feuerstoßautomatik mit drei Reservemagazinen.“

Max schüttelte den Kopf und zog ein schmutziges Hawaiihemd über. „Wir wollen kein Land besetzen, Spiro. Gib mir noch die Kiste mit dem Sedativum, die Umhängetasche und das Erste-Hilfe-Set. Zwei Flaschen Wasser, sechs Riegel Müsslikonzentrat und zehn Bitcoins.“ Er wandte sich an Hansen. „Bevor Sie fragen, ja, die haben sogar eine eigene Währung. Sie haben Treibhäuser und in manchen Bezirken funktioniert sogar der Strom. Zweiundzwanzig Clans und dazu noch kleinere Splittergruppen unterteilt in Mexikaner, Schwarze, Inder, Orientalen, Europäer, nur Frauen, nur Männer, religiöse und sogar Kinder.“ Er unterdrückte ein Schaudern. „Beten Sie, das wir niemals den Kindern begegnen.“

„Oh, ja, die sind wirklich schlimm“, bekräftigte der Wachmann und machte ein sorgenvolles Gesicht. „Wie bei den Kinderkreuzzügen. Nur böse. Bestimmt nicht auf der Suche nach Jerusalem.“

Hansen sah beide an und suchte nach einer verräterischen Spur von Galgenhumor. „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?“

Das Innere des Hangars war von dieser Neonkrankheit erhellt, die sich Licht schimpfte. Das Raumschiff stand allein mitten in dem gewaltigen Hangar. Max und Hansen schritten über den Zementfussboden, und jeder Schritt hallte laut wider. Unter der Maschine hockten zwei Mechaniker, die damit beschäftigt waren, mit hochsensiblen Messgeräten nach feinen Rissen alles abzusuchen. Als Max neben dem Raumschiff stand, spürte er, wie eine Welle der Erregung durch sein Inneres raste. Es weckte alte Erinnerungen in ihm. Die Gulfire war schlank und geschmeidig. In ihrem lackschwarzen Anstrich spiegelten sich das Neonlicht, das ihre Konturen als Schattenumriss auf den Boden abzeichnete. Die Pilotenkanzel war schwarz und undurchsichtig und erlaubte keine Sicht nach draußen. Max war erstaunt, dass ihn die Aussicht, wieder in den Krieg zu ziehen, so erregte. Er hatte immer gedacht, damit wäre es aus und vorbei. Aber alte Soldaten sterben nie…

„Fünf Minuten, bitte, Sir“, ertönte eine Stimme von irgendwo unter dem Raumschiff.

„Keine Sorge, Jungs, lasst euch Zeit“, erwiderte er und strich sanft über den Anstrich. „Ein Dreisitzer“, erläuterte er leise. „Fliegt automatisch und gleitet wie ein Segelflug dahin. Ganz geräuschlos. Dann steigen wir aus und die Gulfire fliegt zurück.“

„Und wenn uns jemand bei der Landung beobachtet?“

„Wir sehen sie zuerst. Die da oben suchen schon einen Platz, wo es keine Gaffer gibt. Hier“, sagte er und reichte ihm eine große blaue Pille, die er aus einem Schutzumschlag holte. „Ein starkes Antitoxin“, klärte ihn Max auf. „Das Mittel stoppt für sechs Tage Bakterien und Infektionen.“

„Und wenn ich es nicht nehme?“

„Hansen“, begann Max gedehnt und spürte langsam, wie seine Laune sich von Minute zu Minute verschlechterte. „Zusammen mit den Investoren sind auch vor Jahren die Hygiene und sauberes Trinkwasser von diesem Planeten geflüchtet. Meinetwegen nehmen Sie es nicht, aber dann beschweren Sie sich nicht, wenn Sie zuhause wie ein Obdachloser aus dem Mittelalter aussehen.“

„Schon gut, schon gut.“

Preston Smith winkte seinem Chef kurz zu und wartete geduldig, bis Max schlendernd näherkam. „Sir, ich vermute, Sie wollen unserem Gast nur den Hangar zeigen…“

„Nein, wir werden in zwei Stunden wieder hier sein.“

„Sir, das verstößt gegen ein Dutzend Paragraphen.“

„Ich weiß, was ich tue, Preston.“

„Wenn der Vorstand …“

„Wird er nicht“, unterbrach er ihn schroff. „Und Sie halten auch dicht. Wenn Anrufe reinkommen…“

„…denke ich mir etwas aus. Schon klar“, zischte Preston leise als würden sie beide versuchen ein Geheimnis zu bewahren. „Ist es das wert?“

„Ja, muss sein.“

„Bitte, Sir.“

„Jetzt gehen Sie schon. Ich mache das. Kontrollieren sie die Locks und schwärzen Sie die Zahlen ein bisschen. Ich halte den Deckel drauf. Was soll schon schiefgehen?“

Preston sah nicht glücklich aus, nickte aber und verschwand so schnell wie er gekommen war.

Die Minuten zogen sich hin. Endlich waren sie bereit und die Gulfire erwachte zum Leben, während sich beide anschnallten. Die Haube glitt über ihre Köpfe und verriegelte sich selbst. Einen Moment lang herrschte völlige Dunkelheit um ihn herum, bis die Kontrolllampen und die Meßanzeigen aufleuchteten. Um sie herum leuchteten Panoramaschirme auf und erfüllten das Cockpit mit einem unheimlich blauen Schein. Zu Hansens Überraschung gab es nur wenige Knöpfe – untypisch für ein hochkomplexes technisches Wunderwerk der Menschheit, das die Gravitation und die tödliche Kälte des Alls übertrumpft hatte. Max drückte auf einen Schalter. „Startfreigabe. System online, Kurs zwei-sieben, Manöver Beta Vierzehn, Eins-neun auf acht-sieben. Spruch des Tages: Wenn du einen Hammer hälst, sieht bald alles für dich wie ein Nagel aus.“

Hansen wandte sich fragend an Max. Der zuckte nur belustigt mit den Schultern. „Ein kleiner Scherz von unseren Technikern. Lässt sich nicht mehr löschen, aber ich finde es ganz gut…“

„Sehr tiefsinnig. Tatsache ist, dass ich lieber der Hammer als der Nagel bin“, sagte Hansen. „Ich agiere lieber, statt zu reagieren.“

„Freiheit. Eine Illusion. Je mehr sie sich sträuben, desto mehr verstricken sie sich. Sie müssen essen, trinken, aufs Klo gehen, das Gefühl haben geliebt zu werden und zu lieben, das Gefühl gebraucht zu werden und etwas zu verändern. Sonst hätten Sie es wohl nicht aus Ihrem Ghetto rausgeschafft, meinen Sie nicht? In unseren Innersten wollen wir alle nochmal auf den Arm unserer Mutter und glückselige Zufriedenheit erfahren… und auch dort versteckt sich Abhängigkeit. Was ich sagen will, ist, dass das Ihre letzte Chance ist, Hansen. Sobald ich den Knopf vor mir drücke, endet Ihre Freiheit. Sobald Sie auf Oasis sind…“

Für einen kurzen Moment zögerte Hansen. Der Moment zog sich, und je mehr Sekunden verstrichen, desto breiter wurde Maxs Grinsen. „Hansen?“

„Los jetzt.“

„Wollte nur sichergehen.“ Max drückte einen Knopf an der Konsole. Langsam rollte die Gulfire los. Sie hatten die Startbahn erreicht, als auf einem Monitor Zahlen und Daten auftauchten. Luftdruck, Air-Condition, Energieversorgung, Kühlmittel… Max las die Richtwerte und nickte zufrieden. Es bedeutete, dass seine Profis an einem Strang zogen. Fast geräuschlos beschleunigte die Gulfire, während sich hinter ihnen das Tor schloss. Jetzt zog die Gulfire durch einen länglichen Schacht und beschleunigte langsam auf dem Weg zum Schott, hinter dem das eisige Vakuum lauerte. Mit der Öffnung des Schotts entstand ein Sog, der die Maschine auf die gewünschte Geschwindigkeit von 740 km/h beschleunigte, mit einer Schubkraft von 8,6 Tonnen. Wie ein Papierkügelchen in einem Strohhalm katapultierte das Gefährt raus ins All, wo es durch den natürlichen Antrieb und den vier General Electric F266-GE-Triebwerken in die richtige Position für den Eintritt in die erdähnliche Atmosphäre von Oasis kam.

Schweiß rann über Hansens Gesicht. Max bemerkte es mit einem schadenfrohen Grinsen.

Sanft und langsam bekam die Gravitation des Planeten das kreisende Objekt in seiner Gewalt. Die Flügelkanten schoben sich aus dem Schiff. Es hatte keine Eile. Das S-förmige Inlett der Gulfire mutete wie ein Boomerang an, der aber weder kreiselnd noch stürzend zur Oberfläche fand, sondern sanft und ohne große Reibung wie eine Feder ihrem Bestimmungsort anstrebte.

Selbst wenn auf der sonnenzugewandten Seite jemand zufällig den kleinen schwarzen Punkt am Himmel gesehen hätte, war es bedeutungslos, denn die Gulfire sank kontrolliert weiter zur dunklen Seite des Planeten und landete mit der graziösen Sicherheit eines Schmetterlings auf einen Kamm.

Tausendmal probiert. Tausendmal Erfolg. Auf die Technik war Verlass.

Max wusste es nicht, aber das war das Einzige, das mit Sicherheit funktionierte…

Wrong turn

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